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E-Book, Deutsch, Band 2821, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Sturlese Die Philosophie im Mittelalter

Von Boethius bis Cusanus

E-Book, Deutsch, Band 2821, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-64635-5
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Philosophie im Mittelalter (500–1450) umfasst etwa tausend Jahre Reflexion in unzähligen Texten und in den unterschiedlichsten Sprachen (Latein, Griechisch, Arabisch, Persisch, Hebräisch und später in den volkssprachlichen Idiomen wie Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch und Katalanisch). In diesen Jahrhunderten trieb man Philosophie als Trost und Lebenslehre, als rationale Naturforschung, als Liebe zur Wahrheit, als Wissen um Jesus den Gekreuzigten, als orthodoxe Theologie, als mönchische Lebensführung oder als Kunst der okkulten Wissenschaften. Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, versucht dieser Band, seinen Gegenstand nicht theoretisch-beurteilend, sondern historisch-deskriptiv zu erfassen.
Dieses Buch nimmt Abstand vom Bild des Mittelalters als einer dogmatischen Zeit, in der unter strenger Aufsicht der Kirche nur einige systematische 'Denkkathedralen' in blinder Gläubigkeit an die Autorität des Aristoteles errichtet wurden. Mit Blick auf die philosophischen Entwicklungen in den byzantinischen, islamischen, lateinischen und jüdischen Kulturgebieten des Mittelalters registriert diese Philosophiegeschichte eine explosionsartige Zersplitterung ihres Gegenstandes und zugleich eine fortschreitende Vermehrung der philosophischen Sprachen, die zu einer radikalen Erweiterung des geographischen Raums der Philosophie im Mittelalter führte.
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1;Cover;1
2;Zum Buch
;2
3;Über den Autor
;2
4;Titel;3
5;Inhalt;5
6;Impressum;4
7;Zur Einführung
;7
8;I. Ravenna oder Alexandria? Philosophie auf Griechisch und Latein im 6.– 8. Jahrhundert;10
8.1;1. Von Athen nach Byzanz: Die Schulen im Osten;11
8.2;2. Der lateinische Westen: Ravenna, Sevilla und Jarrow;17
9;II. Die Verbreitung des Islams: das Arabische als dritte Sprache der Philosophie. Das 9.– 10.Jahrhundert;20
9.1;1. Die arabische Philosophie im Osten: Bagdad und Basra;21
9.2;2. Die Philosophie im Westen: Diskussionen am kaiserlichen Hof;28
10;III. Persische Ärzte und lateinische Benediktineräbte. Das 11. Jahrhundert;33
10.1;1. Philosophen zwischen Buchara, Nishapur und Saragossa;34
10.2;2. Philosophie und Antiphilosophie im Okzident;40
11;IV. Eine Renaissance in der lateinischen Welt? Das 12. Jahrhundert;46
11.1;1. Blüte und Krise der intellektuellen Eliten in al-Andalus;46
11.2;2. Grenzregionen: Die Übersetzungen;51
11.3;3. Die Schulen Frankreichs;54
12;V. Die Lateiner und das heidnische Wissen. Das 13.Jahrhundert;61
12.1;1. Die Philosophie an den Universitäten;62
12.2;2. Philosophische Landschaften: Paris;64
12.3;3. Philosophische Landschaften: England;77
12.4;4. Peripherie des Wissens: Byzanz, Neapel, Mallorca, Köln;81
13;VI. Die Lateiner unter sich. Das 14.Jahrhundert;88
13.1;1. Der «Weg der Modernen»;89
13.2;2. Der «philosophische Duft» von Paris;94
13.3;3. «Göttliche Menschen» in Deutschland;98
13.4;4. Griechische, arabische und hebräische Diskussionen;103
13.5;5. Die Städte Italiens und die Anfänge der humanistischen Bewegung;108
14;VII. Ausblick. Das 15. Jahrhundert;113
14.1;Nachbemerkung;120
14.2;Weiterführende Literatur;120
14.3;Namenregister;123


