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E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Sternberg Der Wind und die Wellen und wir
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-24266-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-641-24266-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hanna und Moritz haben einen festen Plan: Heiraten und dann das traditionsreiche Hotel seiner Eltern übernehmen. Doch in der Nacht vor der Hochzeit packt Hanna die Panik. Will sie das alles wirklich? Hals über Kopf setzt sie sich in den Campingbus, in dem es eigentlich auf Hochzeitsreise gehen sollte, und fährt los - immer weiter nach Norden, bis nach Schweden. Sie kommt an einsame Strände, blickt über weite Felder, lässt sich den Wind um die Nase wehen und findet dann einen Stellplatz auf dem Katrinegård, ganz nah am Strand. Iris, die alte Besitzerin des Hofs, braucht Hilfe bei der Renovierung. Eigentlich nur für ein paar Tage. Doch das Leben will es anders, und ganz langsam kommt Hanna an. Am Meer, aber nicht nur. Sondern auch bei sich ...
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1
Ich schlage die Augen auf und starre ins Dunkel. Ich brauche einen Moment, um mich zu orientieren. Mein Schlafanzugoberteil ist nass geschwitzt, mein Herz rast, ich atme flach und hektisch. Moritz’ Finger haben sich tatsächlich um meine Hand gelegt, aber als ich den Arm erschrocken zurückziehe, hält er mich selbstverständlich fest – seine Hand fällt einfach schlaff auf die Matratze. Ganz entspannt liegt er auf der Seite, sein Kopf sinkt in das weiche Daunenkissen, das braune Haar zerstrubbelt, eine Strähne fällt ihm in die Stirn. Sein Mund steht leicht offen, aber sosehr ich die Stelle auch fixiere, da ist kein Käfer zwischen seinen hübsch geschwungenen Lippen.
Natürlich nicht.
Es war bloß ein Traum, das ist alles.
Einfach nur ein blöder, böser Traum.
Ich horche in mich hinein und warte darauf, dass sich mein Herzschlag verlangsamt, doch nichts dergleichen geschieht. Mein Herz pumpt und pumpt und pumpt. Es pumpt, als würde ich rennen, als würde ich vor etwas fliehen. Und dann, mit einem Mal, glaube ich, ein leises Fiepen zu vernehmen. Ist das die Heizung? Es klingt wie die Heizung. Aber kann das sein? Ist unsere Suite nicht eine von denen, die vor Kurzem renoviert worden sind? Damals wurden doch Fußbodenheizungen eingebaut, und Fußbodenheizungen fiepen nicht. Oder?
Außerdem ist es der fünfzehnte Mai. Die Heizungen laufen seit Wochen nicht mehr.
Mit wackeligen Knien stehe ich auf. Ich tapse ins Badezimmer und schließe die Tür. Um nicht auch noch einen Helligkeitsschock zu bekommen, schalte ich nur das kleine Nachtlicht neben dem Klo an – ebenfalls eine Neuerung nach der Renovierung. Eine ziemlich angenehme, wie ich finde, denn das Nachtlicht reicht gerade so aus, um sich beim nächtlichen Toilettengang in der Dunkelheit zu orientieren.
Auch hier im Bad ist das Fiepen hörbar. Es ist sogar ein bisschen lauter als vorhin.
Bestimmt nur der Widerhall von den Fliesen.
Ich nehme den kleinen Papierdeckel von einem der Zahnputzgläser, fülle es mit Wasser aus dem Hahn und leere es in einem Zug. Ich atme immer noch zu schnell, zu schnell, darum gehe ich zum Fenster und öffne es leise. Weit, ganz weit, lehne ich mich hinaus. Ich nehme nichts wahr, nicht den Nachthimmel über der Stadt, nicht die Silhouette der Hausdächer um mich herum, nicht die Türme der Frauenkirche, die sich hell in die Höhe schieben. Ich halte die Augen geschlossen, sauge die kühle Frühlingsluft durch die Nase ein. Ich atme und atme.
Doch das Herzrasen geht nicht weg. Und das Fiepen – es ist sogar noch lauter als gerade eben.
