Steinmüller | Computerdämmerung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 6, 310 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm

Reihe: Werke in Einzelausgaben

Steinmüller Computerdämmerung

Phantastische Erzählungen
erweiterte Neuausgabe 2023
ISBN: 978-3-948616-81-6
Verlag: Memoranda
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Phantastische Erzählungen

E-Book, Deutsch, Band 6, 310 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm

Reihe: Werke in Einzelausgaben

ISBN: 978-3-948616-81-6
Verlag: Memoranda
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Computerdämmerung" bietet einen Blick auf die Vielfalt der Erzählungen der Steinmüllers abseits ihres Zyklus über das "Steinmüller-Universum". Auf eine strikte thematische Gliederung wurde verzichtet, nicht aber auf eine lockere Gruppierung um Schwerpunkte: In den meisten Geschichten geht es um phantastische technische Entwicklungen, die das Leben auf der Erde in einer nicht allzu fernen Zukunft gravierend verändern – seien es die SF-typischen Roboter und intelligenten Computer, das beliebige Kopieren von Sachen und Menschen, unheimliche Erscheinungen in den Datennetzen oder ungewöhnliche Erfindungen. Doch auch die biologischen Aspekte der Veränderung – gewollter wie ungewollter – kommen ins Bild, und am Schluss des Bandes findet sich ein Exkurs in Zukünfte weit über den Horizont unserer Zivilisation hinaus.
Weit gespannt ist auch die Entstehungszeit der Erzählungen – die Jahre der Erstpublikationen reichen von 1979 bis 2010. Viele von den älteren Erzählungen wurden schon 2010 für "Computerdämmerung" überarbeitet, für die nun vorliegende Neuausgabe aber auch zwei von den jüngsten. Ein ebenfalls neues Vorwort von Karlheinz Steinmüller ergänzt den Band.

