E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Strachey Heiteres Wetter zur Hochzeit
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-908778-83-7
Verlag: Dörlemann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-908778-83-7
Verlag: Dörlemann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heiteres Wetter zur Hochzeit erschien erstmals 1932 in der
Hogarth Press bei Leonard und Virginia Woolf. Der kleine bitterböse
Roman ist auch heute ebenso erheiternd und scharfsinnig wie vor siebzig
Jahren: An ihrem Hochzeitstag wird einer junger Braut bewusst, dass sie
dabei ist, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen. Ein frischer
Märztag an der Küste von Dorset. Dolly ist im Begriff, den Ehrenwerten
Owen Bingham zu heiraten. Die Begegnung mit ihrem enttäuschten Verehrer, der es nicht geschafft hat, sie für sich zu gewinnen, schreckt die
Braut auf. Und Dolly wendet sich – geplagt von bösen Vorahnungen – einer Flasche Rum zu. Sie hofft, mit deren Unterstützung doch noch vor den
Altar treten zu können …
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II
Der lange Saal auf der Rückseite des Hauses der Thatchams, in dem die Familie für gewöhnlich saß, war um zwölf Uhr in strahlendes Sonnenlicht getaucht. Gleichzeitig war ein heulender Sturm aufgezogen, wie üblich, denn das Haus stand oben auf den Klippen. Die Hochzeit sollte um zwei Uhr stattfinden (die Kirche befand sich gleich hinter der Gartenmauer, was praktisch war). Sonnenlicht fiel in blendenden Rechtecken durch die Fenster auf die verblichenen Glyzinien der Cretonne-Sofas und -Sessel und ließ das auf Böcken stehende indische Messingtablett aufleuchten, auf dem sich Zeitschriften und Bibliotheksbücher stapelten. Den gelben Glanz reflektierten silberne Fotorahmen und maurische Brieföffner und die neben dem Klavier hängende weiß-braune serbische Stickerei. Das Licht des Kaminfeuers verblasste dagegen – die Flammen waren in all diesem Glanz kaum zu sehen. Mrs Thatcham hatte in diesem Raum immer eine große Zahl Topfpflanzen stehen, Narzissen, Fuchsien, Hortensien, Alpenveilchen. Heute stand auf einem Tisch in der Nähe des Feuers zusätzlich ein geballtes Gebirge aus Hyazinthen aller Art in Rosa, Rot und einem verwaschenen Mauve; durch das Fenster fiel stahlblaues Frühlingslicht, das jedes der schmalen wächsernen Blütenblätter schillern ließ. Auf dem Sofa lag der Länge nach ausgestreckt ein dreizehnjähriger Cousin der Braut – der schwarzhaarige Robert – und las in der Zeitschrift The Captain. Robert hatte Augen, die glänzten wie zwei ölig schwarze Backpflaumen, und die Gesichtsfarbe eines dunkelroten Pfirsichs. Vor der Treppe ging Tom, sein älterer Bruder, auf und ab, sein Schritt hatte etwas Wichtigtuerisches und irgendwie Unheimliches an sich. Tom war blond und hübsch anzusehen, aber nun quollen seine kobaltblauen Augen aus seinem Kopf wie die eines Ochsenfroschs. Beiden Jungen waren die Haare so glatt wie Satin gebürstet worden, und beide hatten sich umgezogen und trugen für die Hochzeit makellose schwarze Jacketts. »Robert.« Es war, als wäre plötzlich eine große Blase vom Boden eines dunklen Wasserbehälters emporgestiegen und an der Oberfläche dumpf und hohl zerplatzt – nichts an Toms schleichender Gestalt wies darauf hin, dass er es war, der gesprochen hatte. »Robert.« (Eine weitere Blase platzte dumpf und hohl.) »Robert. Robert.