E-Book, Deutsch, 592 Seiten
Briefwechsel: Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller
E-Book, Deutsch, 592 Seiten
ISBN: 978-3-7109-5129-9
Verlag: Benevento
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Einleitung
Die Veröffentlichung einer Korrespondenz mit drei Protagonisten ist nicht eben üblich. Das Foto, auf dem sie gemeinsam mit einer Gruppe anderer Prominenter zu sehen sind, hält einen großartigen Moment in der Operngeschichte des 20. Jahrhunderts fest. Zur Premiere des »Rosenkavaliers« im Januar 1911 in Dresden haben sich der Komponist Richard Strauss (1864–1949), der Textdichter Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) und der Bühnen- und Kostümbildner Alfred Roller (1864–1935) in Szene gesetzt. Um sie herum das Netz derer, die an der Gesamtkomposition mitgewirkt haben. Die gedruckte Fotopostkarte (Brief 64, Abb. 42 und 43) führt sie allesamt auf: den Intendanten Graf Seebach, Generalmusikdirektor Ernst von Schuch, den genialen Schauspieler und Regisseur Max Reinhardt und Oberregisseur Georg Toller, Oberinspektor Max Hasait, Kostümbildner Leonhard Fanto, Hoftheatermaler Otto Altenkirch. Martin Herzfeld aus Dresden hat die Gruppe fotografiert. Diese zehn Männer mussten zusammenarbeiten, damit die Aufführung der Oper zustande kommen konnte und sicher noch viele mehr. So fehlt ein wichtiger Anreger, der heimliche Co-Autor Harry Graf Kessler, überhaupt. Meist reduziert man die Zusammenarbeit am »Rosenkavalier«, die ja legendär geworden ist, auf zwei Künstler, auf Hugo von Hofmannsthal, den Künstler des Wortes, und Richard Strauss, den Künstler der Töne. Das Foto zeigt jedoch, dass diese beiden Künste, um wirksam zu werden, einer dritten Kunst bedürfen, der Kunst der Sichtbarmachung. Aristoteles nennt sie ›Opsis‹ und erklärt sie zu einem der sechs wesentlichen Stücke des Theaters. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet Alfred Roller, der große Bühnenkünstler, relativ unsichtbar geblieben ist zwischen seinen beiden berühmteren Mitkünstlern. Das liegt sicher daran, dass Roller im gesellschaftlichen Verkehr eher zurückhaltend war; sicher auch daran, dass die Medien der Öffentlichkeit eher auf die vielversprechende musikalische und dichterische Autorschaft der beiden Neulinge am kulturellen Horizont fixiert waren. Insofern holt der hier veröffentlichte Briefwechsel ein Versäumnis nach; die erstmals vollumfänglich dargebotenen Briefe zwischen Hofmannsthal und Roller und zwischen Roller und Richard Strauss beleuchten einen bisher zu wenig berücksichtigten Aspekt der Theater- und Operngeschichte des 20. Jahrhunderts. Rollers künstlerische Energie wirkt nicht selten bereits in den Entstehungsprozess der Werke hinein; kraft seiner Expertise in der Kunst der Sichtbarmachung ist er nicht nur Mitarbeiter, sondern auch so etwas wie ein Mit-Urheber. Künstler wie Hofmannsthal, Strauss oder Gustav Mahler haben das bemerkt und auch ausgesprochen. Richard Strauss hat das etwa 1907 getan, zu einer Zeit, als er, der kühne Neuerer, selbst »gegenwärtig im Mittelpunkt allgemeinen Interesses« steht. In einem Interview wird ausführlich über Strauss’ europaweite Aufführungen gesprochen, über den Skandal und das Aufführungsverbot der »Salome« in Wien und natürlich über die laufende Arbeit an Hofmannsthals sophokleischer »Elektra«. Bei der Frage nach der Situation an der Wiener Hofoper zitiert das »Neue Wiener Journal« vorsorglich wörtlich. Es »antwortete der Meister, daß er die ›höchste Meinung von Rollers und Mahlers bahnbrechenden künstlerischen Bestrebungen‹« habe. »Besondere Freude«, lobt Strauss weiter, »hat mir in Wien stets das philharmonische Orchester in seiner wundervollen Klangschönheit und musterhaften Technik und Präzision gemacht. Mit geistvollen Köpfen wie Roller und Hofmannsthal in Wien zusammenzutreffen, ist mir stets ein Vergnügen. Ebenso, wie zwischen den ehrwürdigen Stätten zu wandeln, wo unsere Heroen Beethoven, Mozart und Schubert geweilt und gewirkt haben.