E-Book, Deutsch, Band 1, 139 Seiten
Reihe: Der Schlunz
Voß Der Schlunz
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95568-302-3
Verlag: Bibellesebund
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 139 Seiten
Reihe: Der Schlunz
ISBN: 978-3-95568-302-3
Verlag: Bibellesebund
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eigentlich sollte es ein wunderschöner Sonntag werden. Lukas, Nele und ihre Eltern hatten nach dem Gottesdienst ein Picknick außerhalb der Stadt geplant. Doch als sie gerade gemütlich auf der grünen Wiese sitzen, finden sie im Wald ein fremdes Kind, verwahrlost, verwirrt und einsam: den Schlunz.
Da niemand weiß, wohin der Schlunz gehört, bleibt er erst einmal bei Familie Schmidtsteiner wohnen. Doch schon bald taut das fremde Kind auf und bringt mit seinen unbequemen Fragen viel Wirbel in den Alltag der sonst so braven Christenfamilie. Auch die Leiterin vom Kindergottesdienst muss feststellen, dass sich der Junge nicht mit vorschnellen Antworten über Gott abspeisen lässt. Und Lukas möchte plötzlich gar nicht mehr so gern der brave Junge sein, sondern lieber mit Schlunz zusammen den Geheimnissen der Familiengeschichte auf die Spur kommen ...
Harry Voß, geboren 1969, ist seit 1995 als Referent für die Arbeit mit Kindern (und inzwischen als Leiter des Bereichs Arbeit mit Kindern) beim Bibellesebund tätig. Er ist zu Lesetouren, Kinderbibeltagen, Kinderfreizeiten und Bibel-Action-Tagen viel im Einsatz. Als Schriftsteller wurde er vor allem durch die Schlunz-Serie bekannt (7 Bücher, Hörspiele, Verfilmung), außerdem stammen die Abenteuer von 'Ben und Lasse' von ihm, ebenso wie zwei Jugendbücher ('13 Wochen', 'Gefangen in Abadonien'). Harry Voß ist verheiratet mit Iris Voß und hat zwei Kinder. Er engagiert sich in der evangelischen Kirchengemeinde in Gummersbach und arbeitet ehrenamtlich im Christlichen Verein junger Menschen (CVJM) mit und lebt mit seiner Familie in Gummersbach (NRW).
Weitere Infos & Material
2 Lukas hatte gar nicht gemerkt, wie Nele und Mama dazugekommen waren. Aber nun standen sie schon eine Weile schweigend nebeneinander und schauten zu, wie Papa diesen fremden Jungen in seinen Armen wiegte, als wäre er ein armes, verzweifeltes Baby. Mama und Papa schauten sich kurz an. Wie so oft schienen sie mit den Augen mehr abzusprechen als andere mit tausend Worten. In der einen Sekunde, in denen sie sich ansahen, schien Papa ihr erklärt zu haben, was vorgefallen war, warum er diesen Jungen nun im Arm hielt und was Mama nun am besten zu tun hätte. Und Mama schien in der einen Sekunde das alles kapiert zu haben. Denn sie setzte sich schweigend neben Papa und strich diesem kleinen Landstreicher liebevoll über die verschmierten, verschwitzten Haare. Immer und immer wieder. Als der Junge sein Gesicht von Papas Hemd hob, sah Lukas, wie dreckig er war. Lukas konnte nicht erkennen, ob der Junge unter dem Dreck noch eine andere Hautfarbe hatte. Seine Augen waren dunkel. Seine Gesichtszüge waren weich. Nicht wie die eines Landstreichers oder eines Menschen, der sein ganzes Leben nur im Wald verbracht hatte. Der Junge schaute Lukas lange an. Dann schaute er zu Nele. Nele gelang natürlich sofort ein Lächeln. »Hallo«, sagte sie, »ich heiße Nele.« »Und wie heißt du?«, fragte Mama. Der Junge schaute sie an, als wollte er die Antwort mit seinen Augen geben. Dann sah er wieder zu Lukas, danach zu Nele. »Wie heißt du, hm?«, wiederholte Nele, als ob sie es hier mit einem sehr kleinen Kind zu tun hätte. »Ich heiße Jens«, sagte Papa, als der Junge wieder zu ihm hochschaute. »Jens Schmidtsteiner.