E-Book, Deutsch, 175 Seiten
ISBN: 978-3-7519-5454-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Magda Trott lebte von 1880 bis 1945 und war eine deutsche Schriftstellerin.
Autoren/Hrsg.
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2 An einem der bewaldeten Hügel, die den freundlichen Ort Langenhain umsäumten, lag das stattliche Stift, in dem Frau Bachseiler seit etwa vier Jahren lebte. Die große Front des Hauses wies zahlreiche Balkone und Veranden auf, überall reizvoller Blumenschmuck, der dem ohnehin schon freundlichen Haus ein geradezu liebliches Aussehen verlieh. Etwa fünfzig ältere Damen hatten hier Wohnung genommen. Alle Zimmer waren so behaglich und anheimelnd eingerichtet, daß man meinen konnte, dieses Stift beherberge nur zufriedene und glückliche Insassen. Dieselbe Empfindung hatte auch Brigitte Wolfram, als sie einige Augenblicke vor dem großen Gebäude stand und die Blicke zu den vielen Fenstern emporhob. Die Großmutter war gewiß recht glücklich, in dieser schönen Gegend wohnen zu können. Brigitte bedauerte es, daß der Mutter keine Mittel geblieben waren, um gleichfalls in diesem Heim sorgenlos leben zu können. Vielleicht wußte die gute Großmutter doch einen Rat; auf der Großmutter ruhte das ganze Hoffen der Achtzehnjährigen. Die Begrüßung zwischen beiden war eine sehr herzliche. Brigitte stellte erfreut fest, daß man der Großmutter die dreiundsiebzig Jahre nicht ansah. Frisch und rosig sah sie aus, die weißen Haare wollten zu dem lebhaften Gesicht kaum passen. Den Schatten, der über den Augen Frau Bachseilers lag, sah Brigitte nicht. Bei einem gemütlichen Kaffeetisch sprach Brigitte von der Mutter, von ihren Zukunftsplänen, dem neuen Hoffen, das durch die völlige Mittellosigkeit zerstört worden war. »Ich weiß, ich weiß«, sagte Frau Bachseiler. »Du wolltest Baumeisterin werden, hattest den Plan, zu studieren. Nun ist alles ganz anders gekommen.« »Ja, mit dem Studieren wird es nichts, Großmutter. Das Geld dafür können wir nicht aufbringen. Aber irgend etwas muß ich lernen. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht noch länger tatenlos durchs Leben zu gehen. – Großmutter, du mußt meinen Fürsprecher machen. Mama will nicht so recht, und ich selbst bin mir noch nicht klar, was aus mir werden soll. Du hast geschrieben, du hättest einen Plan. – Ach, liebe Großmutter, wenn du mir helfen könntest!« »Einen Plan habe ich, mein liebes Kind, ob ich dir jedoch helfen kann, weiß ich nicht. Das wird allein an dir liegen und auch an deiner Mutter. Ihr beide seid mir innerlich fremd geworden. Die Jahre, die ihr in dem schönen Schlosse verlebt habt, sind gewiß nicht spurlos vorübergegangen.« »Das alles ist jetzt verloren, Großmutter. Wir sind heute heimatlos, ziehen in der Welt umher und leben von der Güte unserer Verwandten und Bekannten.« Frau Bachseiler strich der Nichte über die Hände. »Heimatlos«, sagte sie, und ihre Stimme klang plötzlich seltsam schwer. »Ein schlimmes Wort, mein Kind, ein Wort, das sehr weh tut.« »Du hast es hier gewiß sehr gut, Großmutter, lebst ohne Sorgen, brauchst dir den Kopf nicht heiß zu machen.« »Und bin doch auch heimatlos, mein Kind.« »Aber Großmutter! – Fühlst du dich in diesem schönen Hause denn nicht sehr wohl?