Band 2 der Reihe
E-Book, Deutsch, 150 Seiten
ISBN: 978-3-7534-3531-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Magda Trott lebte von 1880 bis 1945 und war eine deutsche Schriftstellerin.
Autoren/Hrsg.
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singen, Vater, das habe ich schon von Tante Ella in Hamburg gelernt. Das singe ich allein.« Der Kunstmaler strich seinem fünfjährigen Töchterchen zärtlich über das blonde Haar. Da begann das Kind mit feiner Stimme: »Goldne Abendsonne,
wie bist du so schön,
nie Kanone Honne
deinen Glanz ich sehn.« »Was singst du denn da?« lachte der Vater. »Das schöne Lied von der goldenen Abendsonne.« »Dann singe es doch noch einmal.« Rosemaries Stimme wurde lauter. Eifrig sang sie: »Goldne Abendsonne,
wie bist du so schön,
nie Kanone Honne
deinen Glanz ich sehn.« »Ja, was soll denn das heißen, Rosemarie?« »Daß die goldene Abendsonne so schön ist.« »Und wie ist das mit der Kanone?« »Vater, ich habe in Hamburg eine große Kanone gesehen. Tante Ella sagte, das wäre ein Ding zum Schießen.« »Aber du willst doch nicht auf die goldene Abendsonne schießen?« »Nein, Vater …« »Ja, was soll denn dann die Kanone in dem Liede?« Rosemarie zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich auch nicht. Aber ich habe das Lied so gehört, und weil es schön ist, habe ich es gesungen.« »Da will ich dir einmal sagen, wie das Lied richtig heißt. Dann ist es nämlich noch viel schöner. Dann freut sich die goldene Abendsonne, wenn man es richtig singt.« »Ach, Vater, dann singe!« Aufmerksam lauschte das Kind dem Gesange des Vaters: »Goldne Abendsonne,
wie bist du so schön,
nie kann ohne Wonne
deinen Glanz ich sehn.« Rosemarie richtete die blauen Augen nachdenklich zum Himmel hinauf. »Nie kann ohne – ohne – Vater, wie war das?« »Nie kann ohne Wonne deinen Glanz ich sehn. – Das heißt, daß ich mich immer sehr freue, wenn ich den Glanz der Abendsonne sehe. Wonne ist nämlich noch viel mehr als Freude. Und wenn sich einer freut und dabei sehr glücklich ist, empfindet er Wonne. – Darum heißt es in dem Liede, daß man nie ohne Glück und Wonne die goldene Abendsonne ansehen kann. – Und nun singen wir das Lied gemeinsam, so wie es richtig ist.« Das geschah. Rosemarie wiederholte sogar die zweite Zeile mehrmals, um sich das Lied recht gut einzuprägen. »So, nun komm, mein Mädelchen, jetzt wollen wir ins Haus hinein gehen.« »Ach, Vater, fahren wir wirklich morgen fort?« »Ja, ich habe dir doch versprochen, daß wir am ersten Pfingstfeiertag eine kleine Reise nach der Essemühle machen wollen, die hier in unserer Gegend mitten in der schönen Heide liegt.« Rosemarie machte ein paar Freudensprünge. »Oh, das ist fein! – Vater, ich freue mich! Vater, ich freue mich sehr – ach nein, ich – wonne mich!« »Was machst du, Rosemarie?« »Wonne ist viel mehr als Freude, hast du vorhin gesagt. – Oh, ich wonne mich!« Der Vater lachte, dann sagte er: »Es wird sehr schön werden. Wir treffen an der Essemühle noch jemanden, den du gut leiden kannst.« »Vater, wen treffen wir dort?« »Tante Dirli kommt auch dahin.« »Oh, die liebe Tante Dirli! – Oh, jetzt wonne ich mich noch viel, viel mehr. Und nun komm rasch ins Haus, dort erzählst du mir wieder eine schöne Geschichte.« »Wo soll ich nur die vielen Geschichten hernehmen, mein Kind? Du willst täglich Geschichten von mir hören. So viele weiß ich ja nicht.« »Aber der Schäfer Krischan weiß immer eine neue Geschichte.« »Du hast schon so viele schöne Geschichten gehört, da könntest du mir einmal eine Geschichte erzählen.« »Ja, Vater – das kann ich! – Ich weiß eine ganz, ganz schöne Geschichte.« »Das ist aber fein! – Und nun gehen wir hinein ins Wohnzimmer. Dort setzt du dich neben mich aufs Sofa und erzählst mir deine Geschichte.« »Ich erzähle dir aber nicht vom Rotkäppchen und auch nicht vom großen Wacholderbaum – ich erzähle dir ganz etwas Neues. – Ich erzähle dir eine Geschichte, die ich mir selber ausgedacht habe.« »Das wird aber etwas ganz Schönes sein!« Rosemarie nahm den Vater an der Hand und zog ihn ins Wohnzimmer. Dort drückte sie ihn in den großen Stuhl, der dicht am Fenster stand, holte sich ein Bänkchen heran und setzte sich dann zu Füßen des Vaters nieder. Liebevoll betrachtete der Künstler sein Töchterchen. Seine Frau war ihm vor etwa drei Jahren gestorben, sein Töchterchen war bei seiner verheirateten Schwester in Hamburg gewesen, während er mit der kranken Frau im Schwarzwald weilte. Dort hatte er sie dann begraben müssen. Traurig war er einsam ins Heidehaus zurückgekehrt, um später sein vierjähriges Töchterchen zu sich zu holen. Nun weilte Rosemarie bereits über ein Jahr beim Vater, und er war glücklich, ihr frohes Geplauder zu hören und ihre Liebe zu spüren. »Nun geht es los«, sagte er lachend, »ich bin entsetzlich neugierig auf das, was du mir erzählen wirst.