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E-Book, Deutsch, Band 338, 350 Seiten

Reihe: Die Andere Bibliothek

Stölzel Nachtmeerfahrten

Die dunkle Seite der Romantik

E-Book, Deutsch, Band 338, 350 Seiten

Reihe: Die Andere Bibliothek

ISBN: 978-3-8477-5338-4
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine literarische Reise durch die dunkle Seele der Romantik – Von Lüsten, Wahn und anderen Zwängen

*Die Visionen der Romantik haben die europäische Kultur der vermeintlich aufgeklärten Moderne geprägt – so viel epochaler Anfang war nie. Ob in der Philosophie, der Literatur oder der Kunst, die Romantik war eine wunderbare Neuaneignung unseres Welt- und Selbstverständnisses.

*Zu ihrer Konsequenz geführt aber wird die romantische Idee erst in der Schwarzen Romantik – erst diese leuchtet die Abgründe der Seele, das uns Fremde, die andere Seite der Vernunft aus und lässt die Utopie vom besseren Menschen brüchig aussehen.*

Die Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel unternimmt essayistische 'Nachtmeerfahrten', literarisch-anthologische Erkundungen der schillernden schwarzromantischen Bilder- und Symbolsprache.*Nachtmeerfahrten beleuchtet die dunklen, die anderen Seiten berühmter Autoren – die wir neu entdecken, neu lesen lernen: Tieck, Heine oder Hoffmann und Hauff, Gautier, Byron, Shelley und Stoker, Maupassant, Stevenson, Poe und Meyrink, Huysmans oder Kubin – die Liste ist lang und Nachtmeerfahrten geleiten uns in eine Welt der Geister und Schatten, die gerahmt und illustriert wird von Werken der bildenden Kunst.
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FRIEDRICH SCHLEGELS UTOPIE EINER ALLUMFASSENDEN POESIE
»Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald vermischen, bald verschmelzen …«5 Mit diesem programmatischen Appell beschwört der junge Friedrich Schlegel 1798 in dem berühmten 116. Athenäums-Fragment das Bild einer universalen Kunst und Dichtung herauf. Diese soll das Ergebnis einer dichterischen Einbildungskraft sein, welche allmählich alle Bereiche der sichtbaren und unsichtbaren Welt und damit auch alle Lebenssphären durchdringt: »Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür der Dichter kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein.«6 Der romantische Dichter verwandelt sich also nach Schlegels Vorstellung in eine Art poetischen Schöpfergott oder in ein bis zur Vollkommenheit vergeistigtes Universalgenie, das nur noch seinen eigenen, ästhetisch begründeten Gesetzen zu gehorchen hat. Zugleich jedoch kennzeichnet Schlegel dieses emphatische Bild einer allumfassenden romantischen Poesie als Utopie, als einen per definitionem unerreichbaren Idealzustand, wenn er im gleichen Atemzug betont: »Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja, das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.«7 Einem heutigen Leser dieser Zeilen fällt sofort auf, daß die hier zitierten Definitionen Schlegels unbeirrt ins Maßlose zielen. Zumal sich in diesem Appell beinahe kein Satzteil findet, der nicht von absolutistischen Vokabeln – wie: allein, unendlich, einzig, alle, kein usw. – durchtränkt ist. Schlegels schwärmerische Haltung ist denn auch von seinen Zeitgenossen wie von den nachgeborenen Kritikern mehr oder minder scharf angegriffen worden – bisweilen sogar von seinen frühromantischen Mitstreitern, wie zum Beispiel von Novalis (dessen Literatur und Lebenshaltung an schwärmerischem Potential Schlegels Appellen wohl kaum nachsteht). Zwar hat Friedrich Schlegel in seinen verschiedenen Schriften eine konsistente romantische Literaturtheorie entwickelt, die nicht