Troisi Die Drachenkämpferin - Der Talisman der Macht
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-07184-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 528 Seiten
Reihe: Die Drachenkämpferin
ISBN: 978-3-641-07184-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nihal, die letzte Halbelfe der Aufgetauchten Welt, und ihr Gefährte, der junge Magier Sennar, haben nicht mehr viel Zeit, um ihre Welt vor dem Untergang zu bewahren. Erst wenn sie die acht magischen Elfensteine gefunden und in einem geheimnisvollen Amulett vereint haben, können sie die Macht des Tyrannen brechen. Doch auf ihrem Weg lauert der Tod.
Licia Troisi, 1980 in Rom/Ostia geboren, ist eine der bekanntesten Fantasyautorinnen weltweit. Ihr Zyklus um die DRACHENKÄMPFERIN wurde ein internationaler Bestseller. Seitdem kann die Autorin mit dem Schreiben nicht mehr aufhören. Ihrer ersten großen Saga folgten DIE SCHATTENKÄMPFERIN und DIE FEUERKÄMPFERIN sowie DRACHENSCHWESTER und NASHIRA. Licia Troisi ist verheiratet und hat eine Tochter.
Weitere Infos & Material
1
Beginn einer langen Reise
Nihal mummelte sich bis über die Nase in ihren Umhang ein. Um diese Jahreszeit war es schon kalt im Wald. Die Pinien rauschten in einem eisigen Wind, der ihr Lagerfeuer zu löschen drohte. Die Letzte aus dem Volk der Halbelfen – wie ihre blauen Haare und die spitz zulaufenden Ohren bezeugten – war durch ein Fieber geschwächt und wurde gequält von den Stimmen der Geister, die ihre Albträume beherrschten. Sie betrachtete das Medaillon, das sie am Hals trug, jenen Talisman, der sie das Leben kosten und gleichzeitig die Rettung der Aufgetauchten Welt bedeuten konnte, und verlor sich im Anblick der acht leeren Fassungen, die so viele Fragen und Zweifel aufwarfen. Ihre Gefährten Sennar und Laio lehnten schlummernd an einem Baumstamm. Auch Oarf, ihr Drache, schlief; an ihrem Rücken, der auf seiner smaragdgrünen, schuppigen Haut ruhte, konnte Nihal seine langsamen, regelmäßigen Atemzüge spüren. Sechs Tage zuvor hatten sie sich auf den Weg gemacht, nach einem weiteren Besuch bei der Zauberin Rais. Vor dem Feuer sitzend, schloss die Halbelfe die Augen und konzentrierte sich auf Oarfs beruhigenden Atem, um die Erinnerung an diese Begegnung zu vertreiben. Erneut sah sie die fast weißen Augen der Greisin und deren krumme Finger vor sich, und ihr war, als könne sie sogar ihre hasserfüllte Stimme hören. Obwohl der Wind bitterkalt war, schwitzte die Halbelfe. Erneut betrachtete sie den Talisman. Der Edelstein in der Mitte funkelte in der Dunkelheit, im rötlichen Schein des Lagerfeuers, so wie er in Rais’ Hütte die verpestete Luft erhellt hatte. Die Worte der Zauberin dröhnten durch Nihals Schädel. »Der Talisman wird dir, und nur dir allein, Sheireen, verraten, wo die Heiligtümer zu finden sind. Bist du dorthin gelangt und hast den magischen Edelstein erhalten, so sprich die Worte der Eingeweihten: Rahhavni sektar aleero, ›ich erflehe die Macht‹. Füge den Edelstein daraufhin in die passende Vertiefung des Amuletts ein, und seine Kraft wird auf dich übergehen. Zuletzt begib dich in das Reich des Tyrannen, in das Große Land, und rufe die acht Naturgeister herbei, indem du sie einzeln beim Namen nennst: Ael, Wasser; Glael, Licht; Sareph, Meer; Thoolan, Zeit; Tareph, Erde; Goriar, Finsternis; Mawas, Luft; Flar, Feuer. Dadurch werden alle acht Steine aktiviert und ihre Geister