Streisand | Hätt' ich ein Kind | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Streisand Hätt' ich ein Kind

Roman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2734-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Sie werden keine Kinder bekommen.' Lea Streisands mutiger Roman erzählt tabulos davon, wie es ist, ein Kind zu wollen, aber keines zu bekommen.
Kathi und Effi sind seit Ewigkeiten beste Freundinnen. Beide wollen Kinder. Doch mit Mitte 30 geht der Wunsch nicht mehr so leicht in Erfüllung: Kathi erfährt, dass sie unfruchtbar ist. Also Adoption: In den kommenden zwei Jahren ziehen Kathi und ihr Mann sich vor den Familienbehörden bis auf die Unterhosen aus, füllen Papierberge aus und erdulden VHS-Kurse – und Effi wird tatsächlich schwanger. Sie kämpft in der Folge gegen übergriffige Ratschläge, die eigenen Übelkeitsattacken und die ständige Sorge um das Ungeborene. Und Kathi wartet immer noch auf den Anruf, der sie zur Mutter macht.Eine Freundschaft durch dick und dünn, vom Jugendamt bis in den Kreißsaal. Falls irgendwer noch dachte, Familie wäre privat: Dieser Roman zeigt das Gegenteil.
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1
»Sie werden keine Kinder bekommen.« Praxis für Fertilitätsmedizin. Großzügiges Behandlungszimmer, helles Holz, Kunstdrucke an den Wänden. Der Satz glitt durch die Luft wie ein geschliffenes Messer, direkt in mich hinein. Die Worte durchbohrten meine Ohren, drangen in meinen Kopf, mein Mund schmeckte Metall, mein Atem stockte, mein Magen krampfte sich zusammen – mein nutzloser Bauch, der nicht fähig war, ein Kind auszutragen. Die Ärztin sah mich über die Breite ihres gigantischen Schreibtisches hinweg an. Sie war so alt wie ich. Mitte/Ende dreißig. Ihre Augen schwammen hinter runden Brillengläsern. Fang jetzt bloß nicht an zu heulen, dachte ich. »Nicht mit den Methoden, die wir hier anwenden können«, fügte sie hinzu und erzählte von Eizellenspenden, die in Deutschland illegal seien. David und ich schüttelten gleichzeitig den Kopf. Mit solchem Quatsch wollten wir gar nicht erst anfangen. Ich weinte nur kurz. Als wir die Kinderwunschpraxis verließen, fiel draußen der erste Schnee. Es war kurz vor Weihnachten. »Dann Adoption«, sagte ich, als wir auf die Straße traten. Ich wollte das so nicht auf mir sitzen lassen. Ich wollte etwas tun, die Fäden in der Hand behalten. Heiligabend würde ich der kugelrunden Frau meines Cousins im flackernden Schein der Christbaumkerzen gegenübersitzen. Ich wollte eine Antwort auf die Frage haben, die das ganze Fest über wie ein Fallbeil über mir schweben würde. Wann es denn bei uns so weit wäre. David und ich seien doch schon so lange zusammen. Die Frau meines Cousins erwartete ihr drittes Kind. Wir nannten sie heimlich nur noch »die Maschine«. »Können wir bitte erst mal nach Hause fahren!«, murmelte David auf der Straße im Schnee. Er sah müde aus. Ich wurde wütend. »Deine Schuld ist es ja nicht«, schimpfte ich, wobei ich lauter wurde. »Deine Truppen sind gut aufgestellt.« Das hatte der Urologe in Lichtenberg gesagt, bei dem David sein Sperma hatte testen lassen. Dreimal musste er hin, weil beim ersten Mal irgendwelche Geräte ausgefallen waren und beim zweiten Mal seine Spende verloren ging. Weg. Vom Erdboden verschluckt. Versickert. Gestohlen. »Entweder war’s so schlecht, dass sie es für wissenschaftliche Studien im Labor behalten haben«, spekulierte meine Freundin Effi. »Oder von so herausragender Qualität, dass sie es direkt verkauft haben. Meistbietend. In die USA. Oder nach Prenzlauer Berg.