Taha | Im Bauch der Königin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

Taha Im Bauch der Königin

Roman

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

ISBN: 978-3-8321-7009-7
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als junges Mädchen tut Amal etwas Unerhörtes: Sie verprügelt ihren Mitschüler Younes. Ihr Vater verteidigt ihr Verhalten und ermuntert sie, sich in der Welt zu behaupten. Trotzdem wird Amal fortan von allen gemieden. Und dann verlässt der Vater die Familie. Zuflucht findet Amal ausgerechnet bei Younes und seiner Mutter Shahira, die ebenfalls Außenseiter sind. Als sich die Situation Jahre später zuspitzt und der Streit mit der Clique um Raffiq eskaliert, flieht Amal nach Kurdistan und begibt sich auf die Suche nach ihrem Vater.

Raffiqs Freund Younes steht ungewollt im Zentrum der Aufmerksamkeit ihres Viertels. Der Grund ist seine Mutter Shahira, die durch ihre Freizügigkeit alle Regeln bricht. Auch Raffiqs Gedanken kreisen ständig um Shahira: Er ist gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Als Younes die Situation nicht mehr aushält, plant er abzuhauen. Für Raffiq, dessen Freundin Amal ebenfalls wegziehen möchte, bricht eine Welt zusammen. Er versucht, ihre Pläne zu sabotieren. Und es stellt sich die Frage, was er mit seinem Leben eigentlich anfangen will.
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IM BAUCH
DER KÖNIGIN
Und immer fragten sie mich, wie ich es angestellt hatte, den neuen Jungen, der wesentlich größer und stärker war, zu verprügeln, und ich erzählte, weil mir jeder zuhörte und mich glauben ließ, etwas Bedeutendes vollbracht zu haben, und ich erzählte, weil die Männer sich freuten und die Frauen sich ärgerten, weil mein Vater mich auf den Schoß nahm und mich aufforderte, die Geschichte seinen Männerfreunden zu erzählen, als wäre sie eine seiner Anekdoten, als wäre ich seine Handpuppe. Aber es ist meine Geschichte, hätte ich beinahe gesagt, hätte mich beinahe umgedreht zu meinem Vater und ihm gesagt, das ist meine Geschichte. Ich war noch jung genug, Männerrunden zum Lachen zu bringen, aber zu alt, um auf jemandes Schoß zu sitzen, auch wenn er mein Vater war und auch wenn er mich einlud, auf seinem Schoß zu sitzen, weil sie immer fragten, wie ich es angestellt hatte, den neuen Jungen, der wesentlich größer und stärker war, zu verprügeln. Und ich erzählte, manchmal fiel mir ein neues Detail ein, und ich erfand neue Details, weil ich wollte, dass sie mir zuhören, irgendwann sagten auch die Männer: Ihr müsst auf sie achtgeben, und da hörte mein Vater auf, mich wie eine Handpuppe auf seinen Schoß zu setzen, und auch weil meine Mutter ihn abends dafür ausschimpfte. Jede Nacht schrien sie sich an, und Mutter schloss alle Fenster und die Balkontür, und die Hitze beschlug die Fenster, die Hitze rann an den Scheiben hinab, die weinten, weil es sonst niemand tat. Mein Vater öffnete nach dem Streit die Fenster, und die Wohnung konnte wieder atmen, und ich konnte schlafen, um am nächsten Tag den älteren Jungen im Viertel zu erzählen, wie ich den neuen Jungen verprügelt hatte, weil sie mich danach gefragt hatten, einer hielt noch seinen Fußball unter dem Arm, sie unterbrachen ihr Spiel, nur um zu hören, wie ich davon erzählte, den neuen Jungen verprügelt zu haben. Und einer von den Jungen fragte mich, ob ich ihm meinen Bizeps zeigen könne, und ich wusste nicht, was das ist, da schob er den kurzen Ärmel seines Shirts ein wenig hoch und beugte den Arm, strengte sich an, eine Kugel auf dem Arm zu bilden, und ich machte es ihm nach und brachte damit alle zum Lachen, und ein anderer fragte, ob ich ihm meinen Schwanz zeigen könne, und da lachten wieder alle und widmeten sich ihrem Spiel. Ich erzählte es auch den Lehrerinnen, die danach fragten, und weil sie bestürzt schauten, verkürzte ich die Geschichte, sparte mit Details, vor allem den erfundenen, und sie sagten