Terhart | Die Hattie-Studie in der Diskussion | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 165 Seiten

Reihe: Bildung kontrovers

Terhart Die Hattie-Studie in der Diskussion

Probleme sichtbar machen

E-Book, Deutsch, 165 Seiten

Reihe: Bildung kontrovers

ISBN: 978-3-7727-9001-0
Verlag: Kallmeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Leistungen und Grenzen der Hattie-Studie

Seit seinem Erscheinen hat das Buch Visible Learning des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie weltweit eine sehr starke Resonanz in Bildungsforschung und -verwaltung gefunden, vor allem auch in Deutschland. Rund 50.000 empirische Studien über die Bedingungen des Lernerfolgs von Schülern hat er systematisch ausgewertet. Dabei erweist sich das didaktische Handeln der Lehrer im Unterricht als die wichtigste Bedingung für Lernerfolg. Erfolgreich sind diejenigen Lehrkräfte, die ihren Schülern regelmäßige Rückmeldungen über deren Lernfortschritt geben und das "Lernen sichtbar machen".

In 11 Beiträgen beleuchten renommierte Bildungsexperten die Hattie-Studie aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie analysieren die Leistungen und Grenzen dieser Studie in allgemein verständlicher Weise, um einer verfälschenden oder einseitigen Rezeption der Hattie-Studie entgegen zu wirken.

Eine spannende Auseinandersetzung erwartet Sie in den Beiträgen von

Ewald Terhart: Der Heilige Gral der Schul- und Unterrichtsforschung - gefunden? Eine Auseinandersetzung mit Visible Learning
Olaf Köller: What works best in school? Hatties Befunde zu Effekten von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen
Hans Brügelmann: Gilt nach Hattie: Je häufiger, desto besser? Zur Bedeutung von "Evidenzbasierung" für pädagogisches Handeln vor Ort
Hans-Joachim von Olberg: Evidence-Based Teaching. Hat John Hattie eine Allgemeine Didaktik entwickelt?
Hans-Günter Rolff: Sind schulische Strukturfaktoren wirklich nicht so wichtig?
Thomas Kremers: Wie lernwirksam ist das Kooperative Lernen? Lernen in kooperativen Strukturen auf dem Prüfstand der Hattie-Studie
Kristina Reiss, Matthias Bernhard: Hatties Visible Learning im Kontext der Mathematikdidaktik. Das Beispiel Problemlösen
Marko Demantowsky, Monika Waldis: Visible Learning in geschichtsdidaktischer Perspektive
Hilbert Meyer: Auf den Unterricht kommt es an! Hatties Daten deuten lernen
Hans Anand Pant: Visible Evidence? Eine methodisch orientierte Auseinandersetzung mit John Hatties Meta-Metaanalysen
Wolfgang Beywl, Klaus Zierer: "Visible Learning" wird zu "Lernen sichtbar machen". Ein Kommentar zur Übersetzung und Überarbeitung der Hattie-Studie

