E-Book, Deutsch, Band 3, 317 Seiten
Reihe: Daringham Hall
Roman
E-Book, Deutsch, Band 3, 317 Seiten
Reihe: Daringham Hall
ISBN: 978-3-7325-0692-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Prolog
New York Als sich die Fahrstuhltüren öffneten und Ben aus der Kabine in den breiten Etagenflur trat, überkam ihn ein überwältigendes Gefühl der Vertrautheit. Er hatte keine Ahnung, wie oft er schon über den edel glänzenden dunklen Marmorfußboden auf den Empfangsdesk am Ende des Flurs zugegangen war – oft genug jedenfalls, um gar nicht mehr auf das indirekt beleuchtete Firmenlogo von Sterling & Adams Networks zu achten, das hinter dem Empfang an der Wand prangte. Jetzt jedoch sah er es, er starrte es sogar regelrecht an wie etwas, das er zwar wiedererkannte, aber mit einem neuen inneren Abstand betrachtete. Natürlich war es immer noch seine Firma, und Ben war stolz darauf, dass Peter und er es so weit damit gebracht hatten, dass sie sich jetzt Angestellte und einen Sitz im zehnten Stock eines schicken Büroturms in Downtown Manhattan leisten konnten. Doch nach dieser langen Zeit wieder hier zu sein fühlte sich anders an, als er erwartet hatte. Oder vielleicht war er auch nur anders … »Mr Sterling!« Die junge Asiatin am Empfang sprang überrascht auf, als sie Ben erkannte. Offenbar hatte Peter seine Ankunft nicht angekündigt. »Hallo, Chen Lu«, begrüßte Ben sie, während er an ihr vorbeiging, und sein Nicken riss sie aus ihrer Erstarrung. »Willkommen zurück!«, rief sie ihm mit einem strahlenden Lächeln nach, während er weiter durch die Glastür ging, die zu den Büros der Geschäftsleitung führte. Alles war noch genau wie früher, die Fotos von ihm und Peter bei der Entgegennahme von Auszeichnungen, das modern eingerichtete Vorzimmer vor ihren Büros. Und doch fühlte es sich für Ben plötzlich seltsam fremd an. »Ben!« Sienna Walker saß an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer und hatte im Gegensatz zu Chen Lu offenbar mit seinem Kommen gerechnet, denn sie wirkte überhaupt nicht überrascht. Ihr Lächeln fiel allerdings verhalten aus, was vermutlich bedeutete, dass Peter sie bereits darüber informiert hatte, weshalb er hier war. Sienna setzte an, etwas zu sagen, aber Ben wollte erst das Gespräch mit seinem Kompagnon hinter sich bringen und deutete auf Peters Büro. »Ist er da?«, fragte er knapp. Sienna nickte, und er klopfte kurz an die Tür, bevor er den Raum betrat. Peter saß hinter seinem breiten Schreibtisch, fast verdeckt von seinen beiden Computerbildschirmen und Stapeln von Papieren und Mappen, die er um sich verteilt hatte. Ebenfalls ein vertrauter Anblick, nur dass auf Peters Gesicht kein Lächeln lag und er auch keine Anstalten machte aufzustehen. Außerdem war das Chaos bei Weitem nicht so groß, wie Ben es sonst von Peters Schreibtisch gewohnt war. »Du hast aufgeräumt«, stellte er erstaunt fest. »Und du hast offenbar den Verstand verloren«, erwiderte Peter grimmig und stemmte sich jetzt doch aus seinem Stuhl hoch. Mit wütend funkelnden Augen beugte er sich über den Schreibtisch. »Nur damit das von vornherein klar ist: Die Antwort lautet immer noch Nein!« Ben atmete tief durch. Er hatte gewusst, dass Peter sich querstellen würde, und er verstand das sogar. Es änderte jedoch nichts daran, dass sein Freund sich mit seiner Entscheidung würde abfinden müssen. »Ich bitte dich nicht um Erlaubnis, Peter«, erinnerte er ihn. »Mein Entschluss steht fest.« Für einen langen Moment schwieg Peter, dann schüttelte er den Kopf. »Sie ist daran schuld, oder? Diese Tierärztin! Sie hat dir den Kopf verdreht, und jetzt kannst du nicht mehr klar denken!« Ben dachte an Kate, die in seinem Apartment auf ihn wartete, und seufzte unwillkürlich. »Ich kann sehr klar denken, Peter, glaub mir. Und ich weiß auch, dass es etwas plötzlich kommt. Trotzdem bin ich …« »Etwas plötzlich?«, unterbrach Peter ihn aufgebracht und ließ sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl sinken, als würden die Beine unter ihm nachgeben. »Etwas plötzlich? Ist das dein Ernst? Herrgott, Ben, am Sonntag hast du mir noch versichert, dass du gar nicht schnell genug wegkommen kannst von Daringham Hall und den Camdens. Du wolltest nichts mehr zu tun haben mit deiner feinen englischen Familie und hast schon fast im Flieger zurück nach New York gesessen. Und ein paar Stunden später teilst du mir mit, dass du es dir anders überlegt hast und alles aufgeben willst, was wir beide uns über die Jahre aufgebaut haben, um dein gesamtes Vermögen in einen alten Kasten zu stecken, der kurz vor dem Bankrott steht! Sorry, Partner, aber das kommt nicht nur etwas plötzlich, es lässt mich auch sehr an deiner geistigen Gesundheit zweifeln.