E-Book, Deutsch, Band 68, 318 Seiten
Reihe: Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ)
Vogel Heiliger Krieg
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7720-0223-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Antike Texte - moderne Kontexte
E-Book, Deutsch, Band 68, 318 Seiten
Reihe: Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ)
ISBN: 978-3-7720-0223-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Band versammelt Beiträge zum Thema des 'Heiligen Krieges' u.a. im Deuteronomium, bei Sacharja, im 1. Makkabäerbuch, in der Kriegsrolle von Qumran und in der Johannesoffenbarung, ergänzt durch einen Abriss zu Kriegskonzeptionen bei Griechen und Römern. Moderne komparative Kontexte kommen mit dem spiritual warfare im westafrikanischen Christentum zur Sprache, aber auch in der 'Geistlichen Anleitung' der Attentäter vom 11. September 2001 sowie in Begründungen des bewaffneten Kampfes in der Roten Armee Fraktion (RAF). Deutlich wird zumal in den antiken jüdischen und christlichen Texten, dass entweder religiöse Deutungen erst in der historischen Retrospektive greifen oder dass das Medium des Textes in liturgischer Inszenierung und apokalyptischer Imagination den realen Krieg substituiert. Umgekehrt kann aber auch äußerste Gewalt in ihren extremsten Momenten als liturgische Handlung und spirituelle Übung aufgefasst und so überhaupt erst durchführbar werden (Anschläge von 9/11). Oder aber eine radikale Minderheit sieht sich an der Epochenschwelle eines weltweiten Befreiungskampfes in unbedingter historischer Verantwortung (RAF). Die Beiträge des Bandes sind je für sich und in der Zusammenschau vielfältig anschlussfähig an religions-, sozial- und kulturwissenschaftliche Diskurse.
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Einleitung
Manuel Vogel Der Terminus „Heiliger Krieg“ kommt in den biblisch-jüdischen Quellentexten, die in den Beiträgen dieses Bandes untersucht werden, nicht vor. Er ist nur im klassischen Griechisch belegt, und das recht undeutlich. Beschreibungssprachlich ist es aber üblich, hilfreich und angemessen, im Sinne des heuristischen Zugriffs das Schnittfeld von Krieg und Religion kultur- und zeitübergreifend so zu bezeichnen: Gefragt wird nach religiösen Motivationen und Begründungen von Krieg und nach kriegerischen Ausprägungen religiöser oder religiös konnotierter kultureller Sinnsysteme. Die Beiträge des vorliegenden Bandes bewegen sich in seinem ersten Teil („antike Texte“) im Bereich der altvorderorientalischen und hellenistisch-römischen Antike. Im zweiten Teil („moderne Kontexte“) geht es um das westafrikanische Christentum, um gewalttätigen Islamismus und um den als „Krieg“ aufgefassten bewaffneten Kampf der RAF und verwandter Gruppen. Die Zweiteilung ist zunächst wirkungs- und rezeptionsgeschichtlich begründet: Wo begegnen Motive des „Heiligen Krieges“ aus Texten der israelitisch-jüdischen Tradition in modernen Rezeptionskontexten wieder? Aber auch abseits traditionsgeschichtlicher Brückenschläge kann der Einblick in völlig anders geartete Begründungszusammenhänge für Konzeptualisierungen des eigenen Handelns als „Krieg“ dazu anregen, neue Fragen an die alten Texte zu stellen, oder aber dazu, den historischen Kontext des eigenen Rezeptionsstandpunktes auszuleuchten und besser zu verstehen. Am Beginn des Bandes steht der Beitrag Sakralisierung des Krieges im Alten Testament? von RAIK HECKL. Heckl setzt sich kritisch mit der von Jan Assmann in die Diskussion gebrachten Unterscheidung von „primärer“ und „sekundärer Religion“ auseinander. Primäre Religion sei, so Assmann, tolerant und vermittelnd, sekundäre Religion (in Gestalt von Judentum, Christentum und Islam) neige dagegen zu