Buch, Deutsch, Band 62, 273 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 348 g
Reihe: Theorie und Gesellschaft
Buch, Deutsch, Band 62, 273 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 348 g
Reihe: Theorie und Gesellschaft
ISBN: 978-3-593-38481-8
Verlag: Campus
Fachgebiete
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Inhalt
Eine politische Theorie der Freiheit: Das Werk von James Tully
von Rainer Forst
Vorwort
I. Politische Philosophie als kritische Praxis
II. Ein neues Verständnis von Bürgerschaft und Zugehörigkeit in multikulturellen und multinationalen Gesellschaften
III. Anerkennung und Dialog: Die Entstehung eines neuen Feldes der Forschung und der Politik
IV. Die Unfreiheit der Modernen verglichen mit ihren Idealen der konstitutionellen Demokratie
V. Über Recht, Demokratie und Imperialismus
VI. Der Imperialismus der modernen konstitutionellen Demokratie
VII. Ein neues Europa? Demokratische Integration in der Europäischen Union
Literatur
Drucknachweise
Vorwort
Dieser Band vereinigt sieben Aufsätze, die eine Auswahl meiner Arbeiten aus den Jahren 2000 bis 2008 darstellen. In ihnen experimentiere ich mit einer neuen Form der öffentlichkeitsorientierten Philosophie (public philosophy), die zu den gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen um Fragen der sozialen Gerechtigkeit in einer Beziehung des wechselseitigen Lernens stehen soll. Ihr Ziel ist es, die tatsächlichen Praktiken der Auseinandersetzung unter Bürgern historisch, kritisch und praktisch wirkungsvoll zu analysieren, und umgekehrt von den politischen Aktivisten zu lernen, wie die theoretische Herangehensweise noch verbessert werden kann. Anstatt aktuelle Probleme durch die Linse einer allgemeinen normativen Theorie oder einer Theorie der Modernisierung zu betrachten, konzentriere ich mich zunächst auf die tatsächlichen intersubjektiven Beziehungen zwischen Normativität, Macht und Formen der Subjektivität, in deren Rahmen sich die Bürger wechselseitig anerkennen, ihre Interaktionen koordinieren, die Verteilung von Gütern regeln und auf ihre Umwelt einwirken. Anschließend untersuche ich, welche Praktiken der bürgerlichen Freiheit ihnen zur Verfügung stehen, um diejenigen Aspekte dieser Beziehungen, die sie als unerträglich beschreiben, neu zu verhandeln und zu transformieren. Diese Praktiken der bürgerlichen Freiheit ›demokratisieren‹ die umstrittenen Beziehungen, indem sie sie der Autorität der unterschiedlichen Verhandlungspraktiken eben jener Menschen unterstellen, für die sie gelten und die von ihnen betroffen sind. Wie unschwer zu erkennen ist, sind die von mir hierfür eingesetzten theoretischen Instrumente und Perspektiven stark von Wittgenstein, Foucault und der Cambridge School beeinflusst.
Nachdem ich mich mit konstitutionellem Wandel, den Kämpfen indigener Völker und Umweltschutzbewegungen befasst hatte (Tully 1995; 2000c; 2001b), habe ich mich Auseinandersetzungen über die vorherrschenden Normen wechselseitiger Anerkennung und der Verteilung in den heutigen konstitutionellen Demokratien zugewendet. In diesem Band finden sich zwei für meine Beschäftigung mit diesen Fragen repräsentative Aufsätze: In Kapitel II geht es um multikulturelle und multinationale Gesellschaften, und in Kapitel III gebe ich einen Überblick über dieses gesamte Forschungsfeld seit den 1970er Jahren und mache einen Vorschlag, in welche Richtung es sich weiterentwickeln könnte.
Anschließend habe ich mich der Frage zugewendet, ob sich auch die globalen Beziehungen jenseits der Ebene der Nationalstaaten auf dieselbe Weise analysieren lassen. Kapitel IV bewegt sich zunächst im Rahmen der theoretischen Debatten über Konstitutionalismus und Demokratie und zeigt dann, wie man Schritt für Schritt zu einer stärker kontextualisierenden und pragmatischeren Analyse globaler Politik und globalen Rechts gelangen kann. In Kapitel V und Kapitel VI vertrete ich die Ansicht, dass man globale Beziehungen der Abhängigkeit und der Ungleichheit historisch genau und ebenso kritisch wie praktisch wirkungsvoll interpretieren kann, indem man sie als informelle imperialistische Beziehungen versteht, die die Entkolonialisierung überlebt haben. Auf der Grundlage einer solchen Charakterisierung der Globalisierung lassen sich dann die Praktiken bürgerlicher Freiheit untersuchen, die den Bürgern sowohl im Norden wie im Süden der Welt zur Verfügung stehen, wenn sie diese imperialistischen Beziehungen in demokratische Beziehungen der wechselseitigen Abhängigkeit verwandeln wollen. Das kann gelingen, indem diese Beziehungen den Verhandlungspraktiken derjenigen unterworfen werden, die von ihnen regiert werden.
Mit derselben Stoßrichtung fragt Kapitel VII, wie sich die europäische Integration auf der Grundlage der demokratischen Freiheit europäischer gemeinsinnorientierter Bürger neu denken ließe, wenn diese hier und jetzt mehr Einfluss auf die kulturellen, wirtschaftlichen und internationalen Beziehungen hätten, denen sie unterworfen sind. In all diesen Fallstudien geht es mir darum, die politische Philosophie in eine wechselseitige Beziehung zu den Millionen von Bürgern zu bringen, die auf lokaler, nationaler und globaler Ebene an den unterschiedlichsten politischen Aktivitäten beteiligt sind.
Ich bin Rainer Forst und den anderen Herausgebern für die Aufnahme meines Buches in die renommierte Reihe "Theorie und Gesellschaft" zu tiefem Dank verpflichtet. Ebenso danke ich Judith Wilke-Primavesi vom Campus Verlag für das Verständnis, mit der sie alle Aktivitäten koordiniert hat. Eva Engels danke ich für die gelungene Übersetzung und Mike Simpson für seine unschätzbare Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung der englischen Fassungen.