« Der Junge schaute wieder zu Mama. »Ich heiße Ute Schmidtsteiner«, fügte sie hinzu, sprach dabei aber so langsam und deutlich, als sollte er ihr die Worte von den Lippen ablesen. »Kannst du uns verstehen?« Wieder schaute der Junge von einem zum anderen und schmiegte sich schließlich wieder an Papas Bauch. »Ich heiße Lukas«, sagte Lukas und sah dabei unter sich. Er spürte, wie er eifersüchtig wurde. Dieser fremde Junge hatte nun schon so lange auf Papas Schoß gesessen. Aber wenn Lukas Papa bat, mit ihm fünf Minuten Fußball zu spielen, musste er ziemlich lange bitten und betteln. »Lass mich mal deinen Fuß anschauen«, sagte Papa schließlich und wandte sich dem angeknacksten Bein des Landstreichers zu. »Aua«, machte der Junge, als Papa den Fuß ein wenig drehte. »Na, stumm bist du ja schon mal nicht«, meinte Papa lächelnd und drehte den Fuß weiter vorsichtig hin und her. »Wo tut es denn weh?« Nach ein paar Versuchen kam Papa zu dem Ergebnis: »Damit kannst du schlecht weiterlaufen. Ich werde dich tragen, ist das okay?« Als Antwort darauf schlang der Junge seine Arme um Papas Hals. Das war wohl das Zeichen, dass Papa ihn nun hochheben und tragen durfte. Papa stand auf. »Und taub scheinst du auch nicht zu sein. Willst du denn jetzt sagen, wie du heißt?« Aber der Junge hatte es sich auf Papas Arm bequem gemacht und legte seinen Kopf auf Papas Schulter. Mama und die Kinder erhoben sich ebenfalls und schlugen den Weg um das Wäldchen herum zu ihrem Picknicklager ein. »Wo kommst du denn her?«, fragte Mama. »Wo sind denn deine Eltern?« Und nachdem immer noch keine Antwort kam: »Bist du ganz allein hier im Wald? Wo wohnst du denn?« Aber der Junge blieb stumm. »Vielleicht ist der Junge als Baby im Wald ausgesetzt und von Wölfen großgezogen worden«, sagte Nele. «Nein«, sagte Mama. »Der Junge wird hier bei uns in der Stadt wohnen. Entweder er ist von zu Hause weggelaufen oder er wollte im Wald spielen und hat sich einfach verlaufen. Wir warten noch eine Weile bei uns auf der Picknickdecke, und wenn dann niemand kommt, um ihn zu holen, bringen wir ihn zur Polizei. Sicher hat schon jemand eine Vermisstenmeldung abgegeben, wenn er schon länger von zu Hause weg ist.« Aber niemand holte ihn ab. Der dreckige Junge saß den Rest des Nachmittags auf ihrer schönen Picknickdecke, fraß sämtliche übrig gebliebenen Joghurts, Äpfel und Brötchen, als hätte er in seinem Leben noch nie was zu essen bekommen, und schaute ansonsten stumm in der Weltgeschichte herum. Am späten Nachmittag packte die Familie ihre Sachen in den Korb und ging zum Auto. Papa hatte den Dreckjungen auf den Rücken genommen. Als sie ihr Auto erreichten und den Jungen gerade hineinsetzen wollten, kam der nächste Schock: Der Junge sprang von Papas Rücken herunter, schrie wieder und wäre bestimmt trotz seines angeknacksten Fußes weggelaufen, wenn Papa ihn nicht festgehalten hätte. Dabei waren in dem Geschrei eindeutig Laute zu vernehmen, die wie »Nein! Nein!« klangen. »Was hast du, es ist doch nur ein Auto«, wollte Papa ihn beruhigen. Aber nichts half. Der Junge begann wieder zu weinen, klammerte sich an Papa fest und trat nach dem Auto. »Hast du noch nie ein Auto gesehen?«, fragte Papa den Jungen, der weiterschrie und um sich schlug. »Willst du nicht in die Stadt?«, fragte Mama und begann wieder, seinen Rücken zu streicheln. »Ist in der Stadt jemand, der dir Angst einjagt?«, versuchte es Papa erneut. »Ist es das Auto, wovor du Angst hast?«, fragte Mama. »Junge, wenn du reden kannst, dann verrat uns doch bitte, was los ist«, sagte Papa und seine Stimme bekam einen Ton, in dem schon ein Hauch von Ungeduld mitschwang. Das gefiel Lukas. »Nein, nicht – da«, war aus dem Gewimmer des Jungen herauszuhören. »Nicht Auto?