E-Book, Deutsch, Band 1, 348 Seiten
Reihe: Dunmor-Castle-Reihe
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 348 Seiten
Reihe: Dunmor-Castle-Reihe
ISBN: 978-3-7325-7193-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kathryn Taylor begann schon als Kind zu schreiben - ihre erste Geschichte veröffentlichte sie bereits mit elf. Von da an wusste sie, dass sie irgendwann als Schriftstellerin ihr Geld verdienen wollte. Nach einigen beruflichen Umwegen und einem privaten Happy End ging ihr Traum in Erfüllung: Mittlerweile wurden ihre Romane in 15 Sprachen übersetzt und haben Stammplätze auf den Bestsellerlisten.
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1
Lexie rannte, so schnell sie konnte, aber ihre Füße fühlten sich an, als wären sie aus Blei. Jeder Schritt fiel ihr schwer. Panisch blickte sie über ihre Schulter zurück und sah, dass der Schatten näher kam. Gleich würde er sie einholen. Ich tue dir nichts. Die Stimme klang freundlich. Lockend. Aber das ließ ihre Angst nur größer werden. Bleib hier. Lauf nicht weg. Sie rannte noch schneller, auch wenn sie wusste, dass sie keine Chance hatte. Er würde sie gleich erreicht haben. Und dann … Ein metallisches Kreischen drang in ihr Bewusstsein, laut und so bedrohlich, dass sie erschrocken stehen blieb und in die grellen Lichter blickte, die sie plötzlich blendeten. Instinktiv hob sie den Arm, um ihre Augen zu schützen. Das Geräusch schwoll an, wurde fast unerträglich und ließ ihr Herz vor Angst rasen. Etwas schoss an ihr vorbei, so dicht, dass sie den Luftzug deutlich spürte. Dann herrschte wieder Stille. Nur das Licht war noch da und blendete sie jetzt von der anderen Seite. Eine Autotür klappte, dann packte sie jemand an den Armen. »Verdammt, sind Sie wahnsinnig?« In der tiefen Stimme, die zu ihr sprach, schwang Wut mit. »Ich hätte Sie fast überfahren!« Eine Windböe erfasste sie, zerrte an dem dünnen Stoff ihres Nachthemds und nahm ihr für einen Moment den Atem. Unter ihren bloßen Füßen spürte sie den harten Asphalt und plötzlich auch die Kälte. »Miss, können Sie mich hören?« Die letzten Nebel des Traums lösten sich auf, und sie sah den Mann, dem die Stimme gehörte. Er hatte schwarze Haare und sehr blaue Augen und trug eine dunkle Lederjacke. Es waren seine Hände, die ihre Oberarme umfasst hielten. »Wissen Sie, wo Sie sind?« Beklommen blickte Lexie sich um, nahm zum ersten Mal die Umgebung wahr. Sie stand auf einer Straße, irgendwo draußen im Mondlicht in einer ziemlich einsamen Gegend. Hügel hoben sich dunkel vor dem nachtblauen Himmel ab, aber es gab keine Häuser. Die Luft roch salzig, so als wäre das Meer in der Nähe, und der Wind blies kräftig, ließ den Stoff ihres Nachthemdes erneut flattern. Nachthemd, dachte sie und blickte erschrocken an sich herunter. Sie trug nur das. Keine Schuhe. Keinen Mantel. Und dann war da noch das Auto. Ein großer schwarzer BMW. Er stand ein paar Meter weiter schräg auf der Straße, mit der Motorhaube in ihre Richtung. Die Scheinwerfer, die immer noch brannten, beleuchteten die Reifenspuren, die sich in mehreren Bögen über den Asphalt zogen. Einer dieser Bögen führte genau um die Stelle herum, an der sie stand. Sie dachte an das laute Geräusch, das sie gerade so erschreckt hatte, und begriff, was es gewesen war: kreischende Bremsen. Deswegen stand der Wagen dort so komisch. Er hatte aus voller Fahrt angehalten und war ins Schlingern geraten bei dem Versuch, ihr auszuweichen. Weil sie im Nachthemd irgendwo draußen auf der Landstraße herumgelaufen war. Was nur eins bedeuten konnte … Ein Zittern durchlief sie. »Sie frieren ja!