« Vorwurfsvoll betrachtete er Ben, der seinem Blick äußerlich unbewegt standhielt. Wenn Peter es so ausdrückte, dann klang es wirklich verrückt. Und völlig unvernünftig. Es gab keinen Grund, es zu tun, aber viele, es zu lassen, das war Ben klar. Denn auch wenn die Camdens seine Familie waren, hatte seine Großmutter dafür gesorgt, dass er bis jetzt kein Teil davon hatte sein dürfen. Darüber war er immer noch wütend, und jetzt hätte sich ihm eigentlich die perfekte Gelegenheit zur Rache geboten, weil die Familie vor dem finanziellen Ruin stand. Ben hätte in aller Ruhe zusehen können, wie Daringham Hall pleiteging. Doch er hatte sich – gegen jedes bessere Wissen – entschlossen, den Camdens zu helfen. »Du kannst mich nicht aufhalten, Peter, egal, was du sagst«, antwortete er und hielt dem vorwurfsvollen Blick seines Freundes stand. »Ich werde es tun.« »Aber du kannst mich doch nicht allein lassen«, protestierte Peter, und Ben hörte die Panik in seiner Stimme. »Ich kann das hier nicht ohne dich.« Dieses Argument ließ Ben nicht gelten. »Das ist nicht wahr. Du hast mit dem Stanford-Abschluss gerade erst bewiesen, wie gut du das hinkriegst. Und wenn du lieber wieder einen Partner willst, dann hol dir eben jemand anderen mit ins Boot. Du bist nicht auf mich angewiesen.« Ben war bewusst, wie hart es war, Peter derart vor vollendete Tatsachen zu stellen. Aber er war nicht der Typ, der um den heißen Brei herumredete. Und in diesem Fall ging nur ganz oder gar nicht. »Ich habe es geahnt.« Peter stieß die Luft aus, und es klang wie ein Stöhnen. Ein resigniertes Stöhnen, denn er kannte Ben so gut wie kaum jemand sonst und wusste genau, wann er etwas ernst meinte. »Warum?«, fragte er und schüttelte den Kopf. »Erklär es mir, Ben. Wieso gehst du für diese Engländer so ein Risiko ein?« Ben zuckte mit den Schultern, weil er nicht sicher war, ob sein Freund seine Beweggründe verstehen würde. Dabei waren sie eigentlich ganz simpel. »Weil ich wissen will, ob ich es schaffen kann.« Er dachte zurück an den Nachmittag vor zwei Tagen, als er vom Flughafen wieder nach Daringham Hall gefahren war – zurück zu Kate, die er doch nicht aufgeben konnte. Er hatte keine Ahnung, wieso bei ihr alles anders war als bei den anderen Frauen in seinem Leben, aber die Vorstellung, sie nicht mehr zu sehen, hatte er einfach nicht ausgehalten. Er wollte mit ihr zusammen sein, und in seinem Kopf hatte es dafür zunächst nur einen Ort gegeben: New York. Doch als er in der goldenen Nachmittagssonne vor dem Stallgebäude von Daringham Hall gestanden hatte, mit Kate im Arm, war ihm klar geworden, dass sie ihr Leben in England nicht einfach hinter sich lassen konnte. Und er hatte plötzlich gemerkt, dass es ihm ähnlich ging. Deshalb hatte er sich seine Frage, ob er wirklich seinen gesamten Besitz für den Erhalt des Herrenhauses einsetzen sollte, selbst beantworten können. Er wollte gar nicht gehen, so wie er es die ganze Zeit vehement behauptet hatte, sondern bleiben und die Herausforderung annehmen, die so unmöglich erschien. Vielleicht würde es ihm nicht gelingen, Daringham Hall zu retten, aber einen Versuch war es wert. Sicher, er riskierte sein Vermögen dabei, aber Geld war ihm noch nie besonders wichtig gewesen. Er wollte es einfach noch einmal wissen, er wollte wieder dieses Kribbeln spüren, so wie damals, als er zusammen mit Peter ohne jedes Startkapital und nur mit einer Idee und viel Elan aus dem Nichts die Firma gegründet hatte. Er wollte herausfinden, ob er noch einmal zu einer solchen Leistung in der Lage war. Und irgendwie wollte er auch sich selbst und den Camdens etwas beweisen. Dass er nämlich sehr wohl zu ihnen gehörte und es wert war, den Titel zu tragen, der ihm nach dem Tod seines Großvaters zustand. Dass er ein würdiger Baronet von Daringham Hall sein würde. Er dachte an den verzweifelten Ausdruck auf Ralph Camdens Gesicht bei ihrer letzten Begegnung. Kümmere dich darum, Ben. Bitte. Es war ein Auftrag gewesen, und auch wenn Ben es lange nicht hatte wahrhaben wollen, konnte er über den letzten Wunsch seines Vaters nicht einfach so hinweggehen. »Außerdem habe ich es Ralph versprochen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich will es probieren mit dieser Familiensache.« Es fiel ihm nicht leicht, das einzugestehen, und eigentlich rechnete er damit, dass Peter, der selbst mit Familie nicht viel am Hut hatte, verächtlich schnauben würde. Peter musterte ihn aber nur, und für den Bruchteil einer Sekunde sah Ben Verständnis in den Augen seines Freundes aufblitzen. Es wurde jedoch fast sofort wieder von Skepsis verdrängt. »Und wie stellst du dir das alles vor? Wie soll das laufen?« Ben stieß die Luft aus. »Das habe ich dir doch schon erklärt: Ich werde dir meinen Anteil an der Firma verkaufen – zu einem fairen Preis, versteht sich. Außerdem stoße ich die Wohnung ab, darum soll sich ein Makler so schnell wie möglich kümmern. Mit dem Geld zahle ich den Kredit ab, den die Bank von den Camdens zurückfordert, und dafür überschreiben die Camdens mir im Gegenzug das Gut.« »Und was willst du...