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E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Theologisch-praktische Quartalschrift

Verzicht

Theologisch-praktische Quartalschrift 3/2023

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Theologisch-praktische Quartalschrift

ISBN: 978-3-7917-6238-8
Verlag: Friedrich Pustet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Verzicht ist nicht gleich Verzicht. Es macht einen Unterschied, ob Energieknappheit, Inflation oder Corona-Maßnahmen Reduktionen erzwingen oder ob Menschen freiwillig ihre Bedürfnisse einschränken, um einen gemäßigten Lebensstil einzuüben, der als hohes Gut gilt und Glück verspricht. Worauf und aus welchen Gründen verzichtet wird und in welcher Weise angesichts der gegenwärtigen politischen und sozioökonomischen Herausforderungen sinnvoll von Verzicht gesprochen werden kann, zeigt Heft 3/23 in gewohnt interdisziplinärer Weise.
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Christian Hornung Askese und Enthaltsamkeit
Von der Vielfalt des Verzichts in der Alten Kirche
„Askese“ wurde in der Spätantike zum Leitbild des christlichen Lebens. Das Stylitentum kann dabei als besonders eindrückliches Beispiel eines keineswegs monolithisch auftretenden Phänomens angesehen werden. Der Beitrag geht nicht nur den verschiedenen Formen der Askese und des Verzichts in der christlichen Spätantike nach, sondern fragt auch, wie es dazu kam, dass sich dieses äußerst divers ausgeprägte Lebensideal als populäres Phänomen mit Anziehungskraft etablieren konnte und so auch die Identität und den Habitus des Klerus entscheidend mitprägte. (Redaktion) In der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, genauer im Jahr 423, ereignet sich unweit des nordsyrischen Dorfes Telanissos, des heutigen Deir Sema, etwas bis dahin völlig Unbekanntes und Neues: Ein Asket, der bislang als eremitischer Mönch allein und in einer monastischen Gemeinschaft mit mehreren Gleichgesinnten gelebt hatte, begibt sich auf eine Säule, auf der er fortan als Ausdruck seines Verzichts – jeder Witterung ausgesetzt – lebt. Der Historiograf Theodoret von Cyrus (ca. 393–466) schildert in seiner „Mönchsgeschichte“, der „Historia religiosa“, das Ereignis: „Da die Zahl der Pilger stetig wuchs und alles ihn [Symeon] zu berühren und aus seiner Pelzgewandung Segen zu erholen strebte, war er auf den Gedanken gekommen, sich auf eine Säule zu stellen. Fürs erste hielt er dieses Übermaß von Verehrung für unvernünftig, sodann ward er auch über das Belästigende der Sache unwillig. Darum ließ er zunächst eine Säule von sechs Ellen errichten, die er später auf zwölf und darnach auf zweiundzwanzig Ellen erhöhte. Jetzt mißt sie sechsunddreißig Ellen. Denn er wünscht zum Himmel aufzufliegen und von diesem irdischen Getriebe sich zu lösen.“1 Theodoret bezeugt damit den Beginn des sogenannten Stylitentums, des „Säulenstehertums“. Als sein erster Vertreter gilt Symeon der Ältere (ca. 389–459), von dem hier die Rede ist. Namensgebendes Merkmal dieser Form der Askese ist der Rückzug auf eine Säule, die sukzessive erhöht werden und schließlich mehrere Meter messen kann.2 Der Stylit steigert durch diese wortwörtlich auf die Spitze getriebene räumliche Begrenzung und Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit die sonst üblichen Formen des Verzichts auf Nahrung, Schlaf, Körperpflege – und jede unmittelbare soziale Gemeinschaft. Von Nordsyrien ausgehend verbreitet sich das Stylitentum in der Spätantike über Kleinasien bis in den Westen des Römischen Reichs, wo es zumindest zeitweise auch für die Gegend um das heutige Trier und die Eifel bezeugt ist.3 Als Charakteristikum gerade des syrischen Mönchtums gilt eine verbreitete Tendenz zu einer gesteigerten Askese, wie sie bei den Säulenstehern deutlich zu beobachten ist. Symeon und die in seiner Tradition stehenden späteren Styliten wie etwa Symeon der Jüngere (ca. 521–592) oder auch Daniel Stylites (ca. 409–493) sind freilich nur ein (besonders eindrückliches) Beispiel spätantiker asketischer Lebensformen. Im Folgenden soll versucht werden, diese zunächst phänotypisch vorzustellen und dann den Motiven und Begründungsmustern für ein derart von Verzicht gekennzeichnetes Leben nachzugehen. Unzweifelhaft ist, dass ‚die‘ Askese in der Spätantike zum Leitideal des christlichen Lebens wird; der Asket oder die Asketin und – ab der weiteren Ausbreitung der monastischen Bewegung im 4. und 5. Jahrhundert – auch der Mönch oder die Nonne werden in nachkonstantinischer Zeit zu Christen par excellence. Abschließend soll auf die Konsequenzen des asketischen Leitideals und die Verhältnisbestimmung zu anderen Lebensformen im Kleriker- und Laienstand aufmerksam gemacht werden. Wie populär die verzichtsvolle Lebensweise unter Christinnen und Christen ist, lässt auch Theodoret in der voranstehend zitierten Stelle aus der „Historia religiosa“ erkennen, wenn er von der allgemeinen Verehrung Symeons und den großen Scharen von Pilgern und Pilgerinnen berichtet, die ihn bei seiner Säule aufsuchen, um von ihm Rat und Segen zu erlangen. Den Unwillen, der darüber bei Symeon aufkommt, verschweigt der Kirchenhistoriker nicht: „Denn er wünscht zum Himmel aufzufliegen und von diesem irdischen Getriebe sich zu lösen.“4 1. Formen der Askese und des Verzichts in der christlichen Spätantike