Das Buch richtet sich an Referendare und Lehrende aller Schulformen, an Schul- und Unterrichtsentwickler sowie an Mitarbeiter in Bildungsadministrationen.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Olaf Köller
What works best in school?
Hatties Befunde zu Effekten von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen
John Hatties 2009 und 2012 publizierte Bücher haben zu einer breiten Diskussion über die Rolle von Unterricht und Professionswissen von Lehrkräften geführt. Im Gegensatz zu vielen bildungspolitischen Diskussionen über Strukturreformen im Bildungssystem weist Hattie eindrucksvoll darauf hin, dass Reformbemühungen sich weniger auf Rahmenbedingungen von Schule, sondern auf die Verbesserung von Unterricht beziehen sollten. Mit der Publikation seines Buches Visible Learning hat John Hattie im Jahre 2009 eine Welle in Deutschland losgetreten, mit der er selbst vermutlich am wenigsten gerechnet hat. Seit Erscheinen des Buches werden die von Hattie zusammengetragenen Befunde hinsichtlich ihrer Implikationen für die Schule heftig diskutiert. Als empirischer Schul- und Unterrichtsforscher erntet man mittlerweile weit mehr Aufmerksamkeit, wenn man über Hattie schreibt, als wenn man seine eigenen Forschungsergebnisse publiziert. Inzwischen liegt sogar eine Übersetzung des Buches ins Deutsche vor, sodass die Inhalte auch der des Englischen nicht mächtigen Klientel nicht verborgen bleiben. Die Resonanz ist vielfältig: Einige Bildungsforscher bejubeln das Buch, interpretieren sie seinen Inhalt doch als klaren Beleg, dass guter Unterricht – verstanden als sehr stark durch die Lehrkraft gelenkt – große Effekte auf das Lernen hat. Sie benutzen es weiterhin als Argumentationshilfe, dass konstruktivistische und reformpädagogische Unterrichtsansätze nicht lernförderlich seien und eher aus dem Unterrichtsgeschehen verschwinden sollten. Andere Exegeten des Hattie-Buches verdammen es ob seiner technischen oder methodischen Mängel und führen an, dass man wegen erheblicher Kunstfehler und persönlicher Interessen Hatties nicht viel aus dem Buch schließen könne. Missbraucht man das Hattie-Buch nicht, um seine eigenen Vorurteile und Meinungen zu bestätigen, sondern bewertet man seinen Inhalt unter Berücksichtigung anderer Forschungsliteratur, so stellt man fest, dass sehr viele Aussagen, die Hattie aus der Sammlung vielfältigster Metaanalysen ableitet, ebenfalls in nicht von ihm berücksichtigten Primärstudien gefunden wurden und werden. Auch andere überblicksartige Sammlungen von Forschungsergebnissen (z. B. Gruehn 2000; Kirschner 2006; Meyer 2004; Walberg 2010) kommen cum grano salis zu identischen Aussagen über die Wirksamkeit von Unterricht bzw. arbeiten heraus, welche Unterrichtsmerkmale wirksam sind (in Bezug auf schulisches Lernen) und welche nicht. In diesem Beitrag sollen die Kernbefunde aus der Hattie-Publikation erläutert werden. Arrondierend sollen Ergebnisse aus nationalen und internationalen Arbeiten ergänzt werden, die hinsichtlich ihrer Aussagen die zentralen Botschaften Hatties stützen. Dies soll helfen, den Eindruck zu vermeiden, dass Hatties Synthese der Forschungsbefunde selektiv oder gar tendenziös sei. Abschließend sollen Reflexionen angestellt werden, welche Konsequenzen sich aus den Befunden der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung für die schulische Praxis ergeben. Vorgehen und Kernbefunde bei Hattie
Im Gegensatz zu anderen Bildungsforschern hat Hattie für sein Buch Visible Learning keine eigenen Daten gesammelt, sondern über viele Jahre empirische Studien gesichtet, die in Metaanalysen zusammengefasst wurden. Forscherinnen und Forscher, die eine Metaanalyse durchführen, sammeln weltweit publizierte Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, wie ein Merkmal A auf eine Variable B wirkt, beispielsweise, wie die Intelligenz einer Schülerin oder eines Schülers auf ihren oder seinen Lernerfolg im Fach Mathematik wirkt, um sie zusammenzufassen. Sie können das tun, indem sie sich einen Überblick über die Ergebnisse der Studien verschaffen und dann feststellen, ob es über alle Studien hinweg einen negativen Zusammenhang gibt (Schülerinnen/Schüler mit hoher Intelligenz lernen weniger), keinen Zusammenhang gibt (Lernerfolge sind unabhängig von der Intelligenz) oder einen positiven Zusammenhang gibt (Schülerinnen/Schüler mit hoher Intelligenz lernen mehr). Zur Quantifizierung des Zusammenhangs verrechnen die Metaanalytiker die Daten der Ursprungsstudien miteinander, das heißt für unser Beispiel: Sie verwenden statistische Methoden, um den Zusammenhängen zwischen Intelligenz und schulischer Leistung in allen Originalarbeiten nachzugehen, und berechnen dann so etwas wie einen mittleren Zusammenhang der beiden Variablen. Als Maß für den mittleren Zusammenhang wird gern die Effektstärke d verwendet, die in vielen Schulleistungsstudien typischerweise zwischen -0.2 und +1.4 schwankt. Zur Einordnung dieser Effektstärke: Untersuchungen in der Sekundarstufe I zeigen, dass der Leistungszuwachs, der in einem Schuljahr in den Kernfächern Deutsch, Englisch und Mathematik erreicht