Taylor | Die letzten Amerikaner | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Taylor Die letzten Amerikaner

Roman
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-492-60687-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-492-60687-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Scharfsinnig, intim, urkomisch, ergreifend ... Ein großartig geschriebener Roman über die Verheißung der Jugend, die Suche nach Seelenverwandten und der eigenen Berufung.« Oprah Daily Es ist ein Jahr des Aufbruchs: Seamus, Fyodor, Ivan, Noah und Fatima bleibt nicht mehr viel Zeit, um über ihre Zukunft zu entscheiden. In ihrem letzten Jahr in Iowa City, einer nicht gerade aufgeweckten Universitätsstadt, fragen die Liebenden und Freunde sich: Worauf setzt man im Leben? Arbeit, Liebe, Geld, Tanz, Poesie? Und wie sieht wahre Verbundenheit in einer Zeit der Unsicherheit und Prekarität aus? Feinfühlig und unerschrocken erzählt Brandon Taylor von Freundschaft und radikaler Selbstoffenbarung, Herkunft und Ambition - und erweist sich erneut als exzellenter Chronist unserer Gegenwart. »Taylor verfügt über ein Feingefühl, so unerschöpflich und elegant, wie wir es nur von Klassikern kennen, und schreibt zugleich geschliffen scharf über die Gegenwart.« Emma Cline »Meisterhaft und einnehmend.« Times Literary Supplement »Seine Romane sind so groß, dass sie die ganze Welt enthalten.« Esquire

Brandon Taylor, geboren 1989 in Prattville, Alabama, legte mit »Real Life« sein hochgepriesenes literarisches Debüt vor, das ein Editor's Pick der New York Times war und auf der Shortlist des Booker Prize 2020 stand. Der ehemalige Iowa Arts Fellow schreibt literarische Essays und Rezensionen für The New York Times, Guernica, American Short Fiction, O: The Oprah Magazine, The New Yorker und viele mehr. Noch vor Erscheinen zählten 26 Medien in den USA und Großbritannien seine Story-Sammlung »Vor dem Sprung« zu den wichtigsten Büchern 2021. Taylors zweiter Roman »Die letzten Amerikaner« wurde von der amerikanischen und britischen Presse gefeiert und stieg mit Erscheinen auf der Bestsellerliste der New York Times ein.

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2.
Tiere auf dem Feld
Fjodor, betrunken in seinem Pick-up, hörte zu, wie der Motor klickte und herunterkühlte. Im Wohnzimmer goldenes Licht. In der feuchten Kälte der helle Schein der Verandalampe. Das Glitzern von blauem Salz, auf die Eingangstreppe gestreut, falls so früh doch schon Schnee fiel. Timo blieb über Nacht bei ihm. Fjodor überlegte, zurückzusetzen und dann so lange zu fahren, bis ihm das Benzin ausging oder er von der Straße abkam und im Fluss landete. Es war nach Mitternacht. Timo noch wach. Was wahrscheinlich Streit bedeutete – wieder mal. Hinter ihm lag ein langer Tag in der Fabrik. Seine Zähne schmerzten vom Kreischen der hydraulischen Pressen, vom pneumatischen Zischen der Druckluftpistolen, mit denen sie den pulverisierten Schnee aus Knochenstaub und flockengetrocknetem Fleisch wegbliesen. Er steckte noch immer in seinem Overall, konnte noch den metallischen Geruch des Bluts riechen, den gewöhnungsbedürftigen Salzgehalt der Eisbäder, von denen seine Haut kreidig und empfindlich wurde. Wonach er sich jetzt sehnte, war eine warme Dusche und ein warmes Bett. Es war ein Fehler gewesen, noch mit Hartjes in die Bar zu gehen. Doch er hatte es getan, und jetzt war er betrunken, hatte einen Brummschädel und versuchte, den Mut aufzubringen, seine eigene Wohnung zu betreten. Fjodor