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E-Book

E-Book, Deutsch, 450 Seiten

Thompson Rosewater


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96509-011-8
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 450 Seiten

ISBN: 978-3-96509-011-8
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Rosewater ist eine Stadt an der Grenze – an der Grenze zu der Biokuppel, die der außerirdische Wormwood in Nigeria, unweit von Lagos, errichtet hat. Angesiedelt haben sich dort die Hoffnungsvollen, die Hungrigen und die Hilflosen – all diejenigen, die dabei sein wollen, wenn sich ein Mal im Jahr dieser Dom öffnet und jeden, der sich in dessen Umgebung befindet, von seinen Leiden heilt.

2066 – Kaaro besitzt die außergewöhnliche Fähigkeit, über die von den Aliens verbreitete, sporenartige Xenosphäre auf Gedanken, Gefühle und Erinnerungen anderer Menschen zuzugreifen. Wegen seiner Begabung arbeitet er nicht ganz freiwillig für eine geheime Regierungsbehörde, um Kriminelle aufzuspüren. Doch als eine unsichtbare Seuche beginnt, andere mit derselben Begabung zu töten, setzt Kaaro alles daran, herauszufinden, wer oder was dahintersteckt.

»Rosewater« ist vieles: First-Contact-Roman, Spionage-Thriller, Afrofuturismus und Biopunk. Und Tade Thompson gelingt es, all diese Strömungen zu einem beeindruckenden Gesamtwerk zu verflechten, das einen nicht mehr loslässt.

Tade Thompsons Debütroman »Rosewater« wurde mit zahlreichen Awards ausgezeichnet und ist, was William Gibsons »Neuromancer« war: der Beginn einer neuen Welle der Science Fiction.

