E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Ulrich Arrivederci, Roma!
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-548-92005-4
Verlag: Ullstein-Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-548-92005-4
Verlag: Ullstein-Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stefan Ulrich wurde 1963 in Starnberg geboren. Im August 2005 zog er mit seiner Frau Annette und den Kindern Franziska (acht Jahre) und Julius (sechs Jahre) von München nach Rom um. Von dort berichtet er als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung über Rom, Italien und den Vatikan.
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Eins
Seit Stunden treibt der scirocco die Wellen gegen die Küsten Roms. Der Wüstenwind wirbelt den sandigen Untergrund auf, das Meer sieht aus wie ein frisch gepflügter Acker. Beim Hinausschwimmen klatschen mir die sandbraunen Wogen ins Gesicht, und das badewannenwarme Salzwasser dringt mir in Mund und Nase. Ich reibe meine Schwimmbrille aus. Doch das Meer ist zu trüb, um sehen zu können. Wahrscheinlich werde ich gleich mit einer der handgranatengroßen Quallen kollidieren, die immer wieder an den Strand treiben, um dort von kleinen Jungs mit Stöckchen durchlöchert zu werden und dann in der Sonne zu verdampfen. Ab und an streift etwas Weiches, Unförmiges meine Backen oder meine Brust. Ich zucke zusammen, meine, den Schmerz zu spüren, den die milchig weißen, gallertartigen Tiere mit ihren nesselnden Tentakeln bereiten. Aber es sind nur losgerissene Wasserpflanzen, die mich da berühren. Richtig vergnüglich ist das Schwimmen trotzdem nicht. Doch Sport muss sein, wenigstens einmal in der Woche.
Nach einer Stunde habe ich genug. Ich torkele an den Strand und lasse mich in den vulkanschwarzen Sand des Badeörtchens Marina di San Nicola sinken. Die Sonne sticht auf mich ein, obwohl sie nur noch zwei, drei Handbreit über dem Horizont schwebt. Kaum aus dem Meer, schwitze ich schon wieder. Außerdem spüre ich einen Sonnenbrand im Gesicht. Antonia, meine Frau, behauptet immer, ich sei eher der hellhäutige Typ und müsse mich besonders gut einschmieren. Ich selber fühle mich dagegen als Südländer, jedenfalls im Geiste, und verschmähe die Schutzcremes. Auch mein Rücken fängt nun an zu brennen. Womöglich hat ja doch Antonia recht. Ich blicke mich um. Vielleicht kann mir jemand mit ein ganz klein wenig leichter Sonnenmilch aushelfen – von Südländer zu Südländer sozusagen? Aber die wenigen anderen Badegäste haben sich schon verzogen. Was will ich eigentlich noch hier?
August in Rom. Wer es sich irgendwie leisten kann, der ist jetzt nicht in der Kapitale und schon gar nicht an den mäßig schönen Stränden vor der Stadt. Die wahren Römer tummeln sich nun im kristallklaren Meer vor Apulien, Sizilien oder, am liebsten, Sardinien. Leider habe ich meinen Jahresurlaub – natürlich auf Sardinien! – schon hinter mir. Jetzt muss ich mitten im August in der Stadt ausharren und mithelfen, die sommerleeren Seiten jener süddeutschen Zeitung zu füllen, die mich vor drei Jahren als Italien-Korrespondent hierher geschickt hat.
Mein Handy klingelt. Unwillig ziehe ich es aus der Badetasche. Ich schaue auf das Display, um zu überprüfen, wer stört, doch ich sehe nur zwei dampfende Cappuccino-Tassen. Meine Tochter Bernadette hat also wieder einmal den Hintergrund des Displays verstellt. Zugegeben, das sieht hübsch aus mit den Tassen, nur lassen sich so die Nummern der Anrufer nicht mehr erkennen. Außerdem weiß ich nicht, wie man die Dinger wieder verschwinden lässt.
»Pronto«, melde ich mich.
