E-Book, Deutsch, 246 Seiten
Reihe: Sportpsychologie
ISBN: 978-3-8409-2262-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
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1;Inhaltsverzeichnis;7
2;Danksagung;8
3;Kapitel 1: Die Welt der Sportzuschauer;9
3.1;1 Einleitung;9
3.2;2 Beobachter, Zuschauer, Erscheinungsformen und Folgen;13
3.3;3 Schlussbemerkung;18
3.4;Literatur;19
4;Kapitel 2: Eine kurze Kulturgeschichte der Sportzuschauer;21
4.1;1 Sport erleben – theoretische Vorbemerkungen;21
4.2;2 Fans und Pilger in der griechischen Antike;23
4.3;3 Brot und Spiele;26
4.4;4 Ludi und circenses;27
4.5;5 Aufstand im Circus;29
4.6;6 Barbarisches und mittelalterliches Publikum;30
4.7;7 Turnierpublikum;31
4.8;8 Das Volk wird aktiv – vom Zuschauer zum Turner und Sportler;33
4.9;9 Olympische Spiele;37
4.10;10 Zuschauersport zwischen Animation und Konsum;39
4.11;Literatur;39
5;Kapitel 3: Erscheinungsformen von Sportzuschauernund ihre Organisation;42
5.1;1 Sportzuschauer zwischen Schaulust und Hingabe;42
5.2;2 Public Viewing – Gemeinschaftserlebnisse an Großleinwänden;46
5.3;3 Ultras – Selbstermächtigung und Vereinstreue;49
5.4;4 Medialisierung des Fantums;52
5.5;5 Nach dem Spiel ist vor dem Event;55
5.6;Literatur;57
6;Kapitel 4: Sportzuschauer in der Literatur;59
6.1;1 Einleitung;59
6.2;2 Anstoß: Sport und Literatur – Ambivalenz oder Allianz?;60
6.3;3 Beim Sport zugeschaut: Als Schriftsteller auf der Tribüne;61
6.4;4 Zuschauer seiner selbst: Sportliterarische Selbstversuche und Autobiografien;64
6.5;5 Seitenwechsel: Wie F.C. Delius als Zuhörer am Radio Weltmeister wurde;66
6.6;6 Bundesliga in Texten: Zur Dominanz der Fan-Literatur im Fußball;68
6.7;7 Abpfiff: Was bleibt?;70
6.8;Literatur;71
6.9;Quellen/Werke;71
7;Kapitel 5: Der Sportzuschauer aus ökonomischer Sicht;74
7.1;1 Einleitung;74
7.2;2 Thematische Beschränkungen und methodische Herausforderungen;76
7.3;3 Der Sportzuschauer als neoklassischer Konsument;77
7.4;4 Einfluss ökonomischer Faktoren;78
7.5;5 Einfluss sportspezifischer Produktmerkmale;79
7.6;6 Stadionbesuch und Fernsehkonsum;83
7.7;7 Herausforderungen der ökonomischen Analyse des Sportzuschauers;86
7.8;8 Fazit;88
7.9;Literatur;89
8;Kapitel 6: Zuschauer und Menschenansammlungen aus physikalischer Sicht;94
8.1;1 Einleitung;94
8.2;2 La Ola-Wellen;97
8.3;3 Panikverhalten;101
8.4;4 Applaus;105
8.5;5 Zusammenfassung;109
8.6;Literatur;109
9;Kapitel 7: Sportzuschauer aus medizinischer Sicht: physische und psychische Gesundheit;111
9.1;1 Einleitung;111
9.2;2 Physische Belastungen;113
9.3;3 Psychische Belastungen;114
9.4;4 Belastungsformen beim Sportzuschauer;114
9.5;5 Sportevents und gesundheitliche Folgen;116
9.6;6 Schlussbetrachtung;122
9.7;Literatur;122
10;Kapitel 8: Stimmung und Lebenszufriedenheit von Sportzuschauern;125
10.1;1 Stimmungsmanagement durch Sportrezeption;125
10.2;2 Stimmungseffekte durch Mit-Emotionen;128