« Rosemarie kniff die Augen zusammen und begann: »Es war einmal ein kleines Mädchen, das war ganz klein, so klein wie dein Finger hier, Vater.« »Na, ein bißchen größer wird es schon gewesen sein.« »Zuerst war es so klein. Da war es in einem Heidehause. Dann gingen sein Vater und seine Mutter fort, weil die Mutter krank war. Da kam das kleine Mädchen nach Hamburg zu Onkel Erich und zu Tante Ella. – Vater, weißt du, wer das kleine Mädchen war?« »Ich glaube, ich weiß es.« »Ach nein, Vater, du darfst es nicht wissen. Es macht mehr Spaß, wenn du das kleine Mädchen noch nicht kennst.« »Wie hieß denn das Mädchen, das so groß war wie mein Daumen?« Rosemarie lachte den Vater verschmitzt an. »Das sage ich nicht, sonst weißt du, wer es ist.« »Dann erzähle weiter!« »Das kleine Mädchen war nun bei seiner Tante und bei seinem Onkel. Eines Tages kam der Heidevater und holte es ab in sein Heidehaus.« »War das Mädchen noch immer so klein wie mein Daumen?« »Oh nein, es war so groß wie ich. In der Heide waren viele Schnucken, und der Schäfer Krischan war da, der trieb die Schnucken jeden Tag auf die Weide. Das kleine Mädchen ging jeden Tag zum Schäfer Krischan und ließ sich von ihm schöne Geschichten erzählen.« »Ist es denn nicht bei seinem Vater geblieben?« »Erst hat es den Vater nicht gekannt, aber dann war der Vater immer sehr lieb! – Oh, da hat es seinen Vater auch schrecklich lieb bekommen.« Rosemarie war aufgesprungen und umhalste den Vater zärtlich. »Aber eines Tages kam eine schöne Frau nach dem Heidehause«, fuhr nun der Vater fort, »die wollte das kleine Mädchen mitnehmen in ihr schönes Haus, das in den Bergen lag. – O weh, da wäre das kleine Mädchen beinahe mitgegangen.« »Weil ein großer Hund dort war, auf dem ich hätte reiten können. Dann war das kleine Mädchen immerfort im Heidehause oder draußen beim alten Schäfer Krischan. Der hatte einen sehr lieben Hund Hopplala, und die Schnucken hießen Bähli, Faulinchen und Frau Bunte. Und noch viele, viele andere Schnucken waren da. Dann standen noch andere Heidehäuser in der Nähe, der Bauer Petersen und der Bauer Alfken und viele Kinder waren auch noch da. Und viele, viele Bienen, die waren fortgeflogen. Dann wurde das kleine Mädchen krank.« »Ich glaube, ich kenne das kleine Mädchen doch. – Hieß es nicht Rosemarie?« Des Kindes blaue Augen strahlten den Vater an. »Kennst du denn meine schöne Geschichte?« »Ja, und nun möchte ich gerne wissen, wie sie weitergeht.« »Die Rosemarie wurde sehr krank. Da war gerade in der Heide eine liebe Tante, die wie die Heidelerche singen konnte. Darum hieß sie auch Tante Dirli, weil die Lerche doch singt: Dirli tütü! Und die Tante kam ins Heidehaus und hat immerfort an meinem Bett gesessen, bis ich wieder gesund war. Dafür habe ich die Tante Dirli furchtbar lieb.« »Das ist recht von dir.« »Dann fuhr die Tante Dirli weg, und dann blühte die Heide. Jedes Heideblümchen hatte ein rosa Kleidchen an, und es war so schön. Und dann mußte ich ganz still in der Heide liegen, weil der Vater mich so malen wollte. Dann habe ich gesehen, wie das Bild an die Wand gehängt wurde, und auf dem Bild war ich selber. – Oh, da habe ich mich gefreut!« »Ja, mein kleines Mädchen, mein Heidebild ist mir vortrefflich gelungen, weil du so brav und artig dagelegen hast. Da konnte ich dich so recht mit dem Herzen malen.« Rosemarie riß die Augen weit auf und schaute den Vater ernsthaft an, dann blickte sie auf seine Hände und schüttelte schließlich den Kopf. »Ach, Vater, du machst ja Ulk! Du hast mich doch mit den Händen gemalt, ich habe es ganz genau gesehen! Immer hast du den Pinsel in die Hand genommen. – Ach, Vater«, und Rosemarie lachte laut auf, »mit dem Herzen kannst du doch nicht malen, das sitzt doch hier tief drinnen. Das puckert wohl, wenn man eine Freude hat – aber malen kann es nicht!« Der Vater zog sein Kind zärtlich an sich. »Das Herz hat aber mitgeholfen, mein Kind, sonst wäre das Bild nicht so gut geworden. Das Herz muß dabei sein!« »Vater, das Herz ist bei mir auch immer dabei, und wenn ich ganz schnell renne, puckert es.« »Und nun erzähle weiter von dem kleinen Mädchen in der Heide.« »Ja – meine schöne Geschichte ist auch noch nicht zu Ende. – Als Tante Dirli fort war, war ich sehr traurig. Da bin ich viel zu den anderen Kindern gegangen und habe zugeschaut. Die Männer stricken, der Krischan strickt auch, er hat mir blaue Glücksstrümpfe gestrickt. Und die Kinder flechten Bienenkörbe, oder sie machen aus Holz kleine Spieße für die Wurst, oder sie machen die Erbsen und die Bohnen aus den Schalen. Sie haben immerfort Arbeit. Und die Frauen sitzen am Spinnrad und...