Grundlagen, Formen der Allgemeinanästhesie, Lokal- und Regionalanästhesie, Besonderheiten, Narkoseprobleme
E-Book, Deutsch, 1792 Seiten
ISBN: 978-3-13-242481-4
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Ärzte
Autoren/Hrsg.
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1 Allgemeine Bemerkungen
1.1 Ziele der Anästhesie
Anästhesie („An-Ästhesie“) bedeutet Empfindungslosigkeit, also das Fehlen sämtlicher Wahrnehmungen. Anstatt von Anästhesie wird oft auch von Narkose gesprochen. Der Begriff Narkose stammt von dem altgriechischen Wort „nárkosi“ (= In-Schlaf-Versetzen) ab. Ziel jeder Vollnarkose (Allgemeinanästhesie) muss es sein, den Patienten vorübergehend in einen Zustand zu versetzen, in dem eine Operation sowohl für den Patienten als auch für den Operateur optimal durchgeführt werden kann. Optimal für den Patienten bedeutet: Bewusstlosigkeit Schmerzfreiheit (Analgesie) Dämpfung vegetativer Reflexe Optimal für den Operateur bedeutet, dass er einen guten Zugang zum Operationsgebiet (z.B. Bauchraum) hat, d.h., es muss auch eine Muskelerschlaffung (Relaxation) gewährleistet sein. 1846 wurde erstmals Ether erfolgreich für eine Operation eingesetzt. In der Folgezeit kam es zu einem stürmischen Fortschritt in der Narkosetechnik. Die Apparaturen zur Etherverabreichung wurden verbessert und sicherer. Neue Narkosemedikamente und neue Narkosetechniken wurden entdeckt. Erst die Möglichkeit zur Narkose erlaubte die Ausweitung der Chirurgie. Heute können Operationen fast unbegrenzter Dauer durchgeführt werden. Operationszeiten von bis zu 10 Stunden sind keine Seltenheit mehr. Ein Patient, der sich heute einer Operation in Allgemeinanästhesie unterziehen muss, kann sicher sein, dass er während der Operation nichts wahrnimmt. 1.2 Aufgaben des Anästhesisten
Die ursprünglichste und wichtigste Aufgabe des Anästhesisten ist die Schaffung eines schmerzfreien Zustands, in dem z.B. Operationen sowie diagnostische oder therapeutische Maßnahmen vorgenommen werden können. Dies kann mithilfe einer Vollnarkose (Allgemeinanästhesie), in bestimmten Fällen auch mithilfe einer Lokal- oder Regionalanästhesie erreicht werden. Der Anästhesist ist für die Durchführung dieser Anästhesien sowie deren Überwachung verantwortlich. Eine Anästhesie stellt „ihrer Natur nach einen schwerwiegenden Eingriff dar, der sowohl das theoretische Wissen als auch die praktischen Erfahrungen des Arztes erfordert“ ? [7]. Eine Narkose darf nur von einem Facharzt für Anästhesie oder einem Arzt mit entsprechend fortgeschrittenem Ausbildungsstand unter unmittelbarer Aufsicht eines Facharztes (Blick- oder Rufkontakt) durchgeführt werden (sog. Facharztstandard) ? [7]. Die Durchführung eines Anästhesieverfahrens kann nicht an das Krankenpflegepersonal oder sonstiges ärztliches Hilfspersonal zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Durchführung delegiert werden ( ? [7]; ? [1]). Eine routinemäßige Anordnung paralleler Anästhesieverfahren (d.h., ein Anästhesist ist gleichzeitig für mehrere Narkosen verantwortlich) ist unzulässig ? [7]. Neben der Durchführung von Anästhesien untersteht auch die postoperative Weiterbetreuung von schwer kranken Patienten auf einer operativen Intensivstation zumeist der Anästhesieabteilung. Eine weitere Aufgabe des Anästhesisten ist die Notfallmedizin, die Wiederbelebung des Herz-Kreislauf- und Atmungssystems (kardiopulmonale Reanimation) und die anschließende Stabilisierung dieser lebensnotwendigen (vitalen) Systeme. Diese Aufgabe muss vom Anästhesisten nicht nur bei einem evtl. Zwischenfall im Operationssaal, sondern in vielen Krankenhäusern auch bei einer evtl. notwendig werdenden Reanimation von Neugeborenen im Kreißsaal, bei der Aufnahme schwer verletzter Patienten in die Notaufnahme eines Krankenhauses, bei einem Notfall auf einer Krankenstation sowie im Notarztdienst wahrgenommen werden. Ein weiterer Betätigungsbereich des Anästhesisten ist die Schmerztherapie bei stationären Patienten mit akuten (v.a. postoperativen) Schmerzen oder mit schwer therapierbaren chronischen (v.a. tumorbedingten) Schmerzzuständen. Hierzu verfügen viele Anästhesieabteilungen über einen sog. akuten Schmerzdienst („acute pain service“). In vielen großen Kliniken wurden inzwischen Schmerzambulanzen eingerichtet, die zumeist von der Anästhesieabteilung geführt werden. 1.3 Geschichte der Allgemeinanästhesie
In ? Tab. 1.1 sind wichtige Meilensteine der Geschichte der Allgemeinanästhesie zusammengestellt. Tab. 1.1 Meilensteine in der Geschichte der Allgemeinanästhesie. Jahr Ereignis 1773 Joseph Priestley synthetisiert Lachgas 1774 Joseph Priestley isoliert Sauerstoff 1806 Friedrich Wilhelm Adam Sertürner (Apothekergehilfe in Neuhaus, heute Stadtteil von Paderborn) isoliert eine schlaferzeugende Substanz aus Opium, die er später (nach Morpheus, dem griechischen Gott des Schlafes) als Morphium bezeichnet (später war Sertürner Apothekenbesitzer in Einbeck, danach in Hameln) 1846 erste publizierte Ethernarkose durch William Thomas Green Morton am Massachusetts General Hospital in Boston 1847 Einführung von Chloroform als neues Anästhetikum 1868 erste Intubationsnarkose über eine Tracheotomiekanüle durch Friedrich Trendelenburg 1880 Erstbeschreibung der orotrachealen Intubation durch William Maceven 1890 Einführung einer speziellen Gesichtsmaske zur Etherverabreichung durch Curt Schimmelbusch (Schimmelbusch-Maske) 1911 Erscheinen des Buches „Die perorale Intubation“ 1920 Beschreibung der Tiefe einer Ethernarkose anhand verschiedener Narkosestadien durch Arthur Ernest Guedel (Guedel-Schema) 1922 Erscheinen der ersten Anästhesiezeitschrift „Current Researches in Anesthesia and Analgesia“ (heute: „Anesthesia and Analgesia“) 1932 Einführung des Induktionshypnotikums Evipan durch Helmut Weese 1934 Einführung des Induktionshypnotikums Thiopental durch John Silas Lundy 1942 Einführung von D-Tubocurarin durch Harold Randall Griffith und Gladys Enid Johnson 1943 Beschreibung des gebogenen Laryngoskopspatels durch Sir Robert Macintosh (Macintosh-Spatel) 1949 Einführung von Succinylcholin 1952 Erscheinen der Zeitschrift „Der Anästhesist“ 1953 Gründung...