E-Book, Deutsch, 198 Seiten
Steinmann Warmes Blut
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-4526-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Poetischer Young-Adult-Roman über Liebe und Verlust
E-Book, Deutsch, 198 Seiten
ISBN: 978-3-7693-4526-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michaela rennt aus der Schule, rennt fort vor drei Jungen, die ihr das Leben tagtäglich zur Hölle machen. Dann aber wird alles anders. Welche Rolle spielen dabei ein altes, sehr seltsames Pferd und ein neuer, rebellischer Mitschüler aus Neuseeland? Warmes Blut ist eine Coming-of-Age-Geschichte der etwas anderen Art. Sie ist brutal hart und poetisch, schockierend und versöhnlich, traurig und romantisch, und ganz wichtig: Sie hat ein Happy End.
Pia Steinmann, geb. 1968 in Marburg a.d.L., aufgewachsen in Remscheid, Medizin studiert in Tübingen und Gießen, 25 Jahre als Neurologin und spez.Schmerztherapeutin in Paderborn gearbeitet, hat sich Ende 2020 einen Traum erfüllt, das Schreiben. "Warmes Blut" ist ihre erste Veröffentlichung. Drei weitere Manuskripte liegen zur Überarbeitung bereit.
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Montag.
Ich renne, renne wie jeden Tag nach dem letzten Gong die Treppen hinunter. Zwei, drei Stufen auf einmal, aufpassen, nur ja nicht stolpern oder fallen. Wie ich diesen Moment am Schulende hasse, diese Jungs hasse, mich hasse, alles hasse. Heute muss ich es schaffen und schneller sein. Ich springe über einen ganzen Treppenabsatz, lande überraschend sicher. Aber dieser blöde Rucksack schlägt mir heftig gegen den Hinterkopf, dann zurück auf meine Schultern. Autsch! Auch das hasse ich. Weiterlaufen, nur noch eine Etage und dann hinaus. „Wo soll’s denn so eilig hingehen? Wusste gar nicht, dass unser Pummelchen so flink sein kann.“ Falk steht mit seinem Freund Mark am großen Schulportal und grinst. Wie schaffen die das nur, immer einen Schritt voraus zu sein? Ich bleibe stehen und höre mein heftiges Atmen. Alle laufen an mir vorbei, niemand bemerkt, dass ich Hilfe brauche. Auch hört niemand, dass ich Hilfe brauche. Warum hört denn das niemand? Mein Herz, es pocht so laut, dass der Lärm sich seinen Weg durch meinen Körper sucht. Mein Magen wehrt sich, krümmt sich zusammen, eklig bitterer Geschmack legt sich auf die Zunge. Nein, nein, nein, nein! Ich will das alles nicht! Es pulsiert immer heftiger in meinem Hals, schnürt mir die Kehle zu. Langsam atmen, ganz langsam, nur keine Panik jetzt. Ich schließe die Augen, spüre den Lärm nun im Kopf. Es ist so laut, dass ich nicht mehr denken kann. Aber hören muss man mich doch. Es kann doch nicht sein, dass das Schlagen, Pochen, Hämmern überall hin, nur nicht nach außen dringt. „Na, keine Hilfe in Sicht?“ Falk offenbart ein Lächeln, als sei er der netteste Kerl überhaupt. „Zu dumm aber auch, keine Freunde zu haben, oder? Wie kann man nur deine Vorteile nicht zu schätzen wissen? Das frage ich mich wirklich. Aber keine Bange, Michaela, wir wissen, was wir an dir haben. Also komm“, und hier macht Falk eine einladende Verbeugung, näherzukommen, „wir haben nur eine Kleinigkeit mit dir zu besprechen.“ Kleinigkeit? Was bloß für eine Kleinigkeit? Wieder irgendwelche Hausaufgaben? Das wäre zu einfach; die mache ich doch schon, meistens jedenfalls. Vielleicht Geld? Auch wenn sie genug davon haben? Ich starre sie an und versuche, nicht zu zittern. Natürlich gelingt es mir nicht. Ich wage mich trotzdem vor, zaghaft, Schritt für Schritt. Sie bleiben gelassen rechts und links von der Tür stehen und genießen meine Furcht. Ich weiß das und hasse sie dafür, genauso wie mich selbst. Wie gern würde ich ihnen ins Gesicht spucken, sie treten oder einfach nur schlagen. Tausendmal habe ich es in meinen Träumen schon getan; es war so einfach. Ich senke den Kopf. „Na? Was glaubst du wohl, wollen wir von dir?