»Hallo, Liebling«, antwortet eine Frauenstimme. »Wo warst du denn die ganze Zeit? Ich versuche seit einer geschlagenen Stunde, dich zu erreichen.«
»Ich war im Meer, Sport treiben«, sage ich müde.
»Du warst schwimmen! Wie schön für dich! Mein Gott, hast du’s gut«, seufzt die Frauenstimme. »Bei uns regnet es mal wieder in Strömen. Und es ist saukalt.«
Die Stimme gehört zu Antonia. Sie verbringt den August mit unseren beiden Kindern Bernadette und Nicolas bei unseren Verwandten in Ottobrunn und Tutzing bei München. Wie jedes Jahr, seit wir in Rom sind. Warum sollten die drei auch den Hochsommer in unserer brütend heißen Altbauwohnung im Stadtteil Prati zwischen dem Vatikan und dem Tiber ausharren und mir dabei zusehen, wie ich am Schreibtisch Artikel verfasse? Da schwimmen sie lieber im Starnberger See oder radeln mit Eltern und Schwiegereltern oder vielmehr Großeltern von Biergarten zu Biergarten.
So weit die Theorie. In der Praxis regnet es dann leider oft in Bayern. Antonia erwähnt bei jedem unserer täglichen Telefonate, wie gut ich es doch in Rom hätte und dass es albern sei, wenn ich mich über die Hitze beklagte. Ich erwidere dann: »Du weißt ja gar nicht, was du redest. Jedenfalls wäre ich heilfroh, auch nur einen einzigen Tag bei Weißbier, Nieselregen und 12,5 Grad verbringen zu dürfen.«
Diesmal verkneife ich mir den üblichen Dialog. »Ja, ich hab’s gut«, seufze ich und streiche vorsichtig über meine knallroten Schultern.
Antonia kann offensichtlich hellsehen. »Hast du dich auch gut eingeschmiert? Mit der 50er-Creme?«, fragt sie inquisitorisch. »Du weißt doch, was für ein hellhäutiger Typ du bist.«
»Ja, ja, ich habe mich eingecremt«, lüge ich ohne Schuldgefühle. Schließlich ertrage ich auch mannhaft, ohne zu klagen, den Schaden.
»Das glaube ich dir nicht«, sagt Antonia. »Aber du bist selber schuld, wenn du in ein paar Jahren aussiehst wie ein alter Komodowaran.«
»Was? Papa hat einen Waran gefangen?«, höre ich Nicolas im Hintergrund rufen. Er ist acht Jahre alt und gerade, ganz buchstäblich, tierisch drauf.
Antonia lacht. »Ich gebe ihn dir mal«, sagt sie.
»Hallo, Papa«, sagt Nicolas. »Wo hast du denn den Waran gefangen?«
»Nirgends. Ich sehe nur bald aus wie ein Waran.«
»Weil du dich nie eincremst«, meint Nicolas. »Dummer Papa! Übrigens, weißt du was?«
»Ja?«
»Darf ich dir mal was sagen?«
»Ja, klar.«
»Wenn ich groß bin, will ich Förster werden. Im Bayerischen Wald und in Rom. Dann fang ich dir einen Waran. Tschüs, Papa.«
Nicolas gibt unvermittelt den Hörer an seine Schwester Bernadette weiter. »Papa, geht’s dir gut in Rom? Und kümmerst du dich auch anständig um meine Meeris?« Ihre vier Meerschweinchen, die auf unserem Balkon in Rom leben, sind Bernadettes ganz große Lieblinge.
»Aber sicher, mein Schatz! Sie bekommen jetzt bei der Hitze jeden Morgen eine Extraportion frisches Gemüse.«
»Da bin ich froh, Papa. Aber nimm sie auch immer wieder mal aus dem Käfig und spiel mit ihnen. Wenn ich nicht da bin, brauchen sie ganz viel Trost. So, jetzt muss ich aufhören, es gibt Abendessen bei der Oma. Tschüs!«
Ich streife mir Shorts und ein T-Shirt über und gehe zu einer Bar am Anfang des Strandes. Die Terrasse über dem Meer ist leer. Die junge Frau im kurzen Rock und Bikini-Oberteil will gerade schließen.