10.3;3 Stimmungseffekte durch Spannung und Erregung;129
10.4;4 Stimmungseffekte durch Aggression;130
10.5;5 Stimmungseffekte durch Eskapismus und Involvement;131
10.6;6 Stimmungseffekte durch Identifikation und Fantum;132
10.7;7 Einfluss der Stimmung von Sportzuschauern auf die Beurteilung von Lebensumständen und Lebenszufriedenheit;133
10.8;8 Fazit;136
10.9;Literatur;137
11;Kapitel 9: Kognitionen von Sportzuschauern – Urteile, Ursachenzuschreibungen, Vorhersagen und Wetten;142
11.1;1 Einleitung;142
11.2;2 Soziale Kognitionen;144
11.3;3 Urteile;145
11.4;4 Ursachenzuschreibungen;151
11.5;5 Vorhersagen und Wetten;153
11.6;6 Fazit;158
11.7;Literatur;159
12;Kapitel 10: Medial dabei statt mittendrin? Sportzuschauer als Medienrezipienten;164
12.1;1 Einleitung;164
12.2;2 Attraktivität des Mediensports aus Rezipientenperspektive;165
12.3;3 Der Prozess der Medienzuwendung;170
12.4;4 Die Rezeption von Mediensport;171
12.5;5 Fazit;177
12.6;Literatur;178
13;Kapitel 11: Sportzuschauer und ihre Helden;182
13.1;1 Die Bedeutung von Stars;182
13.2;2 Ökonomische Aspekte der Bedeutung von Stars;184
13.3;3 Stars als Marken;186
13.4;4 Die Entstehung von Stars;187
13.5;5 Die Kultivierung von Stars;189
13.6;6 Fazit;191
13.7;Literatur;191
14;Kapitel 12: Einsatz der Polizei bei Sportveranstaltungen;195
14.1;1 Einleitung;195
14.2;2 Verantwortungsteilung zwischen Polizei und Sport;196
14.3;3 Verantwortung der Polizei;197
14.4;4 Verantwortung des Sports;210
14.5;Literatur;213
15;Kapitel 13: Zuschauergewalt im Fußball – Vorurteile und Diskriminierung: Hooligans, Ultras und Hooltras;216
15.1;1 Zur Geschichte der Gewalt im Umfeld von Fußballspielen;216
15.2;2 Schlachtenbummler – die Fans der 30er, 40er und 50er Jahre;218
15.3;3 Der Verein als (Über-)Lebensinhalt: Kuttenfans;220
15.4;4 „Hurra, wir leben!“ – Hooligans;220
15.5;5 Fußball ist unser Leben: Ultras und Supporter als Bewahrer der atmosphärischen Seele des Fußballs;225
15.6;6 Ordnungspolitische Folgerungen;236
15.7;Literatur;239
15.8;Internetquellen;241
16;Autorenverzeichnis;242
Eine kurze Kulturgeschichte der Sportzuschauer
Michael Krüger
Sport beinhaltet sowohl die eigene sportliche Aktivität als auch das Zuschauen beim Sport. Dies war im Prinzip schon immer so, aber in den verschiedenen historischen Epochen haben sich sowohl die aktiven als auch die passiven, konsumtiven Formen des Sporttreibens erheblich verändert. Nach knappen theoretischen Vorüberlegungen wird im Zeitraffer – von der Antike bis in die Gegenwart – dieses komplexe Verhältnis von Selbermachen und Zuschauen beschrieben und beleuchtet. Ein wichtiger Aspekt, der im Übrigen schon in der Frühzeit eine wichtige Rolle spielte, ist dabei die Vorbildwirkung, die vom aktiven Sport auf den Zuschauer erwartet oder erhofft wird. Im modernen olympischen Sport ist sie im 20. Jahrhundert zu einem pädagogischen Grundsatz erhoben worden.
