Gabe zum 70. Geburtstag von Alois Epple
E-Book, Deutsch, 348 Seiten
ISBN: 978-3-7519-4665-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Markus Bauer, Neuburg a.d.Donau Impietas nostri seculi und Pietas christiana – zwei
Schabkunstblätter nach Vorlagen von Johann Baptist
Bergmüller
In den Sammlungsbeständen des Friedrichshafener Zeppelin Museums befindet sich ein vormals zur Kunstsammlung des ehemaligen Bodensee-Museums gehörendes kleines Ölgemälde mit der Bezeichnung „Allegorie der Weisheit“ (Abb.1). Es ist mit einer kurzen, etwas irreführenden Beschreibung im Katalog der Kunstsammlung des Bodensee-Museums aus dem Jahr 1957 aufgeführt.1 Die zugehörigeSignatur nennt den Augsburger Maler und Kupferstecher Johann Baptist Bergmüller (1724-85) als Künstler und 1769 als Jahr der Entstehung. Anhand zweier in der druckgrafischen Technik der Schabkunst ausgeführter Bilder lässt sich rekonstruieren, dass es ergänzend zu diesem bekannten Gemälde ein zweites Gemälde geben bzw. gegeben haben muss, das die allegorisch dargelegte Aussage zu einem Gesamtbild vervollständigt. DessenVerbleib ist mir allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt oder es ist indes ganz verloren. Die beiden Schabkunstblätter tragen die Bezeichnungen „Impietas nostri seculi“ und „Pietas christiana“(Abb. 2 u. 3). Sie zeigen diesen Bezeichnungen entsprechend zwei eindeutig als Paar zusammengehörige, sich thematisch aufeinander beziehende allegorische Darstellungen der Gottlosigkeit sowie der Frömmigkeit. Mit dem Gemälde „Allegorie der Weisheit“ lässt sich eine der Vorlagen, die für diese zwei Blätter benutzt wurden, konkret benennen, es handelt sich um jene für das Blatt „Pietas christiana“. Bei diesem hat sich der ausführende Schabkünstler äußerst genau an der Gemäldevorlage orientiert. Der direkte Vergleich zeigt nur kleinere, eher unwesentliche Unterschiede, auf die im nachfolgenden Beschreibungstext noch eingegangen wird. Ansonsten zeigt das Blatt eine im Übrigen häufig anzutreffende, durch die Übertragungstechnik bedingte, spiegelverkehrte Wiedergabe des Gemäldes, wobei die Maße von Gemälde (44 x 32cm) und Schabkunstblatt (ca. 42 x 33 cm) nahezu exakt übereinstimmen. Die Signatur „Bergmüller pinxit“ ist auf beiden Blättern identisch, sie bezeichnet eindeutig Johann Baptist Bergmüller als ausführenden Maler zweier dafür verwendeter, eindeutig gemalter Vorlagen. Die verhältnismäßig flüchtige Malweise des Gemäldes – mit Bergmüllers üblichen Unsicherheiten in der Anatomie seiner Figuren – lässt darauf schließen, dass es sich bei dem Gemälde um eine speziell für die Verwendung als Vorlage in der Druckgrafik angefertigte Ölskizze handelt. Schlussfolgernd lässt sich die Existenz des zweiten Gemäldes zweifelsfrei belegen. Die Schabkunstblätter ermöglichen es, das Gemälde „Allegorie der Weisheit“, das man folglich nun besser als „Allegorie der Frömmigkeit“ betiteln kann, in den ursprünglichen Bedeutungszusammenhang zu stellen. Zum richtigen Verständnis der dargestellten komplexen Thematik im Gemälde sowie auf beiden Schabkunstblättern tragen die Beschriftungen in den Darstellungen selbst sowie ganz wesentlich die neben den erwähnten Bezeichnungen in der Fußleiste der Schabkunstblätter zu findenden Erläuterungstexte bei. Bergmüller, der nicht nur als ausführender Maler, sondern auch als Entwerfer der Vorlagen zu vermuten ist, könnte die Erläuterungstexte selbst formuliert haben, jedoch können sie auch erst seitens des Verlages im Zuge der druckgrafischen Umsetzung verfasst worden sein. Aufgrund der existierenden, eindeutig datierten Gemäldevorlage können die Schabkunstblätter frühestens 1769 entstanden sein. Beide sind gleichlautend mit der Verlagsangabe „in Chalc. GottliebHeiissii sculps. et exc. Aug. Vind.