E-Book, Deutsch, 512 Seiten
Vámos Buch der Väter
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-641-01101-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 512 Seiten
ISBN: 978-3-641-01101-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sie sind gesegnet mit der Gabe, in die Zukunft schauen zu können. Oder ist es vielmehr ein Fluch? Denn obwohl diese Gabe über 300 Jahre an den jeweils erstgeborenen Sohn der Csillags weitergegeben wird, können sie doch ihr Schicksal nicht lindern oder gar selbst bestimmen. Sie sind Sklaven ihrer Leidenschaften und Spielball kriegerischer Auseinandersetzung. Die hoch spannende und berührende Geschichte einer Familiendynastie vor dem Panorama der ungarischen Geschichte.
Miklós Vámos, geboren 1950 in Budapest, ist gelernter Jurist. Er war Dramaturg und Verlagsleiter, hat Theaterstücke und Drehbücher verfasst, seine Romane und Erzählungen sind vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Vámos lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Budapest. In Ungarn ist Vámos ein Star, nicht zuletzt durch seine Fernsehserie Lehetetlen (Unmöglich), die in Ungarn zu den beliebtesten TV-Ereignissen zählt.
Weitere Infos & Material
1;I;6
2;II;50
3;III;92
4;IV;128
5;V;166
6;VI;200
7;VII;234
8;VIII;274
9;IX;308
10;X;342
11;XI;392
12;XII;444
13;Nachwort;500
14;Anmerkungen;506
(S. 273-274)
Die kahlen Äste sind unterm morgendlichen Rauhreif erstarrt, der am Boden nagende Frost versiegelt die Pfützen. In der Nacht kriechen die Hunde aus ihren Hütten, hinein zum Vieh, zu den Rössern, im Dunst der massigen Körper nach Wärme suchend. Aus deren Nüstern fließt der Atem dicht wie Pfeifenqualm. Das in unsern Breiten überwinternde gefiederte Volk wie auch die den Frost verschlafenden Vierbeiner zittern schon.
Auf dem Land kommt das Leben fast völlig zum Stillstand. Selbst Stadtleute bewegen sich weniger, igeln sich ein. Und nachts durchquert der Posten, vom Volk despektierlich Nachtwächter genannt, die besseren Viertel schnelleren Schritts. Der den Bart zerzausende Wind löscht ihm wieder und wieder das Licht seiner Laterne aus.
* * *
Auf das Ende der achtzehnhunderter Jahre und die Wende zum neuen Jahrhundert wartete Sándor Csillag mit einer bis zur Hysterie gesteigerten Ungeduld. Er hatte bereits so viele Jahre hinter sich wie perlweiße Zähne im Mund, die bislang alle heil geblieben waren. Diese nach Form und Tauglichkeit besonders bemerkenswerten Kauwerkzeuge konnte er nur von der Mutter geerbt haben, denn der Vater hatte mit den seinen stets Malaisen gehabt, besonders in den letzten Lebensjahren. Eigene Erkenntnisse zu all dem besaß Sándor Csillag nicht, doch hat ihm Hammi von seinen früh verstorbenen Eltern erzählt.
In seinen rätselhaften Wachträumen sah er sie so klar vor sich, als betrachte er wohlge ratene Konterfeis von ihnen. Warum der Papa wohl nie Porträts von ihnen beiden malen ließ? Hammi war überzeugt, beim Aufziehen des ihr hinterlassenen Knaben sei eine starke Hand vonnöten, denn schon in frühester Kindheit erwies er sich als zügellos. Kaum stand er auf seinen zwei Beinen, als er mit der aus dem Haus geschleppten Laterne die Hütte des Hofhundes Berta in Brand setzte. Auch der Schuppen und der Holzstoß brannten lichterloh. Die an der Kette gehaltene Hündin konnten die Nachbarn gerade noch vor dem sicheren Tod retten. Hammi fand nie heraus, wie der kleine Feuerteufel auf den Tisch gelangt war, um die Lampe zu erreichen und sie vom Haken zu nehmen. Mit sechs Jahren durfte man ihn nicht mehr mit den gleichaltrigen Nachbarmädchen allein lassen, die Höschen der Kleinen und was sie verbargen fanden überall und jederzeit sein Interesse, daheim und auch, wenn man irgendwo zur Visite war.
Die unteren Klassen brachte er in drei verschiedenen Schulen zu, weitere Wechsel kamen nur deshalb nicht in Frage, weil es in Homonna und Umgebung mehr Schulen gar nicht gab. Hammi hatte nicht den Mut, ein so zartes Kind in eine Internatsschule zu geben. Das sah sie erst für spätere Jahre vor. Doch hat Sigmund Hammis diesbezügliche Pläne ebenfalls durchkreuzt. Bevor man ihm sein miserabel ausgefallenes Jahreszeugnis mit dem Vermerk »Kann nicht in eine höhere Klasse versetzt werden« hätte aushändigen können, war er in seiner Schuluniform hinausgelaufen in die weite Welt. Zwei Wochen lang bekam seine Ziehmutter nicht die spärlichste Nachricht darüber, wo er geblieben war, ihr fielen in diesen Tagen die Haare strähnenweise aus.
Dann traf in rotem Couvert ein mit holprigen Buchstaben beschriebenes Billett aus Miskolc ein. Tihamér Vastagh, Inhaber eines Gastlokals und einer Kaffeesiederei, hatte sie geschickt, um der Dame Hanna Berda-Stern eherbietig zur Kenntnis zu bringen, dass sich bei ihm ein junger Mensch namens Sándor Csillag verdingt habe. Seinen eigenen Angaben zufolge sei er Vollwaise und bislang der Obhut der Adressatin anvertraut gewesen.