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Duell der Tiger Der Tag der Entscheidung beginnt wie jeder andere Tag. Waschen, Rasieren. Hunger stellt sich ein. Man streift sich mit mechanischen Bewegungen die Kleidung über, hat längst verlernt, den feinen Lavendelgeruch zu bemerken, vor Jahren programmiert als persönliche Note. Das flinke Roboterwägelchen aus der automatisierten Küche plaziert pünktlich das Frühstück auf den Tisch. Aber Elton steht nicht der Sinn nach Gaumenfreuden. In seinem Hirn arrangieren sich Pläne, Tricks, Finten, Gegenfinten – Nijima, heute ist er dran! Lange genug blieb seine Herausforderung unbeantwortet! Eine Frechheit, ihm auf dem IFAC-Symposium über die Diagnose sozialer Systeme so in die Parade zu fahren! Wie die meisten Teilnehmer, wie auch er, Elton, war Nijima nicht real anwesend, sondern telepräsent, der Schatten eines schmalen Japaners auf einem Großbildschirm. Und dann hatte dieser schmale japanische Schatten ein Modell für die Ausnutzung von Migrationsraten für die soziale Parameterschätzung vorgeschlagen. Ein gut durchdachtes, ein umfassendes, ja ein elegantes Modell! – Es hatte nur einen Nachteil: Es ähnelte dem Modell täuschend, das er, Elton, während der letzten Wochen erarbeitet hatte. Prioritätsstreit auf offener Bühne! Beschuldigung stand gegen Beschuldigung. Hatte Nijima seine Zugangscodes geknackt? Nicht auszudenken! Aber heute, heute würde Nijima dafür zahlen! Das Roboterwägelchen sammelt auf gewohnte Weise die Krümel vom Tisch. Zeit, loszulegen. Vor Vorfreude pfeifend geht Elton in sein Büro, wo die verschiedenen Terminals schon mit einem Bereitschaftsblinken auf ihn warten. Er wirft sich in den Sessel, fährt mit der Rechten leicht über die Tastatur und meldet sich an. Erst entspannst du dich ein wenig, denkt er, wirst ganz munter, sammelst Kräfte. Nijima kann noch ein wenig warten. Wie üblich läuft über einen Bildschirm links von ihm ein News-Ticker. Elton zieht es vor, Nachrichten direkt vom Schirm zu lesen – wozu sich die Wohnung mit Papier verstopfen? NEUE FÄLLE VON COMPUTER-TERRORISMUS! WAS UNTERNIMMT DIE REGIERUNG DAGEGEN? Vor Interesse eifrig an der Unterlippe kauend, überfliegt Elton den mit Diagrammen und Fakten gespickten Artikel. Fast einhundert Unfalltote durch eine, wie es heißt, »minimale« Veränderung im Zielfunktional des Verkehrssteuerungsprogramms auf das Maximum der Karambolagen. Wie es Elton erwartet, hat die anarchistische Terrororganisation Black Box die Verantwortung übernommen und zum Beweis das Störprogramm an die Behörden gesendet. In einem Video erklärt einer der »Boxisten«, daß sie durch diese und künftige ähnliche Aktionen eine »Decomputerisierung« der Gesellschaft erreichen wollen – zum Nutzen des kleinen Mannes. Mit wenigen Klicks beschafft sich Elton das Störprogramm aus dem Datensafe der Stadtverwaltung. Richtig, genau das hattest du angenommen, ein cleveres Programm! Es sollte dich nicht wundern, wenn hinter Black Box ein Tiger steckt, ein Mitglied des Tigers Club wie du, vielleicht der Black Tiger? – Und wenn du in einem der Wagen gesessen hättest? Nein, du fährst nicht zur Arbeit, du kannst deine Simulationsmodelle zu Haus entwickeln, denn du gehörst zur Computer-Elite des renommierten Instituts für Angewandte Systemanalyse, da kann dir keiner, das ist klar. Aber wenn dir doch einmal so ein dahergelaufener Nijima-San von der Universität Osaka in die Quere kommt den zerdrückst du mit deinen Pranken, nicht wahr, Tiger Elton? EXPLOSION IN DER DOW CHEMICALS RAFFINERIE. Man vermutet Werkssabotage, spekuliert, daß die Konkurrenz den Prozeßrechner manipuliert hätte. Das ist eindeutig unter Eltons Niveau. Und dann erscheint ein hochgewachsener Mann mit zerfurchtem Gesicht auf dem Bildschirm. »Dieser Herr behauptet, der bekannte Politiker Richard Ebner zu sein. Seine Person sei von politischen Gegnern, möglicherweise der Computermafia, aus den staatlichen Informationssystemen getilgt worden. Zur Zeit ist dieser Mann eine Unperson. Wer ihn kennt, wird gebeten, Ebners Identität bestätigen.« Elton lacht, ein Politiker Opfer eines »Delikts gegen die Identität«! Gestern noch ein großer Boß, heute ein lamentierendes Häufchen Elend, ein »Erasee«, ein aus den Speichern Gestrichener. Als Politiker hatte er keine große Chance, wiedererkannt zu werden. Seine Wähler würden ihn längst vergessen haben und die Parteifreunde sich ins Fäustchen lachen. Ja, wenn es sich um einen Schlagersänger handeln würde … Wer weiß, vielleicht hatte sich dieser Ebner mit einem Computerexperten angelegt, einem Tiger womöglich, das hatte er nun davon, totaler Gesichtsverlust sozusagen. Jetzt zeigt es sich, wer die Macht im Staate hat, die angeblich frei gewählten Volksvertreter oder die Manipulatoren der Datensysteme, die die Computer programmieren, die Codes brechen, zu allem Zugriff haben, alles steuern, ihre Gegner löschen können, wie es beliebt. So wie du heute noch diesen Nijima ausradieren wirst! Zeit, sich Nijima vorzunehmen. Du wirst ihm einen fairen Wettbewerb anbieten, ein intellektuelles Duell, wie es unter Spezialisten üblich ist. So als ginge es dir noch darum, zu beweisen, daß du der bessere Experte, der versiertere Modellierer bist. Eben ein Tiger! Elton wählt Osaka, störfrei überträgt der Satellit seine Signale, speist sie in das japanische Datennetz. Nijima müßte jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach schlafen – um so besser. Doch Nijima schläft nicht. Statt seines Gesichts zeigt er zwar nur eine ausdruckslose japanische Maske, aber er geht ohne Ausrede, ohne Bitte um Aufschub auf die Duellforderung ein. Munter klingt die Stimme des Übersetzungsprogramms. »Erst jetzt, Elton? Ich habe deine Herausforderung schon lange erwartet«, verhöhnt Nijima ihn, »mußtest wohl erst noch ein paar Programme basteln?« Es versteht sich von selbst, daß der Gegner einen ganzen Packen Software für Angriff und Verteidigung bereithält. Letzten Endes aber würde der flinkere Intellekt entscheiden. Ein fairer Kampf also. »Ich überlasse dir die Wahl der Waffen.« »Nehmen wir dein Spezialgebiet.« Wie sicher muß sich Nijima fühlen! »Systemanalyse und Modellierung. Und zur Modellbewertung …« »Ich dachte an Bruder Tiger Poklitar als Schiedsrichter«, sagt Elton schnell und betont das »Bruder« deutlich. Schließlich soll Nijima wissen, daß er gegen einen Tiger antritt. Elton stellt eine Konferenzschaltung zu Poklitar her, der gerade im Auftrag der NASA bemannte Marsflüge mit tödlichem Ausgang simuliert. Poklitars schwarzweiß karierte Kontaktlinsen zwingen alle, ihm in die Augen zu schauen. Ein simpler Trick des gewieften Alten. Schon mit siebzehn hatte Poklitar die Gebührencomputer überlistet, so daß er, ohne zu zahlen, rund um die Erde telefonieren konnte. Mit zwanzig erwarb er sich durch Aufsummieren von Rundungscents ein Millionenvermögen, von dessen Herkunft zwar jeder wußte – weil Poklitar damit angab –, dessen Erwerb aber in dieser guten alten Zeit noch nicht strafrechtlich verfolgt wurde. Seit Eltons Kindheit war Poklitar sein Vorbild. Elton erschlich sich zwar keine Millionen, aber es gelang ihm, eine IBM-Datensicherung zu knacken, was der Konzern mit einem Stipendium honorierte. Danach lief seine Karriere steil nach oben: Datensicherheitsexperte, wissenschaftlicher Konsultant einer Vielzahl von Behörden, Chef-Systemanalytiker. Aber Elton strebte nach Höherem, wollte in den Klub der Tiger aufgenommen werden, die Elite der Computerspezialisten. Die Aufnahmebedingung war einfach: Man mußte sich in das Klubregister eintragen. Dies aber war besser geschützt als die amerikanischen Staatsgeheimnisse. Nach drei Anläufen und Jahren der Frustration gelang es Elton, Mitglied des Klubs zu werden, und er durfte Poklitar Bruder Tiger nennen. Der große Poklitar sieht allerdings müde aus. Ein alter Tiger, der die Welt nur noch als ein Geflecht von Datennetzen sieht, die dazu da sind, Computer zu verbinden. Menschen kommen in diesem Bild nur noch als mehr oder weniger irrelevante Nutzer vor. Ja, Tiger Elton, Bruder Poklitar hat dir einiges voraus, er weiß, daß niemand mehr, auch kein Tiger, das Netz beherrscht. »Duellieren wollt ihr euch?«, fragt Poklitar, »das ist interessant. Von mir aus gern. Ist mal was anderes. Und es soll eine klassische Modellierungsaufgabe sein? Kein Computerspiel? Keine Schadsoftware? Nun, was haltet ihr von urban development, Großstadtentwicklung am Beispiel New Yorks? Gewonnen hat, wer mir zuerst ein überzeugendes virtuelles New York vorstellt.« Eine gerechte Aufgabe, die das ureigenste Feld ihrer Kontroverse, die soziale Simulation, betrifft. Da wird sich zeigen, wer die Entwicklung der Stadt New York schneller und in größerer Detailtiefe nachgebildet hat, wer eher publiziert, wem die Fachkollegen applaudieren. Wie einfach ist dein Handwerk, hundertmal durchprobiert: Du besorgst dir die notwendigen Fakten aus den Labyrinthen bereits geschriebener Artikel, aus Datenspeichern und Statistikbibliotheken, und parallel erstellst du das Modell mit Bevölkerungs- und Industrieverteilung über das Stadtgebiet, mit sozialen, ökonomischen, administrativen, fiskalischen Strukturen, mit Kriminalität, Umwelteinfluß, Einbettung in die Gesamtwirtschaft der Staaten und dergleichen. Möglichst komplett, möglichst fehlerlos und vor allem rasch. Nijima wartet nicht, unterschätze ihn nicht, er schlägt dich, wenn du nur einen Moment zögerst … Und paß auf deine Computer auf, Tiger. Spürst du nicht, daß fremde Impulse in sie eindringen, daß ein ferngesteuertes Programm mit deinen Codes...