« Der Mann zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Dann schob er sie zu seinem Auto. »Kommen Sie, setzen Sie sich.« Sie wehrte sich nicht, als er ihr auf den Beifahrersitz half. Die Lederpolster waren weich, und das Wageninnere wirkte edel, mit dem glänzend lackierten Holz und dem vielen Chrom. Genau wie in Andrews Auto, dachte sie und schmiegte sich noch ein bisschen tiefer in die viel zu große Jacke, die sie in eine angenehme Wärme hüllte. Das Aftershave des Mannes hing darin, fremd und männlich, und auch wenn es gut roch, erinnerte es sie daran, dass es noch keinen Grund gab, sich zu entspannen. Es war wieder passiert, und sie fühlte sich genauso hilflos und verwirrt wie sonst auch. Nur dass sie es diesmal auch noch dem fremden Mann erklären musste, der gerade auf der Fahrerseite einstieg. Er trug zu seiner dunklen Jeans und den schicken schwarzen Schuhen jetzt nur noch ein hellgraues Hemd. Und obwohl er nicht zu frieren schien, hatte Lexie ein schrecklich schlechtes Gewissen, nicht nur wegen der Jacke. Sie hatte ihn in Gefahr gebracht. »Es tut mir leid.« Ihre Stimme klang belegt, und sie versuchte entschuldigend zu lächeln. Was keinen großen Eindruck auf ihn zu machen schien, denn er blieb ernst. »Wie heißen Sie? Wissen Sie das?« Er blickte auf ihr Nachthemd, das unter der Jacke herausschaute, und sie spürte, wie ihr Röte in die Wangen schoss. Offenbar glaubte er, dass sie nicht ganz bei Trost war. Was ja irgendwie auch stimmte. »Lexie«, sagte sie heiser. »Lexie Cavendish.« »Und was machen Sie hier draußen?« Die Strenge war zurück in seiner Stimme, wenn auch inzwischen gepaart mit Sorge. Sie zog die Jacke noch enger um sich. »Ich … hatte einen Alptraum.« Sofort kamen die Bilder zurück, so deutlich, dass die Erinnerung sie schaudern ließ. Es war immer der gleiche Traum. Er verfolgte sie schon seit vielen Jahren, und sie rannte darin immer, floh vor einer namenlosen Bedrohung, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aber es war kein Monster, das sie verfolgte. Es war nicht mal eine konkrete Gestalt. Nur ein dunkler, gesichtsloser Schatten. Er würde ihr wehtun, wenn sie stehen blieb, auch wenn er stets flüsternd das Gegenteil behauptete. Er log, das wusste sie instinktiv, deshalb lief sie um ihr Leben. Rannte und rannte, bis sie … aufwachte. Im besten Fall in ihrem Bett. Aber manchmal eben auch nicht. »Einen Alptraum?« Der Mann hob die Augenbrauen. »Hat man so etwas nicht, wenn man schläft?« »Ich habe geschlafen«, sagte sie. »Ich … stehe dabei nur manchmal auf.« Jetzt schien ihm zu dämmern, was das Problem war. »Sie schlafwandeln?« Lexie nickte. »Manchmal.« »Das ist gefährlich.« Wieder nickte sie. Als ob sie das nicht wüsste! Sie konnte die Male nicht mehr zählen, in denen sie sich in ähnlich brenzlige Situationen gebracht hatte. Einmal war sie aus einem Fenster gefallen und hatte sich den Arm gebrochen, ein anderes Mal hatte sie sich eine Platzwunde am Kopf zugezogen, weil sie gegen einen Baum gelaufen war. Diesmal hätte es allerdings tödlich enden können … Dieser Gedanke schien auch den Mann zu beschäftigen. »Wissen Sie eigentlich, wie knapp das war?