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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 498 Seiten

Reihe: Zeitgeschichte

Stolper Eichmanns Anwalt

Robert Servatius als Verteidiger in NS-Strafverfahren
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-45397-2
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Robert Servatius als Verteidiger in NS-Strafverfahren

E-Book, Deutsch, Band 3, 498 Seiten

Reihe: Zeitgeschichte

ISBN: 978-3-593-45397-2
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Kölner Rechtsanwalt Robert Servatius erlangte 1961 weltweite Bekanntheit: Er verteidigte im Prozess in Jerusalem Adolf Eichmann, der während des Zweiten Weltkriegs aus dem Berliner Reichssicherheitshauptamt die Deportation der europäischen Juden in die deutschen Vernichtungslager im östlichen Europa organisiert hatte. Dirk Stolper untersucht in seiner Studie nicht nur die Biografie und die öffentliche Wahrnehmung von Servatius, sondern beleuchtet insbesondere die von ihm entwickelten und angewandten Verteidigungsstrategien in NS-Prozessen zwischen 1945 und 1975 sowie deren Rezeption in der Öffentlichkeit. Das Buch leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der juristischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und den NS-Verbrechen, insbesondere der Rolle der Strafverteidiger in diesem Kontext.

Dirk Stolper ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
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2.Biografische Skizze


2.1Einleitende Bemerkungen zur Autobiografie


»Das unerhört interessante und wertvolle Buch über den Prozess werde ich nicht schreiben. Das sollen die Politiker tun, die Journalisten, Psychiater und ähnliche Leute, ich möchte Rechtsanwalt bleiben.«130

Diese Zeilen schrieb Robert Servatius während des Eichmann-Prozesses an den Publizisten und BND V-Mann Hans-Joachim Rechenberg. Dieser versuchte, zusammen mit dem Schweizer Bankier und Hitler-Verehrer François Genoud, den Rechtsanwalt finanziell bei der Verteidigung Eichmanns zu unterstützen. Im Kern ging es darum, Eichmanns Memoiren gewinnbringend zu vermarkten.131 Vor diesem Hintergrund fragte Rechenberg bei Servatius an, ob dieser nicht auch eine Veröffentlichung zum Prozess publizieren wolle. Der Anwalt lehnte dies strikt ab, wobei er hier den Publizisten anlog. Direkt nach dem Prozess in Jerusalem begann Servatius 1963 mit umfangreichen autobiografischen Aufzeichnungen, die er bis circa Ende der 1970er-Jahre weiterführte. Er fertigte drei verschiedene Versionen seiner Autobiografie an. Zunächst schien Servatius eine sehr umfangreiche Ausgabe in mehreren Bänden geplant zu haben. Er schrieb eine kompakte Version sowie einen Band, der sich nur auf den Eichmann-Prozess konzentriert. Nur dieser Teil der autobiografischen Aufzeichnung wurde von Servatius unter dem Titel »Verteidiger in Jerusalem« im Selbstverlag, wahrscheinlich in einer geringen Auflage, im Jahr 1979 publiziert.132

Mit seiner Autobiografie reiht sich der Kölner Rechtsanwalt in die Vielzahl von Publikationen anderer Anwälte ein, die ebenfalls die Gelegenheit wahrnahmen, über sich und ihre Teilnahme an prominenten Strafverfahren gegen ehemalige Nationalsozialisten zu berichten.133 Insgesamt hat Servatius etwa 1.300 Seiten zwischen 1963 und der Veröffentlichung von »Verteidiger in Jerusalem« 1979 geschrieben. Dabei sind im Bestand noch einzelne lose Blätter vorhanden, die kaum benutzbar waren und nur Fragmente oder Schreibversuche enthalten. Wie Bernhard Servatius, der Neffe Roberts, mitteilte, waren große Teile der Autobiografie nach dem Tod des Rechtsanwalts nicht mehr auffindbar und seien vermutlich vernichtet worden. Robert Servatius soll die Manuskriptseiten zerrissen und entsorgt haben.134 In der Tat sind Teile der Autobiografie in der Mitte durchgerissen und mussten zunächst zusammengefügt werden. Es ist anzunehmen, dass die Manuskripte nach dem Tod des Juristen von seiner Sekretärin gerettet und zusammen mit dem weiteren Nachlass an das Historische Archiv der Stadt Köln gegeben worden waren. Aufgrund der Tatsache, dass das NS-Dokumentationszentrum Köln Ego-Dokumente sammelt, gelangte die Autobiografie dorthin und war daher auch nicht vom Einsturz des Historischen Archivs 2009 betroffen.

