E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Toman Sex und Seele
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7296-2001-8
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7296-2001-8
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
[[http://www.zytglogge.ch/ebooksapps/sachbuch-ebooks/][eBook]]Der gesellschaftliche Umgang mit Sexualität und ihre Enttabuisierung in der westlichen Gesellschaft nehmen interessante Züge an. Trotz mehr Freiheit ist Sex jedoch mehrheitlich weder erfüllter noch authentischer geworden. Sexuelle Unlust, Potenz- und Erektionsstörungen nehmen zu, aber auch «Sexsucht» ist ein weltbekanntes Phänomen geworden. In einem Spannungsfeld zwischen medialer und persönlicher Sexualität, auf der einen Seite die blühende Sex-Industrie, die von der Vermarktung des Körpers und des Eros lebt, auf der anderen Seite das persönliche Suchen nach einer individuell erfüllenden Sexualität zwischen Unter- und Überstimulation, tun sich viele Menschen damit schwer; dementsprechend gross ist der Markt an Therapienund Ratgebern verschiedenster Provenienz. Welche Art von Sexualität macht glücklich und vermittelt das Gefühl von Ganzheit, Stimmigkeit und seelischer Gesundheit? Die Berührungsstelle zwischen der körperlich-materiellen Seite von Sexualität und ihren weitergreifenden, seelischen Dimensionen bildet den Angelpunkt des vorliegenden Buches. Es bietet Informationen zur Physiologie der Sexualorgane, der genitalen «Werkzeuge» also, und verbindet sie mit der psychosomatischen Dimension von Sinnlichkeit und der psychischen Welt. Dabei werden der sinnliche Körper und das eigene Erleben ernst genommen, als potenzielle Wegweiser im Dickicht des «anything goes» - als Hilfe auf der Suche nach einer authentischen, erfüllten Sexualität für Individuen und Paare.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1.
Einleitung
Nackte Brüste auf Magazincovers, täglich Sexschlagzeilen, Softpornos im Free-TV – noch nie war Sex so offen präsent wie heute. Experten sprechen von einem sexualisierten Zeitalter. Und doch wird so wenig über das Wesen der Sexualität gesagt wie kaum je zuvor. In den vielen Monaten, in denen ich an diesem Buch arbeitete, suchte ich das Gespräch zum Thema Sexualität mit Menschen beiderlei Geschlechts, aller Altersklassen, innerhalb und ausserhalb des klinischen Alltags. Dabei fand ich bestätigt, worauf Pörksen bereits 1988 hingewiesen hat: «Wir reden über Sexualität, ohne uns dabei wirklich mitzuteilen.»
Eine junge Frau, mit der ich bei der Präventionsveranstaltung einer Mittelschule ins Gespräch kam, meinte: «Klar laden die Jungs Pornovideos runter und schauen sie auf dem Pausenplatz kichernd an. Oder sie klopfen Sprüche wie ‹Schau dort hinten, die geile Fotze›. Aber wirklich über Sexualität gesprochen wird kaum. Wer mit wem was erlebt hat oder gar wer mit wem was erleben möchte – kein Thema. Erst recht nicht, was jemand sich selbst in der Sexualität wünscht oder wovor er sich fürchtet: ‹So etwas würde ich nicht einmal meiner besten Freundin anvertrauen. Man weiss ja nie, was im Facebook landet.›»
Das mechanische Aneinander-Reiben von Körpern in Porno-Videos, das Zur-Schau-Stellen der eigenen Genitalien im Internet ist Alltag geworden. Das private Gespräch über das persönliche Erleben von Sexualität hingegen fehlt fast vollständig. Sexualität wird medial vermittelt, nach dem Motto ‹Alles sehen, nichts fühlen›. Dieser Umgang mit dem eigenen und dem fremden Körper zeigt sich vermehrt bei der Intimrasur. Jede Ritze, jede Falte des Körpers wird blossgelegt, kein Haarbüschel soll die ‹Scham› verhüllen. Ist der Körper von Natur aus zu wenig ‹gefällig›, so helfen kosmetische Operationen sogar im Genitalbereich nach. Er soll überall perfekt sein, wie es der herrschende Zeitgeist und die sozial relevante Gemeinschaft verlangen. Was er, der Körper, dabei fühlt und in welcher Verbindung dieses Empfinden mit dem Gesamtbild der Persönlichkeit steht, bleibt irrelevant. Es gilt: Lieber sich cool, distanziert und kontrolliert zeigen, als sich emotional, ehrlich und verletzlich der unerbittlichen Wertung eines lieblosen, anonymen Publikums auszusetzen. So wurde ich bei der Vorbereitung dieses Buches gefragt: «Sex und Seele – geht das überhaupt?»
