E-Book, Deutsch, Band Sonderband, 228 Seiten
Reihe: MUSIK-KONZEPTE
Mäzen der Moderne
E-Book, Deutsch, Band Sonderband, 228 Seiten
Reihe: MUSIK-KONZEPTE
ISBN: 978-3-96707-845-9
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zu den von Reinhart Geförderten gehören auch so große Namen wie Alban Berg, Paul Hindemith, Ernst Krenek, Arnold Schönberg, Richard Strauss, Igor Strawinsky, Anton Webern oder Rainer Maria Rilke. Hermann Scherchen, Reinharts jahrzehntelanger Verbündeter am Dirigentenpult des Musikkollegiums Winterthur, nannte dessen Wirken "unmerklich" und einer "wohltätigen unterirdischen Strömung" gleich.
Mit Beiträgen von Esma Cerkovnik, Daniel Ender, Franziska Gallusser, Lion Gallusser, Thomas Irvine, Christian Kämpf, Doris Lanz, Arturo Larcati, Laurenz Lütteken, Michael Meyer, Alessandra Origani, Kerstin Richter, Ullrich Scheideler, Ulrike Thiele und Matthew Werley.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
ULRIKE THIELE »Die musikalische Revolution verwirklichen helfen«
Der Mäzen Werner Reinhart Noch heute ist das Erbe der kunstliebenden Familie Reinhart im schweizerischen Winterthur präsent: die Kunstsammlungen ebenso wie das Musikkollegium Winterthur, dem der Musikmäzen Werner Reinhart (1884–1951) über 40 Jahre seines Lebens höchstes Engagement und finanzielle Unterstützung angedeihen ließ. Bildende Kunst aus Europa interessierte ihn ebenso wie indische bzw. asiatische Kunst.1 Und er trat auch jenseits der Musik als verständnisvoller Förderer auf. Ein herausragendes Beispiel dafür war zweifellos der Dichter Rainer Maria Rilke (1875–1926), dem Reinhart durch Anmietung und späteren Ankauf des Turms von Muzot im Wallis ab 1921/22 die letzte Lebens- und Wirkungsstätte zur Verfügung stellte. I Panoptikum einer Moderne
Die besonders vielgestaltige und weitreichende Fördertätigkeit als Musikmäzen erreichte in den 1920er Jahren einen Höhepunkt. Auffällig ist eben jener von Reinhart bewusst angestrebte Pluralismus, der mit der Idee einer weit gefassten Moderne des 20. Jahrhunderts einhergeht: Über ihn fanden selbst musikalisch wie politisch denkbar weit voneinander entfernte Persönlichkeiten wie Hermann Scherchen und Richard Strauss zueinander. Reinhart unterstützte zahlreiche weitere namhafte Komponisten seiner Generation wie Igor Strawinsky, Alban Berg und Anton Webern, Walter Braunfels und Heinrich Kaminski, Othmar Schoeck, Paul Hindemith und Ernst Krenek, zudem gefeierte Interpretinnen und Interpreten wie Clara Haskil und Wilhelm Furtwängler, den Zeitgeist spiegelnde Institutionen wie die Internationale Gesellschaft für Neue Musik oder die Schola Cantorum Basiliensis bis hin zu kleineren, ihm aber bedeutsam erscheinende Unternehmungen wie das Schweizerische Marionettentheater und noch wenig etablierten oder finanziell wie politisch bedrängten Künstlern. Die Wirkmächtigkeit seines Mäzenatentums wurde durchaus auch schon von Zeitgenossen wahrgenommen und honoriert, wie ein Gedenkbuch-Eintrag des eine Generation jüngeren Paul Sacher zeigt, für den Reinharts Agieren durchaus Vorbildwirkung hatte: »Wer sich dereinst mit der Musikgeschichte und dem Schicksal der Musiker des 20. Jahrhunderts beschäftigt, wird immer wieder Ihrem Namen begegnen. Die musikalische Revolution, die sich während und nach dem ersten Weltkrieg abspielte, haben Sie teilnehmend und unterstützend verwirklichen helfen. Es gibt wohl kaum einen Künstler von Rang, der Sie nicht gekannt und Ihre Förderung nicht erfahren hätte.