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E-Book, Deutsch, Band 6258, 268 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Sucher Wie es euch gefällt

Der kleine Theaterversteher

E-Book, Deutsch, Band 6258, 268 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-69724-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kundig und unterhaltsam erläutert C. Bernd Sucher, was auf, vor und hinter der Theaterbühne geschieht, was Regisseure, Dramaturgen und Schauspieler treiben und welche Bedeutung beispielsweise Maske und Kostüm oder Licht und Requisiten haben. Er erklärt, wie man sich auf Schauspiel- und Opernbesuche vorbereiten kann, worauf man an solch einem Abend achten sollte und wie man sich ein begründetes Urteil zulegt, das mehr ist als diffuses Missvergnügen. Nebenbei erfährt man Wissenswertes über ästhetische Ideen von Kant bis Lessing, lernt wichtige Definitionen kennen von Begriffen wie "das Interessante" oder "das Schockierende" und wird beglückt mit einer Fülle an Beispielen aus dem Repertoire des klassischen wie des modernen Theaters. Das alles wird in entspanntem Plauderton geboten und dient nur einem Zweck: die Freude am nächsten Theaterbesuch zu steigern - egal, ob man hinterher das Erlebte emphatisch preist oder leidenschaftlich verreißt!
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;268
4;Über den Autor;268
5;Impressum;4
6;Widmung;5
7;Inhalt;7
8;Vorwort;9
9;1. Der Zuschauer ist der Mitschöpfer;11
10;2. Theaterberufe;22
10.1;Der Regisseur;22
10.2;Der Dramaturg;35
10.3;Der Bühnenbildner;40
10.4;Der Kostümbildner;45
10.5;Der Medienkünstler;47
10.6;Der Lightdesigner;49
10.7;Der Bühnenmusiker;50
10.8;Der Maskenbildner;52
11;3. Die Inszenierung – Ergebnis komplexer Prozesse;55
12;4. Wahrnehmen;70
12.1;Wie bereite ich mich vor?;70
12.2;Wahrnehmung von Licht, Symbolen, Bewegungsabläufen – und Sprache;72
12.3;Sonderfall Musiktheater;99
12.4;Organisation der Wahrnehmungen;111
12.5;Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis;142
12.6;Wahrnehmung und Bildung;147
13;5. Wertungen;157
14;6. Ästhetische Reize;162
14.1;Wie man poetischen Geist erlangt;172
14.2;Vermischte Empfindungen;174
14.3;Interesse verdirbt das Urteil;177
14.4;Interessant ist das Ungewöhnliche;181
14.5;Die Langeweile als Pein und Chance;186
14.6;Zum Weinen schön;194
14.7;Nichts ist spannender als ein Cliffhanger;201
14.8;Zweckmäßig ohne Zweck: Schönheit;211
14.9;Direktheit, die schockiert;221
14.10;Kreativität zwischen Akkumulation und Askese;229
15;7. Die Kritik: Ein Puzzle von Wissen und Wahrnehmung;241
16;Literatur;255
17;Personenregister;258
18;Werkregister;264
19;Bildnachweis;267