»Avrebbe ancora una birra per me, per piacere?« – »Könnte ich bitte noch ein Bier haben?«, frage ich höflich in meinem akzentfreien Italienisch.
Die junge Frau zieht die Brauen nach oben. »È tedesco?« – »Sie sind Deutscher?« Woher sie das weiß? Wegen meiner Größe und meiner blauen Augen? Oder doch eher wegen meines nordmännischen Sonnenbrandes?
»Si«, gebe ich widerstrebend zu. Schließlich plagt auch mich immer noch der typisch deutsche Tick, im Ausland partout nicht als Deutscher enttarnt werden zu wollen.
»È bavarese« – »Sie sind aus Bayern«, stellt die Frau nun kategorisch fest.
Wie sie denn das herausgefunden habe, will ich nun wissen. »Weil Sie genauso Italienisch sprechen wie il Santo Padre.«
Nun kann ich mir zugutehalten, dass Papst Benedikt XVI. ein exzellentes Italienisch spricht, jedenfalls grammatikalisch. Seinen weichen süddeutschen Akzent finden die Römer allerdings drollig. Besonders gefällt es ihnen, wenn er »gioia« sagt, was »Freude« bedeutet. Er spricht »gioia« so weich aus, dass man meint, einen Germknödel durch die Luft rollen zu sehen. Der Heilige Vater mag bekanntlich österreichische Süßspeisen.
Neulich war ich bei einem befreundeten italienischen Journalisten zum Abendessen eingeladen, bei dem auch ein Vize-Direktor des Staatsfernsehens Rai dabei war. Wir diskutierten über Politik und über den Vatikan. Auf einmal sah mich der Rai-Journalist nachdenklich an und fragte höflich: »Gibt es in deutschen Schulen und Sprachschulen eigentlich keinen Phonetikunterricht?«
»Wieso? Wie meinen Sie das?«, antwortete ich verwundert.
»Also, ich meine: Lernt man dort keine Aussprache? Nehmen Sie zum Beispiel mal den Papst. Er spricht eigentlich gut Italienisch. Aber einige Ausdrücke klingen bei ihm so seltsam.«
»Welche zum Beispiel?«
»Na ja«, der Vize-Direktor unterdrückte ein Grinsen, »der Papst möchte in seinen Ansprachen oft vom ›bene comune‹ reden – vom ›Gemeinwohl‹. Er spricht es aber immer wie ›pene comune‹ aus. Das bedeutet etwas ganz anderes, wenn Sie verstehen, was ich meine, und das klingt für uns Italiener seltsam, sehr seltsam! Dass ihm das keiner sagt!«
Was soll ich also davon halten, wenn die Barfrau meine Italienischkünste mit denen Benedikts vergleicht? Und muss ich auf mein Bier verzichten, nur weil ich das »r« in »birra« nicht richtig rollen kann?
Muss ich natürlich nicht. Die Frau zapft mir ein Glas, das in der Hitze sofort beschlägt. Ich setze mich auf die Terrasse, beobachte, wie die glutrote Sonnenscheibe das Meer küsst und dann darin versinkt. Dabei nehme ich einen kräftigen Schluck von dem eiskalten Bier und ertappe mich bei dem Gedanken: »Eigentlich hab ich es ganz gut.«
Müde, aber zufrieden laufe ich den abendlichen Strand entlang und dann zwischen den Dünen hindurch zum Parkplatz. Da Antonia und die Kinder unser Auto mit nach Deutschland genommen haben, habe ich mir zu einem Ferienpreis im Internet bei einer großen internationalen Autovermietung ein Fahrzeug gemietet. Damit, so mein Plan, könnte ich am Abend, nach der Arbeit, aus der Stadt herausfahren und noch ein bisschen im...