«2 Ein markanter Wesenszug des Schweizer Kaufmanns und Musikförderers war jedoch, sein Wirken unsichtbar zu machen. Er wirkte »unmerklich« und »einer wohltätigen unterirdischen Strömung« gleich, erinnerte sich der Dirigent Hermann Scherchen in einem Nachruf.3 Hermann Scherchen ist mit dem Musikkollegium Winterthur ebenso eng verbunden wie Werner Reinhart, der als Quästor und später als Präsident der Konzertkommission die Entwicklung dieser Institution über Jahrzehnte hinweg prägte. Der strenge »Orchestererzieher« Scherchen war von Reinhart in den 1920er Jahren vor allem wegen seines Eintretens für zeitgenössische Musik als Ständiger Gastdirigent nach Winterthur geholt worden.4 So unterschiedlich Scherchen und Reinhart vom Charakter her waren, so viel haben beide gemeinsam erreicht, indem sie Winterthur erneut zu einem Ort der Musik werden ließen. II Rychenberg – Begegnungsstätte, »Nest« und Stiftung
Abb. 1: Werner Reinhart (l.) und Gertrud Ganzoni-Sulzer (r.) bei der Aufführung einer Szene aus Hans Reinharts Der Garten des Paradieses auf der Bühne im Rychenberg, Mai 1916 (CH-W Bild- und Fotosammlung) In Winterthur, wo zu früheren Zeiten schon wichtige Persönlichkeiten wie Clara Schumann 1857/58 oder Johannes Brahms 1865 zu Gast waren, machten auch nun wieder die bekanntesten Solisten und Dirigenten des 20. Jahrhunderts so selbstverständlich Station wie im benachbarten Zürich.5 In wohl durchdachten Konzerten wurden neue Werke zeitgenössischer Komponisten präsentiert – häufig unter der Leitung Hermann Scherchens, aber auch unter der Leitung oder Beteiligung der Komponisten selbst.6 Dabei wurden die Musiker zumeist in der Villa Rychenberg begrüßt, bezogen Logis und musizierten sogar gemeinsam mit dem Hausherrn Werner Reinhart. Auf diese Weise gelang es Reinhart, eine besondere persönliche Beziehung zu ihnen aufzubauen, geprägt von einem tiefen gegenseitigen Vertrauen und Respekt. Die Villa Rychenberg war das Elternhaus Werner Reinharts, wo er mit seinen Geschwistern Georg (1877–1955), Hans (1880–1963), Oskar (1885–1965) und Emma Berta Nager-Reinhart (1890–1966) aufwuchs. Die Eltern, der Jurist und Handelsunternehmer Theodor Reinhart (1849–1919) und Lilly Reinhart geb. Volkart (1855–1916), hatten 1887/88 den Schweizer Architekten Ernst Georg Jung (1841–1912) mit dem Bau beauftragt. Jung und Theodor Reinhart waren zeitgleich im Vorstand bzw. Präsidium des Musikkollegiums sowie des Winterthurer Kunstvereins aktiv – derartige Verbindungen im Hintergrund sind wichtig, um das spätere netzwerkartige Engagement Werner Reinharts besser zu verstehen.7 Oberhalb einer Siedlung »mittelständischer Ein- und Zweifamilienhäuser« entstand nun das »neobarocke Château« Rychenberg als erste einer Siedlung »großbürgerlicher Villen«, die sich in der Folge bis zum Waldrand hinaufzog.8 Bereits unter dem Wirken der Eltern wurde die Villa Rychenberg zu einem wichtigen kulturellen Treffpunkt, wo die Reinhart-Kinder von einer geistig anregenden Atmosphäre umgeben waren, wo die vom Vater geförderten »Kunstbuben«9 wie Karl Hofer und