I. Ravenna oder Alexandria?
Philosophie auf Griechisch und Latein
im 6.–8. Jahrhundert
Fast jede mittelalterliche Philosophiegeschichte beginnt mit dem Namen des Boethius, «des letzten Römers und des ersten Scholastikers». Hierfür gibt es Gründe. Boethius ist gewiss im Jahrhundert nach dem Kollaps des Weströmischen Reiches der erste Autor auf dem lateinischsprachigen Gebiet, der den Anspruch auf den Titel eines Philosophen erheben kann. Er ist der erste und auch der einzige. Seine Gestalt, die uns isoliert aus den Trümmern der Tempel, der Schulen und der Bibliotheken der Antike entgegentritt, kann wohl durch ihre würdevolle Tragik den Beginn der neuen, um das Jahr 500 ansetzenden Epoche symbolisieren. Im Werk dieses gelehrten Sprösslings der alten römischen Aristokratie, der mit dem Gotenkönig Theoderich politisch kollaborierte, mit ihm später in Konflikt geriet und schließlich wegen Hochverrats angeklagt und grausam exekutiert wurde, geht es um Motive und Probleme, die für die spätere Scholastik wichtig waren. Sein unausgeführt gebliebenes Projekt, das Gesamtwerk von Platon und von Aristoteles ins Lateinische zu übersetzen, war für das ganze folgende Jahrtausend richtungsweisend. Sein Trost der Philosophie blieb weit über die Renaissance hinaus eine beliebte philosophische Lektüre. Aber trotzdem stellt sich die Frage: Ist wirklich Boethius der erste und einzige Philosoph seines Jahrhunderts? Läuft man nicht Gefahr, das Bild der Philosophie am Anfang des Mittelalters zu verzerren, wenn man in den Mittelpunkt des Beobachtungshorizonts das lateinische Abendland – Ravenna, Rom, Pavia – stellt? 1. Von Athen nach Byzanz:
Die Schulen im Osten
Die Faszination, die diese tragische Gestalt ausstrahlt, hat tatsächlich die Historiographie zu einer ziemlich trügerischen Vorstellung der Dinge geführt. Boethius war nicht der einzige Gelehrte seiner Zeit. Es gab eine respektable Gruppe von Zeitgenossen, die Philosophen waren. Vor allem aber gab es sogar mehrere Stätten, wo man im 6. Jahrhundert Philosophie studierte und wo man philosophische Texte produzierte. Nur: Um sie sehen zu können, muss man den Fokus der Aufmerksamkeit sehr, sehr weit vom Ravenna und Pavia des Boethius weg verschieben, und zwar nach Osten – nach Konstantinopel, nach Ägypten, nach Syrien und in das persische Morgenland. Denn während im Westen die sukzessiven Wellen der Völkerwanderungen nur eine kulturelle Wüste hinter sich gelassen hatten, funktionierten im Osten die alten höheren Bildungsanstalten und Akademien noch recht gut. In Konstantinopel bestand eine kaiserliche Akademie, deren Gründungsurkunde auf Konstantin zurückging (330) und in der auch offiziell ein Professor für Philosophie lehrte. In Gaza blühte eine Rhetorikschule. In Nisibis lehrten die Professoren der berühmten Schule von Edessa. Sie waren dorthin umgesiedelt worden, nachdem diese 489 auf Befehl von Kaiser Zeno geschlossen worden war. Im Westsyrien, in Qennesre, studierte man Aristotelische Texte. Um 553 in Gundishapur in Mesopotamien wurde von dem Kaiser und Philosophen Kosroes I. eine Akademie gegründet. Bis zum Jahr 529 bestand ferner die Platonische Akademie in Athen, und Boethius selbst hatte wahrscheinlich in den Schulen von Alexandria studiert. Am Anfang des Jahrhunderts war das philosophische Panorama noch von den beiden großen traditionsreichen Schulen von Athen und Alexandria geprägt, in denen man den alten Studiengang pflegte: Trivium und Quadruvium, anfangs Logik und Aristotelische Philosophie und Wissenschaft, sodann Mathematik und schließlich – die Geheimnisse der Philosophie Platons. Beide Schulen stimmten in einem gemeinsamen Verständnis vom Philosophieren und von Philosophieunterricht überein. Die Professoren übten Philosophie als hohe Kunst subtiler Deutung und Vertiefung von Schriften der Großen der Antike. Die Devise in Alexandria und Athen, die tongebend auch für das ganze Unterrichtssystem des Ostens war, lautete: Philosophie heißt – Kommentieren. Die meisten Werke aus beiden Akademien, die uns erhalten geblieben sind, betreffen tatsächlich Kommentare zu Aristoteles und Platon. Aus Alexandria kommen zahlreiche, vorwiegend der Logik des Aristoteles gewidmete Kommentare von den berühmten Professoren Ammonios Hermeiou, Olympiodoros, Helias, David dem Armenier, Stephan von Alexandria. Kommentare zum Organon schrieben auch die Vertreter der neuen, in Syrien und Persien entstehenden Schulen (Edessa, Nisibis und Qennesre), Proba, Sylvan von Qardu, Henanisho, Sergios von Resh‘ayna, Severos Sebokt, Georgios und der am Hof Kosroes’ I. tätige Paulus Persa. Auch in der Platonischen Akademie zu Athen untersuchte und kommentierte man