«Stellen Sie sich vor, ich würde mich in jeden Typen, mit dem ich ins Bett steige, verlieben!», stellt eine 24-jährige Bankangestellte klar, als ich sie über ihre emotionalen Beziehungen zu ihren Sexpartnern befragte. «Ich will meinen Spass haben, sonst nichts!»
«Es gibt keine bessere Entspannungsmethode als den Beischlaf», gab ein 40-jähriger Geschäftsmann zur Antwort auf die Frage, wie er Sexualität erlebe. Er ist überzeugter Single mit wechselnden Partnerinnen. «Es ist für mich wie eine Massage von innen. Die Frau dabei interessiert mich nicht besonders. Sie muss einfach attraktiv genug sein, damit es klappt!»
Das hört sich einfach und unproblematisch an. Sex ohne Beziehungen, ohne Verstrickungen und ohne Komplikationen. Warum also mühen sich andere Paare damit ab, an ihrer Sexualität zu arbeiten? Und warum gibt es sexuelle Störungen, von Sex- und Pornosucht bis zu ‹Inappetenz›, was nichts anderes als ‹Keine Lust auf Sex› heisst?
«Sex mit Liebe ist viel schöner als ohne!», meinte eine 24-jährige Studentin und sprach damit eine Dimension ausserhalb des Mechanischen an. Sie brauchte den Begriff ‹Liebe›, um die seelische Beteiligung beim sexuellen Akt zu umschreiben, den Gegenpol zur rein mechanischen, materiellen, vom seelischen Erleben entkoppelten, eben entfremdeten Sexualität.
Die Verbindung zwischen der materiellen und der die Materie übersteigenden Dimension der Sexualität bildet sich in unserer Kultur am auffälligsten in der Assoziation zwischen Sexualität und Liebe ab, mit der Erklärung «Sexualität mit Liebe ist erfüllend, Sexualität ohne Liebe ist fade». Doch bei vielen Paaren, die sich lieben, trifft auch dies nicht zu. Und auch Paare ohne ‹Liebe› können eine erfüllende und gesunde Sexualität leben sowie Liebende in einer nur wenig erfüllenden Sexualität gefangen bleiben. Liebe ist ein Begriff, der ohnehin in verschiedenen Zusammenhängen seinen Platz hat. So in der Mutter-Kind-Beziehung, in der freundschaftlichen Beziehung, in der Beziehung zur Natur, zum Hobby und zum Haustier etc.
Und doch steht fest: Selbstbestimmte Sexualität mit emotionaler Beteiligung ist eng gekoppelt an psychische Gesundheit und hohe Lebensqualität. Aber was charakterisiert eine selbstbestimmte, erfüllende Sexualität, und wie unterscheidet sich diese von einer fremdbestimmten, ausgebeuteten und manipulierten Sexualität?
Zu dieser Frage hat sich bereits in meiner Jugend meine progressiv und liberal denkende Grossmutter, die 1908 geboren war, geäussert: «Mädchen und Jungen sind ebenbürtig! Achte deshalb auf deine Bedürfnisse, bleibe bei dir und bei der Realität deines Körpers, und lasse dich nicht ausbeuten. Du musst wissen, was du tust und was für dich richtig ist. Wenn du Fragen hast, stelle sie. Wenn du mich brauchst, dann weisst du, wo ich bin.»