dann, ich solle keine Freude bei dem Gedanken an diese Tat empfinden. Und ich empfand keine Freude, nur das Gefühl, etwas Bedeutendes vollbracht zu haben. Meine Mutter verbot mir, die Geschichte zu erzählen, aber ich konnte nicht aufhören, weil alle mich danach fragten. Sie war nur verärgert, weil die Mutter des Jungen an einem Nachmittag vor unserer Wohnungstür gestanden und uns ausgeschimpft hatte, Mutter vorwarf, mich nicht unter Kontrolle zu haben: Ein Mädchen, das Jungen verprügle, könne nicht normal sein, ich sei verzogen, und Mutter sei daran schuld, das sagte sie alles. Wie die Tiere, sagte sie und wiederholte den Satz, bis ich das glaubte, und ich wollte ihren Sohn wieder anspringen, der mit gesenktem Kopf neben ihr stand, und dann beugte sich die Mutter zu mir, als hätte sie meinen Gedanken gehört, und drohte, mir die Augen herauszureißen, sollte ich noch einmal ihren Sohn anfassen. Mutter schützte mich mit ihrem Arm vor der anderen Mutter und versuchte, sie mit einer eigenen Drohung zu übertönen, trotzdem hatte ich sie gehört, hatte aber keine Angst und wollte gegen ihr Schienbein treten, da knallte meine Mutter die Wohnungstür zu, als spürte sie die Bewegung in mir, und Mutter drohte mir das Gleiche an wie die fremde Mutter und beendete die Szene mit einer Ohrfeige und der Aufforderung, mich zu schämen. Am Abend schrie sie meinen Vater an, er brüllte zurück und sagte ihr, wenn sie nicht den Mund halte, würde er uns nach Kurdistan zurückbringen, und meine Mutter ließ sich nicht davon beeindrucken und schlug vor, seinen Koffer zu packen, aber Vater ignorierte sie, rauchte seine Zigarette zu Ende, während die Fenster weinten. Meine Eltern wurden zur Direktorin gerufen, und weil Vater arbeitete, kam Mutter allein zur Schule und hörte sich an, was die Direktorin ihr erzählte. Sie sagte, man würde Maßnahmen ergreifen, im jungen Alter muss man da schon hart durchgreifen, Frau Zaynal, da müssen Sie konsequent bleiben, sagte die Direktorin, probierte viele Sätze aus, um Mutters harte Mimik aufzubrechen, und dann sagte die Direktorin, Sie müssen mit Ihrem Mann an einem Strang ziehen, und in diesem Moment schützte Mutter das Gesicht, das sich entblößte, das uns beschämte, schützte das nackte Gesicht mit beiden Händen: Sie weinte und atmete in kurzen Zügen, weinte, wie sonst Grundschulmädchen weinen, und meine Mutter bat nur um Entschuldigung, sagte, sie habe mich nicht so erzogen, ich würde ja ständig mit Jungen toben, da hätte ich ihr Verhalten angenommen, das müsse doch irgendwie abfärben, und Mutter war wie die anderen Mädchen, die mich bei den Lehrerinnen verpetzten, den Zeigefinger ausgestreckt in meine Richtung und die Augen flehend. Das Gesicht der Direktorin entspannte sich: erleichtert zu sehen, wie Mutter weinte, und die Direktorin stimmte ihr unbedingt zu, unbedingt, sagte sie, und Mutter hörte nicht auf zu weinen, und die Direktorin sorgte dafür, dass sie nicht aufhörte, und sagte, Amal ist wie ein Bursche, völlig außer Kontrolle, und nickte begeistert und sagte, sie habe mich schon länger beobachtet, sie sei froh, dass dieses Verhalten auch meiner Mutter aufgefallen sei, und dann lehnte sie sich zu meiner Mutter vor, die Tischkante schnitt ihr in den Bauch, aber das war der Direktorin egal, und sie sagte, ich sei wie Mogli, der mit den Wölfen aufgewachsen ist, und da heulte meine Mutter heftiger, nannte mich ein Mogli-Mädchen, während sie heulend in das Taschentuch rotzte, das ihr die Direktorin angeboten hatte, um ihr zu bedeuten, dass nicht sie bestraft werde, sondern die Tochter, das Mogli-Mädchen. Es würde ihr guttun, wenn sie mehr Freundinnen hätte, sagte die Direktorin, eine Resozialisierung sozusagen, sagte sie und war sich unsicher, ob meine Mutter sie verstand, und zum ersten Mal schaute die Direktorin mich an, fragte, Amal, hast du Freundinnen und wie viele überhaupt. Ich schwieg. Amal, das muss dir