Thorbrietz | Wir werden Europa erobern! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Thorbrietz Wir werden Europa erobern!

Ungarn, Viktor Orbán und die unterwanderte Demokratie
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-95614-645-9
Verlag: Kunstmann, A
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ungarn, Viktor Orbán und die unterwanderte Demokratie

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-95614-645-9
Verlag: Kunstmann, A
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Einst war Ungarn der Musterknabe der europäischen Wiedervereinigung, Vorbild für demokratische Reformen, das Land, das den Sowjets die Stirn bot und als erstes den Eisernen Vorhang durchtrennte. Doch seit 15 Jahren höhlen Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei das demokratische Fundament ihres Landes aus und bandeln mit autokratischen Regimen auf der ganzen Welt an. Mit klarem strategischem Fokus schwächen sie systematisch Rechtsstaat, Wahlrecht, freie Medien, Meinungs- und Forschungsfreiheit, Bildung an Kindergärten, Schulen und Universitäten, grundlegende Rechte von Opposition, Zivilgesellschaft, Minderheiten und Migranten und vieles andere mehr. Die Liste ist lang und wird immer länger.
Längst ist Ungarn für viele illiberale Kräfte in Deutschland, Europa und Amerika zum Wallfahrtsort geworden. Hier wollen rechte und ultrarechte Pilger wie Geert Wilders, Robert Fico, Nigel Farage, Steve Bannon, Herbert Kickl oder auch Sebastian Kurz lernen, wie es gelingen kann, die Demokratie auszuhebeln und ihre Macht langfristig zu konsolidieren. Und Viktor Orbán exportiert sein Modell, indem er rechtsnationale Medien und Think Tanks, auch im Ausland, gründet. Auch die von ihm kürzlich initiierte neue Fraktion im Europäischen Parlament, Sammelbecken für antidemokratische Parteien, dient seinen Zielen. Deshalb bedroht die ungarische Entwicklung auch unsere Sicherheit, unsere Wirtschaft und unsere Art zu leben.
Und jetzt? Wie konnte es soweit kommen?, fragt Petra Thorbrietz in ihrem neuen Buch. Was hat die EU übersehen? Warum hat Deutschland nicht reagiert und vor allem: Wie können die demokratischen Kräfte wieder gestärkt werden?