«1 Zwischen den Heroen der Musik und der Dichtung findet bei Strauss auch derjenige Beachtung, der ihren Werken zur Realisierung auf der Bühne verhilft. Roller ist ein Musterbeispiel für das neue interaktive Miteinander bei der Entstehung einer künstlerischen Produktion, der Arbeit am »Gesamtkunstwerk« in der Generation nach Richard Wagner. Das Verhältnis zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss hat eine reiche Forschungsliteratur hervorgebracht, und Überblicke zu Leben und Werk sind leicht im Internet zu finden. Alfred Roller dagegen blieb ein Fall für wenige. Deshalb gelten unsere einleitenden Passagen vor allem ihm. Auch unser Anhang hat hier seinen Schwerpunkt. Die Chronik wiederum soll eine Zusammenschau der wichtigsten Daten aller drei Korrespondenten geben und ihre Verbindungen aufzeigen. Alfred Roller wurde am 2. Oktober 1864 als ältestes von acht Kindern im mährischen Brünn/Brno geboren.2 Der Vater Josef Roller war Grafiker, Zeichenlehrer und Direktor an der deutschen Realschule. Sein Lehrbuch »Technik der Radierung. Eine Anleitung zum Radieren und Ätzen auf Kupfer« wurde über Jahrzehnte gebraucht (1887, 5. Aufl. 1922) und seine Handreichungen für den Zeichenunterricht ebenfalls. So unterrichtete der Vater wohl auch seinen Sohn. Der ging nach der Schulzeit 1883 zum beamtenüblichen Jurastudium nach Wien, hörte aber auch in der philosophischen Fakultät, etwa die Kunstgeschichtsvorlesungen von Rudolf von Eitelberger, und studierte dann an der Akademie der Bildenden Künste unter anderem Architektur (bei Hansen, Hasenauer und Schmidt), Historien- und Landschaftsmalerei (bei Griepenkerl und Lichtenfels). Bei August Eisenmenger, verantwortlich für die Ausmalung zahlreicher Bauten an der Wiener Ringstraße, besuchte er die Abendkurse im Aktzeichnen. Seine Ausbildung an der Akademie unter der Anleitung dieser drei für ihn maßgeblichen Lehrer mag konservativ gewesen sein, vermittelte jedoch großes handwerkliches Können und technische Fertigkeiten. Naturalistische Detailgenauigkeit und verschiedene Verfahren stilkünstlerischer Abstraktion werden sich später in Rollers Bühnen- und Kostümbildern finden und darüber hinaus ein souveräner Umgang mit Licht und Raum. Als die Akademie im Oktober 1892 ihr 200-jähriges Bestehen feiert, gehört Roller als Präses der Studentenverbindung »Athenaia« zum Festkomitee. Beim offiziellen Rundgang des Kaisers3 repräsentiert der 28-jährige Roller die Schülerschaft. Im Jahr darauf stirbt sein Vater, und Roller, der Erstgeborene, muss den Lebensunterhalt nicht nur für sich, sondern für die ganze Familie sichern. Von dieser Phase als freischaffender Künstler wissen wir nicht viel; Roller nahm die verschiedensten Aufträge an – Gemälde, Zeichnungen, Exlibris, Porträts, Gebrauchsgrafik, auch Arbeiten für die Wiener Bühnenateliers. Seine Gelegenheitsarbeiten reichen vom Entwurf einer Karte für den Technikerball (1895)4 bis zur aufwändigen Ausgestaltung eines Wohltätigkeitsfestes der Tischgesellschaft »Marokkania« mit ›Lebenden Bildern‹ in den Sofiensälen im Frühjahr 1894. Dafür erhält er großes Lob – auf dem Ball und in der Presse: »Den Brennpunkt des Festes […] bildete das Festspiel ›Ein Abend am Hofe des Großmoguls von Marokko‹ […]. Die Costüme des Stückes und die Decorationen und Zusammenstellung der sechs lebenden Bilder, welche im Festspiele vorkamen, waren von Maler Alfred Roller gezeichnet worden. Der junge Künstler, ein Schüler des Prof. von Lichtenfels, erntete mit Recht rauschenden Beifall. […] Das farbenprächtige venecianische Bild und das Schlußtableau mit der Vindobona [der Allegorie der Stadt Wien] erinnerten in der Technik und in der berauschenden Pracht der Staffagen und Costüme an die beste Zeit des unvergeßlichen Makart. Alfred Roller, auf dessen eigenartiges Talent das ›Salonblatt‹ bereits vor zwei Jahren anläßlich einer Ausstellung in der Akademie hinwies, entstammt einer hochgeachteten Brünner Beamtenfamilie, hat das Gymnasium und zwei Jahre Ius absolvirt, ging aber dann aus Liebe zur Kunst zur Malerei über. Eine hervorragende kunsthistorische Bildung, die heute leider den meisten jungen Künstlern abgeht, prädestinirt Roller in der Zukunft zu mancher herrlichen Aufgabe.«5 Durch die Umschlaggestaltung für den Sammelband »Für Laibach«, womit die »Genossenschaft bildender Künstler Wiens« die durch eine Erdbebenkatastrophe 1895 schwer getroffene slowenische Stadt Ljubljana zu unterstützen suchte, war Roller auch bereits indirekt mit dem jungen Dichter Hugo von Hofmannsthal bekannt.6 Er hatte das Fragment »Aus einer Alkestis« beigesteuert; die erste persönliche Begegnung fand aber erst knapp zehn Jahre später statt. In die Kunstgeschichte wird Roller durch sein Engagement in der Gründerzeit der Wiener Secession eingehen. Im Mai 1897 trat eine Gruppe »Moderner« wie Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef Hoffmann, Josef Maria Olbrich aus der »Genossenschaft bildender Künstler Wiens, Künstlerhaus« aus. Der die Jugend vertretende Hugo von Hofmannsthal hatte sie schon Anfang der Neunzigerjahre als...