Intoleranz, Gewalt und Krieg. Mit dem Motiv des „Banns“ im Deuteronomium, der im Rahmen der „Landnahme“ an den eroberten Städten und Gebieten zu vollstrecken ist – man würde heute von Genozid sprechen – untersucht Heckl Texte, die zunächst geeignet erscheinen, Assmanns These zu stützen, geht es hier doch um religiös begründete äußerste Gewalt in einem von der Gottheit befohlenen Krieg. Aufschlussreich sind nun aber die von Heckl aufgeführten Parallelen aus der Mescha-Stele, v. a. das Motiv der totalen Ausrottung der besiegten Bevölkerung. Der Vergleich zeigt: Das Motiv ist weder kennzeichnend „monotheistisch“, noch überhaupt einlinig „religiös“. Zwar spielt „Religion“ in den Texten des Deuteronomiums und der Mescha-Stele eine tragende Rolle, aber nicht anders, als dies in allen anderen Lebensbereichen der altvorderorientalischen Kulturen auch der Fall war, eine Beobachtung, die Heckl forschungsgeschichtlich einordnet in die Kritik an v. Rads These vom „Heiligen Krieg“ in Israel. Anstelle eines „theologischen“ legt der von Heckl angestellte Vergleich einen politischen Deutungskontext nahe, der außerdem (in Abgrenzung zu Assmanns „positivistischer“ Lektüre der Texte) literarisch-rhetorische Aspekte berücksichtigt: Der an der Bevölkerung der eroberten Gebiete vollstreckte „Bann“ artikuliert literarisch den jeweiligen Besitzanspruch auf diese Gebiete, wobei die Ausrottung der Bevölkerung die Fiktion eines entvölkerten Landes erzeugen soll, die, wie durch Signale im Text selbst, aber auch durch den archäologischen Befund nahegelegt wird, keinesfalls den geschichtlichen Tatsachen entsprach. Die Beobachtungen Heckls an den antiken Texten lassen sich, über seinen Beitrag hinausweisend, auch auf die gegenwartsbezogenen Aspekte der Religionskritik Assmanns übertragen. Zu fragen ist, ob Assmann einseitig den religiösen Glauben für die Genese von Gewalt und Intoleranz verantwortlich macht, unter Ausblendung der jeweiligen politischen Kontexte. Zu fragen ist: Wo ist Religion ursächlich für Gewalt und Intoleranz, und wo ist sie ein Epiphänomen ganz anderer Kräfte, die etwa unter dem Stichwort Kolonialismus und Imperialismus zu verhandeln wären. Der Monotheismus ist ein wohlfeiles Objekt der Kritik, doch unversehens weben seine Kritiker am ideologischen Schleier und tun das Ihre, die tatsächlichen Machtverhältnisse unsichtbar zu machen. Die Gegenprobe zur „Toleranz“ der „primären“ Religion bestünde darin zu fragen, ob multireligiöse und multikulturelle Toleranz notwendig war für das Entstehen und Funktionieren antiker Imperien. Auch die von ANDREAS KUNZ-LÜBCKE in seinem Beitrag Erst Frieden, dann Krieg, dann Heiligkeit. Zur Dramatisierung des Krieges in Sacharjah 9-14 untersuchten Texte aus dem Sachariabuch, dem äthiopischen Henochbuch und dem ägyptischen Töpferorakel erschließen sich keinesfalls in Absehung vom politischen Hintergrund ihres perserzeitlichen und hellenistischen Entstehungszeitraums. Zwar ist der Gott Israels als militärischer Akteur bei Sacharja und in äthHen ständig präsent, doch ist sein Handeln sozusagen erkennbar sprunghaft und legt als solches eine Spur zu sehr unterschiedlichen politischen Situationen, die sich in den Texten niederschlagen. Greifbar sind im ersten Teil des Sacha-riabuches perserzeitliche Hoffnungen auf eine zuverlässig stabile politisch-militärische Großwetterlage. Diese Hoffnungen weichen im zweiten Teil des Buches jedoch zunehmend den realen Bedrohungen, die aus dem Expansionsstreben der Diadochenreiche resultierten. Die Vergleichstexte aus dem Töpferorakel sind erhellend in historischer Hinsicht, weil sie eine anti-hellenistische Perspektive erkennen lassen, die auch in DtSacharja und äthHen prägend ist, aber