Reportagen
E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 1 mm x 2 mm, Gewicht: 1 g
ISBN: 978-3-446-23355-3
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Bali Mon Amour (S. 123-124)
Bali. 2002
Unser Wissen über ferne Länder und Kulturen scheint mit der Globalisierung nicht unbedingt zu wachsen. Weiterhin werden uns Berichte von bekömmlicher und bequemer Phantasie serviert, die sich nicht so sehr von den Landkarten von einst unterscheiden, auf denen weiße Flecken mit Ungeheuern und anderen Fabelwesen gefüllt wurden. In den Tagen nach dem Terrorangriff auf zwei Nachtklubs in Kuta Beach, Bali, war in unseren Medien viel die Rede von der verlorenen Unschuld auf dieser exotischen Insel. Die Bomben trafen »… sanftmütige Menschen«, die »jede Art von Gewalt verabscheuen ... diesmal ist das Paradies selbst Killing Ground«, schrieb etwa ›Der Spiegel‹ (Nr. 43/2002). Solch eingeschränkte Wahrnehmung hat Tradition.
Colin McPhee, ein amerikanischer Musiker, schrieb über seine Zeit in den dreißiger Jahren auf Bali: »Am Nachmittag und am Abend wurde Bali unwirklich, verschwenderisch schön und dramatisch wie eine alte Opernkulisse.« Ähnliche Schwärmereien finden sich in Vicky Baums vielgelesenem Roman ›Liebe und Tod auf Bali‹. Hinter den prächtigen Kulissen von Autoren wie McPhee und Baum, die einer Neuerfindung Balis nach vollbrachter Kolonialisierung dienten, verbarg sich eine gewalttätige und grausame Geschichte. Hundert Jahre früher hatten die Beschreibungen noch ganz anders geklungen:
»Die Balinesen sind ein wildes, grimmiges, hinterhältiges und kriegerisches Volk, jeglicher Arbeit abhold, und daher der Landwirtschaft wenig zugeneigt«1, vermerkte ein holländischer Händler. Natürlich fühlte sich eine zivilisierte Nation berufen, dieses wilde Bali zu zähmen. 1846 unternahm die Niederländische Ostindien-Kompanie eine erste Strafexpedition gegen den König von Bulèlèng, aufgrund einer provozierten Auseinandersetzung über die Eigentumsrechte an einem vor seiner Küste aufgelaufenen Schiff. Die holländischen Truppen mußten sich nach erbitterter Gegenwehr zurückziehen.
In der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts jedoch wurde die Eroberung Balis in wenn auch kleinen Schritten vollzogen: mit Knebelverträgen und blutigen Überfällen gelang es den Holländern, die kleinen Königreiche auf der Insel nacheinander zu besiegen und zu unterjochen. Keine sieben Jahre nachdem holländische Truppen mehrere Tausend Balinesen massakriert hatten – Männer, Frauen und Kinder, die sich einem puputan, einem Kampf bis zum Tode, verschrieben hatten –, begann die langsame Verwandlung Balis in einen verführerischen Sehnsuchtsort.
Von dem international mißbilligten Massenmord in Verlegenheit gebracht, war es den holländischen Kolonialbehörden ein Anliegen, die Insel und ihre Kultur im bestmöglichen Licht auferstehen zu lassen. Die holländische Dampfschiffgesellschaft KPM vermarktete die neue Anlaufstation als ein Juwel der Reinheit, Schönheit und Feinheit: »Sie verlassen die Insel mit einem Seufzer des Bedauerns, und solange Sie leben, werden Sie niemals diesen Garten Eden vergessen können«.