Sie stellte sich klar auf die eine Seite des Kontinuums, innerhalb dessen Sexualität angesiedelt ist – auf die Seite der freien Sexualität innerhalb einer passionierten Liebesbeziehung, gegen Erniedrigung und Ausbeutung, wie sie in der Prostitution und der Pornografie zu finden sind, manchmal aber auch hinter scheinbar partnerschaftlicher Sexualität konventioneller Beziehungen wie der Ehe. Eine erziehende und einschränkende Botschaft gab mir meine Grossmutter dann doch noch mit: «Fange mit der Sexualität nicht zu früh an. Du brauchst eine gewisse Reife, um deine Entscheidungen wirklich in deinem Sinn treffen zu können.»
Zu den Vorstellungen der Gesellschaft bezüglich der sexuellen Erziehung junger Menschen wahrte meine Grossmutter einen grossen Abstand. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass gesellschaftliche Normen vom Zeitgeist abhängig und demnach relativ sind. Sie erzählte lustige Anekdoten zu diesem Thema: «Als ich jung war, pflegten die Männer zu sagen, ein ‹anständiges› Mädchen müsse man spätestens um 16 Uhr im Bett haben, damit man es um 20 Uhr bei den Eltern zu Hause abliefern könne. Bei einem ‹unanständigen› Mädchen hingegen müsse man nicht drängen und könne sich Zeit lassen.»
Meine Grossmutter ist seit langem tot, und ihre Generation ist für unsere Zeit nicht mehr massgeblich. Die heutigen moralischen Vorstellungen und realen Möglichkeiten haben sich seit ihrer Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark verändert.
Eine revolutionäre Veränderung brachte 1960 die Antibabypille, die es ermöglichte, das sexuelle Handeln von der potenziellen Empfängnis abzukoppeln. Sexualität war dadurch von der Fortpflanzungsfunktion weiter entfernt als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Kurz darauf verabschiedete die 68er-Bewegung sich mit der Antibabypille und der politischen Opposition zum Establishment vom Ideal der monogamen ehelichen Sexualität. Heute verbreiten die elektronischen Medien Bilder zum Thema Sexualität und Körper in einer nie dagewesenen Dichte. Werbung – egal wofür – arbeitet mit sexueller Verführung: Sex sells! Halbbekleidete Damen in aufreizenden Posen werben für alles: ob für Autos, Schuhe, Putzmittel oder Kaugummis. Diese immerwährende mediale Präsenz sexuell aufreizender Bilder verändert das Erleben des Einzelnen auf mannigfache, oft unbewusste, schwer zu definierende Weise.
In unserer westlich industrialisierten Welt erleben wir Freiheit im politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmen, und das in einer geschichtlichen und geografischen Ausnahmesituation. Unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wärme und körperlicher Unversehrtheit sind weitgehend gesichert, die demokratische Struktur unserer Länder garantiert uns das Recht auf Menschenwürde, auf Leben, auf Rechtsgleichheit und auf den eigenen Körper. Dies gilt auch für Minderjährige und Abhängige. Wir haben den Segen – und die Last – der Selbstbestimmung. In Bezug auf die Sexualität gilt das Motto ‹Everything goes›. Alles, was im gegenseitigen Einverständnis zweier Erwachsener stattfindet, ist erlaubt. Nur Handlungen gegen den Willen Betroffener oder mit unmündigen Kindern und anderen Abhängigen sind gesetzlich verboten.
Die rechtliche Gleichstellung der Frau in Bezug auf ihren Körper und ihre Sexualität ist geografisch und geschichtlich gesehen einmalig. Aber wie nutzen die Frauen in der westlichen Welt...