wird, einem d von 0.3 bis 0.5 entspricht (vgl. Köller/Baumert 2012). Hattie (2009) hat jetzt viele solcher Metaanalysen (über 800) zusammengetragen, die sich letztendlich alle mit Merkmalen beschäftigten, welche die Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern fördern oder hemmen. In diesen 800 Metanalysen wurden die Ergebnisse aus über 50?000 Studien zusammengefasst, an denen mehr als 80 Mio. Schülerinnen und Schüler beteiligt waren. In seiner inzwischen erschienenen Veröffentlichung Visible Learning for Teachers (2012) sind es bereits 931 Metaanalysen geworden. Diese berücksichtigen über 60?000 einzelne empirische Untersuchungen mit Lernergebnissen von mehr als 88 Millionen Schülerinnen und Schülern. Als empirischer Bildungsforscher kann man hier schon von einer starken empirischen Grundlage sprechen. Ein Überblick über die Befunde
Hattie bedient sich der Effektstärke d und argumentiert, dass ein Merkmal nur dann substanziell Schulleistungen fördert, wenn seine Effektstärke mindestens d = 0.40 ist („zone of desired effects“) und damit in etwa dem entspricht, was der normale Fachunterricht in einem Schuljahr bewirken kann. In einer sehr groben Zusammenfassung der Befunde aller Metaanalysen präsentiert er die in Abb. 1 aufgenommenen mittleren Effektstärken für alle von ihm berücksichtigten Merkmale der Familie, der Schülerin/des Schülers, der Schule, der Lehrkräfte, des Unterrichts und der Inhalte (Curricula). Unübersehbar sind die vergleichsweise kleinen Effekte von Schulmerkmalen im Gegensatz zu relativ großen Effekten der unterrichtlichen Merkmalsgruppen (Lehrkraft, Unterricht und Curricula). Effekte des familiären Hintergrunds und des Schülers/der Schülerin selbst liegen dazwischen. Im Folgenden soll bei der detaillierten Besprechung der Befunde eine Beschränkung auf die Merkmalskomplexe Schule und Unterricht stattfinden, die übrigen Bereiche werden zum Beispiel bei Köller/Möller/Möller (2013) ausführlicher geschildert. Abb. 1: Effekte unterschiedlicher Merkmalsgruppen auf das schulische Lernen (vgl. Hattie 2009, S. 18) Effekte schulischer Faktoren
In diesem Abschnitt werden nur solche Faktoren auf der Schulebene berücksichtigt, die sinnvoll auf das deutsche Schulsystem bezogen werden können. Eine komplette Übersicht findet sich bei Hattie (2009, S. 74). Hattie unterscheidet Schulattribute (Finanzen), Schultypen (z. B. konfessionsgebundene Schulen, Sommerschule), Schulkompositionseffekte (z. B. Schulgröße), Klassenkompositionseffekte (z. B. Klassengröße, Form der Leistungsdifferenzierung), Angebote für hochbegabte Schülerinnen und Schüler (z. B. Enrichment) und Effekte des Geschehens im Klassenraum (z. B. Klassenführung, Gleichaltrige). Für ausgewählte Variablen aus diesen Merkmalsgruppen zeigt die Abb. 2 die von Hattie zusammengetragenen Ergebnisse. Die Merkmale sind nach aufsteigender Effektstärke sortiert. Der negative Effekt des Sitzenbleibens (d = -0.16) verdeutlicht, dass eine pädagogische Strategie, die davon geleitet ist, dass schwachen Schülerinnen und Schülern die Wiederholung dabei hilft, anschließend erfolgreich weiterzulernen, empirisch keine Stützung erfährt. Für deutsche Schulen wurden Effekte des Klassenwiederholens anhand der PISA-2003-Studie von Ehmke, Drechsel und Carstensen (2010) untersucht. Auch dort zeigten sich bei den betroffenen Schülerinnen und Schülern gegenüber den versetzten Kameradinnen und Kameraden negative Effekte auf das Lernen. Negativ wirken auch Schulferien, da in dieser Zeit oftmals Lerngelegenheiten ausbleiben. Allerdings zeigt die internationale Forschung (Alexander/Entwisle 1996), dass die Kosten der Schulferien vor allem bei sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern auftreten. Abb. 2: Schulmerkmale und ihre Effekte auf schulisches Lernen (vgl. Hattie 2009, S. 72 ff.) Hinsichtlich der weitgehend lernunwirksamen Faktoren ergeben sich bei Hattie bemerkenswerte Befunde: Maßnahmen der Leistungsgruppierung (externe, interne Differenzierung) haben sehr kleine Effekte, reformpädagogisch orientierte Organisationsformen (offener Unterricht, jahrgangsübergreifender Unterricht) bleiben weitgehend wirkungslos! Folgt man der modernen Unterrichtsforschung (z. B. Seidel/Shavelson 2007), so sind diese Befunde durchaus erwartungskonform. Dort wird bereits betont, dass sogenannte Sicht- bzw. Oberflächenstrukturen (solche Strukturen also, die sich einfach und objektiv beobachten lassen; siehe oben) oftmals ungeeignet sind, Lernerfolg vorherzusagen. Vielmehr scheinen es aufwendiger zu beurteilende Tiefenstrukturen (zum Beispiel: wie kognitiv aktivierend ist der Unterricht?) zu sein, die...


Ewald Terhart ist Professor für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der Universität Münster. Seine zentralen Arbeitsgebiete in Forschung und Lehre sind Unterricht und Didaktik sowie Lehrerberuf und Lehrerbildung. Hierzu hat er zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. Er ist Mitglied in nationalen und internationalen Expertenkommissionen zur Lehrerbildung und zur Erziehungswissenschaft.


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