arbeitete mit Rind, als Zerleger. Er trennte das pinkfarbene Fett und Bindegewebe von dem dunkelroten Fleisch, das eher weich und zart war, wie Stoff oder Teig. Man musste seine natürliche Geometrie beachten, wie unregelmäßig Muskeln brachen, lagen und fielen. Wenn man zu fest oder zu schnell vorging, ruinierte man den Schnitt vielleicht und verwandelte ein Luxusstück Rind in etwas, das man besser zu Futter zerhackstückte. Anfangs irritierte es ihn, wie wenig das Fleisch überhaupt einem Tier ähnelte, wenn er es in die Hände bekam. Doch dann dachte er, wenn es die Menschen an die sanftmütigen Tiere erinnern würde, von denen es stammte, würde es niemand mehr essen. Die Herausforderung seiner Arbeit lag darin, dass sie einen in Trance versetzte und dann für jede Unachtsamkeit bestrafte. Was man brauchte, war beiläufige Wachsamkeit. Der Lärm der Maschinen zwang einen zu Ohrstöpseln, aber man musste auch die Rufe der Vorarbeiter hören, weil sich die Umstände manchmal spontan änderten. Außerdem war es kalt. Außerdem wurden die Hände von dem Desinfektionsmittel aufgefressen. Den Nitraten und den Eisbädern, dem zischenden und sprühenden Flüssigstickstoff. Und es gab die Gefahr, die von den hydraulischen Pressen und der schimmernden Maschinerie ausging, die die Bänder antrieb. Manchmal kam man in einen richtigen Flow, flog nur so über die Maserung der Schnitte hinweg, und das Fett ließ sich ganz leicht abtrennen, wie nichts, sodass man sich selbst vergaß. Bis man zu nah an irgendeine Klinge kam und einem durch den Overall hindurch der Arm aufgeschlitzt wurde. Am gefährlichsten war es zu glauben, dass man die Kontrolle besaß, obwohl das nicht der Fall war. Der Job verlangte eine gewisse Demut. Andererseits war das Leben nun mal so. Timo betrachtete diese Arbeit als eine Variante von Tierquälerei. Er sagte gern, dass Fjodor Teil eines Systems war, das Millionen von Tieren das Leben kostete. Timo und er hatten sich über eine App kennengelernt, sie waren seit gut einem Jahr zusammen. Der Konflikt um Fjodors Job bildete eine Konstante, die anfangs noch die Stimmung zwischen ihnen angeheizt hatte. Es war ein Thema, an dem sie sich aufgeilen konnten und das ihr Sexleben aufpeppte, weil es ihrem Sex eine andere Dimension verlieh, eine gewisse Tiefe. Der Sex war eine Art zu streiten, ohne dass man sich stritt, oder das Streiten war eine Art zu ficken, ohne dass man fickte, die hoffentlich mit Ficken endete. Trotzdem fand Fjodor es immer wieder schräg, dass ihr Sexleben das Ergebnis eines ungelösten Konflikts darüber war, was er beruflich machte. Timo war Vegetarier. Fjodor wagte sich hinaus in die Kälte. Der Himmel war klar und sanft. Die Straße leer, bis auf die wilderen Studierenden in dem Block von Wohnhäusern gegenüber vom Klinikparkhaus. Laute Musik, Geschrei und offene Fenster: Sie ließen es krachen. Sie brauchten keine Entschuldigung für irgendwas, dachte Fjodor. Sie lebten einfach nur, wie sie wollten. Zeit spielte für sie keine Rolle. Sie zog über sie hinweg wie ein Strom. Der Lauf der Zeit. Was bedeutet das schon, wenn man so viel davon besaß? Er ging die Treppe hinauf und in die Eingangshalle des alten Hauses im Queen-Anne-Stil, das man in Wohnungen zerlegt hatte. Fjodor hörte so etwas wie klassische Musik. Er stand in dem kühlen Flur, drückte sein Ohr an die Tür und lauschte. Ein Klavierstück. Timo hatte ihm diesen Teil von sich nie mehr gezeigt, nicht nach diesen ersten Wochen, in denen sie frisch zusammen gewesen waren. Jetzt hütete er diesen Teil seines Lebens, als wäre es eine Art Verrat an einem sich selbst gegebenen Versprechen, wenn er ihn teilen würde. Fjodor sah Timo im Wohnzimmer auf dem Rücken liegen, wie er der Musik lauschte, die aus einer auf dem Tisch stehenden kegelförmigen Box drang. Einen Arm hatte er über die Augen gelegt, die freie Hand bewegte sich im Takt. Die Musik klang melancholisch. »Du bist noch wach«, sagte Fjodor. »Ich habe nicht auf dich gewartet. Ich habe korrigiert und brauchte eine Pause.