Steinmüller, Karlheinz
Angela und Karlheinz Steinmüller zählten zu den führenden Science-Fiction-Autoren der DDR. Angela (*1941) ist Diplom-Mathematikerin, Karlheinz (*1950) Diplom-Physiker und Doktor der Philosophie, seit den Neunzigerjahren auch einer der angesehensten deutschen Futurologen. 1982 wurde der Roman "Andymon" zum beliebtesten SF-Buch der DDR gewählt. Die Steinmüllers wurden viermal mit dem Kurd Laßwitz Preis für die beste deutschsprachige Erzählung ausgezeichnet – Angela allein, zweimal beide zusammen sowie zu dritt mit Erik Simon.

Steinmüller, Angela
Angela und Karlheinz Steinmüller zählten zu den führenden Science-Fiction-Autoren der DDR. Angela (*1941) ist Diplom-Mathematikerin, Karlheinz (*1950) Diplom-Physiker und Doktor der Philosophie, seit den Neunzigerjahren auch einer der angesehensten deutschen Futurologen. 1982 wurde der Roman "Andymon" zum beliebtesten SF-Buch der DDR gewählt. Die Steinmüllers wurden viermal mit dem Kurd Laßwitz Preis für die beste deutschsprachige Erzählung ausgezeichnet – Angela allein, zweimal beide zusammen sowie zu dritt mit Erik Simon.



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