auch in literarischer Hinsicht: Das motivische Inventar, das bei DtSacharja mutmaßlich auf unterschiedliche literarische Schichten verteilt ist, findet sich vollständig auch in dieser paganen Schrift. Der zweite Teil des Sacharjabuches bewegt sich also, obwohl üblicherweise ein kompliziertes Textwachstum angenommen wird, doch innerhalb eines kohärenten Motivzusammenhangs. Da im Übrigen die Textgenese allem Anschein nach im Zuge immer neuer politischer Szenarien erfolgte, arbeitet die redaktionsgeschichtliche Rekonstruktion notwendig in enger Fühlung mit den Befunden der politischen Ereignisgeschichte. Schon aus methodischen Gründen verbietet sich also eine isoliert „religiöse“ Betrachtungsweise. Und schließlich: Die Texte sind als religiöse Texte nachholend, initiieren nicht, reagieren nur auf erlebte Geschichte. Obwohl der Krieg in DtSacharja dominiert, ist dieser zweite Teil des Buches keine Programmschrift für einen „Heiligen Krieg“. Mit dem Beitrag Der ,Heilige‘ und der ,Gerechte‘ Krieg. Zur Kriegskonzeption bei Juden, Römern und Griechen in der vorchristlichen Antike von KARL LEO NOETHLICHS kommt als weiterer Quellenbereich die griechisch-römische Antike hinzu. Als Folgebeitrag zu demjenigen von Andreas Kunz-Lübcke passt er insofern, als wir ja bereits hier auf den Hellenismus gestoßen sind, freilich nicht als Kulturbringer, sondern auf der militärischen Bühne der Epigonen des Alexanderreiches. In den griechischen Texten begegnet nun auch der Terminus „Heiliger Krieg“ (p??eµ?? ?e???), in der ältesten Quelle (Aristophanes) freilich bereits in der Verfremdung der Komödie, mit unklarer Referenz auf ein offenbar vorausgesetztes älteres Konzept. Ging es bei Heckl und Kunz-Lübcke um die Freilegung politischer Bezüge von vordergründig rein religiösen Begründungszusammenhängen des Krieges, so ist Noethlichs umgekehrt damit befasst, den zutiefst „religiösen“ Charakter griechischer, v. a. aber altrömischer und reichsrömischer Politik des Krieges vorzuführen. Namentlich für das republikanische Rom gilt: „Wir haben es hier mit einem durch und durch religiös geprägten Kriegszeremoniell zu tun, das quasi jede Phase eines Kriegszuges in rituelle Formen verpackte.“ Wie ernst man von römischer Seite den religiösen Aspekt nahm, wird an der jedenfalls in älteren Quellen bezeugten Praxis der evocatio deutlich: Die Gottheit der von Rom militärisch Besiegten wurde feierlich aus ihrem Tempel „herausgerufen“, verbunden mit dem Angebot, nach Rom überzusiedeln und dort einen neuen Tempel zu erhalten. Dem römischen Selbstanspruch nach musste ein Krieg indes nicht nur pium sein, was von der sorgfältig zu beachtenden kultisch-rituellen Vorschriftsmäßigkeit abhing, sondern vielmehr auch iustum. Da ein „gerechter“ Krieg immer „auf ein vorheriges Unrecht“ reagierte, „konnte es – theoretisch – in Rom demnach keine reinen Eroberungskriege geben“. Dass die Geschichte des Römischen Reiches anders aussah, ist bekannt. Wie Rom an seinem Anspruch, ausschließlich gerechte Kriege zu führen, festhalten konnte, wäre eine interessante Anschlussfrage. Hier ginge es dann nicht um Religion oder Politik, sondern um Ideologie, um die beanspruchte Deutungshoheit, was „gerecht“ ist. Noethlichs resümiert: „Der ,gerechte‘ Krieg bleibt also immer eine Frage der subjektiven Deutung und der entsprechenden Propaganda, und so ist es bis heute geblieben!“ Mit dem Beitrag Der ,Heilige Krieg‘ im ersten Buch der Makkabäer von MICHAEL TILLY befinden wir uns wieder im biblisch-jüdischen Traditionsbereich. Das 1. Makkabäerbuch reflektiert die Begegnung von Judentum und Hellenismus als Geschichte eines Konflikts, in dem es von jüdischer Seite um die Wahrung religiöser, kultureller, ethnischer und...