nur zu seiner Zeit bis in die anderen europäischen Länder hinein, sondern – kulturhistorisch betrachtet – sogar bis in die sogenannte Moderne wirkte. Aber seine Ansprüche an die Bedeutung und Wirksamkeit von Literatur vermochte er selbst nur sehr bedingt praktisch umzusetzen. Ernst Robert Curtius, dem das Verdienst gebührt, Schlegel mit rehabilitiert zu haben, faßt die Kritik an ihm zusammen: »Erstens wird ihm vorgeworfen, daß er faul war; zweitens war er frech, denn er hat die Faulheit noch literarisch verteidigt und ein Lob des Müßiggangs geschrieben. Dazu kommt, daß er Schillers ›Glocke‹ komisch fand und das auch sagte und druckte. Weiter: Friedrich Schlegel war unmoralisch. Die Kombination von Faulheit und Frechheit würde das ja allein schon zur Genüge beweisen. Nun hat sich derselbe Verfasser aber auch noch erlaubt, einen Roman zu schreiben, der die Freuden der Liebe feiert.8 Das haben die Aufsichtsbehörden der deutschen Literatur sehr übel vermerkt. Aber es kommt noch schlimmer. Friedrich Schlegel war überhaupt ein Genießer. Er aß und trank gerne und brachte es dabei zu einer behäbigen Korpulenz. Auch dieses Faktum wird gegen ihn ausgebeutet. Andere Leute dürfen dick werden, ohne daß man sie deswegen noch postum belästigt. […] Daß aber Friedrich Schlegel zur Körperfülle neigte, wird allgemein als ›Verfettung‹ bezeichnet, und der ungünstige Beiklang dieses Wortes soll andeuten, daß es sich nicht nur um einen körperlichen, sondern auch um einen seelischen Prozeß gehandelt habe.«9 So absurd es vielleicht klingen mag: Gerade dieser postum reichlich kurios wirkende Vorwurf der ›Verfettung‹ ist es, der bei nachdenklicher Betrachtung einen wichtigen, wenn auch indirekten Hinweis auf eine spezifische Eigenart der romantischen Epoche liefert: Die Romantik war eine intellektuelle Jugendbewegung; dies ist eines ihrer prägenden Merkmale. Sie hat in ihrem Selbstverständnis als Kultur des Aufbruchs den Avantgarde-Gedanken der klassischen Moderne vorweggenommen. Und – dies ließe sich mit Blick auf Ernst Robert Curtius’ oben zitierte Ausführungen hinzufügen – für den Vorreiter einer Jugendbewegung gehört es sich nun einmal nicht, korpulent zu werden. Ja, es scheint bisweilen schon ungehörig, überhaupt alt und gesetzt oder zumindest erkennbar älter zu werden. Daher hat Rüdiger Safranski in seinem Romantikbuch10 verschiedene Parallelen der Romantik zu anderen Jugendbewegungen, wie zur Generation der ›68er‹ gezogen. Auffallend viele romantische Schriftsteller sind jung verstorben; nicht nur darin gleichen sie unter anderem den ungebärdigen und teilweise ›frühvollendet‹ gestorbenen Rockmusikern der 1960er und 70er Jahre, die noch heute zu den ›ewigen‹ Jugendidolen zählen. Im Gegensatz zur 68er Generation des 20. Jahrhunderts waren die Motivationen der Romantiker des beginnenden 19. Jahrhunderts als Vertreter einer Jugendbewegung allerdings schon von ihrem Ursprung her eher ästhetischer denn politischer Natur. Dennoch äußerte sich in der Literatur der Romantik auch ein spezifisches Unbehagen an den Zuständen der damaligen Zeit. Gesellschaftliche Gewißheiten wurden vehement in Frage gestellt – eine Haltung, die besonders für den Shelley-Byron-Kreis gilt. Beispielsweise war Mary Shelley die Tochter zweier ›Weltverbesserer‹: des aufklärerischen Sozialreformers William Godwin und einer damals sehr bekannten Frauenrechtlerin, Mary Wollstonecraft. Dieser Einfluß wird in den Büchern ihrer Tochter Mary Shelley immer wieder erkennbar. Auch deren Ehemann Percy Bysshe Shelley und der mit ihm befreundete Lord Byron hatten genaue Vorstellungen davon, wie eine ›moderne‹ Gesellschaft beschaffen sein müßte, um überkommene Vorurteile, Mißstände und Erstarrungen des politischen wie sozialen Systems überwinden zu können. Und diese Vorstellungen fanden wiederum ihren deutlichen Widerhall in ihren eigenen literarischen Werken. Dabei schossen sie – was typisch für derlei Jugendbewegungen ist – vor dem Zeithintergrund nicht selten weit über das Ziel hinaus und wurden für ihre Angehörigen und manche in ihren Forderungen etwas besonneneren Freunde zu einer rechten Peinlichkeit. Den meisten ihrer Zeitgenossen waren sie ohnehin äußerst verdächtig, da sie sich nicht an herrschende Normen anpassen wollten und sich anarchistisch gebärdeten. Als es ihnen dann in ihrem Heimatland geistig und moralisch zu eng wurde, verließen sie es kurzerhand und lebten daraufhin ein unstetes, durch häufigen Wohnungs- und Partnerwechsel gezeichnetes Leben in der Schweiz und in Italien. So läßt Wolfgang Hildesheimer seinen fiktiven biographischen Helden Marbot sehr treffend und ironisch die ›Menagerie‹ Lord Byrons in Italien schildern: Das Haus ist aufgerührt von einem permanenten Chaos. Hier ist kein Tag wie der vorige. Es tauchen auch dauernd neue Figuren auf, erwartete und unerwartete, niemals kennt einer alle. Zu dem permanenten Lärm der scheinbar laut dichtenden, immer aber deklamierenden Männer kommen Katzen, Hunde, Vögel, Ziegen, Kinder, Paare, dessen jede Hälfte die Hälfte eines Ehepaares ist, dessen andere Hälfte woanders ist. Es herrscht eine eifrige und tätige Unmoral, und wenn sie erlischt, facht Mylord sie wieder an, jeder scheint mit eines anderen Frau zu leben, und er lebt mit allen, oder zumindest brüstet er sich damit. […] Oberstes Gebot ist: es darf nichts zur Ruhe kommen, Panta rhei. Es ist ein exotischer Hofstaat. Mylord mit einem Faunsfuß als Gegengewicht zu seinem Götterkopf, – dieser Defekt ist die Wurzel alles seines Tuns, er muß sich immer wieder aufs neue beweisen. Ein klumpfüßiger Apollon! Ein Adonis, nur der Fuß mißgestaltet, als Rache dafür, daß der Rest Schönheit ist. […] So vermittelt er hin und wieder den Eindruck, als sei es der Bocksfuß, der ihn hindere, in die Lüfte zu entschweben. Dennoch ist dieser Makel das Menschlichste an ihm, denn seine Schönheit ist böse und bösartig. Er hält sich einen Hofnarren namens Trelawney, der sich so benimmt, als sei er aus Mylords Büchern entsprungen und einer seiner Helden; einen Hofrivalen namens Shelley, der besser dichtet als er, was er weiß; und eine Geliebte namens Teresa Guiccioli, die so schön wie töricht ist, ihn aber doch beherrscht. Ich glaube, daß er in Wirklichkeit die Frauen verachtet, wenn nicht gar alle Menschen!11 Die scheinbar zynische Haltung Lord Byrons (die sicher auch mit seiner als Makel empfundenen Behinderung zusammenhing) kam in den jüngeren Literatenkreisen geradezu in Mode. Ein neuer Typus des Anti-Helden war geboren: schön und dämonisch zugleich, geheimnisvoll-abgründig und von großer erotischer Anziehungskraft, von Schwermut durchdrungen und von Grausamkeit gezeichnet – ein Phänomen, das bevorzugt durch Antithesen charakterisiert und als literarischer ›Byronismus‹ bezeichnet wird. In Deutschland, das vor allem durch eine provinzielle Kleinstaaterei gekennzeichnet war, konnte man sich solche dekadenten Attitüden nicht leisten, auch im eigentlichen Sinne des Wortes nicht. Die jungen deutschen Dichter und Denker waren beileibe nicht reich wie Lord Byron; sie durften von einem derart ›lustigen‹ Reiseleben, wie es viele der vornehmen Engländer bevorzugten, bestenfalls träumen der es sich in...


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