beschworen. Der Talisman wird deine Lebenskraft aufsaugen und sich davon nähren, um die Geister herbeizurufen. Die Kraft, die dir damit genommen wird, wird sich im Talisman sammeln. Sie kann entweder für einen weiteren Zauber genutzt werden – aber dadurch ginge sie ganz verloren und du stürbest –, oder sie wird freigesetzt, indem man den Talisman mit einer Klinge aus schwarzem Kristall zerschlägt. Doch vergiss nicht, der Talisman ist nur für dich allein bestimmt; trägt ihn ein anderer, so verliert er Glanz und Macht und beraubt den unrechtmäßigen Träger seiner Lebenskraft.« Nihal erschauderte. Sie steckte den Talisman zurück und zog ihren Umhang noch fester um sich. In aller Eile waren sie aufgebrochen, denn ihre Mission duldete keinen Aufschub. Sie selbst hatte darauf gedrungen, nicht zu warten, bis die Wunde an ihrer Schulter verheilt war, die ihr der Geist des gefallenen Fen zugefügt hatte, sondern sich gleich auf den Weg zu machen. Nihal hätte es lieber gesehen, wenn Laio, ihr Knappe, im Hauptlager zurückgeblieben wäre, aber er wollte sich ihnen unbedingt anschließen. Sogar Ido, ihr Lehrer, hatte das einsehen müssen. »Es wäre sicher besser, ihn hierzulassen«, grummelte er zwischen zwei Pfeifenzügen. »Er ist einfach kein Krieger und überhaupt nicht für den Kampf geschaffen. Aber Laio würde sich niemals damit abfinden, im Lager zu bleiben und hier auf dich zu warten. Auch wenn du dich heimlich auf den Weg machtest, er würde dir folgen und sich wieder in Lebensgefahr bringen. Nein, ich sehe keine andere Möglichkeit: Du musst ihn mitnehmen.« Der Knappe ließ sich nicht lange bitten, packte unverzüglich seine Sachen, mit einem Lächeln, das sein von blonden Locken eingerahmtes Gesicht erstrahlen ließ, und fieberte ungeduldig dem Aufbruch entgegen.
Als Nihal zum ersten Mal den Talisman befragte, tat sie es widerwillig. Solange sie seine Kräfte nicht erprobt hatte, konnte sie sich vormachen, nichts weiter zu sein als Nihal, die Drachenritterin. Sheireen, die Geweihte, jener Name, mit dem Rais sie angesprochen hatte, war mehr der Schatten eines Albtraums für sie. Doch kaum hatte sie das Medaillon zur Hand genommen, da überkam sie eine Vision. Ein verworrenes Bild. Nebel. Ein Sumpf. Und in der Mitte ein verschwommenes, bläuliches Gebäude. Dazu ein Wort: »Aelon«. Und eine Richtungsangabe. »Nach Norden, den Großen Fluss entlang, bis dorthin, wo er sich ins Meer ergießt.« Das war alles. Dann stimmte es also. Sie war die Geweihte. Von den düsteren Umrissen der Bäume umgeben, lag Nihal da und fand keinen Schlaf. Das Fieber war noch gestiegen, und die Wunde an der Schulter pochte. Sie schien sich entzündet zu haben. Nihal blickte zu ihren Begleitern, dem Zauberer und dem Knappen, und ihr Blick blieb an Sennars rotem Haarschopf hängen, der unter seinem Umhang hervorschaute, und wieder einmal fragte sie sich, ob es ihnen tatsächlich gelingen würde, den Weg bis zu Ende zu gehen. Am Morgen darauf brachen sie erst auf, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Sie zogen nach Norden, während es leicht zu schneien begann und der Wind die Baumkronen schüttelte und sich Oarfs Flügeln entgegenstemmte. So flogen sie über Ebenen mit verschneiten Wäldern und über die Nebenflüsse des Saar. Zwischen dem kahlen Geäst erblickten sie von Menschen bewohnte Dörfer und Bäume, auf denen die Nymphen lebten. Nihal spürte, dass sie ihrem