E-Book, Deutsch, 140 Seiten
Reihe: Therapeutische Praxis
Ein Therapiemanual
E-Book, Deutsch, 140 Seiten
Reihe: Therapeutische Praxis
ISBN: 978-3-8444-3183-4
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Alptraumtherapie umfasst eine Diagnostiksitzung und acht einstündige Therapiesitzungen im Einzelsetting mit den Elementen Edukation, Alptraumrekonstruktion, Entspannung, Imagination und Alptraummodifikation. Es handelt sich um ein vollständiges Therapieprogramm, das bei Bedarf aber auch in eine weitere therapeutische Intervention integriert werden kann. Das Manual ist geeignet zur Behandlung von allein auftretenden Alpträumen und Alpträumen im Kontext anderer Störungen, wie etwa einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Das therapeutische Vorgehen bei Kindern und Jugendlichen wird ausführlich beschrieben. Das Programm wurde bereits erfolgreich mit Kindern durchgeführt und in seiner Wirksamkeit überprüft. Zahlreiche (Online-)Arbeitsmaterialien und illustrierte Fallbeispiele unterstützen die Anwendung.
Zielgruppe
Fachkräfte im Bereich Kinder- und Jugendpsychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Traumatherapie, klinische Psychologie
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|23|Kapitel 2
Störungstheorien und Ätiologiemodelle
Überblick In diesem Kapitel werden folgende Störungsmodelle bzw. Ursachen für Alpträume beschrieben: Psychoanalytische Theorien Kognitiv-Behaviorale Theorien Neurophysiologische Theorien Persönlichkeitsfaktoren Aktuelle Stressbelastung Medikamente und Drogen Alptraumfolgen Seit jeher haben sich die Menschen Gedanken darüber gemacht, wie es zu den angstvollen Träumen kommt, warum Alpträume auftreten und manche Menschen besonders häufig unter Alpträumen leiden. Im griechischen Altertum galten Träume als von den Göttern gesandt, um mit den Schlafenden darüber in Kontakt zu treten. Alpträume im Besonderen, so die Annahme, gingen von dem Gott Pan aus, der den Schläfer durch seine Bocksgestalt oder die Schläferin durch Beischlafwünsche erschreckte. Damit galten in der griechischen Antike, ebenso wie im europäischen Mittelalter bis in die Neuzeit hinein, Alpträume als Ausdruck von als Incubi und Succubi agierenden Dämonen, die unter dem Deckmantel sexueller Verführung den Schlafenden Unheil brachten (Pietrowsky, 2014). Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein wurden somatische Zustände als Hauptverursacher von Alpträumen genannt: ein Übermaß eines der vier Körpersäfte (Blut, weiße und schwarze Galle, Schleim), Diätfehler, gastroenterologische Störungen, ein überladener Magen, toxische oder periphere Reize aus Trinkgelagen, bestimmte Schlafpositionen und Bettunterlagen (Strunz, 1987). Der Glaube, dass Geister in die Körper der Schlafenden eindringen und Träume verursachen, ist noch heute in vielen Kulturen der Welt lebendig. Erst mit dem Aufkommen der Psychoanalyse und der naturwissenschaftlichen Schlafforschung haben Erklärungen, die auf somatischen oder sinnesreizenden Ursachen für die Entstehung von Alpträumen beruhen, deutlich abgenommen. 2.1 Psychoanalytische Theorien
Mit dem Aufkommen der Psychoanalyse wurden zum ersten Mal psychologische Ursachen anstelle von somatischen Ursachen oder Dämonen für das Auftreten der Alpträume angenommen. Gemäß Freuds epochalem Werk aus dem Jahre 1900 „Die Traumdeutung“ hat der Traum die Funktion, „der Hüter des Schlafs“ zu sein (Freud, 1989). Demgemäß erfüllt der Traum die Funktion, die Wunschbefriedigung aus dem Unterbewussten so umzugestalten, dass sie aufgrund der im Schlaf gelockerten Grenze zum Bewusstsein dieses nicht in voller Stärke überrollt und die Schlafenden ängstigt. Jedoch tat sich dieser Erklärungsansatz mit den Alpträumen schwer, da diese ja gerade nicht den Schlaf schützen, sondern den Schlafenden aufwecken. Freud versuchte dieses Dilemma zu lösen, indem er Angst- und Strafträume in späteren Schriften zwar weiterhin der Wunscherfüllung unterordnete, aber nicht der Wunscherfüllung libidinöser Es-Impulse, sondern der Erfüllung übergeordneter strafender Wünsche des Über-Ichs (Freud, 1916/17). |24|Erklärungsansätze von Jung (1928) und Ferenczi (1934) spiegeln eine Weiterentwicklung des psychoanalytischen Erklärungsmodells für Alpträume wider, das Alpträumen eine problemlösende Funktion zuschreibt. Nach Ferenczi (1934) ist jeder Traum, auch