Servatius plante zunächst eine kompakte Ausgabe seiner Memoiren mit dem Titel »Von Nürnberg nach Jerusalem«, die er 1963 in einer ersten Fassung geschrieben hatte.135 Dieser Teil beschäftigt sich mit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, wurde allerdings in zweierlei Hinsicht nicht vollendet: Einerseits hat Servatius seine Ausführungen zum IMT nicht beendet. Andererseits hatte er auch geplant, über die Nürnberger Nachfolgeprozesse, seine Tätigkeit in Luxemburg und über seine Verteidigung Eichmanns in Jerusalem zu schreiben.136 Erst drei Jahre später entschloss sich der Rechtsanwalt, einen Teil zu verfassen, der sich auch mit seiner Herkunft, Ausbildung, Kriegserlebnissen und dem IMT in Nürnberg beschäftigt.137 Außerdem ist ein erneuter Entwurf mit dem Titel »Mitgestritten – Mitgelitten« aus dem Jahr 1968 überliefert, der allerdings nur einen leicht abgewandelten Anfang zum IMT enthält.138

Bei Analyse des eigentlichen Inhalts fällt zunächst ins Auge, dass Servatius alles andere als ein herausragender Autor war. In zumeist sehr kurzen, abgehackten Sätzen schildert der Rechtsanwalt seinen jeweiligen Lebensabschnitt aus einer Ich-Perspektive. Die damaligen Ereignisse erzählt Servatius im Präsens, mit sehr vielen indirekten Reden. Daher ist es hier immer wichtig festzuhalten, dass er die eigentlichen Niederschriften erst in den 1960er-Jahren getätigt hat und sie so auch bewertet werden müssen. Der Kölner untermalt seine Ausführungen außerdem immer wieder mit Gedichten (zumeist die deutschen Klassiker Goethe, Schiller oder Heine) oder auch mit Auszügen aus alten Marschliedern – insbesondere bei seinen Schilderungen über das Kriegsgeschehen im Ersten und Zweiten Weltkrieg.

Eine zentrale Frage bei autobiografischen Schriften ist zunächst der Wahrheitsgehalt. In allen diesen Ego-Dokumenten steht neben einer Selbsterfahrung, Selbstauslegung und Verständigung mit anderen auch immer ein apologetisches Element.139 Es gibt mehrere Ebenen, auf denen eine autobiografische Quelle für den Historiker als Herausforderung gesehen werden muss. Die erste liegt in der Natur der Sache, dass der Autor aus einer bestimmten Intention heraus diese Aufzeichnungen tätigt. Bei Servatius ist dies mit großer Sicherheit aus einem Wunsch heraus entstanden, dem etwaigen Leser seine Sicht auf die Prozesse zu zeigen. So schreibt Servatius in einem Entwurf folgendes Vorwort:

»Das Wurmkraut der Selbstbeschuldigungen wird nicht gern genommen. Es nutzt auch nichts. Besser ist richtige Ernährung mit Wahrheitskost. Ein Blick in den juristischen Operationssaal zeigt das Leiden und zeigt die Operateure mit ihrer Kunst, ihren Kunstgriffen und Kunstfehlern. Ein lebendiges Praktikum über Brauch und Missbrauch politischer Macht.«140

Diesem Vorwort ist nicht nur die Präsentation einer »Wahrheit« zu entnehmen. Es ist auch eine politische Agenda zu erkennen. Es geht Servatius um die Darstellung politischer Macht und deren Missbrauch. Wie sich noch zeigen wird, sind hiermit nicht nur die Nationalsozialisten, sondern auch die Alliierten Besatzer und schlussendlich die Israelis gemeint. Eine weitere wichtige Ebene im Umgang mit der Autobiografie ist die Frage nach dem Wahrheitsgehalt. Jedes Studium mit dieser Art von Quelle ist gekennzeichnet mit folgender Aussage:141 »Fundamental challenges to the claim that life writing conveys the truth are contained in the concepts ›active memory‹ and ›partial truth‹: the writer’s view of his or her past is colored by the time and circumstances in which the text is written, and what is remembered will be selective.«142 Die Erinnerungen und damit auch die Darstellung in der Quelle sind durch die Zeit koloriert und verzerrt. Sie enthalten aber durchaus auch einen Wahrheitsgehalt.143 Insgesamt ist anzunehmen, dass die Erinnerungen des Verfassers nur selektiv vorhanden sind. Es ist daher ein zusätzlicher Glücksfall, dass im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Servatius umfangreiche Personalakte und eine Ermittlungsakte der Kölner Gestapo überliefert wurden. Diese Unterlagen können zumindest teilweise zum Abgleich von Informationen aus Servatius Leben dienen und stellen somit eine wichtige Ergänzung dar.

Wie bereits erwähnt wurde, veröffentlichte Servatius einen Teil seiner Aufzeichnungen im Jahr 1979. In diesem Jahr verkaufte er auch seine Unterlagen zum Eichmann-Prozess an das Bundesarchiv in Koblenz. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Servatius die Debatte um die Verjährung der nationalsozialistischen Verbrechen als Anlass sah,144 um einen Teil seiner Autobiografie zu veröffentlichen und seine Unterlagen der Forschung zur Verfügung zu stellen. In diesem Jahr unterschrieb der Kölner Jurist auch eine Proklamation der rechts gerichteten Deutschen National-Zeitung, die eine »Volksbewegung für Generalamnestie« forderte.145 Was auch nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die ebenfalls 1979 im deutschen Fernsehen ausgestrahlte Serie »Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss«, die den Diskurs über die Ermordung der europäischen Juden in der deutschen Bevölkerung enorm förderte...



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