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KAPITEL 1
Rosewater: Tag der Öffnung 2066
Ich bin seit vierzig Minuten in der Integrity Bank bei der Arbeit, als Angstzustände einsetzen. So fängt der Tag bei mir meistens an. Diesmal geht es um eine Hochzeit und um eine Abschlussprüfung, wenn auch nicht um meine Hochzeit oder meine Abschlussprüfung. Von meinem Platz am Fenster aus kann ich die Stadt sehen, aber nicht hören. Aus dieser Höhe betrachtet scheint alles in Rosewater seinen geordneten Gang zu gehen. Häuserblöcke, Straßen, Verkehr, der sich zäh um die Kuppel windet. Von hier aus sieht man sogar die Kathedrale. Das Fenster befindet sich zu meiner Linken, und ich sitze mit vier anderen freien Mitarbeitern an einem Ende des ovalen Tischs. Wir befinden uns ganz oben im fünfzehnten Stock. Über unseren Köpfen gibt es ein großes offenes Deckenlicht von einem Quadratmeter, und nur ein Sicherheitsgitter trennt uns vom Morgenhimmel. Von weißen Wolken gesprenkeltes Blau. Noch gleißt die Sonne nicht, aber später wird sie es. Die Raumtemperatur wird trotz des offenen Fensters von einer Klimaanlage reguliert, eine Energieverschwendung, die sich die Integrity Bank gut leisten kann. Solche Kosten übernehmen sie gerne. Rechts neben mir gähnt Bola. Sie ist schwanger und wird dieser Tage schnell müde. Außerdem isst sie viel, aber das ist wohl nicht anders zu erwarten. Ich kenne sie seit zwei Jahren, und in beiden war sie schwanger. Schwangerschaften gehören zu den Dingen, bei denen ich nicht ganz durchblicke. Ich bin Einzelkind und hatte, als ich klein war, nie mit Haustieren oder Nutzvieh zu tun. Ich hatte eine rastlose Kindheit, und Biologie hat nie zu meinen Interessensgebieten gehört, nur mit der Mikrobiologie musste ich mich später eingehend auseinandersetzen. Ich versuche, mich zu entspannen, und konzentrierte mich auf die Bankkunden. Die Angst vor der Hochzeit kommt wieder hoch. Über der Tischmitte erhebt sich ein holografischer Teleprompter. Derzeit besteht er nur aus zufälligen Lichtwirbeln, aber in ein paar Minuten wird er zum Leben erwachen und Text zeigen. Es gibt ein Nachbarzimmer, in dem die Nachtschicht gerade Feierabend macht. »Ich habe gehörte, dass sie letzte Nacht Dumas gelesen haben«, sagt Bola. Reiner Small Talk. Es ist unwichtig, was die andere Schicht liest. Ich lächele und schweige. Die Hochzeit, die ich erahne, steht in drei Monaten an. Die Braut hat ein paar Pfund zugelegt und weiß nicht, ob sie ihr Kleid ändern oder sich das Fett absaugen lassen soll. Bola ist besonders schön, wenn sie schwanger ist. »Sechzig Sekunden«, sagt eine Stimme aus dem Lautsprecher. Ich nehme einen Schluck Wasser aus dem Krug, der auf dem Tisch steht. Die anderen Mitarbeiter sind neu. Sie sind nicht so förmlich angezogen wie Bola und ich, sondern tragen Tanktops und T-Shirts und Metall im Haar. Sie haben Telefonimplantate. Ich hasse Implantate in jeder Form. Ich habe genau eines. Ein Standard-Ortungsimplantat ohne irgendwelche Erweiterungen. Nur die Basisversion, aber Grundvoraussetzung bei meinem Arbeitgeber. Die Prüfungsangst ebbt ab, bevor ich ihre Quelle isolieren und genauer in Augenschein nehmen kann. Ist mir nur recht. Die Metallstücke, die diese jungen Leute in den Haaren tragen, stammen aus Flugzeugabstürzen. Lagos, Abuja, Jos, Kano und alles dazwischen. Auf jeder Inlandsfluglinie Nigerias gibt es seit Anfang der 2000er Abstürze. Diese Leute tragen Rumpfteile als Schutzamulette. Bola erwischt mich beim Starren und blinzelt. Dann packt sie ihren Snack aus, ein paar kalte Moi Mois. Die orangefarbenen Bohnenpasteten sind in Blätter gewickelt, wie früher. Ich wende den Blick ab. »Los«, sagt der Lautsprecher. Der Text von Platons Der Staat läuft langsam und gleichmäßig in geisterhaften holografischen Schriftzeichen über das zylinderförmige Display. Wie die anderen auch, manche laut, manche leise, beginne ich zu lesen. Wir treten in die Xenosphäre ein und errichten die Firewall für die Bank. Ich fühle den wohlvertrauten kurzen Schwindel; der Text wabert und wird durchscheinend. Täglich führen etwa fünfhundert Kunden Finanztransaktionen in diesem Gebäude durch, und jede Nacht schließen Mitarbeiter hier rund um die Welt Deals ab, was unsere Arbeit zu einem 24-Stunden-Job macht. Nichtregistrierte Empfänger stellen unseren Schutzwall auf die Probe, Kriminelle, die versuchen, persönliche Daten aufzuschnappen. Es geht um Geburtsdaten, PINs, Mädchennamen der Mutter und vorangegangene Transaktionen, die alle zahm im Vorderhirn des Kunden