“ versehen. Demzufolge sind sie im Augsburger Verlag des 1740 verstorbenen Kupferstechers Gottlieb Heiß, der nach seinem Tod unter Leitung seines Schwiegersohns Michael Schnell weiterbestand, angefertigt und verlegt worden.2 Ob dieser auch der ausführende Schabkünstler war, ist nicht angegeben. Johann Baptist Bergmüller war der Sohn Johann Georg Bergmüllers, des langjährigen, 1762 verstorbenen katholischen Direktors der Augsburger Reichsstätdischen Kunstakademie, bei dem er auch seine künstlerische Ausbildung erhielt.4 Er bediente sich ganz zeitgemäß der Sprache der Allegorien und Personifikationen für die figurenreiche bildliche Umsetzung der an sich abstrakten Begriffe Gottlosigkeit und Frömmigkeit. Dass Johann Baptist, der zwar künstlerisch nicht das Niveau seines Vaters erreichte, überdies ein entsprechend gebildeter Mann gewesen sein muss, der dieser künstlerischen Aufgabe durchaus gewachsen war, lässt sich beispielsweise einer auf ihn bezogenen kurzen Lebensbeschreibung von Christoph Andreas Nilson aus dem Jahr 1831 entnehmen.5 Außerdem können ihm der künstlerische Nachlass seines Vaters sowie einige seiner Stichfolgen hilfreich gewesen sein, wofür mehrere Indizien sprechen (siehe Beobachtungen). Abb 1: Johann Baptist Bergmüller, Allegorie auf die Weisheit, Öl auf Leinwand, x 32 cm, Inv.Nr. ZM 1954/15/M, Zeppelin Museum Friedrichshafen Beide Darstellungen transferieren moralische Aussagen, wie sie in der Augsburger Kunst des 18. Jahrhunderts fast durchweg mehr oder weniger direkt präsent sind. Sie verdeutlichen als interessante Zeitdokumente einen damals hochaktuellen und grundlegenden Zwiespalt vorrangig innerhalb der gebildeten Gesellschaft. So wird die Gottlosigkeit dieser Zeit, mithin die Irrlehre, durch unmittelbare Bezugnahme auf Werke von Rousseau und Voltaire im Wesentlichen mit der Aufklärung identifiziert. Ob sich allerdings die nicht bekannte Vorlage für das Blatt „Impietas nostri seculi“ auch genau auf diese beiden Werke – sie sind letzten Endes nach Bedarf austauschbar – und damit die Aufklärung bezog, muss vorerst ungeklärt bleiben. Jedenfalls war die Aufklärung offenbar vorrangig in Kreisen der katholischen Geistlichkeit als ernsthafte Gefahr erkannt, die bereits drohte, alte, auf christlichen Glaubensvorstellungen basierende Ordnungen hinwegzufegen. Augsburg war damals der wichtigste deutsche Verlagsort für zum Teil sehr konservatives katholisches Schrifttum.6 Unterdessen wurden von der in Deutschland sehr protestantisch geprägten Aufklärung beeinflusste Werke eher selten dort verlegt.7 Impietas nostri seculi – Allegorie der Gottlosigkeit Abb. 2: Schabkunstblatt „Impietas nostri seculi“10, ca. 42 x 33 cm Beschattet durch einen Vorhang hält sich im Bildvordergrund der „Philosophaster“ auf, dessen Spottname in etwa scheinbarer Philosoph oder – drastischer ausgedrückt – unzuverlässiger Schwätzer bedeutet.8 Er hat sich den Gelehrtenrock über die Schultern geworfen und trägt das sogenannte Beffchen, hier mit zwei komplett getrennten Streifen, wie es als Kragen speziell zum Talar eines evangelisch-lutherischen Pfarrers gehört. Seine amputierten Beine sind durch Prothesen ersetzt, womit ganz anschaulich verdeutlicht wird, auf welch wackligem Fundament seine Argumente gegründet sind. Hinzu kommt, dass er auf einem Auge blind ist, ein Umstand der seiner Urteilskraft gewiss nicht zuträglich sein dürfte. Die Blindheit wird verursacht durch eine Binde, die sein Auge bedeckt und im Kontext ihrer tradierten Bedeutung als Sinnbild für das Laster des Unglaubens zu interpretieren ist.9Auf der Binde ist dem Philosophaster außerdem der für seine ungläubige Geisteshaltung bezeichnende Begriff „Scepticus“ sozusagen auf die Stirn geschrieben. Weiterführend kann diese Bezeichnung auch für den Umstand stehen, dass sämtliche Argumente und Annahmen, auf denen philosophische Gedankenkonstrukte bekanntlich beruhen, dem Wesen der Philosophie entsprechend stets angezweifelt werden können. Auf seinem Haupt befindet sich ein merkwürdiges Gebilde, das mit den Zacken deutlich an eine Krone erinnert, die wiederum mit einer Wetterfahne versehen ist. Als Krone betrachtet dürfte es sich folglich um ein Symbol für sein hochmütiges Verhalten handeln. Auf dem Gemälde „Allegorie der Weisheit“ ist die zugehörige Wetterfahne ebenfalls mit „Scepticus“ beschriftet, womit diese eindeutig die wankelmütige Unbeständigkeit ihres Trägers thematisiert. In einer Hand hält er ein Buch, der Zeigefinger der anderen Hand ist zur belehrenden Geste erhoben, die den beiden D-men hinter ihm gilt, welche zu beeinflussen er bemüht ist, wie sein auf jene gerichteter Blick verrät. Er operiert dabei im Schutz des Vorhangs aus einer mehr oder weniger verborgenen, undurchschaubaren Sphäre heraus. Auf dem erwähnten Buch, das mit dem Begriff „Philosophia scholastica“ betitelt ist, läuft eine Maus bzw. Ratte in die Falle. Durch diese bildliche Metapher, die unmissverständlich auf die Lehre von der scholastischen Philosophie...