« Die Augen der alten Dame schweiften durch das hohe Fenster, hinüber zu den bewaldeten Hügeln, zu den hohen schönen Tannen. »Die Gegend ist wunderschön, alles gar friedlich, und trotzdem, sie kann mir das nicht ersetzen, was ich aufgab.« »Ich verstehe dich nicht, Großmutter.« »Ich verstehe mich mitunter selber nicht. Erst in der Zeit meines Hierseins ist es mir klar geworden, was das Wort Heimat bedeutet.« »Aber Großmutter, das weiß ich doch längst. Ich habe Tage, da denke ich voller Sehnsucht zurück an den herrlichen Park, an das wunderbare Schloß, wo ich so viele Jahre meines Lebens verbrachte.« »So meine ich es nicht, Brigitte. Das schöne Schloß, in dem ich auch einige Jahre mit euch lebte, ist deine Heimat nicht. Du bist mit deinen Eltern an die verschiedensten Orte verpflanzt worden. In dem kleinen Eichstadt wurdest du geboren, dann kamst du fort, weil sich dein Vater eine größere Fabrik kaufte, schließlich hast du auch Guben wieder verlassen und bist in jenes Schloß gezogen. Das ist für dich nur ein schönes Feiertagskleid, das man dir überstreifte, doch das ist nicht so, als wenn man mit dem Heimatboden fest verwachsen ist, wie ich es einstmals war. Ich habe es auch nicht beachtet, habe es aufgegeben, und nun habe ich Zeit, daran zurückzudenken, dem Verlorenen nachzutrauern.« »So hast du dich in unserem schönen Schloß nicht wohl gefühlt?« »O doch, Brigitte, es wäre undankbar, wollte ich deine Frage verneinen, und ebenso undankbar wäre es von mir, wenn ich deinem lieben Vater Vorwürfe machte, daß er die alte Dame in dieses hübsche Stift einkaufte, um ihr einen sorgenfreien Lebensabend zu verschaffen. Ich bin damals recht gern hierhergekommen – doch hätte ich es nicht tun sollen. Schon damals rief die Heimat nach mir, doch hörte ich nicht auf ihre Stimme. Nun bin ich hier, vielleicht wird man mich zur letzten Ruhe einmal hier heraustragen, vielleicht wird mein Herzenswunsch niemals in Erfüllung gehen, vielleicht werde ich die grünen Matten der Heimat nicht mehr sehen.« »Ich dachte, du bist glücklich.« Frau Bachseiler wies auf ein Wandbrett. Es war eine Brandmalerei. »Lies einmal, was dort steht. Das ist ein Geschenk zu meinem siebzigsten Geburtstag. Es war gut gemeint, doch wühlte es alles Vergangene in mir auf. Jedesmal, wenn ich den Spruch lese, zieht es mich zurück an das Plätzchen, an das ich eigentlich gehöre, in das kleine, bescheidene Häuschen am Rande des Waldes. In jenes Häuschen, in dem ich gar sonnige Kindertage verlebte. Ach, was war es für ein Fest, wenn wir Kinder zur Großmutter durften, wenn wir in dem kleinen Häusl umhertollen konnten, die schönen Blumen im Garten bewundern durften, wenn Großmutter am Spinnrad saß und uns schöne Geschichten erzählte. Dieses Häusl steht heute noch, und nach diesem Häusl zieht es mich mit Gewalt zurück, denn dort ist meine Heimat.« Brigitte hatte die Augen zu dem Wandbrett erhoben, halblaut las sie: »Der Mensch braucht ein Plätzchen, und wär’s noch so klein,
Von dem er kann sagen: Sieh her, dies ist mein,
Hier leb’ ich, hier lieb’ ich, hier ruhe ich aus,
