Thomas Der Yellow-Dog-Kontrakt
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-89581-232-3
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Ross-Thomas-Edition
ISBN: 978-3-89581-232-3
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der bekannte Gewerkschaftsboss Arch Mix ist spurlos verschwunden. Als Ermittlungen von FBI und CIA scheinbar erfolglos bleibe, wird der frühere Wahlkampfberater Harvey Longmire von einer neugegründeten Organisation, die sich der Aufdeckung von Verschwörungen verschrieben hat, hinzugezogen. Auf seinen Nachforschungen im Washington kurz nach der Watergate-Affäre gerät er in ein raffiniert gesponnenes Netz politischer Intrigen und Verschwörungen, das sich nicht nur auf Gewerkschaften, sondern auch auf die kommenden Wahlen auszuwirken droht. Doch wer steckt dahinter? Eine Reihe von Morden macht Harveys Ermittlungen nicht einfacher ...
Ross Thomas (1926-1995) war ein amerikanischer Autor und Journalist. In den fünfziger JAhren richtete er das deutsche AFN-Büro in Bonn ein und arbeitete als Journalist, Gewerkschaftssprecher und Public Relations- und Wahlkampfberater für Politiker in den USA. Seine vielfältigen Erfahrungen verarbeitete er in seinen Politthrillern, in denen er v.a. die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurde zweimal der Edgar Allen Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimi Preis verliehen.
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Der Schlingel zwang sie, langsamer zu fahren. Ich hörte ihren Wagen auf unseren Feldweg einbiegen. Er fuhr natürlich viel zu schnell, aber ich hatte gerade keine Zeit hinzusehen, weil ich im Baum saß und ein Ende des dicken Hanfseils für die Schaukel an einem Ast befestigte. Der Baum war die etwa fünf zehn Meter hohe alte Pappel auf der anderen Seite des Hauses neben dem Teich. Am anderen Seilende hatte ich schon einen prall mit Lumpen und einer alten Armeedecke gefüllten Jutesack befestigt. Wenn alles fertig war, konnte man sich vom Verandageländer über den Teich hinterm Haus schwingen und sich mit einem kühnen Platsch ins Wasser fallen lassen. Ich sah mich erst nach ihnen um, als sie den Schlingel, oder genauer seine Grabstätte, passiert hatten. Es schepperte und krachte, und dann quietschten die Bremsen. Fünf Meilen schneller und mindestens ein, wenn nicht zwei Stoßdämpfer wären hinüber gewesen, vielleicht noch die Vorderachse. Aber genau dafür war das Grab des Schlingels gemacht – um zu verhindern, daß die Autos unsere fünf Hunde, acht Katzen, zwei Ziegen, sechs En ten und das garstigste Pfauenpaar in drei Staaten plus wahrscheinlich noch dem District of Columbia überfuhren. Der Schlingel war ein neun Jahre alter gelber Kater gewesen, geboren und aufgewachsen in den Gassen irgendwo in dem Spinnerparadies, das damals östlich von Dupont Circle gelegen hatte. Ich hatte ihn gefunden, als ich nachts einmal auf der Massachusetts Avenue in der Nähe vom Sulgrave Club unterwegs gewesen war. Fast wäre ich auf ihn getreten, aber er fauchte wie ein Drache und zerkratzte mir den Knöchel. Das Mädchen, mit dem ich unterwegs war, eine Londonerin aus der Gegend um Maida Vale oder vielleicht auch Paddington, hatte gekichert und gesagt: »Na, das ist ja ein richtiger Schlingel, was?