die Texte der Antike, und zwar nicht nur diejenigen Platons, sondern auch die des Aristoteles. Man relativierte die Aristotelische Weltdeutung auf die physikalische Welt der sinnlichen Erfahrung und suchte bei dem späteren Platon nach den Gesetzen einer Ontologie der intelligiblen Welt. Dies war der Ansatz des prestigeträchtigen Philosophen und Akademieleiters Proklos gewesen. Nach seinem Tod (485) ging die Leitung der Akademie an Marinos, dann an Isidor von Alexandria und schließlich (um 515) an Damaskios über. Des letzteren Vorlesungen zu den Platonischen Dialogen und zu Aristoteles stehen in der Nachfolge Proklos’. Dies tun auch die Zweifel und Lösungen über die ersten Prinzipien, in denen Damaskios die erste Hypothese des Parmenides weiterentwickelte, indem er die Grundlagen des Hervorfließens des Weltalls als das «Unsagbare», das «Eine», die «reine Vielfalt» und das «Vereinigte» bestimmte und das Hervorfließen selbst als das Resultat Proklischer triadischer Bewegungen («moné»: «Verharren», «próodos»: «Hervorgehen», «epistrophé»: «Rückkehr») deutete. In diesen durch die Unterordnung des Aristoteles unter Platon realisierten Eintracht spiegelt sich eine spätantike Tradition wider, die das ganze Mittelalter hindurch bis in die Renaissance lebendig blieb. Proklos war der Bezugspunkt für die meisten philosophischen Diskussionen, die sich am Anfang des 6. Jahrhunderts abspielten. Im schroffen Gegensatz zu ihm entstand das philosophische Projekt des Philoponos; als eine Weiterführung von Proklos lässt sich das Unternehmen des Dionysios pseudo-Areopagites interpretieren. Johannes Philoponos arbeitete in Alexandria als Professor für Philologie (daher der Beiname «Grammaticus»). Er schrieb jahrelang Aristoteles-Kommentare im Sinne des mit dem Stagiriten harmonisierenden Christentums seines Lehrers Ammonios Hermeiou, dann um 529 schlug er einen ganz radikalen antiklassischen Weg ein. Das Manifest seiner neuen kompromisslosen Haltung dem griechischen Denken gegenüber ist der Traktat Über die Ewigkeit der Welt gegen Proklos, dem er sofort ein Gegen Aristoteles folgen ließ. In diesen und weiteren Werken bestritt Philoponos die Legitimität einer Identifizierung des christlichen Gottes mit dem Ersten Beweger und mit dem Unsagbaren Einen. Indem er die Lehre von der Ewigkeit der Welt argumentativ angriff, wiederholte er eine Polemik, die andere christliche Denker führten, wie Aeneas von Gaza im Theophrastus, Zacharias im Ammonius und Prokopius von Gaza in seinem Genesiskommentar. Aber viel mehr als seine Mitstreiter lenkte Philoponos mit einem scharfem Blick die Aufmerksamkeit auf die vielen Schwierigkeiten der Aristotelischen Physik und stellte allgemein anerkannte Lehren in Frage wie die Erklärung der Bewegung der Geschosse, die Verneinung der Leere und die Existenz einer besonderen Materie des Himmels. In Die Fabrik der Welt verwarf er die Lehre von der Beseeltheit der Himmelskörper und schrieb ihnen eine Art Inertialbewegung zu. Tausend Jahre danach kamen seine Schriften erneut ins Zentrum der wissenschaftlichen Debatte und spielten eine nicht unerhebliche Rolle bei der Entstehung der neuzeitlichen Physik. Im Schatten des Proklos stand der bisher unbekannt gebliebene syrische Monophysit, der als «Dionysios Presbyteros» ein geschlossenes Corpus theologisch-philosophischer Schriften signierte, das im Jahr 533 bereits dokumentiert ist. Dieses Corpus besteht aus vier Traktaten und zehn Briefen. In den Briefen erwähnt der Verfasser Fakten aus der Apostolischen Zeit, eine Selbstidentifizierung mit dem Philosophen Dionysios suggerierend, der nach Paulus’ Rede auf dem Aeropag in Athen zum Christentum übertrat. Die Identifizierung wurde in der Renaissance in Frage gestellt, seine Schriften genossen jedoch im Mittelalter noch eine unbestrittene Autorität. Dass es sich um einen Dionysios pseudo-Areopagites handelte, zeigen die vielen eindeutigen Zitate aus Proklos im 5. Kapitel des Traktats Über die göttlichen Namen. Wohlgemerkt, Dionysios war ein Christ und vertrat Trinität und Kreationismus, aber besonders in der genannten Schrift artikulierte er eine Theologie, die an Platons Parmenides erinnert. Die Schrift, so Dionysios, nennt Gott mit Namen, die eindeutig nur eine symbolische Bedeutung haben («Stein», «Löwe»), und auch mit solchen, die dem Bereich des Intelligiblen angehören, wie etwa «Güte», «Licht», «Schönheit», «Liebe», «Sein»,...


Loris Sturlese ist Professor für Geschichte der mittelalterlichen Philosophie an der Università del Salento (Lecce) und Präsident der Société Internationale pour l’Étude de la Philosophie Médiévale.


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