« David und ich wollten seit Jahren ein Kind. Also ich wollte ein Kind, und er wollte mich, deshalb wollte er mir meinen Wunsch erfüllen. Aber es klappte einfach nicht. Ich wurde nicht schwanger. »Probieren Sie es erst mal so«, hatte Frau Doktor Fuchs gesagt, meine Gynäkologin, eine Frau wie ein Kugelblitz, eins fünfzig, Hackenschuhe, Turmfrisur, undefinierbares Alter, die die Angewohnheit hatte, ihre Patientinnen abwechselnd zu duzen und zu siezen. Je nachdem, wie intim es gerade war. Meine Mutter ging zu ihr, meine Tante Regine, ich selbst, schon meine Großmutter war bei ihr in Behandlung gewesen. »Dit wird schon«, hatte Frau Doktor Fuchs gesagt und meine Wade getätschelt, während sie mich zwischen meinen Knien hindurch ansah. »Soll ja ooch Spaß machen, dit Unternehmen hier.« Sie nickte in Richtung ihrer Arbeitsstelle und nahm ihr Besteck zur Hand. »Jetzt probierta erst mal ’n Jahr.« Sie beförderte den Abstrich in die Petrischale. »Und denn sehn wa weiter.« Also probierten wir. In allen erdenklichen Positionen. Waschmaschine, Spülmaschine, Dielenboden. Mein Bauch blieb flach. »Ihr müsst mal in Urlaub fahren«, empfahl meine Mutter. Wir fuhren. Sommerurlaub, Winterurlaub, Wochenendurlaub. Nichts half. »Andere Frauen gehen nur mal hintern Busch, um zu pinkeln, und kommen schwanger wieder raus«, beschwerte ich mich bei Effi. »Nur bei mir klappt das nicht.« Ich ging wieder zu Frau Doktor Fuchs. »So«, sagte sie und trocknete sich die Hände ab. »Als Allererstes, bevor wir hier irgendwat starten, schicken wir mal den Mann zum Urologen. Ick mache den Job jetzt vierzig Jahre. Was glauben Sie, wie viele Frauen ick hier schon sonst was für Verrenkungen hab machen sehen, um ein Kind in die Welt zu setzen? Und am Ende hat der Mann einfach zu viel gesoffen, und die Spermien waren alle blau. Soll er erst mal zeigen, was er kann. Und denn sehn wa hier weiter.« Also ejakulierte David zu Hause in einen Plastikbecher, schraubte den Behälter zu, klemmte ihn sich vorsichtig in die Achselhöhle, damit es die Samenzellen schön warm hatten, und fuhr mit der U-Bahn nach Lichtenberg. »Die Truppen sind gut aufgestellt«, beschied ihm der Urologe nach dem im dritten Anlauf endlich erfolgten Spermiogramm, »und ausreichend Munition ist auch vorhanden.« David kam sich vor wie im Feldlazarett. »Der Arzt war sympathisch«, erzählte er mir später, »gar nicht feldwebelartig. Aber außer mir saßen da nur Anabolika-Boys im Wartezimmer. Denen kannst du nicht einfach sagen, ›Junge, du hast prima Sperma‹. Sonst denken die, du denkst, sie seien schwul. Dann lieber über Zeugungsfähigkeit reden wie über Ego-Shooter-Spiele, das ist unverfänglicher.« Seitdem nannte ich ihn »Sperminator«. Aber insgeheim war uns beiden auch schon vorher klar gewesen, dass nicht sein Körper das Problem sein würde, sondern meiner. »Vorzeitige Wechseljahre« hieß die Diagnose, mit der wir schließlich in die Kinderwunschpraxis gekommen waren. Vielleicht die Folge einer unentdeckten Geschlechtskrankheit. Genaueres wisse man nicht. »Kann es was mit einer Essstörung in der Vergangenheit zu tun haben?«, hatte ich gefragt, und die nette Ärztin mit dem Fachgebiet Reproduktionsmedizin hatte mich angelächelt: »Möglich ist alles. Sie sollten sich da nicht die Schuld geben.