1 Sport erleben – theoretische Vorbemerkungen
Der hohe Erlebniswert des Sports ist nicht nur ein wesentlicher Grund für die aktive Beteiligung am Sport, die seit dem Aufkommen und der Verbreitung des modernen Sports ständig zugenommen hat, wenn man den Statistiken Glauben schenken mag, sondern vor allem für das Zusehen und Konsumieren von Sport; angefangen beim direkten, unmittelbaren, authentischen Zuschauen, „Sport-Live“ sozusagen, bis hin zu den zahlreichen indirekten, vermittelten Formen des Sport-Erlebens über Zeitungen und andere Medien, heute auch das Internet. Auf dieses Merkmal postmoderner Kultur und Unterhaltung, in denen der Sport eine zentrale Rolle spielt, hat insbesondere Gerhard Schulze mit seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ (1992) hingewiesen. Über diese Medien kann das Sportereignis potenziert erlebt oder nacherlebt werden. Selbst wenn das erste Interesse an einem sportlichen Ereignis durch das Wissen über den Ausgang des Spiels oder eines Wettkampfs gelöst ist, bieten Presse, Funk, Fernsehen und Internet die Möglichkeit des gesteigerten Nacherlebens eines „Events“, das offensichtlich zusätzliche Erlebnisqualitäten bietet.
Viele Menschen wollen im Sport und beim Zusehen von sportlichen Wettkämpfen und Veranstaltungen etwas Aufregendes und Spannendes erleben. Warum gehen so viele Leute ins Stadion, wurde bekanntlich der legendäre Bundestrainer Sepp Herberger gefragt: „Weil se net wisse, wie’s ausgeht“, war seine lapidare Antwort. Das ist bestimmt richtig, aber auch nur die halbe Wahrheit, weil sich die Leute sogar immer noch für Sport interessieren, selbst wenn sie das Ergebnis schon kennen. Sie wollen die Spannung des offenen Ausgangs erleben, aber sie ergötzen sich auch an den „Dramen“, die sich im Sport abspielen und genießen die Leidenschaften, die sich in Spiel und Sport Bahn brechen; und dies selbst in medial aufbereiteten, häufig auch fiktiven und redundanten Formen. Im Sport können die Menschen, wie dies schon Aristoteles in seiner Theorie der antiken Tragödie geschrieben hatte, Helden siegen und verlieren, leben und auch sterben sehen; sei es, weil sie sich selbst und ihr Leben darin erkennen, oder auch, weil sie dort Spannungszustände und Abenteuer kennenlernen, denen sie sich nie selbst aussetzen würden, Leistungen bewundern können, zu denen sie nie fähig wären und Gefühle erleben, die in der Intensität, wie sie im Sport gespürt werden können, im normalen Leben nicht möglich sind.
Ob und inwiefern es tatsächlich zutrifft, dass Sportzuschauer wie im Theater eine „Katharsis“, eine Reinigung oder Läuterung, erfahren, wie dies Aristoteles behauptet hatte, sei dahin gestellt, fest steht jedoch, dass sportliche Schauspiele zu allen Zeiten von mehr oder weniger großen Massen von Zuschauern begeistert, mit viel Lust und Leidenschaft besucht werden.
Im Laufe der Geschichte haben sowohl Inhalte und Formen sportlich-athletischer Kämpfe und Wettkämpfe als auch die Kultur des Zusehens erhebliche Veränderungen erfahren, wie Allen Guttmann (1986) in seiner wegweisenden Geschichte der Sportzuschauer „Sports Spectators“ aufzeigte. Guttmanns Buch bildet daher eine wesentliche Grundlage dieses Beitrags. In den folgenden Ausführungen können, in annähernd chronologischer Ordnung, nur einige wenige und zugleich typische Elemente dieser Kulturgeschichte des Sportzuschauens behandelt werden. Sie stehen unter dem Leitgedanken des Soziologen und Historikers Norbert Elias, der in der Entwicklung des Sports den „Prozess der Zivilisation“ zu verdeutlichen versuchte und dabei die Sportzuschauer mit einbezog. Elias schreibt: „Die Kampfund Angriffslust findet z.B. einen gesellschaftlich erlaubten Ausdruck im sportlichen Wettkampf“, im „Prozess der Zivilisation“. „Und sie äußert sich vor allem im ‚Zusehen‘, etwa im Zusehen bei Boxkämpfen, in der tagtraumartigen Identifizierung mit einigen Wenigen, denen ein gemäßigter und genau geregelter Spielraum zur Entladung solcher Affekte gegeben wird. Und dieses Ausleben von Affekten im Zusehen oder selbst im bloßen Hören, etwa eines Radio-Berichts, ist ein besonders charakteristischer Zug der zivilisierten Gesellschaft. Er ist mitbestimmend für die Entwicklung von Buch und Theater, entscheidend für die Rolle des Kinos in unserer Welt.