« Er stieß die Luft aus, und sie sah ihm an, wie sehr ihn die Erinnerung an das, was gerade fast passiert wäre, immer noch schockierte. »Sie standen ganz plötzlich auf der Straße. Zum Glück hatte ich das Fernlicht an und konnte Sie früh genug sehen. Ich habe sofort gebremst und gehofft, dass Sie zur Seite springen. Aber Sie standen einfach da und haben sich nicht bewegt.« Er schüttelte den Kopf. »Das waren wirklich nur Sekundenbruchteile. Wenn ich nicht mehr hätte ausweichen können …« Das mochte sie sich genauso wenig ausmalen wie er. »Es tut mir leid, wirklich«, versicherte sie ihm. »Ich kann das nicht kontrollieren. Manchmal gehe ich nur im Raum auf und ab, aber wenn es ganz schlimm kommt, dann laufe ich richtig weit, ohne dass es mir bewusst ist.« Der Mann runzelte die Stirn. »Gibt es denn niemanden, der dafür sorgen kann, dass Sie sich nicht in Gefahr bringen?« Vermutlich zielte die Frage darauf ab, ob sie einen Mann hatte. Oder überhaupt Familie. Menschen, die sich um sie kümmerten. Doch davon gab es in ihrem Leben nicht viele. »Nein. Ich … bin nicht von hier. Außerdem ist es lange nicht mehr vorgekommen.« Tatsächlich hatte sie schon geglaubt, dass es vorbei wäre mit dem Schlafwandeln. Die letzten zwei Jahre waren ruhig gewesen. Keine Alpträume, keine nächtlichen Wanderungen mehr. Was sicher auch damit zusammenhing, dass sie ihren Traumjob gefunden hatte und dass ihre Arbeit sie glücklich machte. Sie war fest entschlossen gewesen, nur noch nach vorn zu blicken, nicht mehr zurück. Und es hatte funktioniert – bis jetzt. Dass der Schattentraum sie mit einem Mal wieder so heftig verfolgte, musste an dieser Gegend liegen. In Donegal, der nördlichsten Provinz Irlands, war sie noch nie gewesen. Doch seit sie vor ein paar Stunden nach mehrstündiger Fahrt in dem kleinen Städtchen Cerigh nahe der Küste angekommen war, ließ sie das Gefühl nicht los, dass sie diesen Ort kannte. Die Häuser mit den meist weiß getünchten Fassaden und die schmalen Straßen wirkten auf eine seltsame Weise vertraut. Nicht wegen der Ähnlichkeit zu anderen Orten, an denen sie schon gewesen war. Diese Vertrautheit ging tiefer. Sie kannte sich hier aus. Als sie auf den Dorfplatz zugefahren war, hatte sie schon, eine Sekunde bevor sie um die Ecke gebogen war, gewusst, dass links hinten am Ende des Platzes eine von einer Steinmauer eingerahmte kleine Kirche stehen würde. Es hatte sie richtig erschreckt, dass es diese Kirche wirklich gab. Und genauso war es ihr mit dem Castle Inn gegangen, dem Pub, in dem sie sich ein Zimmer genommen hatte. Noch bevor sie den großen Gastraum im Erdgeschoss betreten hatte, war sie sicher gewesen, dass er langgezogen sein würde, mit einer niedrigen Decke und zwei großen Kutschenrädern an der Wand rechts und links von der Bar. Was ebenfalls gestimmt hatte. War es da ein Wunder, dass sie keine Ruhe hatte finden können, als sie nach einem Teller Irish Stew, den die Wirtin ihr mit ernster Miene serviert hatte, auf ihr Zimmer gegangen war, um sich für ihren Termin am nächsten Morgen auszuruhen? Das ergab einfach keinen Sinn. Sie konnte diesen Ort nicht kennen, denn sie war in England geboren und in Amerika...