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. EIN BUCH ÜBER UNGARN – WARUM?
Blueprint für Rechtspopulisten
Ich war von Anfang an verliebt in Ungarn. Ein Land, das sich vor mir aufklappte wie die Seiten eines Buches. In das man einsteigen konnte und verschwinden. Irgendwo zwischen den Lerchen über der Puszta und dem ruhigen Fließen der Donau, im dämmrigen Licht der bunten Glasfenster der Jugendstilbauten, die in Budapest noch immer von den Einschusslöchern des Aufstandes von 1956 gezeichnet waren. Die Orgien voll Paprika und Salami. Der unverkennbare Rhythmus der Sprache. Ein herzliches Land, voller Stolz und voller Geschichten. »Endlich kehren wir zurück nach Europa«, hieß es damals, in den späten 80ern und kurz vor der Wende. Ungarn hatte einiges zu bieten – ein beeindruckendes intellektuelles Niveau für so eine kleine Nation, Ingenieure, Schriftsteller und Musiker, die es in die Welt geschafft hatten, ein Image, das erfolgreich die dunklen Jahre der Diktatur verleugnete, die Öffnung des Grenzzauns nach Österreich. Die Älteren kramten ihr Deutsch hervor und warteten auf die Erlösung vom Sozialismus. Die Jungen waren schon auf dem Sprung in die Freiheit. Heute, rund 35 Jahre später, schreibt Ungarn Geschichte, aber eine ganz andere. Die Magyaren, diese kleine Nation von gerade mal 9,5 Millionen innerhalb und etwa zwei Millionen auf der anderen Seite ihrer Staatsgrenzen, könnten die Europäische Union sprengen. »Wir werden die EU nicht verlassen, wir werden sie erobern!«, versprach Viktor Orbán, ihr Ministerpräsident, der seit seinem ersten Erdrutschsieg 2010 kein gutes Haar mehr an »Brüssel« lässt. Vor den Augen der Welt baut er ein Mitgliedsland der EU in einen autokratischen Staat um, der den zentralen Grundwerten der europäischen Idee Hohn spricht. Das offen illiberale System wurde zu großen Teilen finanziert aus EU-Geldern, von denen wenige bei der ungarischen Bevölkerung ankamen. Gleichzeitig wurde das Wahlrecht in Ungarn inzwischen so oft verändert, dass es für eine Oppositionspartei rechnerisch kaum mehr möglich ist, die Regierung abzulösen. Orbán hat vor, bis 2034 zu regieren. Außenpolitisch hebelt der ungarische Ministerpräsident immer wieder das Konsensprinzip von EU und Nato aus – Erpressung statt Kooperation. Er macht gute Geschäfte mit strategisch kritischen Mächten wie Russland und China, und seine Rolle wird dabei chronisch unterschätzt: Zwar haben seine umstrittenen »Friedensmissionen« in seiner Zeit als EU-Ratspräsident in der zweiten Hälfte 2024 keine sichtbaren Ergebnisse im Ukrainekrieg erbracht. Aber in Zeiten der hybriden Kriegsführung sind auch Störsignale ein Erfolg. Eben noch scheinbar als »bad guy« isoliert, gelang es Orbán auch, aus dem Nichts heraus eine rechtspopulistische Fraktion im Europaparlament zu gründen. Mit 84 Abgeordneten aus zwölf EU-Ländern wurde sie dort in kürzester Zeit die drittstärkste Kraft. Viktor Orbán hat die EU an einem Nasenring quer durch die politische Manege vorgeführt, sich nicht an die Regeln gehalten. Es hat lange gedauert, bis die Kommission sich endlich dazu durchrang, wenigstens einen Teil der Finanzhilfen zu blockieren. Zu einem Zeitpunkt, als der Umbau des Landes, zum Beispiel der Abbau der Medienfreiheit und der Justiz, schon weit vorangeschritten war. Es ist sicher nicht leicht, mit demokratischen Mitteln einen illiberalen Player im Zaum zu halten. Aber die EU ist auch ein komplexes Gebilde mit vielerlei Verflechtungen und Partikularinteressen. Ihre Vertreter haben mehr als einmal die Augen verschlossen. Und sie haben sich mehr um die Interessen der Wirtschaft gekümmert als um die Belange der Zivilgesellschaft. Das rächt sich jetzt – weil Ungarn deutsche, österreichische und andere internationale Unternehmen nun aus dem Land drängt und der ansonsten gehätschelten Autoindustrie einen chinesischen Hersteller vor die Nase setzt. Ungarn, dessen Regierung inzwischen offen EU- und auch deutschlandfeindlich agiert, hat immer noch Macht innerhalb der Union. Das macht das Land interessant für alle ihre Feinde. So wurde Ungarn für illiberale Kräfte zum Vorbild und zum Wallfahrtsort. Wie ein Magnet zieht das System Orbán rechte und ultrarechte Politikpilger an: Geert Wilders, Robert Fico, Nigel Farage, Steve Bannon, Herbert Kickl, Marine Le Pen oder Aleksandar Vucic wollen in Budapest lernen, wie man das macht – die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln auszuhebeln und den Rechtsstaat in sein Gegenteil zu verkehren. Viktor Orbán ist nicht nur der ehrgeizige Staatschef eines kleinen Landes, der sich gerne mit den Potentaten der Weltmächte fotografieren lässt. Wer ihn darauf reduziert, ignoriert, dass Orbán seit mehr als 15 Jahren ein weltweites rechtsnationalen Netzwerk spinnt, an dem Diktatoren der unterschiedlichsten Couleur teilhaben – Jair Bolsonaro zum Beispiel, der inzwischen abgewählte Staatschef Brasiliens, oder Michail Kawelaschwili, der trotz Wahlmanipulationen aktive Staatspräsident Georgiens. Ungarn gewährt rechtsstaatlich verfolgten Politikern politisches Asyl, etwa Nikola Gruevski, Ex-Premierminister von Nordmazedonien, der wegen Amtsmissbrauch verurteilt wurde, oder dem wegen Veruntreuung von Interpol gesuchten Polen Marcin Romanowski, früher Vize-Justizminister. »Er wird nicht der Letzte sein«, erklärte Orbán auf seiner Jahresabschlusskonferenz 2024. Mit Donald Trump verbinde ihn, so Orbán, dass beide immer wieder Ärger mit der Justiz hätten, und sie sind sich nicht nur in diesem Punkt einig. Orbáns Berater sind seit Längerem beteiligt an dem umstrittenen »Projekt 2025«, mit dem ein Teil der US-Republikaner die Gewaltenteilung weitgehend einschränken und dem US-Präsidenten zu mehr Machtfülle verhelfen will. Kaum war Trump erneut gewählt, stand Viktor Orbán schon auf der Schwelle von dessen Residenz in Mar-a-Lago und verhandelte dort über weitere Zusammenarbeit – dabei war auch der Mann, der auf skandalöse Weise die AfD unterstützt – Elon Musk. Einmal Europa und zurück
Orbán, aufgewachsen in der westungarischen Provinz, in ärmlichen Verhältnissen und ohne jede Kultur, wie er selbst sagt, hat vom Fußball gelernt, wie man siegt, und es mithilfe von George Soros bis zum rechtsphilosophischen Studium in Oxford gebracht. Auch wenn er beides frühzeitig gegen die Politik eintauschte, gefördert von Helmut Kohl und Otto Graf Lambsdorff, vereint er taktisches Geschick mit der zielgerichteten Logik der Juristerei. Gepaart mit dem Instinkt des Jägers, ist er sicher einer der fähigsten Politiker dieses Jahrhunderts: Er ist klug, charismatisch und ohne Hemmung, wenn es darum geht, die Seiten zu wechseln. Aus dem Liberalen wurde der Illiberale, aus dem Soros-Stipendiat der Soros-Ankläger, aus dem Atheisten der reformierte Protestant, aus dem Revoluzzer der Autokrat. Im Tauziehen zwischen EU-Kommission und ungarischer Regierung spielen offiziell vor allem zwei Themen eine Rolle: die Transparenz der Verwendung der EU-Gelder und das sogenannte Rule of Law, die Frage, ob Ungarn noch ein Rechtsstaat ist, wenn es um dessen Garanten geht: die Unabhängigkeit der Gerichte, die Freiheit der Medien, die Rechte von Minderheiten. Immer häufiger taucht aber auch der Ruf nach Souveränität auf, der schon Großbritannien an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat – der Traum von der Abwehr alles Fremden, das Zurück in die glorreiche Vergangenheit. Und die endgültige Abkehr von den Spielregeln der Demokratie. Im Hintergrund wirken noch andere, stärkere Kraftfelder: die NATO am Rande eines Krieges, China, für das Ungarn ein Tor in die EU ist, obwohl diese gerade erst begonnen hatte, sich in strategischen Feldern stärker abzuschotten. Der Westbalkan, der Ungarn als Blueprint entdeckt, und natürlich Russland, das Außenminister Péter Szijjártó noch kurz vor dem Angriff auf die Ukraine den »Freundschaftsorden« verlieh. Donald Trump, von dem Orbán sagte, nur dieser könne die westliche Welt retten und der zurücklobte, der ungarische Ministerpräsident sei »a very tough guy«. Folgenreicher als der Brexit, schreibt die Londoner Times alarmiert, sei der Kurs, den Ungarn eingeschlagen habe, denn Orbán verlasse mit seinem Land nicht die Gemeinschaft, sondern er wolle sie von innen heraus zerstören. Die EU erscheint wie gelähmt angesichts Viktor Orbáns Kurs der Illiberalität, mit der er perfekt die Schwächen des Systems für seine Interessen ausnutzt – die Langsamkeit von Bürokratie und demokratischer Kontrolle, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten auf dem Binnenmarkt, die mangelnde Rückkopplung der Europapolitik an die politische Basis, auch die Verlogenheit, mit der man sich auf dem EU-Parkett begegnet: Als Ratspräsident musste sich Orbán in Straßburg eine umfangreiche Strafpredigt von Ursula von der Leyen anhören. Nur einen Monat später aber ließ sich die gesamte Politprominenz beim Budapester EU-Gipfel in einer grandiosen Inszenierung von ihm vorführen. Und für die Kommissionspräsidentin war er wieder »my dear Viktor«. In Ungarn selbst hat sich die Gesellschaft gespalten – der Riss geht quer durch Familien und Freundschaften. Als Westeuropäerin werde ich plötzlich verdächtigt, der »Kriegspartei« anzugehören – dazu zählen mehr oder weniger alle, die mehr wollen als ein Europa zu Putins Konditionen. Deutschland, seit vielen Hundert Jahren mit Ungarn eng freundschaftlich verbunden – schließlich war schon der mittelalterliche Reichsgründer Stephan mit einer bayerischen Prinzessin verheiratet –, gilt plötzlich als »Ungarnhasser«. 3,06 Millionen Ungarn haben 2022 für...