nicht peinlich sein, sagte sie und wollte mich zum Weinen bringen, wie sie meine Mutter zum Weinen gebracht hatte. Kein Mädchen wollte mit mir befreundet sein, das wusste die Direktorin, weil ich jedes schon mindestens einmal in seinem Leben geärgert hatte, wie es sonst die Jungen taten, und sie erzählten es jedem in der Schule, erzählten einander so gerne, wie sie von mir geärgert worden waren, erzählten, wie sie gelitten hatten, wie ihnen wehgetan worden war. Wenn ich ein Mädchen schubste, dann hatte ich alle geschubst, weil sie es einander sofort erzählten und weil sie einander zuhörten und die Geschichte so weitererzählten, als wäre jede Einzelne betroffen. Und an dem Abend schrien meine Eltern sich wieder an, weil meine Mutter die Demütigung, die sie bei der Direktorin erlitten hatte, so sagte sie es, an meinen Vater weitergab, und wie sehr es sie beschäme, dass er nicht da gewesen sei, als würde er sich nicht für seine Tochter interessieren. Und sie betonte, wie sehr ich doch seine Tochter sei, deine Tochter hat das getan, deine Tochter hat das nicht getan, als wäre ich aus dem Nabel meines Vaters gekrochen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie aufzufordern, endlich mal das Maul zu halten, und da wurde Mutter noch wütender und schwieg meinen Vater für Wochen an, und weil ich der Grund ihres Streits war, schwieg sie auch mich an. Die ersten Tage genossen mein Vater und ich ihr Schweigen, weil wir in Ruhe essen konnten, Karten spielen, in Ruhe faul sein, alles in Ruhe. Dann wurde es schwierig, weil mein Vater sein Feuerzeug nicht fand und Mutter schwieg oder ich den Bastelkleber und Mutter schwieg, und bald wurde ihr Schweigen so mächtig, dass auch wir schwiegen, dass die Fenster aufhörten zu weinen. Aber mein Vater, der so gern Geschichten erzählte, der gern lachte, entschuldigte sich schließlich bei meiner Mutter, und er musste es gut angestellt haben, weil meine Mutter doch stur ist, weil sie einen Zementblock im Kopf hat. Die Nachbarin fragte sie, wie er das angestellt habe, weil die Nachbarin auch wusste, wie stur meine Mutter sein konnte, und meine Mutter lächelte und schlürfte ihren Chai, schlürfte und hörte nicht mehr auf zu schlürfen, als wäre ihr Chai-Gläschen bodenlos. Nachdem sie den Chai in einem Schluck ausgetrunken hatte, strich sie sich den Schweißbart von der Oberlippe, weil Mutter dort schwitzt, wenn ihr heiß ist, und dann erzählte sie, er habe mit seiner süßesten Zunge gesprochen. Die Nachbarin lachte laut und sagte, ich wette, er hat mit seiner Zunge nicht nur gesprochen, und da stand Mutter unruhig auf und goss sich einen weiteren Chai ein. Mit Worten konnte ich Mutter nicht versöhnlich stimmen. Mein Vater sprach immer für uns beide, und diesmal hatte er nur für sich gesprochen, und ich fing an, mein Bett herzurichten, meine Klamotten unaufgefordert in den Wäschekorb zu werfen oder meinen Teller abzuräumen, und Mutter schwieg weiter, und irgendwann bot ich ihr an, mein Haar kämmen zu dürfen, ohne Worte, weil ich doch ein Mogli-Mädchen war. Ich ging zu Mutter und reichte ihr ein Haargummi und einen Kamm, damit sie mein Haar, das sie schon immer geärgert hatte, bändigen konnte. Ich setzte mich ihr zu Füßen, und sie konnte auf der Couch mit der Arbeit anfangen. Meine Frisur war danach ordentlich, selbst die Direktorin bemerkte es, und meine Sportlehrerin meinte, ich solle den Zopf nicht so streng binden,...


Taha, Karosh
Karosh Taha wurde 1987 in Zaxo/Irak geboren. Seit 1997 lebt sie im Ruhrgebiet. Ihr Debütroman ›Beschreibung einer Krabbenwanderung‹ erschien 2018 bei DuMont. Die Hörspielfassung ihres Romans wird 2021 bei WDR3 und COSMO ausgestrahlt. Karosh Taha erhielt für ihr Werk bereits zahlreiche Stipendien und Preise, darunter das Stipendium Deutscher Literaturfonds, den Hohenemser Literaturpreis und die Alfred-Döblin-Medaille.


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