Ziel schon recht nahe waren. »Hier müsste es sein«, rief sie irgendwann und ließ Oarf tiefer fliegen. Unter ihnen teilte sich der Große Fluss in unzählige Arme, die den Boden tränkten, und die Bäume traten zurück und machten einem Feuchtgebiet Platz. Das mussten die Sümpfe sein, die Nihal bei der Befragung des Talismans erblickt hatte. Sie flogen näher heran, doch bald trübte dichter Nebel ihre Sicht. Hier und dort erblickten sie das dürre Geäst des einen oder anderen Baumes. »Wir müssen ganz runter, sonst sehen wir gar nichts«, meinte Laio. Kaum hatten sie wieder, umfangen vom weißlichen Licht des Nebels, festen Boden unter den Füßen, da stieg ihnen der Geruch fauligen Wassers in die Nase. Die Sümpfe. Sie setzten sich auf einen Baumstamm, um zu beraten, was zu tun sei. »Solange sich der Nebel nicht lichtet, können wir nicht weiterfliegen«, erklärte Sennar. »Aber wir wissen doch gar nicht, wie weit das Heiligtum noch entfernt und wie ausgedehnt das Sumpfgebiet ist«, gab Laio zu bedenken. Nihal schwieg. Kalte Schauer liefen ihr über den Rücken, und ihr Gesicht glühte. Sie versuchte, sich zu sammeln, und hörte nicht, was Laio und Sennar sagten. Schließlich entschied sie: »Wir müssen zu Fuß weiter.« »Einverstanden«, antwortete Laio und machte Anstalten aufzustehen. »Du kommst nicht mit«, hielt Nihal ihn zurück. Laio erstarrte. »Warum das denn?« »Es ist besser, wenn du bei Oarf bleibst.« »Ach, du willst mich doch nur aus dem Weg haben«, empörte sich der Knappe, um gleich darauf jedoch eine reuige Miene aufzusetzen. Nihal blickte ihn streng an. »Wie du vorhin selbst gesagt hast: Wir wissen nicht, wie weit es überhaupt noch ist. Oarf ist erschöpft, und du musst dich um ihn kümmern.« »Schon, aber …« »Kein Aber. Mein Entschluss steht fest. Sennar und ich machen uns morgen auf den Weg. Und du bleibst hier.«
An diesem Abend fand Nihal keinen Schlaf. Das Fieber war noch weiter gestiegen, und der Gedanke, dass sie in Kürze das erste Heiligtum betreten würde, versetzte sie in freudige Erregung und ängstigte sie zugleich. Sennar würde bei ihr sein, doch der Entschluss des Magiers, sie bei diesem Abenteuer zu begleiten und dafür seine Stellung im Rat aufs Spiel zu setzen, war eine zusätzliche Bürde für diese bereits arg belastete Mission.
Als Nihal vor dem Rat der Magier ihren Entschluss mitgeteilt hatte, sich in dieses Abenteuer zu stürzen, war Sennar ruckartig aufgesprungen. »Ich bitte um die Erlaubnis, sie zu begleiten.« Nihal drehte sich zu ihm um. »Sennar!« »Ausgeschlossen«, antwortete Dagon, »wir brauchen dich hier. Ohne deine magischen Künste wäre die Niederlage noch viel verheerender ausgefallen. « »Bitte erlaubt mir, mit ihr zu dieser Mission aufzubrechen«, beharrte Sennar. »Auch ihr können meine magischen Künste von Nutzen sein.« Dagon blickte ihn lange an. »Dann geben wir ihr eben einen anderen Zauberer mit. Du bist uns zu wertvoll, als dass wir auf dich verzichten könnten.« »Auch Nihals Fähigkeiten sind wertvoll für unser Heer.« »Du bleibst hier, Sennar. Die Sache ist entschieden.« In diesem Moment ließ sich Sennar zu einer unerhörten Geste hinreißen. Er riss sich das Medaillon vom Hals, das seine Zugehörigkeit zum Rat bezeugte, das Symbol all der Werte, an die er geglaubt und für die er gekämpft hatte. »Dann bin gezwungen, meinen Abschied aus dem Rat zu nehmen.« Ein verblüfftes Raunen durchlief den Saal. »Ist...