« Die ganze Zeit schlich Tom weiter hin und her. »Robert.« Jetzt kam das Wort leise von hinter der Sofalehne, wohin Tom, von seinem jüngeren Bruder unbemerkt, geschlichen war. »Robert«, wiederholte Tom. »Robert. Ich sage, Robert. Robert. Robert.« Tom beugte sich über die Sofalehne und sang leise, jedes Wort einzeln betonend, wie es Hypnotiseure tun: »DEINE MUTTER WÜRDE ZWEIFELLOS WOLLEN, DASS DU DICH NACH OBEN BEGIBST, ROBERT, ZUM ZWECKE, DIESE UNMÖGLICHEN SOCKEN ZU WECHSELN.« Der Patient zeigte kein Lebenszeichen. »WECHSLE DEINE SOCKEN, ROBERT. NUTZE DIE ABWESENHEIT DEINER MUTTER NICHT AUS, UM HIER DEN SCHURKEN ZU MARKIEREN, ROBERT.« Roberts schwarze Schuhe ragten über Kreuz über eine Armlehne des Sofas, und zwischen den Schuhen und der Hose enthüllte sich ein smaragdgrüner Schimmer. »Robert. Robert. Robert.« Robert warf The Captain auf den Boden, fuhr herum und schrie Tom an: »Halt endlich den Mund, blöder Idiot!« Seine Stimme war tränenerstickt. »Wer gibt dir das Recht, mich so zu quälen? Du bist ein teuflischer, verdammter Quälgeist! …« Er langte nach seiner Zeitschrift und las weiter. Eine Minute lang herrschte Schweigen. Dann sagte Tom munter: »Robert, deine Mutter würde wollen, dass du sofort nach oben gehst, um diese Kindersocken aus- und ordentliche anzuziehen, Robert. Gehst du jetzt, Robert?« »Was zum Teufel meinst du? Ich habe gerade ordentliche Socken angezogen!«, schrie Robert, fuchtelte mit der Zeitschrift vor seinem Gesicht herum und fügte hinzu: »Hau ab und steck deinen Kopf in eine Tüte.« Er schluckte und las weiter. »DAS SIND BEI EINER HOCHZEIT KEINE ANGEMESSENEN SOCKEN FÜR EINEN GENTLEMAN«, sagte Tom und beugte sich über das Sofa. »Hau ab und steck deinen Kopf in eine Tüte«, murmelte Robert. Tom entfernte sich langsam über den federnden Teppich. »Würdest du deine Mutter warten la–« »Jetzt hau endlich ab und steck deinen Kopf in eine Tüte!«, sagte Robert. In diesem Moment war von oberhalb der Treppe der schrille Schrei einer Frau zu hören. »Lily! Lauf schnell, Lily, los! Lauf schon! Lauf!« Jemand klapperte die Treppe herunter. »Lauf sofort ins Nähzimmer und sag Rose, dass sie die Brosche für mich suchen muss, ich brauche sie in fünf Minuten!« Kitty, Dollys jüngere Schwester, stürmte in den Saal. Sie war ein großes, kräftiges Mädchen von siebzehn Jahren; ihre Hände, die aus den zarten gelben Gaze-Ärmeln ihres Brautjungfernkleids hervorsahen, waren rot und geschwollen, vielleicht vor Kälte, und erinnerten an rohe Fleischstücke. Die kalte Haut von Kittys großem Gesicht war so dick mit Reispuder bedeckt und dann auch noch so stark mit Rouge, dass es beinahe aussah, als trüge sie eine Maske aus fliederfarbenem Löschpapier, mit roten Tintenflecken auf jeder Wange. »Oh, Tom, oje, oje, ich weiß, du denkst, dass ich in meinem Kleid und mit dem Blumenkranz vollkommen und unsagbar dumm und absolut entsetzlich und fürchterlich aussehe«, rief sie aus und ging zum Spiegel. »Überhaupt nicht. Im Gegenteil, ganz bezaubernd«, sagte Tom mit einer steifen Verbeugung. »Denkst du wohl! Wohl! Ich weiß es doch. Warum würdest du dich sonst so komisch verbeugen? LILY!«, schrie sie plötzlich laut. »Bring mir jetzt sofort diese Brosche! Alle sind schon umgezogen und zum Essen fertig!« Eine weit entfernte Stimme kam die Treppe heruntergesegelt: »Ich kann sie nicht finden, Miss …« »Kannst du wohl!