« Einen Monat lang hatte ich Hormone eingenommen. Doch meine müden Eierstöcke hatten nicht einmal gezuckt. Als hätte man Düngemittel auf verdorrte Pflanzen gekippt. Ich kam mir schmutzig vor. Ein Gefühl, das ich von früher kannte. »Hätte ich nur besser auf mich aufgepasst«, jammerte ich, als wir später zu Hause ankamen. »Hätte ich gesünder gelebt, weniger Sex mit ekligen Typen gehabt …« »Hätte, hätte, Fahrradkette«, erwiderte David und schloss die Wohnungstür auf. Wir wohnten seit drei Jahren zusammen. Für mich war gleich klar gewesen, dass er der Mann war, mit dem ich alt werden wollte. Er war der Erste, der mich wie einen Menschen behandelte. Ich war weder Prinzessin für ihn noch Fußabtreter, sondern eine Person, der er auf Augenhöhe begegnete. Er hatte Literaturwissenschaft studiert wie ich. Jetzt arbeitete er als Systemadministrator am Institut für Neuere und Neueste Geschichte. Wir sprachen dieselbe Sprache. Er hörte zu, er nahm mich ernst. »Vielleicht könntest du dann trotzdem nicht schwanger werden«, sagte er jetzt. »Du kannst nicht alles beeinflussen. Das solltest du doch wissen.« »Ich will aber!«, rief ich und stampfte mit dem Fuß auf wie das Rumpelstilzchen, wütend auf die Welt, das Schicksal, die Medizin, die uns auch nicht hatte helfen können. Die letzte Hoffnung der Hoffnungslosen. »So was darfst du nicht sagen«, sagte Effi, als ich ihr später am Telefon von meinem Scheitern berichtete. »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Das klappt schon. Ich kenne jemanden …« »Lass es!«, unterbrach ich sie. »Ich will’s nicht wissen. Ich kann keine Geschichten mehr hören über mirakulöse Schwangerschaften von Paaren, wo der Mann keine Hoden und die Frau keinen Unterleib hatte und die trotzdem eines schönen Tages gesunde Drillinge in die Welt setzten. Ohne jedes Zutun. Nachdem sie schon jede Hoffnung aufgegeben hatten. Einfach, indem sie sich entspannten. Ich will meine Hoffnung endlich begraben dürfen. Es ist zu anstrengend, sie am Leben zu halten, und eine Tortur für alle Beteiligten. Ich werde auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen. Das hat die Ärztin im Aquarium in aller Deutlichkeit gesagt. Jetzt versuche ich, mich damit abzufinden. Versuch du es bitte auch.« Im Wartezimmer der Praxis hatte ein riesiges Aquarium gestanden. David und ich hatten es fasziniert begutachtet. Daneben eine Trinkwasserzapfsäule und – groß wie ein Raumschiff – eine gigantische Espressomaschine. »Soll die Vermehrungsbehinderten vermutlich in Stimmung versetzen«, hatte ich gewitzelt, um die Stille zu übertönen. Die Maschine sah unberührt aus. Vermutlich wurde sie eher betrachtet als benutzt. Das Aquarium war fest verschlossen. »Damit niemand Espresso hineinkippt«, spottete David. »Als Optimierungsversuch. Fische auf Speed.« Ich trat an die Scheibe und sah mich Auge in Auge mit einem blau schillernden Kiementier. »Na, du Riesenspermium«, gurrte ich. Dann wurden wir aufgerufen. »Es tut mir leid, dass ich so deutlich werden muss«, sagte die Ärztin, »aber ich kann Ihnen nicht helfen. Es gibt auch nach der Hormontherapie keinerlei Aktivität in Ihren Eierstöcken....


Streisand, Lea
Lea Streisand, geboren 1979 in Berlin, studierte Neuere deutsche Literatur und Skandinavistik. Sie schreibt Kolumnen für die taz und hat eine wöchentliche Hörkolumne auf Radio Eins. Ihre Romane erscheinen bei Ullstein, zuletzt Hätt‘ ich ein Kind (2022). Im Wintersemester 2022/23 übernimmt Streisand die Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller an der Universität Paderborn, eine der traditionsreichsten Poetikdozenturen Deutschlands. Die Autorin lebt in ihrer Heimatstadt Berlin.

Lea Streisand, geboren 1979 in Berlin, studierte Neuere deutsche Literatur und Skandinavistik. Sie schreibt für die taz und hat eine wöchentliche Hörkolumne auf Radio Eins. "Hätt' ich ein Kind" ist der dritte Roman der Autorin, der bei Ullstein erscheint. Sie lebt mit Mann und Kind in ihrer Heimatstadt Berlin.


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