“, fragt Falk spöttisch und gibt Mark mit einer kurzen Kopfbewegung ein Zeichen. Es geht so schnell, dass ich nicht mehr reagieren kann. Ich werde nach rechts, dann links und wieder rechts geschubst und bin schon überrascht, dass ich nicht falle, da gibt mir ein gestelltes Bein den Rest. Bäuchlings krache ich zu Boden und kann gerade noch verhindern, dass mein Kinn auf den harten Steinboden aufschlägt. „Hey, Jungs, was geht da ab? Michaela, alles in Ordnung?“ Herr Lang kommt näher, der seinem Namen alle Ehre macht. Aufgrund seiner immensen Größe wirkt er allerdings so weit weg, dass es mir einfach nicht möglich ist, seine helfende Hand anzunehmen. Egal, Falk ist sowieso schneller. „Alles in Ordnung, Herr Lang, Michaela ist nur gestolpert. Wir kümmern uns gerade um sie.“ „Ach so, dann ist’s ja gut. Und das nächste Mal ein bisschen langsamer, Michaela. Wir wollen schließlich, dass du sicher nach Hause kommst.“ Durch Falks Beine sehe ich noch, wie er davontrottet und wahrscheinlich höchst zufrieden mit sich und der Welt ist. Aber was wundere ich mich, ich könnte ja etwas sagen, mich offiziell beschweren. Nur ändern würde es nichts, da bin ich mir sicher. Als Petze würde es für mich einfach nur noch schlimmer werden und schlimmer als schlimm will ich mir einfach nicht ausdenken. „Na, da haben wir alle ja noch mal Glück gehabt, oder? Bist clever genug zu wissen, was gut für dich ist. Aber nun zur Sache, bevor uns ein anderer Lehrer dazwischenfunken kann.“ Falk wendet sich Mark zu. „Wer macht dir noch gleich die Hölle heiß?“ „Dr. Grohns, der Arsch, hat mir ’ne Extraarbeit in Bio aufgedrückt. Meint, er müsse mich mehr motivieren, um die Scheißfünf auszugleichen. So’n Quatsch!“ Mark verdreht übertrieben genervt die Augen und klatscht sich bestätigend mit Falk ab. „Und hier kommst du ins Spiel, Michaela. Wir würden heute gnädig darauf verzichten, dich weiter aus irgendwelchen Unannehmlichkeiten befreien zu müssen, wenn du dich bereit erklärtest, Dr. Grohns zufriedenzustellen. Wir verstehen uns doch, oder?“ Gestelzter Affenmist, denke ich eine mutige Sekunde, kämpfe dann doch erleichtert gegen die aufsteigenden Tränen. Ich nicke. Mark tritt auf mich zu und hält mir gönnerhaft auch seine Hand hin. Die will ich erst recht nicht und weiche gequält zurück. Beide Jungs lachen wiehernd, während Mark Papiere aus einer grünen, fransigen Leinentasche zieht und mir vor die Beine wirft. „Hier steht alles drauf, meine Mailadresse hast du. Hast zehn Tage Zeit, aber beeil dich besser, bevor du es vergisst.“ Ich bleibe noch etwas sitzen, warte, bis die beiden verschwunden sind, dann rappele ich mich auf und lehne mich immer noch leicht zitternd an eine Wand. Es hätte schlimmer kommen können. Ich trete hinaus auf den Schulhof. Ein paar jüngere SchülerInnen spielen Ball, bis die Eltern sie abholen. Sie lachen und kreischen laut vor Vergnügen und mir kommen erneut die Tränen. Das Leben sieht so leicht aus. Wie krass erbärmlich ich doch bin! Nicht, weil ich so feige bin. Nein. Dieses grundsätzliche Gefühl habe ich irgendwie für mich akzeptiert. Es ist dieses Aufflackern von Dankbarkeit, dass es heute verhältnismäßig harmlos war und keine Spuren hinterlässt. Es gibt keine blauen Flecken der Seele. Ich muss mich zu Hause nicht erklären und kann den Vorfall beiseiteschieben, als sei er gar nicht erst geschehen. Dienstag.