« Er mag damals so sechs, sieben Wochen alt gewesen sein. Er wohnte dann fünf Jahre bei mir in der zur Wohnung umfunktionierten Remise in Washington und weitere vier Jahre auf der Farm in der Nähe von Harpers Ferry, ehe er auf dem Feldweg zwischen Straße und Haus vom Lieferwagen des Versandhauses Sears überfahren wurde. Dort habe ich nie wieder etwas gekauft. Am Unfallort machte ich ihm aus Steinen, Erde und alten Eisen bahnschwellen ein Grab quer über den Weg, das wie eine harmlose Bodenwelle aussah; wenn man jedoch mit mehr als zehn Meilen pro Stunde darüber hinwegfuhr, waren Reparaturen fällig. Etwas später baute ich, noch immer etwas besessen von der Sorge um unseren Tierbestand, weitere zwanzig solcher Bodenwellen in Abständen von jeweils fünfzehn Metern und stellte Warntafeln auf: »Fünf Meilen pro Stunde – das gilt auch für Sie!« und »Unbefugtes Betreten verboten – Keine Jagd!« und »Betreten verboten – Zuwiderhandlungen werden bestraft!« und »Vorsicht!! Bissiger Hund!«. Natürlich hat niemand diese Zeichen je beachtet, aber nachdem sie den Schlingel hinter sich hatten, krochen sie nur noch im Schneckentempo vorwärts. Der Wagen, der aufs Haus zufuhr, war ein Mercedes 450 SEL, der gemietet oder geleast aussah. Irgendwie sieht man das einem Auto an, finde ich. Der Mann am Lenkrad nahm den Weg jetzt ernst. Wer es war, konnte ich nicht erkennen, weil die Sonne sich in der Windschutzscheibe spiegelte. Ich sah hinter dem Wagen her, bis er unter den Pinien vorm Haus verschwunden war. Dann machte ich den letzten primitiven Knoten und nahm mir wieder mal vor, mir ein Buch zu besorgen und mir wenigstens einen oder zwei weitere Knoten beizubringen, als Ruth auf der Veranda erschien und zu mir hochsah. »Du hast Besuch«, sagte sie. »Ich oder wir?« »Du. Ein Mr. Murfin und ein Mr. Quane wollen dich sprechen.« »Ah«, sagte ich. »Genau, ah«, sagte sie. »Na, dann sagst du ihnen wohl besser, daß ich nicht da bin.« »Geht nicht. Ich habe ihnen schon gesagt, daß du hier bist.« Ich dachte kurz nach. »Okay. Bring sie auf die Veranda.« »Irgendwas zu trinken?« Ich dachte noch mal kurz nach, um mich zu erinnern. »Bourbon. Sie trinken beide Bourbon.« »Den teuren oder den anderen?« »Den anderen.« »Dachte ich mir.« Ruth kehrte ins Haus zurück. Kurz darauf kamen Murfin und Quane auf die Veranda und sahen sich um – nach rechts, nach links, nach unten, nur nicht nach oben. Ich nahm sie in Ruhe etwa zehn Sekunden lang in Augenschein. Beide kamen mir älter und schwerer und grauer vor, schienen aber die dreifache Bürde alles in allem erstaunlich gelassen zu tragen; allerdings brauchte man sehr viel länger als zehn Sekunden, um Alles in Allem zu beurteilen. »Hier oben«, sagte ich. Beide blickten überrascht hoch. »Harvey«, sagte Murfin. Und Quane sagte: »Verdammt, wie geht’s dir?« »Okay. Und euch?« »Nicht schlecht«, sagte Murfin, und Quane sagte, ihm gehe es auch ganz gut. Wir taxierten einander noch ein bißchen. Ich sah zwei Männer Ende Dreißig, die ich schon seit zwölf Jahren kannte, aber seit drei, vielleicht sogar vier Jahren nicht mehr gesehen hatte. Also war Ward Murfin jetzt etwa achtunddreißig oder neununddreißig. Max Quane war jünger, vielleicht siebenunddreißig. Es war Mitte August und heiß, und keiner von beiden trug ein Jackett, wohl aber Hemden und Krawatten. Die Krawatten waren allerdings gelockert. Murfins Hemd war blaßgrün, Quanes weiß mit schwarzen Nadelstreifen und Tab - kragen. Mir fiel ein, daß er schon immer eine Vorliebe für Tab-kragen gehabt hatte, deren Ecken mit einer kleinen Goldnadel zusammengehalten wurden. »’ne Art Schaukel, oder?