Susteck | Der Deutschunterricht und die ökologische Krise | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Susteck Der Deutschunterricht und die ökologische Krise

Literatur und Medien im Anthropozän. [Reclam Bildung und Unterricht]

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-962391-7
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die ökologische Krise im Unterricht - Perspektiven für das Fach Deutsch Wie soll das Fach Deutsch auf die ökologische Multi-Krise reagieren? Dass der Deutschunterricht einen wesentlichen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), mehr noch: zur Ausbildung einer umfassenden ecological literacy leisten kann, zeigt Sebastian Susteck in diesem Band. Er verbindet grundsätzliche Überlegungen zur Funktion und den Zielen eines neuen Deutschunterrichts mit Hinweisen und Anregungen zu den zentralen Unterrichtsgegenständen: Sachtexten und literarischen Texten, Kommunikation, Sprache und Medien. Wegweisend für die Zukunft des Fachs in der Schule. Mit vielen Tipps für die Schulpraxis! E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Sebastian Susteck ist Professor für Neugermanistik und Didaktik der Literatur an der Ruhr-Universität Bochum.
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[49]3 Anthropozän und Deutschunterricht: Sprache
Inwiefern sind Anthropozän und Sprache eng verbunden? Was bedeutet dies für den Deutschunterricht, seine Themen und Inhalte?   Die Überlegungen zum Anthropozän sind ein Ausgangspunkt, um Potenziale des Deutschunterrichts zur ökologischen Krise umfassend zu umreißen. Die monumentale Herausforderung der Krise stößt etwa permanent Veränderungen in der Art und Weise des Sprechens über sie an. Deutschunterricht zur ökologischen Krise ist derart in vielen Hinsichten Unterricht, der sich mit der Frage nach krisenadäquaten Formulierungen und in diesem Zusammenhang auch mit Sprachwandel befasst oder der die Frage stellt, wie im Anthropozän sachangemessen gesprochen zu werden vermag ( hier–siehe hier). Dies kann eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der ökologischen Krise – oder Ökologie – durchaus einschließen und neue Begriffe und Redeweisen mit Fragezeichen versehen. Grundlegend aber geht es um eine Sensibilisierung für Sprachbedeutung und -gebrauch. Diskutiert werden kann z. B., »wie wir richtig übers Klima sprechen«, Thema eines MDR-Interviews, dessen Diskussion in der fortgeschrittenen Sekundarstufe I denkbar ist (vgl. Patlan/Roth 2021). Schon die Fokussierung auf den Begriff des Anthropozäns kann zugleich die Bereiche Sprachreflexion und Kommunikation bedienen und im Sinne des double purpose learning (vgl. siehe hier) außerdem ökologische Information in [50]den Unterricht einlassen. Dabei ist zunächst relevant, dass Anthropozän etymologisch ›das Neue des Menschen‹ bedeutet und semantisch ein neues Zeitalter bezeichnen soll. Pragmatisch zeichnet den Begriff aus, dass er eine Reihe von Beobachtungen und Krisendiagnosen bündelt. Sehr rasch hat sich um ihn jedoch eine Sprachdebatte entspannt, die den Begriff kritisiert und ergänzende sowie alternative Bezeichnungen einführen will. Die Alternativen haben gemein, als Komposita nach dem Vorbild von »Anthropozän« gebildet zu sein, von dessen Prominenz zu zehren und dennoch den Anspruch zu erheben, Realität unter verschobenen Gesichtspunkten treffender zu fassen. Deutschunterrichtlich ist interessant, wie die Kritiker in den Begriff Anthropozän hineinlauschen. Die Diskussion ist deshalb eine solche, die Sprache ernst nimmt. So hat insbesondere der anthropos des Anthropozäns Rückfragen ausgelöst. Bemängelt wird, dass der Mensch in einem historischen Moment, in dem er bei Ausübung seiner Macht an mehr denken müsste als an sich selbst, ins Zentrum einer Epochenbestimmung gestellt wird. Die einflussreiche Philosophin, Feministin und Neumaterialistin Donna S. Haraway (2018: 68) notiert spöttisch, dass der Begriff »Projekte« des Menschen wie das »Artensterben[]« mit einem »Verdienstabzeichen« versehe. Demgegenüber weist Gabriele Dürbeck darauf hin, dass sich mit dem Anthropozän mehrere konkurrierende Narrative verknüpfen. Deutlich besorgten stehen optimistisch-zukunftsorientierte gegenüber. Unter ihnen ist etwa das radikal anthropozentrische »(bio-)technologische Narrativ«, das das Anthropozän als Zeit fasst, in der der Mensch nicht bloß eine bestimmende Kraft des Planeten Erde geworden ist, [51]sondern diese Rolle auch konsequent vertiefen soll (vgl. Dürbeck 2018). Gefragt wird des Weiteren, wer »der Mensch« des Anthropozäns eigentlich sei. Erle C. Ellis (2020: 188), Mitglied der Anthropocene Working Group, schreibt etwa, »[i]st es richtig zu sagen, dass der Homo sapiens an sich einen raschen globalen Klimawandel verursacht?