Hermann Haller in Werken und in Person präsent und wo »Gespräche über Kunst an der Tagesordnung«10 waren. Nach dem Tod der Eltern wohnte Werner bis 1926 gemeinsam mit seinem Bruder Hans im Rychenberg, anschließend und bis zu seinem eigenen Tod 1951 allein. Danach wurde es zur Musikschule umfunktioniert – er selbst verfügte es so – und zum Sitz der Geschäftsstelle des Musikkollegiums Winterthur.11 Dank Werner Reinharts Gastlichkeit wurde der Rychenberg eine Begegnungsstätte sondergleichen – bezeugt sind diese freundschaftlichen und künstlerischen Verbindungen im Rychenberger Gastbuch.12 Zahlreiche Persönlichkeiten wie die australische Geigerin Alma Moodie erinnerten darin an den »guten Geist dieses Hauses, in dem man den Begriff von Freundschaft lernt«.13 Die Pianistin Clara Haskil sowie der Komponist und Pianist Walter Braunfels fühlten sich im Rychenberg gar »wie in einem warmen Nest«14. Die Wertschätzung für sein eigenes »Nest« ließ Reinhart durch die Benennung seiner 1949 gegründeten Stiftung erkennen: Rychenberg-Stiftung. Diese hatte den Zweck, das »Musikkollegium in die Lage zu versetzen, in der traditionellen Weise und in voller Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen das musikalische Leben der Vaterstadt des Stifters zu betreuen«.15 Er gab ihr also nicht etwa seinen eigenen Namen, sondern den seines Elternhauses – »in dankbarem Gedenken an die Eltern des Stifters« und an den Ort, wo »dem Stifter die Liebe zur Musik gelehrt« und »der geistige und materielle Grund zu seinem spätern Wirken als Mitglied der Vorsteherschaft des Musikkollegiums Winterthur gelegt« wurden.16 Der »geistige Grund« war die neben dem Unternehmertum in Form von Kunstförderung gelebte Geisteshaltung. Eine Ansprache des Vaters Theodor Reinhart anlässlich der Eröffnung des Neubaus des Kunstmuseums Winterthur 1916, für welchen er einen ganzen Flügel finanziert hatte, dokumentiert eindrücklich, was ihn antrieb: »Möge nun unser Museum immer mehr, wenn Sie mir den trivialen Ausdruck erlauben, zur geistigen Suppenanstalt Winterthurs werden, wo sich alle finden, von wo aus allen Kreisen viele, recht viele, möglichst oft ihre Schüssel voll ideeller Nahrung in den Kreis ihrer Familie heimbringen und so mehr und mehr zur Veredelung der gegensätzlichen Kämpfe beitragen! Dann wird der schönste und edelste Zweck unserer neuen herrlichen Bildungsanstalt erfüllt und durch den stillen, aber beredten Dank der Empfangenden das Pflichtbewußtsein der Gebenden gestärkt.«17 Zugänglichkeit von Kunst, Kunst als Bildung, stiller Dank als edler Zweck und Pflichtbewusstsein der Gebenden – die gemeinsamen Werte bildeten die Grundpfeiler der älteren wie der nachfolgenden Reinhart-Generation. Der »materielle Grund« findet sich bei Reinhart im elterlichen Handelsunternehmen Gebrüder Volkart: Gegründet 1851 von Salomon und Johann Georg Volkart in Winterthur und Bombay verfügte es über strategisch wichtige Niederlassungen in Indien und London; das Hauptgeschäftsfeld war der Baumwollhandel. Nach der Heirat mit Lilly Volkart wurde der Schwiegersohn Theodor Reinhart 1879 zunächst Teilhaber, bevor er 1912 die Leitung des Handelshauses übernahm – gemeinsam mit den Söhnen Georg (1904–1955 Teilhaber), Oskar (1912–1924 Teilhaber, dann stiller Teilhaber, ab...