«, fragte Mama. »Oder nicht Stadt?«, hakte Papa nach. »Nicht Auto«, weinte der Junge. Mama und Papa schauten sich wieder kurz an. Ein Blick genügte. Papa zog die Augenbrauen hoch: »Na gut, dann wollen wir mal.« Mit einem Ruck nahm er den Jungen wieder auf den Rücken und wanderte tapfer in Richtung Stadt. Boah, da hatte er sich ja was vorgenommen! Aber wehe, wenn Lukas mal bei einer Wanderung sagte, Papa solle ihn tragen. Na gut, der Junge war fußkrank, aber trotzdem. So langsam bekam er doch ein bisschen zu viel Verwöhnprogramm. Mama setzte sich auf den Fahrersitz und startete den Wagen. Nele und Lukas stiegen ein. Sie fuhren los, an Papa mit dem merkwürdigen Jungen auf dem Rücken vorbei. Wenig später fand sich die ganze Familie in einem der Büros im Polizeigebäude der Stadt wieder. »Diesen Jungen haben wir im Wald gefunden«, erklärte Papa dem Polizeibeamten. »Ich vermute, er steht unter Schock. Er spricht nicht und wir wissen nicht, woher er kommt und wohin er gehört.« »Der Junge ist ja total verwahrlost«, nuschelte der Polizist, der hinter einer alten Schreibmaschine saß, und schaute sich den Landstreicher genau an. »Junge, wie heißt du denn?«, fragte er so laut, als sei der Junge schwerhörig. Der Junge drehte sein Gesicht weg und klammerte sich fester an Papa. »Das haben wir ihn auch schon gefragt«, sagte Papa, »aber er antwortet nicht.« »Junge, wo sind deine Eltern?«, fragte der Polizist ebenso laut wie beim ersten Mal. Keine Antwort. »Ist dir was passiert?« Keine Antwort. »Wo wohnst du denn? Verstehst du uns?« »Gibt es denn schon eine Vermisstenanzeige, die auf den Jungen passt?«, erkundigte sich Mama. »Nein.« Der Beamte schüttelte den Kopf. »Aber wir werden den Fall aus Ihrer Sicht aufnehmen. Wenn dann eine Vermisstenmeldung eingeht, werden wir die Daten vergleichen. Vielleicht ist der Junge ja noch nicht lange von zu Hause weg.« »Ich glaube doch«, sagte Papa und schaute auf die verdreckten Klamotten des Jungen. Der Polizist spannte einen neuen Papierbogen in seine Schreibmaschine ein und tippte nieder, was Mama, Papa, Nele und Lukas von dem Nachmittag erzählten. Dann machte er noch ein paar Notizen über Größe, Augenfarbe, Gewicht und Alter des Jungen (er schätzte zehn Jahre) und fotografierte sein Gesicht. »Wo soll der Junge denn jetzt bleiben, bis seine Eltern sich bei Ihnen melden?«, wollte Mama wissen. »Es gibt eine Notaufnahme beim Jugendamt, zu der Sie den Jungen gleich bringen können«, begann der Polizist. Das hatte der Landstreicher anscheinend verstanden. Denn bei diesem Wort klammerte er sich noch mehr an Papas Hals und begann auch ein bisschen zu wimmern. Mama und Papa schauten sich an, dann sahen sie zum Polizisten, der kurz entschlossen zum Telefonhörer griff. »Warten Sie einen Augenblick«, sagte er. Wenige Minuten später legte er den Hörer wieder auf und sagte: »Frau Rosenbaum vom Jugendamt ist damit einverstanden, dass der Junge für heute Abend mit zu Ihnen geht. Anscheinend hat er zu Ihnen Vertrauen gefasst. In dem Fall ist er bei Ihnen vorerst besser aufgehoben als in einem Kinderheim. Wäre das okay für Sie?« Mama und Papa schauten zu Lukas und Nele. Lukas ahnte schon, was jetzt kam. »Lukas, Nele, wärt ihr damit einverstanden, wenn der Junge heute Nacht bei uns bleibt?«, fragte Mama und zog auf ihre typische Weise die Augenbrauen hoch, wie sie es immer tat, wenn sie etwas von ihren Kindern wollte. »Es ist ja nur, bis seine Eltern sich hier melden und...