« Er verneint. Sowohl in der Gegenwart als auch in historischer Summe variiert die Verantwortung für den Klimawandel und weitere ökologische Probleme erheblich, wobei weniger die menschliche Biologie als Gesellschaften relevant sein sollen. »2014 emittierte China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen 10,5 Milliarden Tonnen (10,5 Gt) CO2 bzw. pro Kopf etwa 8 Tonnen. Die 320 Millionen Bewohner der USA emittierten 5,3 Gt oder 16,5 Tonnen pro Kopf. Die 1,2 Milliarden Bewohner Indiens produzierten 2,3 Gt CO2 oder etwa 1,9 Tonnen pro Kopf.« (Ebd.) Neben dem Begriff des Anthropozäns ist daher der von verschiedenen Autor:innen entwickelte des Kapitalozäns einflussreich geworden, der betont, der »Kapitalismus, nicht die Industrialisierung habe die Transformation der Erde verursacht« (Ellis 2020: 192). Dies gibt einflussreichen Personen, mächtigen Unternehmen und Nationen besondere Verantwortung. Weiter kursieren etwa das Technozän oder das Plantagozän (von Plantage) der Anthropologin Anna Tsing, die die Bedeutung des Kolonialismus für die ökologische Krise betont (vgl. Heim 2021). Beziehen sich all diese Begriffe auf Gegenwart und Vergangenheit, gibt es auch zukunftsbezogene, zugleich utopisch und politisch gemeinte Vorschläge wie das Chthuluzän Donna S. Haraways (vgl. Haraway 2018) und das Symbiozän des australischen Umweltwissenschaftlers [52]Glenn A. Albrecht (vgl. Albrecht 2019). Das Chthuluzän soll eine Epoche sein, in der Menschen sich nicht länger nur an Menschen orientieren, sondern speziesübergreifend mit weiteren Lebewesen verbinden. Es verdankt seinen Namen einem Neologismus und Kofferwort: der Verschmelzung von »chthonisch« und »cthulhu«. »Chthonisch« bezeichnet dabei elementare Wesen der Mythologie, die die Urkräfte der Erde repräsentieren. »Cthulhu« stammt von Pimoa cthulhu, einer kalifornischen Spinne, und steht metaphorisch für die Notwendigkeit von Vernetzung (vgl. Haraway 2018: 48). Albrechts Symbiozän meint eine Epoche nach dem Anthropozän. Sie »wird dann erreicht sein, wenn außer den vorübergehenden Überresten von Zähnen und Knochen keine erkennbaren Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf dem Planeten mehr vorhanden sind. Alles, was die Menschen tun, wird in die Unterstützungssysteme allen Lebens integriert sein und keine Spuren hinterlassen.« (Albrecht 2019: 201, eigene Übers.) Dabei geht es Albrecht nicht um eine Selbstauslöschung des Menschen, sondern um seine vollständige Einblendung in die übrige Natur. Auch über die Debatte um den Begriff Anthropozän hinaus ist auffällig, welch enorme sprachliche Produktivität mit der ökologischen Krise verbunden ist. Sie reicht vom meteorologischen Schlagwort des global weirding über politisches Signal- und Werbevokabular der new green economy bis zu literaturwissenschaftlichen Gattungsbegriffen wie dem von 2007 stammenden Terminus climate fiction (vgl. Goodbody/Johns-Putra 2019). Es geht um den Versuch, neue oder neu erkannte Phänomene zu benennen, aber auch darum, vermeintlich bekannten Phänomenen neue, der Gegenwart angemessene Sinnrichtungen zu [53]geben oder aktuelle Relevanzen zu verdeutlichen.1 Der bereits zitierte Glenn A. Albrecht, dessen Werk nur auf Englisch publiziert ist, unter anderem mit modernen Übersetzungswerkzeugen aber auch für den Deutschunterricht erschlossen werden kann, hat sich so als Spracherneuerer versucht und ein ganzes Glossar entwickelt. Beispiele aus Glenn A. Albrechts »Glossar psychoterrischer Begriffe« (in eigener Übers.; vgl. Albrecht 2019: 199 ff.) Ökoagnosie (ecoagnosy) »Mangelndes Wissen von und daher Ignoranz gegenüber vergangenen ökologischen Realitäten.« Psychoterrisch (psychoterratic) »Emotionen in Bezug auf positiv und negativ wahrgenommene und empfundene Zustände der Erde.« Solastalgia (solastalgia) »Der Schmerz oder die Not, die durch den Verlust oder das Fehlen von Trost und das Gefühl der Verzweiflung verursacht werden, welche mit dem gegenwärtigen Zustand des eigenen Zuhauses und Lebensgebiets verbunden sind. Sie ist die gelebte Erfahrung negativer Umweltveränderungen. Sie ist das Heimweh, das man hat, wenn man noch zu Hause ist.« Sumbiozentrisch (sumbiocentric) »Die Gesamtheit der Lebensinteressen in der Biosphäre in allen Maßstäben berücksichtigen, wenn Entscheidungen über menschliche Bedürfnisse getroffen werden.« Terrazid (tierracide) »Erd-Ermordung. Die absichtliche Verwüstung der Erde, so dass sie kein Leben und keine lebenserhaltenden Prozesse mehr unterstützen kann.« [54]An Albrechts Termini fällt dabei insgesamt ein tendenziell negativer Einschlag auf. Ob sich eine Liste mit positiven Begriffen erdenken lässt und wie sie aussähe, wäre eine kreative Aufgabe für den Unterricht: »Ko-Kreatürlichkeit«, »Florsichtigkeit« (aus »Flora« und »Vorsicht« = behutsamer und aufmerksamer Umgang mit Pflanzen), »Ökonstruktion« (aus »Ökologie« und »Konstruktion« = Rückgewinnung von Flächen für Bepflanzung und Bewaldung) usw. Laufende Debatten sind Debatten um Sachverhalte, aber auch Debatten um ihre Deutung und – wichtig für den Deutschunterricht und seine Sprachreflexion – um eine realitätsadäquate Sprache. Im...


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