Ist das die berühmte Panik kurz vor der Hochzeit, von der man manchmal liest?
Atme, Hanna. Atme.
Ein ähnliches Gefühl hatte ich in den letzten Tagen und Wochen immer wieder mal, aber da habe ich es stets zur Seite schieben können. Diesmal offenbar nicht.
Ich gehe zurück ins Schlafzimmer. Wir haben die Verdunkelungsvorhänge vor den Fenstern gestern Abend nur halb geschlossen, und so zeichnen sich die schneeweißen Kissen und Laken in der Düsternis wie ein leichter Nebel ab. Irgendwo darin kann ich Moritz’ Kopf erahnen, und wenn ich die Luft anhalte, kann ich ihn trotz des Fiepens leise schnaufen hören.
Ganz friedlich liegt er da. Und das kannst du auch. Also leg dich wieder hin, Hanna.
Leg dich hin und schlaf ein, und dann wacht ihr morgen früh auf, und alles ist wieder gut, du wirst sehen. Du wirst verschlafen in den Tag blinzeln, und er wird dich verliebt anschauen, während du dich streckst und gähnst. Er wird dich küssen und seine Nase in deinen Nacken stecken. »Kaffee?«, wird er raunen, und du wirst »gerne« flüstern, und dann werdet ihr Sex haben, zärtlich, aber unkompliziert und schön. Danach wirst du quietschfidel unter die Dusche springen, und weil er dir hier im Zimmer keinen Kaffee machen kann, wird er dir unten einen im Restaurant besorgen, nicht zu stark und mit schön viel Milch. Es wird alles so sein wie immer.
Gut, vielleicht werdet ihr den Sex auch auslassen, immerhin ist morgen eure Hochzeit. Um acht kommt die Friseurin, und um zehn startet der Konvoi erst zum Standesamt und gleich danach weiter zur Kirche. Aber so oder so: einfach wieder ins Bett legen und schlafen, das wäre jetzt die beste Idee.
Die einzig richtige Idee.
Leg dich hin, Hanna.
Ich tapse zum Bett, gleite hinein, fühle die Wärme, die noch darin steckt. Ich ziehe mir die Decke über die Schultern, ruckele mir das Kissen zurecht und kuschle mich hinein. Ich schließe die Augen, mache mich bereit für den Schlaf.
Mein Puls rast. Und das Fiepen wird so laut, dass ich es mit der Angst zu tun bekomme.
Ich setze mich wieder auf, gehe zurück ins Bad, hocke mich auf den geschlossenen Klodeckel und versuche angestrengt, so zu atmen, wie ich es in einem Yoga-Präventionskurs gelernt habe – vier Takte ein, acht Takte aus. Das beruhigt, das weiß ich, schließlich habe ich so ja auch die Panikanfälle in den letzten Tagen besiegt. Also ziehe ich die Luft durch die Nase ein und zähle: eins, zwei, drei, vier. Doch beim Ausatmen komme ich durcheinander. Ich setze erneut an, doch je mehr ich mich zu beruhigen versuche, desto nervöser werde ich.
Es war nur ein Traum, Hanna. Ein Traum. Es ist nichts passiert. Morgen werdet ihr aufstehen, in die Kirche fahren, euch das Jawort geben. Ihr werdet unter dem Jubel von Freunden und Verwandtschaft aus der Kirche kommen, Konfetti wird fliegen, und ihr, ihr werdet euch glücklich in den Armen liegen. Ihr werdet Champagner trinken und das Menü essen, das die Küche unten schon seit zwei Tagen vorbereitet. Ihr werdet Reden hören und Reden halten. Ihr werdet lachen und tanzen und glücklich sein und nach einer viel zu kurzen Nacht mit Schnuffi in die Flitterwochen düsen. Dahinten hängt dein Hochzeitskleid mit dem Bolerojäckchen, es bauscht sich im Dunkeln wie ein sattes, zufriedenes Gespenst.
Es wird alles ganz genau so, wie ihr es euch ausgemalt habt.
Wahrscheinlich sogar noch viel besser.
Atme, Hanna.
Atme.
Atme!