1. DER ZUSCHAUER IST DER MITSCHÖPFER
Was ist Wahrnehmung? Das Wort leitet sich her aus dem Althochdeutschen: wara neman. Und das bedeutet: einer Sache Aufmerksamkeit schenken. Es geht also nicht um Wahrheit oder Wahrheiten. Der Brockhaus, die Ausgabe von 1994 erklärt: Wahrnehmung sei die «psychophysische Verarbeitung von in physikalischen und chemischen Reizen enthaltenen Informationen durch Sinnessysteme und Gedächtnis. Die Verbindung zur Umwelt stellen die Sinnesorgane dar». Wahrnehmung ist also gewiss die Voraussetzung für Orientierung und Handeln in der Welt. Wenn wir die Sache nicht unnötig verkomplizieren und die diversen Meinungen der Wahrnehmungspsychologen beiseitelassen, dann sind an der Wahrnehmung die fünf Sinne – Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten – sowie der Gleichgewichtssinn beteiligt. Wahrnehmen ist Informationsgewinnung. Reize werden gefiltert, bewusst oder unbewusst. Informationen werden zu einem subjektiven, sinnhaften oder sinnvollen Gesamteindruck zusammengeführt. Was als Eindruck oder Erfahrung gewonnen wird, wird abgeglichen mit bereits zuvor gewonnenen Eindrücken. Es wird in Beziehung gesetzt. Wahrnehmen ist somit auch ein Lernprozess. Und natürlich kann jeder gesunde Mensch seine Aufmerksamkeit steuern und beeinflussen, also gezielt einsetzen oder eben nicht. Der Philosoph Martin Seel formulierte in seiner Studie zur Ästhetik des Erscheinens: «Prinzipiell kann alles, was sensitiv wahrgenommen werden kann, auch ästhetisch wahrgenommen werden. Zu den möglichen ästhetischen Objekten zählen dabei nicht allein die wahrnehmbaren Dinge und ihre Konstellationen, sondern auch Ereignisse und ihre Sequenzen, kurzum alle Zustände oder Geschehnisse, von denen wir sagen können, wir hätten sie gesehen, gehört, gefühlt oder sonst wie verspürt. Dennoch fällt der Begriff des ästhetischen Objekts nicht mit dem allgemeinen Begriff des Wahrnehmungsgegenstands zusammen. Denn was sensitiv wahrnehmbar ist und somit Anlass einer ästhetischen Wahrnehmung werden kann, ist nicht darum bereits ein ästhetisches Objekt. Alle ästhetischen Objekte sind Objekte der Anschauung, aber nicht alle Objekte der Anschauung sind ästhetische Objekte.» Ästhetische Objekte – eben auch Theater- und Opernvorstellungen – sind Objekte des Erscheinens, sie sind Darbietungen. Der Kunsthistoriker Rudolf Arnheim schrieb in seinem bereits 1954 publizierten und längst zum Standardwerk avancierten Buch «Art and Visual Perception – A psychology of the creative eye», das Sehen und das Hören seien keineswegs nur ein mechanisches Aufzeichnen von Sinneseindrücken. Wahrnehmen habe sich vielmehr erwiesen «als ein echt schöpferisches Begreifen der Wirklichkeit – fantasievoll, erfinderisch, gescheit und schön. Es stellte sich heraus, dass die Eigenschaften, die den Denker und den Künstler auszeichnen, allen geistigen Tätigkeiten innewohnen, Psychologen erkannten dann auch, dass diese Tatsache kein Zufall war. Dieselben Grundsätze gelten für all die verschiedenen geistigen Fähigkeiten, da der Geist immer als eine Ganzheit arbeitet. Alles Wahrnehmen ist auch Denken, alles Denken ist auch Intuition, alles Beobachten ist auch Erfinden. Die Bedeutung dieser Erkenntnisse für die Theorie und Praxis der Kunst ist offensichtlich. Wir können im künstlerischen Schaffen keine eigenständige Tätigkeit sehen, auf geheimnisvolle Weise von oben inspiriert, mit anderen menschlichen Tätigkeiten nicht in Beziehung stehend und nicht in Beziehung zu bringen. Stattdessen erkennen wir im verfeinerten Sehen, das zur Schöpfung großer Kunstwerke führt, eine Weiterentwicklung der bescheideneren und allgemeineren Sehtätigkeit im täglichen Leben. Wie das alltägliche Sich-Zurechtfinden ‹künstlerisch› ist, weil es mit dem Geben und Finden von Form und Bedeutung zu tun hat, ist das schöpferische Tun des Künstlers ein Instrument des Lebens, eine verfeinerte Art des Verstehens, wer und wo wir sind.» Wenn dem so ist, dann hat der Rezipient entscheidenden Anteil am Kunstwerk. Für das Theater bedeutet dies, dass der Zuschauer in einem Theater oder Opernhaus durch seine subjektive Wahrnehmung an der Gestaltung einer Inszenierung, einer Choreographie, eines performativen Akts oder, allgemeiner formuliert, jedweder theatraler Schöpfung teilnimmt. Er soll, er muss daran Anteil haben! Schon Richard Wagner forderte in seiner 1852 erschienenen Schrift «Oper