Thorbrietz, Petra
PETRA THORBRIETZ, preisgekrönte Journalistin und Bestsellerautorin, lebt als freie Publizistin in München und Budapest. Sie war Ressortleiterin »Wissenschaft und Gesellschaft« der Woche und hat u.a. für Geo, Stern, Chrismon und Focus geschrieben. Zuletzt erschien von ihr der Spiegel-Bestseller „Leben bis zum Schluss. Abschiednehmen und würdevolles Sterben“ (ZS Verlag). Lange hat Thorbrietz gezögert, ein Buch über das Land zu schreiben, das sie als ihr zweites Zuhause betrachtet. Doch der fast überall zu beobachtende Rechtsruck in Europa, das direkte Erleben der unterwanderten Demokratie hat sie schließlich umdenken lassen.

PETRA THORBRIETZ, preisgekrönte Journalistin und Bestsellerautorin, lebt als freie Publizistin in München und Budapest. Sie war Ressortleiterin »Wissenschaft und Gesellschaft« der Woche und hat u.a. für Geo, Stern, Chrismon und Focus geschrieben. Zuletzt erschien von ihr der Spiegel-Bestseller "Leben bis zum Schluss. Abschiednehmen und würdevolles Sterben" (ZS Verlag).
Lange hat Thorbrietz gezögert, ein Buch über das Land zu schreiben, das sie als ihr zweites Zuhause betrachtet. Doch der fast überall zu beobachtende Rechtsruck in Europa, das direkte Erleben der unterwanderten Demokratie hat sie schließlich umdenken lassen.



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