« sagte Murfin. »Ja«, sagte ich. Er begriff sofort, wie sie funktionierte. »Gleich von der Veranda in den Teich. Ich hätte verdammt Lust, es mal zu probieren.« »Was hindert dich?« sagte ich und begann den Abstieg. Den letzten Ast mußte ich Hand um Hand entlanghangeln, mich dann fast einen Meter tief aufs Geländer fallenlassen, mein Gleichgewicht ausbalancieren und dann auf den Boden springen. Ich machte das schnell und geschmeidig, wohl um anzugeben, und konnte sehen, daß sowohl Murfin als auch Quane mich genau beobachteten, wahrscheinlich hofften, daß ich auf dem Arsch landen würde und sich vielleicht sogar fragten, ob sie das mit ein bißchen Übung auch schaffen würden. Ich beschloß, ihnen nicht zu verraten, wie oft ich geübt hatte. Wir gaben uns die Hände, und ihr Händedruck war immer noch schnell, kräftig und geübt, wie eben der Handschlag von Popen, Politikern und Gewerkschaftern so ist. Als das erledigt war, forderte ich sie auf, sich zu setzen. Sie entschieden sich für zwei Sessel aus Zelttuch, die in Hollywood Regiestuhl und in Afrika Safaristuhl heißen. Wie man sie in Virginia nennt, weiß ich nicht genau. Ich setzte mich auf unsere Schaukelbank, die altmodische Sorte, die mit dünnen Ketten an der Verandadecke befestigt war. Wir inspizierten einander noch ein bißchen, als suchten wir nach ersten Anzeichen von Senilität oder Altersschwäche, und keiner von uns wäre traurig gewesen, ein zitterndes Kinn hier oder ein leichtes Zucken da zu entdecken. Schließlich sagte Murfin: »Dein Schnurrbart gefällt mir.« »Hab’ ich schon zwei Jahre«, sagte ich und strich auch schon ein paar Mal darüber, bevor ich mich bremsen konnte. »Ruth sagt, sie mag ihn.« »Du siehst damit irgendwie aus wie dieser alte Schauspieler«, sagte Quane. »Mist, er ist längst tot, und ich kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern, aber der war in vielen Filmen mit, ähm, Myrna Loy.« »William Powell«, sagte Ruth, als sie mit dem Tablett auf die Veranda kam und es auf der alten hölzernen Kabeltrommel absetze, die wir zum Verandatisch umfunktioniert hatten. »Er sieht damit aus wie Mr. Powell in My Man Godfrey, aber ich glaube nicht, daß Miss Loy in diesem Film mitgespielt hat.« So sprach meine Frau über beinahe jeden, mit einer Art ernsthaften sanften Förmlichkeit, die ich beruhigend und andere entwaffnend und sogar anheimelnd fanden. Sie war eine der wenigen Leute im Land, die, trotz ihrer tiefen persönlichen Abneigung, nie anders von ihm als von Mr. Nixon sprach. Man hatte mich schon gefragt, ob sie immer so sei, auch wenn wir allein wären, und ich hatte versicherte, daß dies der Fall sei. Ich hätte hinzufügen können, unterließ es aber, daß bei uns auch sehr viel gekichert wurde. Ruths Ausrede dafür, daß sie ging, sobald sie das Tablett abgesetzt hatte, war die charmante Lüge, daß sie nach Harpers Ferry fahren müsse, weil sie dort etwas vergessen habe. Ich hätte ihr selbst geglaubt, wäre sie nicht einer jener Menschen, die fast nie etwas vergessen. Aber ihre Entschuldigung schmeichelte sowohl Murfin als auch Quane, weil es so klang, als ob sie leider auf etwas verzichten müsse, was der faszinierendste Nachmittag ihres Lebens zu werden versprach. Auf dem Tablett, das sie auf den...