und Drama» nicht bloß den «organisch mitwirkenden Zeugen», sondern er wünschte sich den «notwendigen Mitschöpfer». Und Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold, Regisseur, Schauspieler und Theatertheoretiker, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine radikal antirealistische Theaterästhetik anstrebte, sah im Zuschauer den «vierten Schöpfer» neben Autor, Regisseur und Schauspieler, der «mit seiner Vorstellungskraft» schöpferisch beenden müsse, was auf der Bühne nur angedeutet werde. Im Kapitel «Kritik» werden wir auf diese Reihenfolge, die eine Werteordnung darstellt, nochmals eingehen. Da kein Gegenstand und kein Mensch allein und isoliert wahrgenommen werden kann, sondern alles und jeder im Gefüge und Verlauf des Ganzen gesehen (und gehört) wird, ist das Seh- (und Hör-)Erlebnis stets ein dynamisches und mehrschichtiges – in vielen postdramatischen Aufführungen auch ein extrem verwirrendes. Und, keine Frage, das Wissen des Rezipienten, also seine Bildung und seine Erfahrungen mit künstlerischen Hervorbringungen welcher Art auch immer, beeinflussen die Wahrnehmung und die Beurteilung des Wahrgenommenen, denn sie werden in Beziehung(en) gesetzt. Assoziationen werden gestiftet: «Alle Wahrnehmung ist Differenzwahrnehmung», behauptet zu Recht Hans-Thies Lehmann in seinem Buch «Postdramatisches Theater». Es gibt einen wunderbaren Brief von Denis Diderot an die Schauspielerin Marie-Jeanne Riccoboni, datiert am 27. November 1758. Sie hatte behauptet, die Bühne sei ein lebendes Bild, «bei dem man keine Zeit hat, auf Einzelheiten achtzugeben». Diderot antwortet: «Freilich nicht gleich, wenn sich der Vorhang hebt. Später jedoch, wenn die Darsteller gerade einmal schweigen, wird sich mein Blick auf ihre Bewegungen konzentrieren, und nichts wird mir entgehen. In Gesellschaft bleibt nichts unbemerkt. Mitten in einer lebhaften Unterhaltung sind oft eine mehrdeutige Bemerkung, eine Geste, ein Blick verräterisch. Ist man denn im Theater weniger hellsichtig und aufmerksam? Das wäre schlimm, und es läge an einem großen Dichter, die Nation von diesem Übel zu heilen. Ist aber einmal das Schweigen auf der Bühne beendet und kann man nicht mehr auf die Einzelheiten des Bildes achten, dann müssen große Massen und kraftvolle Gruppierungen umso stärker zur Wirkung gelangen. Kurz, ist die Bühne ein Bild, dann möchte ich Euch so auf ihr sehen, wie ein Maler seine Figuren auf der Leinwand verteilt. Stellt Euch also nicht mehr schön symmetrisch, steif, wie abgezirkelt und angewurzelt im Kreis auf. Denkt einmal an Eure allerstürmischsten Szenen und sagt mir dann, ob Boucher auch nur von einer einzigen ein halbwegs erträgliches Bild gemacht hätte.» Gemeint ist der Maler François Boucher (1703–1770), gegen dessen Kunst sich Diderot mit Vorliebe wandte. Sie behauptet: «Auf der Bühne unterscheidet man keine Einzelheiten.» Diderot widerspricht: «Was ist denn das für eine Idee! Schreiben wir etwa für Idioten? Spielt Ihr etwa für Idioten? Aber nehmen wir einmal an, meine gute Freundin – Sie haben mir erlaubt, Sie so zu nennen –, nehmen wir an, ein gewisser Salon, den wir beide gut kennen, wäre so eingerichtet, wie ich es mir wünsche; nehmen wir an, Fanny spielt gerade eine Partie mit dem Speisemeister Ihrer Hoheit, ich stehe hinter dem Herrn Speisemeister, und während Fanny ganz mit ihrem Spiel beschäftigt ist und ich mit meinen Gefühlen, entgleitet mir die Broschüre, die ich in Händen halte, ich lasse langsam meine Arme sinken, zärtlich wendet sich ihr mein Kopf zu und alle meine Handlungen sind auf sie gerichtet. Wie weit müsste ein Zuschauer entfernt sein, um sich täuschen zu können? Dergestalt muss die Gestik auf der Bühne sein: kraftvoll und echt. Es darf nicht nur mit dem Gesicht gespielt werden, sondern mit dem gesamten Körper. Hält man sich peinlich genau an bestimmte Stellungen, dann opfert man das Gesamtbild der Darsteller und den Gesamteindruck, den sie vermitteln sollen, einem kleinen und vorübergehenden Vorteil. Stellen Sie sich einen Vater vor, der inmitten seiner Kinder stirbt, oder eine beliebige andere Szene...


C. Bernd Sucher, seit 1997 Professor für Theater und Filmkritik an der Hochschule für Film und Fernsehen in München, gehört zu den profiliertesten deutschsprachigen Publizisten auf dem Gebiet des Theater- und Operngeschehens.


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