herumdümpeln, im Arbeitsgedächtnis, und nur darauf warten, dass Freibeuter, gierige Empfänger ohne richtige Ausbildung, sie sich holen. Leute wie ich, Bola Martinez und die Blechköpfe haben gelernt, sie zurückzuschlagen. Und genau das tun wir. Wir lesen Klassiker, um die Xenosphäre mit irrelevanten Worten und Gedanken zu fluten, eine Firewall des Wissens, die sogar bis ins Unterbewusstsein des Kunden vordringt. Ein Professor hat mal eine Studie dazu durchgeführt. Er stellte eine Korrelation zwischen dem für die Firewall verwendeten Textmaterial und den Handlungen des Kunden im weiteren Verlauf des Jahres fest. Jemandem, der nie Shakespeare gelesen hatte, konnten plötzlich Schnipsel aus König Lear einfallen. Wir könnten die Eindringlinge aufspüren, wenn wir wollten, aber dafür interessiert sich die Bank nicht. Es ist kompliziert und teuer, in der Xenosphäre begangene Verbrechen zu ahnden. Solange niemand ums Leben kommt, interessieren die Gerichte sich deshalb nicht dafür. Die Schlangen an den Geldautomaten, so viele Menschen, so viele Sorgen, Wünsche und Leidenschaften. Ich bin es leid, die Leben anderer durch meinen Kopf zu filtern. Gestern ging ich in den Peiraieus hinab mit Glaukon, dem Sohne des Ariston, um zur Göttin zu beten und zugleich das Fest zu schauen, wie sie es begehen würden, da sie es jetzt zum ersten Male feiern. Wirklich fand ich den Zug der Einheimischen schön; doch nicht minder gut nahm sich der aus, welchen die Thraker bildeten. Nachdem wir gebetet und uns satt gesehen, kehrten wir zur Stadt zurück … Wenn man in die Xenosphäre eintritt, erzeugt man ein projiziertes Selbstbild. Die unausgebildeten, wilden Empfänger projizieren ihr wahres Selbst, aber Profis wie ich lernen, ein kontrolliertes, selbst gewähltes Bild zu erschaffen. Meins ist ein Greif. Meine erste Attacke des Tages kommt von einem Mann in mittleren Jahren, der in einem Stadthaus in Yola lebt. Er ist gertenschlank und ziemlich dunkelhäutig. Als ich ihn warne, zieht er sich zurück. An seiner Stelle taucht sofort ein Teenager auf. Wenn das so schnell geht, befinden sich die beiden wahrscheinlich körperlich am selben Ort, in einer Hackerfarm. Manchmal werden Empfänger von kriminellen Verschwörungen eingesackt und in »Mumbai-Kombos« zusammengesteckt – eine Art Callcenter mit in Reihe geschalteten Blackhat-Hackern. Ich kenne das alles. Heutzutage gibt es nicht mehr so viele derartige Attacken wie damals, als ich in der Branche angefangen habe, und ein bisschen frage ich mich, ob wir sie mit unserer guten Arbeit abschrecken. Wie dem auch sei, ich langweile mich jetzt schon. In der Mittagspause kommt einer der Blechköpfe rein und setzt sich neben mich. Er fängt an, von der Arbeit zu reden, erzählt mir von einem Eindringling, den er nur mit Mühe und Not erwischt hat. Er sieht aus wie Mitte zwanzig und findet es noch aufregend, Empfänger zu sein. Alles ist neu und frisch und interessant für ihn, er ist das genaue Gegenteil eines Zynikers wie mir. Offensichtlich ist er verliebt. Sein Selbstbild zeigt, dass er Nähe empfindet. Er ist gut genug, um zu verbergen, um wen es sich bei der anderen Person handelt, aber nicht so gut, dass er seine eigene enge Bindung verschleiern könnte. Ich sehe den Schatten, den Geist an seiner Seite. Weil ich ihn nicht in Verlegenheit bringen will, verliere ich kein Wort darüber. Er hat Kruzifixe aus seinen Blechstücken gemacht und trägt sie an einem Zopf, der an der linken Schläfe beginnt, um seinen Hals liegt und in seinem Hemdkragen verschwindet. Ansonsten trägt er das Haar kurz. »Ich bin Clement«, sagt er. »Mir ist aufgefallen, dass du meinen Namen nie verwendest.« Das stimmt. Vor zwei Wochen hat einer der Abteilungsleiter mich ihm vorgestellt, aber ich habe seinen Namen sofort wieder vergessen und verwende immer nur Pronomen für ihn. »Mein Name …« »Du bist Kaaro. Ich weiß. Alle wissen, wer du bist. Entschuldigung, aber ich muss einfach fragen. Stimmt es, dass du in der Kuppel warst?« »Das ist ein Gerücht«, sage ich. »Ja, aber ist es wahr?«, fragt Clement. Draußen vor dem Fenster kriecht die Sonne viel zu langsam über den Himmel. Warum bin ich hier? Was mache ich...


Tade Thompson ist in London geboren, in Nigeria aufgewachsen und wieder nach England zurückgekehrt, um dort Medizin und Sozialanthropologie zu studieren. Inzwischen lebt er an der englischen Südküste, wo er gegen seine Bibliomanie ankämpft. Mit der »Rosewater« hat er ein beeindruckendes Debüt hingelegt.



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