der Alptraum, der Versuch, traumatische Erlebnisse einer besseren psychischen Bewältigung zuzuführen. Eine entscheidende Erweiterung erfuhr das psychoanalytische Traumverständnis durch Jungs Einführung der kompensatorischen Funktion des Traums (Kompensations- oder Komplementärhypothese). Der Traum ist ein Mittel „zur psychologischen Selbststeuerung, indem er automatisch alles Verdrängte und nicht Beachtete oder nicht Gewusste hervorbringt“ (Jung, 1928). Laut dieser Hypothese kommt es im Traum zur Befriedigung von Bedürfnissen, die im Wachleben nicht kompensiert werden können. Demnach besitzt der Traum eine kompensatorische Funktion, indem er in der Realität verdrängte Persönlichkeitsanteile und Belastungen des Wachlebens kompensiert (De Koninck & Koulack, 1975, Strunz, 1987). In Bezug auf Alpträume bedeutet das, dass die Schlafenden sich in den Alpträumen ihrer bedrohlichen Persönlichkeitsanteile bewusst werden. Daher kann man nach Jung sogar von der „Notwendigkeit der Alpträume für die Seele sprechen, die das Individuum zu dem werden lassen, was es ist, anstatt es durch Abspaltungen von sich selbst zu entfremden“ (Strunz, 1987, S. 308). 2.2 Kognitiv-Behaviorale Theorien
Verschiedene kognitiv-behavioral ausgerichtete Theorien versuchen die Existenz und Funktion von Träumen – und damit auch Alpträumen – zu erklären; erwähnenswert sind hier die Kontinuitätshypothese und die Mastery-Hypothese. Die Kontinuitätshypothese geht davon aus, dass das Traumgeschehen eine kontinuierliche Fortsetzung des Wachlebens und Wacherlebens sei (Domhoff, 1996). Demzufolge besteht eine konsistente Übereinstimmung zwischen Wach- und Traumgeschehen. Allerdings sollte die Kontinuitätshypothese nicht so eng gesehen werden, dass Träume eine Eins-zu-eins-Abbildung des Wachlebens sind; vielmehr finden vor allem psychische Zustände, die das Wachbewusstsein bestimmen, weniger tatsächliche Handlungen des Wachlebens, in Träumen ihre Fortsetzung. Ängste im Traum würden, gemäß dieser Hypothese, tatsächliche Ängste im Wachzustand widerspiegeln. Eine zentrale kognitiv-behaviorale Annahme ist auch, dass die kognitiven Schemata des Wachszustands auch im Traum aktiv sind und damit das Traumgeschehen in gleichem Maße wie im Wachzustand modulieren. Das genaue Gegenteil ist die Kompensationshypothese, die besagt, dass Träume dazu dienen, Erfahrungen, Erlebnisse und Persönlichkeitsaspekte, die im Wachzustand unterrepräsentiert sind, zu kompensieren (De Koninck & Koulack, 1975; Jung, 1928, vgl. Kapitel 2.1). Dieser Theorie zufolge würde sich also in Träumen das emotionale oder affektive Gegenstück des Wachzustands ausdrücken. Träume sind dann umso angenehmer, je belastender die Erlebnisse des Wachzustands. Diese Theorie tut sich jedoch mit der Erklärung von Alpträumen schwer, außer die in Alpträumen auftretenden stark negativen Affekte werden als Kompensation ansonsten unterrepräsentierter bedrohlicher Persönlichkeitsanteile angesehen, was recht fragwürdig erscheint. Die Mastery-Hypothese geht davon aus, dass belastende Ereignisse des Wachlebens in den Träumen auftreten, um so besser verarbeitet zu werden (De Koninck & Koulack, 1975). Der Traum und der Alptraum haben gemäß dieser Annahme die Funktion, ein gedankliches Probehandeln zu ermöglichen, eine gedankliche Auseinandersetzung mit einem belastenden Ereignis oder einem Problem zu gewährleisten. Damit kommt dem Traum eine adaptive Funktion zu, wie sie auch in den Kompensationstheorien angenommen wird. Dieser Ansatz wird explizit aufgegriffen in Erklärungsmodellen, die dem Traum eine therapeutische Funktion zuschreiben (Cartwright, 1991; Hartmann, 1996; Wright & Koulack, 1987) indem die adaptive Funktion der Träume dazu verhilft, Probleme des Wachlebens zu lösen bzw. zu deren Lösung beizutragen und auch starke emotionale Belastungen zu mildern. Gemäß dieser Theorienfamilie dienen Alpträume also beispielsweise dazu, zu lernen, mit bestehenden Ängsten besser umzugehen oder Lösungs- und Verhaltensalternativen für bedrohliche Situationen zu durchleben, durchzudenken und durchzuspielen. Die Mastery-Hypothese hat eine recht hohe Plausibilität und empirische Evidenz für das Träumen. Auch für Alpträume kann sie trotz des häufigen Erwachens aus diesen auch als angemessen erachtet werden. Alpträume würden demgemäß ein teilweises Versagen der Bewältigung...