«, donnerte Kitty. »Ich sage doch, geh zu Rose; sei nicht so eine Eule!« »Wirklich, Kitty, das ist ja nicht auszuhalten!«, sagte eine Stimme hinter der Tür zum Salon. »Kannst du nicht vielleicht hochgehen und dort mit ihnen reden?« Im Türrahmen erschien lächelnd eine adrette junge Dame. Es war die kleine Evelyn Graham, eine Schulkameradin und Busenfreundin der Braut. Über ihrem gelben Brautjungfernkleid trug sie eine graue Jacke aus Eichhörnchenfell, und ihr Gesicht steckte bis zu den Ohren in einem flauschigen Wollschal. Ihre schmalen grünen Augen tanzten und glänzten, und alle Farben des Regenbogens schienen sich in ihnen zu spiegeln. »B-r-r-r-r-r, ich bin mehr tot als lebendig!«, sagte sie mit Grausen in der Stimme und ging zum Kamin. Sie rieb ihre schmalen Hände schnell aneinander, kniete dann nieder und hielt sie über das Feuer. »Du bist wie ein eleganter kleiner Schmetterling«, sagte Kitty, die sie mit leidenschaftlichem Blick beobachtete und dabei die Kurbel des Grammofons drehte. »Ich wünschte, ich wäre so schick und intellektuell wie du! Du denkst bestimmt, ich sehe in meinem Brautjungfernkleid aus wie ein unbeholfenes großes dummköpfiges Nashorn, ich weiß es genau! Oh, bitte sag nichts dazu, bitte! Ich flehe dich an!« »Ach, so ein Unsinn, Liebes«, sagte Evelyn. »Wie es wohl erst wird, in dieser zugigen Kirche zu stehen! – Ohne Mantel! Mit einem triefend nassen Blumenstrauß in der Hand! Diese bizarren alten Bräuche sind letztlich kein Vergnügen.« »Bizarre alte … also … wirklich … Evelyn!«, sagte Kitty schockiert. »Wenn du selbst heiratest, wirst du schon sehen! Dann redest du ganz anders … du wirst eine ganz wunderbare Mutter, das weiß ich. Dolly auch – egal, was ihr beiden jetzt sagt …« »Ach, Liebes …«, sagte Evelyn. »Du meine Güte, was ist das denn?« Aus dem Schlund des Grammofons kam plötzlich ein metallisches Pfeifen, das anhielt und schließlich die Gestalt einer tändelnden kleinen Melodie annnahm. Gleichzeitig schienen in dem Gerät übelgelaunte Tiger zu fauchen und eine Hyäne leise zu lachen. Kitty zog ihr gelbes Gaze-Cape eng um die Hüften und schoss mal hierhin, mal dorthin und im Handumdrehen wieder zurück und so in einer Art Tanz durch den ganzen Saal, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. Der Tanz, den sie zum Besten gab, war offenbar eine Mischung aus einem schottischen Reel und einem verträumten Walzer, denn obwohl ihre Beine wie gespaltene Blitze über den Boden rasten, schien ihr sich gemächlich drehender Oberkörper beständig rundherum zu gleiten. »Um Himmels willen, hör auf, Kitty!«, rief Robert vom Sofa aus und starrte seine Cousine mit seinen glänzend braunen Kuhaugen an. »Mir wird ganz schwindelig!« »Lily!«, kreischte Kitty aus voller Kehle und stellte mit einem letzten Zucken das Grammofon ab. »Bring … mir … sofort … die … Brosche … runter!« Die drei anderen schrien auf und hielten sich die Ohren zu. Die Glastür zum Garten knarzte und flog auf. Ein gewaltiger Sturm raste durch den ganzen Raum. Vorhänge sprangen in die Höhe und beinahe von ihren Stangen. Unter der Türritze drang ein langer, anhaltender, durchdringender Klageton hindurch, der allen mit einem Gefühl dunkler Vorahnung das Herz in der Brust gefrieren ließ. Der große Teppich hob das Haupt und wellte sich wie eine wütende Seeschlange einmal sacht über die gesamte Länge. »Mille diables«, murmelte die kleine Evelyn,...