Hier ist meine Heimat, hier bin ich zu Haus.« Sie warf einen forschenden Blick auf die Großmutter. Merkwürdig, die alte Dame sah plötzlich vergrämt aus und war doch vorhin so frisch gewesen. »Glückselige Tage habe ich in Großmutters Häusl verlebt. Das heranwachsende junge Mädchen hat Großmutters Lehren gern und willig in sich aufgenommen, und auch als junge Frau bin ich öfters nach Gollersdorf gekommen. Dann hat man meine liebe Großmutter auf dem kleinen Gottesacker im Dorfe begraben. Das geliebte Häusl, mit dem moosbewachsenen Ziegeldach, ging in meinen Besitz über. Das buntbewegte Leben hat mich meinem Häusl entfremdet, ich wußte diesen kostbaren Schatz nicht mehr zu würdigen, denn ich bin weit in der Welt herumgekommen. Habe an der Seite deines Großvaters die herrlichsten Gegenden gesehen. Nur selten stand in all der Pracht ganz plötzlich mein kleines Häusl vor meinen Blicken, die unbewußte Sehnsucht danach habe ich stets unterdrückt. Und nun, Brigitte, jetzt ist es mir, als wolle sich die Stimme in meinem Innern nicht mehr beruhigen lassen. – Der Mensch braucht ein Plätzchen, von dem er sagen kann: Hier leb’ ich, hier lieb’ ich, hier ruhe ich aus. Denn dieses Häusl ist angefüllt mit Heimatluft, aus diesem Häusl möchte ich einst hinausgetragen werden, um in der Heimaterde den letzten Schlaf zu schlafen.« Schweigend hatte Brigitte den Worten gelauscht. Sie verstand die Großmutter nicht. Hier, in dem behaglichen Heim, war doch alles vorhanden, was die Großmutter brauchte. Der Vater hatte mehrere Tausende dafür bezahlt, daß der alten Dame nichts abgehe. Und nun wollte die Großmutter alles aufgeben, um in jenes kleine Häuschen zurück zu ziehen, daß irgendwo in einem Dorfe stand, verlassen, vielleicht verwahrlost, ohne alle Bequemlichkeiten? – Danach sehnte sich die Großmutter? »Hier leb’ ich auch«, fuhr Frau Bachseiler fort, »doch hier lieb’ ich nicht. – Warum ist es mir nicht schon damals zum Bewußtsein gekommen, warum habe ich von deinem lieben Vater dieses großmütige Geschenk angenommen? Ich hätte nach Gollersdorf ziehen müssen, denn dort ist Glück, ist Frieden. Was für einen Reichtum haben die stillen Stunden in Großmutters Häusl in mein Leben getragen. Der leuchtet noch heute in der Erinnerung.« »Wenn ich dich recht verstehe, Großmutter, möchtest du aus dem Stift heraus, dich in das kleine Dorfhaus zurückziehen, in dem du in deiner Kindheit so oft weiltest.« »Ja, Brigitte! Du hast vorhin gesagt, ich solle deine Verbündete sein, solle bei deiner Mutter ein gutes Wort für dich einlegen. – Mein Kleines, wir drehen die Sache jetzt um: du sollst bei deiner Mutter für mich bitten.« Brigitte schaute verständnislos auf. »Du willst dein Leben verändern, Kleines, willst eine Beschäftigung ergreifen. Einst dünkte dir das Ziel erstrebenswert, eine Baumeisterin zu werden. Warum sollst du es nicht in anderer Beziehung werden? – Schaffen, etwas errichten, zum Wohle deines Vaterlandes, helfen, damit ein Werk erstehe, auf das du einmal stolz zurückblicken kannst. Dazu möchte ich etwas beitragen, Brigitte. Die Kraft zur Vollbringung gibt dir die Heimaterde, jener Boden, auf dem deine Vorfahren lebten, bis zurück ins sechste und siebente Glied. Dort, in dem kleinen Häusl, das sich einstmals der wackere Seiler Leberecht an der Golle erbaute, in demselben alten Häusl, in dem deine Urahnen Freuden und Leiden, Glück und Unglück erlebten, in demselben Hause sollst auch du dein neues Leben beginnen. Dich ruft die...