Himmel, was ist denn das nur mit meinem Herzen?
Ich fahre hoch, schlüpfe in Jeans und T-Shirt, ziehe eine Strickjacke über und meine Sneakers an. Ich bin peinlich darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, und die luxuriösen Teppiche und Polster helfen mir dabei gnädig. Nur als ich die Suite verlasse, macht das Türschloss leise klick, aber als ich innehalte und lausche, ist von drinnen nichts zu hören oder zumindest nichts, das lauter ist als das Fiepen in meinen Ohren, in das sich jetzt ein unangenehm rasselndes Klingeln gemischt hat, ein Klingeln wie von einem alten Wecker.
Ich laufe los, Bewegungssensoren erleuchten die Wandlampen im Flur. Lautlos schwebe ich über den Läufer in Richtung Lift. Mein hoher Puls sorgt dafür, dass sich meine Füße so rasch über den Boden bewegen, dass die Zimmertüren links und rechts wie im Flug an mir vorüberziehen.
Seit gestern Abend wohnen wir in der Hochzeitssuite des Hotels von Moritz’ Eltern. Das war ihre Idee, und ursprünglich fand ich ihren Vorschlag albern. Immerhin wohnen wir keine zwanzig Minuten weit weg, sodass es keinen Grund gibt, irgendwo anders zu übernachten als in unserer Wohnung. Außerdem arbeiten wir beide hier im Hotel, Moritz als Juniorchef, ich als Rezeptionsleiterin und, na ja, eigentlich auch Juniorchefin. Juniorchefin in spe. Da kam mir der Vorschlag, im Hotel zu schlafen, ungefähr so vor, als hätte man uns ans Herz gelegt, unsere Hochzeitsnacht auf einer Couch im Büro zu verbringen. Aber nach einer Weile fand ich den Gedanken dann doch ganz charmant: zur Hochzeit den ganzen Service eines Fünfsternehotels zu genießen, statt sich zu Hause darum sorgen zu müssen, ob noch genug Milch fürs Frühstücksmüsli da ist. Außerdem war Gisela der Meinung, dass das die einmalige Gelegenheit sei, die Zimmer aus der Perspektive des Gastes zu erleben.
Und wie sollten wir ihr, die die ganze Veranstaltung, ohne zu murren, zahlt, widersprechen?
Eben.
Noch sind die Zimmer fast alle leer – schon für heute haben wir kaum noch Fremdbuchungen angenommen. Nur in einzelnen Zimmern sind bereits Gäste untergebracht, die von weiter weg angereist sind – in diesem Kreis gab es am Abend bereits ein kleines, eher familiäres Essen. Aber morgen, da werden die restlichen Gäste anreisen, und dann wird hier so viel Trubel sein, dass es nicht mehr möglich sein wird, so heimlich, still und leise durch die Flure zu spazieren.
Fast kann ich die Gegenwart all jener Menschen jetzt schon zu spüren.
Es fühlt sich an, als könne jede Sekunde irgendwo eine Tür aufgehen, und heraus kommt irgendeine Tante – oder, schlimmer noch, meine Mutter.
Um ehrlich zu sein, ich habe nicht mal eine Vorstellung davon, was es Gisela und Josef kostet, den Hotelbetrieb für zwei Tage komplett auszusetzen und das Hotel ausschließlich mit Hochzeitsgästen zu füllen. Es ist sicher ein Vermögen, aber sie wollten das unbedingt – ich vermute, es ist ihnen wichtig, nicht knauserig zu wirken, wenn ihr einziges Kind in den heiligen Stand der Ehe tritt. Außerdem habe ich als Braut leider keine Eltern, die mit einem pompösen Fest aufwarten könnten, denn mein Vater ist bei uns ausgezogen, als ich vier war, und lebt inzwischen nicht einmal mehr. Und meine Mutter, na ja, die hat ihren Lebensunterhalt immer nur gerade so bestritten.
Andererseits sind Gisela und Josef so reich, dass ich mir wahrscheinlich keine Gedanken machen muss. Es wird ihnen nicht wehtun. Das Grandhotel Grainer gehört der Familie in dritter...