EINE WOCHE SPÄTER
„Du meine Güte, Michaela, was ist denn mit dir passiert?“ Meine Mutter steht in der Badezimmertür und hält sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Sie kommt näher und fährt mit ihren Händen über nun leider allzu wahrnehmbare blaue Flecken. Erwischt! Ein paar Sekunden später und ich hätte den Pulli angehabt. „Nur Sport, Mama, kein Drama. Es ging ein bisschen rau zu und du willst doch immer, dass ich mich mehr einsetze.“ Ich zucke scheinbar unbekümmert die Achseln und beiße insgeheim die Zähne aufeinander. Jetzt nur keine Tränen. „Aber so? Was für eine Sportart soll das denn sein, dass man am Ende grün und blau wird? Warte, Schatz, ich hole schnell was.“ Mama sieht immer noch besorgt aus, als sie mit einer Salbe zurückkommt und dann ganz behutsam Flecken für Flecken behandelt. „Tapferes Mädchen, das nenne ich mal Körpereinsatz. Was war es denn jetzt?“ „Hm?“ Ich wische mir nun doch schnell ein paar Tränen weg. „Na, was habt ihr gespielt?“ „Handball“, sage ich aufs Geratewohl. Sieht auf jeden Fall meist ruppig genug aus, um meinen Zustand erklären zu können. „Ich muss jetzt los, Mama. Bin eh schon spät dran. Aber danke, das war echt lieb.“ Ich ducke mich unter ihren Händen weg, werfe ihr noch schnell einen Handkuss zu und flitze zur Diele. „Was ist mit Frühstück? Du hast noch nichts gegessen!“ „Keine Zeit mehr! Ich hole mir was in der Mensa. Tschüüüss!“ Ich atme auf, als die Haustür ins Schloss fällt und ich mein angestrengtes Gesicht in den kühlen Morgenwind halte. Mama meint es gut, das weiß ich. Sie meint es immer gut, will immer helfen, es für mich richten. Aber der tiefe blaue See ihrer lieben Augen kann die Traurigkeit nicht verbergen. Die Sorge um mich, ihr Mädchen, dem es doch einfach nur gut gehen soll. Das macht mich fertig, zusätzlich fertig. Fliehen ist einfacher. Das Gehen fällt auch erstaunlich leicht, nur der Rucksack drückt an einer Stelle. Der Rückweg gestern dagegen war schwer. Bin wieder nicht schnell genug gewesen und dieses Mal war auch Ingo dabei. Der fackelt nicht lange und begnügt sich nicht mit Spott und ein paar harmlosen Schubsern. Ein absoluter Sadist und perfekt für Falk, der sich nur selten selbst die Hände dreckig macht. Immerhin, eine Woche ging es richtig gut. Bekam sogar für meine Arbeit für Mark einen lobenden Klaps auf die Schulter. „Gut gemacht“, hat er gesagt, „und so zeitig“. Ich war so froh. Bis gestern. Ich überlege, ob ich irgendetwas gesagt oder getan habe, um...