Die monastische Askese breitet sich in der Spätantike sehr schnell aus. Ihren Ausgang nimmt sie von Ägypten, bereits im 4. Jahrhundert lassen sich aber darüber hinaus monastische Lebensformen in Palästina, Syrien, Kleinasien, Griechenland, Nordafrika, Italien, Gallien und Hispanien nachweisen. Das Mönchtum knüpft an asketische Formen an, wie sie von Jesus von Nazareth und den Wandercharismatikern, die in frühchristlicher Zeit von Ort zu Ort ziehen, bekannt sind;5 hinzu kommen Formen einer Familienaskese, bei denen vor allem Jungfrauen im Haus ihrer Eltern verbleiben und verzichtsvoll leben.6 Ohne eine einfache Kontinuität zwischen Ausprägungen einer frühchristlichen und spätantiken Askese anzunehmen, zeigen diese Beispiele, dass die monastische Bewegung in der Spätantike auf eine christliche Tradition aufbauen und diese variierend fortsetzen kann. Deutlich sind auch asketische Einflüsse aus der jüdischen und der griechisch-römischen Umwelt – besonders auch aus der Philosophie –, auf die hier nur hingewiesen werden kann.7 Das charakteristische Merkmal des Mönchtums ist die Trennung von der Welt. Der Kirchenhistoriker Karl Suso Frank hebt ihre Bedeutung so hervor: „Das konstitutive Element des M[önchtums] ist die sichtbar gemachte Besonderung bzw. Trennung (Anachorese), die räumlich, sozial u[nd] im Lebensstil vollzogen wird. Räumlich: außerhalb der bewohnten, aber noch bewohnbaren Welt („Wüste“); sozial: für sich allein (Anachoreten, Einsiedler) od[er] in Gemeinschaft („Einsamkeit zu mehreren“; Koinobitentum); Lebensstil: asketisch geprägt u[nd] religiös bestimmt („Lebensform Frömmigkeit“).“8 Die Trennung, die Frank beschreibt, darf nicht isolationistisch fehlgedeutet werden;9 nie haben Einsiedler und Mönche in Klöstern in vollkommener Abschottung von der Welt gelebt – und doch ist ihre Intention, das Hier und Jetzt zu überwinden und sich auf das Transzendente und Göttliche auszurichten, in den verschiedenen Ausdifferenzierungen des antiken Mönchtums zu beobachten. Ein erster Phänotyp ist die sogenannte Anachorese, die Einzelaskese. Bei ihr zieht sich der Asket aus seiner sozialen Umgebung zurück und lebt allein in einer einfachen Behausung (Zelle, Grabbau) am Rande der bewohnten Welt. Das berühmteste Beispiel ist Antonius von Ägypten, dem Athanasius (ca. 300–373) in einer hagiografischen Schrift, der „Vita Antonii“, kurz nach dessen Tod ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Antonius (ca. 251–356) hat sich mit etwa 18 Jahren zu einem asketischen Leben entschlossen. Sein Vorhaben führt ihn zu verschiedenen Einsiedlern, denen er sich als Schüler anschließt; die Vita schildert ausführlich Dämonenkämpfe, Heilungen und Visionen, die dem Asketen zuteilwerden.10 Die Verzichtsübungen leistet er zunächst in der Nähe des heimatlichen Dorfes, bevor ihn die große Anzahl der Pilger und Pilgerinnen, die ihn besuchen, immer weiter in die Wüste führt. Über die äußere Anlage seiner Askese berichtet die Vita: „[Antonius] gab sich nämlich derart dem nächtlichen Wachsein hin, dass er oft die ganze Nacht ohne Schlaf zubrachte. Bewundert wurde er dafür, dass er dies nicht einmal, sondern sehr oft tat. Er aß nur einmal am Tag, nach Sonnenuntergang, ab und an nahm er auch nur alle zwei, oft nur alle vier Tage Nahrung zu sich. Speise war für ihn Brot und Salz, Trank alleine Wasser. Bei ihm von Fleisch und Wein zu reden ist schlicht überflüssig, da man ja nicht einmal bei den anderen Eifrigen etwas davon fand. Beim Schlafen aber begnügte er sich mit einer Binsenmatte; meist legte er sich ohnehin auf die bloße Erde nieder.“11 In der Darstellung des Athanasius umfasst der Verzicht die für einen Eremiten durchaus üblichen Formen, er betrifft Nahrung, Schlaf und äußeren Luxus. Der Asket führt in äußerer Bescheidung ein Leben, das ganz dem Gebet und der Kontemplation Gottes gewidmet ist.12 In lockeren Kolonien (etwa in der nordägyptischen Kellia, Nitria oder Sketis) kann er sich mit Gleichgesinnten in einem institutionell nicht abgesicherten oder näher ausgestalteten Verband zusammenschließen; der Älteste oder Erfahrenste übernimmt dann die Funktion eines geistlichen...


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