« »Alles klar.« Timos Äußerung verletzte Fjodor ein wenig, aber er war sich nicht ganz sicher, warum. »Hast du schon gegessen?« »Mit Goran.« Fjodor nahm sich ein Glas Wasser, trank es an der Spüle und schaute hinaus auf die große Kiefer im Hof. Das blaue Licht von der Nachbarveranda fing die Spitzen der Nadeln ein. Die Spüle war leer. Er wusch das Glas aus und stellte es verkehrt herum in das Abtropfgestell. »Muss schön gewesen sein, ihn zu sehen.« »Ich höre gerade Musik«, sagte Timo. Die Musik war lauter geworden, aber auch düsterer. Fjodor öffnete die Schnallen an den Trägern seines Overalls und zog ihn hinunter bis zur Hüfte. Dann zerrte er an dem schwarzen Sweatshirt und dem Thermohemd darunter. In der Wohnung war es warm. Er sollte duschen, bevor die Heizung ausging. Er sah Timos Hand in der Luft, die der aus dem Lautsprecher strömenden Musik eine Gestalt zu geben schien. In der Melodie gab es helle Ausschläge, eine Reihe schnell gespielter Töne, die dann langsamer wieder aufgenommen wurden. Mit Goran gegessen – das erklärte jedenfalls die Stimmung. Fjodor entkleidete sich in dem kleinen Bad, das vom Wohnzimmer abging, stieg in die Dusche und drehte das Wasser so heiß und so hart auf, wie es ging. Die Musik ertönte unter dem Geräusch des Wassers, das auf seinen Hinterkopf hämmerte. Er versuchte, sie auszublenden, doch sie war nur umso präsenter in ihm. Dann brach sie ab, und ihm wurde klar, dass Timo die Box ausgeschaltet haben musste. Auch das verletzte seine Gefühle. Das Abtrocknen verlegte er ins Schlafzimmer. Timo war inzwischen dabei, etwas in der Küche zu erwärmen. Fjodor roch Tomatensoße und hörte das Scheppern der Topfdeckel. Seine Füße taten so weh. Timo brachte ihm einen Teller Nudeln und saß am Fußende des Bettes, während Fjodor sie aß. Er war dankbar für das Essen – für das ölige Salz, das Säuerliche der Tomatensoße. Ohne die Musik hörten sie die Bewegungen des Nachbarn über ihnen. Zeichen außerirdischen Lebens. Timo schaute nach oben. Fjodor betrachtete die Sehnen an seinem Hals, das Hin-und-her-Huschen seiner Augen. »Das klang schön, was da vorhin lief«, sagte Fjodor. »Ich korrigier mal lieber weiter.« Timo stand auf. In der Tür hielt er inne und wandte sich um. »Es ist nur Musik«, sagte er. »Nichts Besonderes.« Dann ging er. Timos Hang zur Zerstörung war anstrengend. Dass er alles als einen Kampf betrachtete, den es zu gewinnen galt. Fjodor aß seine Nudeln und dachte daran, wie er in der Bar mit Hartjes darüber gesprochen hatte, ob er Timo nicht einfach den Laufpass geben und ihnen beiden eine Menge Ärger ersparen sollte. Diese Auseinandersetzungen – diese absolut belanglosen passiv-aggressiven Streitereien über nichts, die sich über Tage hinzogen. Warum? Und wofür? Er wischte das rote Öl vom Teller und leckte sich die Fingerspitzen ab. Seine Fingernägel schimmerten fettig. Er lehnte sich gegen das Kopfteil. Jetzt, wo er gesessen hatte, schmerzten...



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