Steinitz | Eine deutsche jüdische Familie wird zerstreut | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Steinitz Eine deutsche jüdische Familie wird zerstreut

Die Geschichte der Familie Steinitz von 1751 bis heute. Erweiterte Neuauflage 2016

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-7412-6914-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dies ist die Geschichte meiner Familie, soweit ich sie anhand von Urkunden und anderen Überlieferungen, aus Lebenserinnerungen und Briefen naher und fernerer Verwandter zurückverfolgen konnte. Zunächst wollte ich meine Wurzeln kennenlernen. Dabei habe ich eine weit verzweigte Familie entdeckt. Und das Schicksal meiner Familie von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit scheint mir exemplarisch für jüdische Schicksale in Deutschland zu sein. Der soziale Kontext der Juden veränderte sich innerhalb weniger Generationen radikal: von Diskriminierung und Isolation über mehr oder minder geglückte Assimilation in die Gesellschaft bis zur Ermordung oder Vertreibung in alle Welt und - im Glücksfall - zu einem Leben in einer neuen Heimat. Mit dem Schreiben begonnen habe ich nach unserem ersten Familientreffen 1998 in Berlin. 2008 erschien die erste Fassung. Inspiriert von weiteren Familientreffen, bei denen ich wertvolle Anregungen bekam, habe ich danach vieles ergänzen und Familienmitglieder gewinnen können, eigene Darstellungen hinzuzufügen. Weitere Recherchen und Hinweise mir bisher unbekannter Quellen erbrachten eine Materialfülle, die ich unbedingt noch verwerten wollte. Vieles davon findet sich im Teil II, der den durchaus möglichen, aber bislang ungewissen Verbindungen zur Wurzel unseres Stammbaumes nachspürt. Aufgeschrieben habe ich diese Familiengeschichte für uns alle. Auch für Freunde, die mich zu dieser Arbeit ermuntert haben und sich nun für das Ergebnis interessieren. Und vielleicht hat die Generation der in diesem Jahrhundert geborenen später einmal Lust, hier anzuknüpfen. Berlin, im August 2016 Renate Steinitz

Renate Steinitz, geboren 1936 in Leningrad, UdSSR, ist eine deutsche Linguistin und Autorin. Sie lebt in Berlin. Bis zu ihrer Pensionierung war sie als Sprachwissenschaftlerin an der Akademie der Wissenschaften der DDR, später am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft der Geisteswissenschaftlichen Zentren Berlin tätig und publizierte dort über deutsche Grammatik. Sie ist Mitherausgeberin der posthum veröffentlichten Werke ihres Vaters, des Sprachwissenschaftlers und Ethnologen Wolfgang Steinitz.
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Die Geschichte der Familie Steinitz von 1751 bis heute
Die Steinitz’ – eine jüdische Familie? Eine seltsame Frage? Sie bewegt mich seit längerer Zeit. Meine Großeltern Kurt und Else Steinitz waren 1913 in Breslau aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten. Mein Vater Wolfgang Steinitz hatte schon als Jugendlicher radikal mit jüdischer Tradition gebrochen. Er hätte sich womöglich über die Bezeichnung „jüdische Familie“ gewundert. Obwohl: Wolfgangs Großvater Sigismund war Kohlenhändler und stand noch fest im jüdischen Milieu. Als „Nichtarier“ wurde Wolfgang 1933 von der Berliner Universität relegiert. Im schwedischen Exil bezahlte teilweise eine jüdische Stiftung seine Assistentenstelle an der Stockholmer Universität. Wolfgangs Schwester Ulla Tenenbaum (s. Kapitel 4.3.1.) meinte zum Titel meiner Familiengeschichte: „Wer Jude ist, das bestimmen doch nur die anderen!“ Wolfgangs Bruder Hans (s. Kapitel 4.2.5.) ist dagegen sehr bewusst nach Palästina emigriert. Er schreibt 1981 meiner Mutter zum Vorwort eines Buches von Wolfgang, das sie ihm geschickt hatte: Warum wird niemals Wolfs jüdische Herkunft auch nur erwähnt?! Vielleicht wendet man ein, dass das unwichtig sei. [...] Eine objektive Darstellung sollte so ein Faktum getreulich und wahrheitsgemäß überliefern und die autonome Meinungsbildung der denkenden Nachwelt überlassen. Diesen Brief hab ich bei der Neuordnung meines Privatarchivs entdeckt.1 Er bestärkt mich darin, der Geschichte unserer Familie nachzuspüren. Auch für meinen Bruder und mich wäre früher die Frage „Sind wir eine jüdische Familie?“ seltsam gewesen. Obwohl: Als etwa Fünfjährige soll ich gesagt haben „Jetzt bin ich Halbjude, wenn ich groß bin, bin ich Ganzjude“. Das kam wohl nicht von ungefähr; meine Mutter war Nichtjüdin. Natürlich war mir nicht bewusst, dass ich mit „Halbjude“ ein Nazi-Wort übernommen hatte. Erst spät näherte ich mich der jüdischen Herkunft meines Vaters und nahm wahr, wie groß unsere Sippe ist und wie eng die Verwandten – außerhalb der abgeschotteten DDR – über Kontinente hinweg miteinander verbunden sind. Spät haben wir auch jüdische Witze für uns entdeckt.2 Meine beiden Söhne und ich brauchten nur ein Stichwort zu nennen für den in einer bestimmten Situation passenden Witz. Apropos „Stichwort“: Drei Juden sitzen im Zugabteil und erzählen sich Witze. Weil sie die Witze schon so lange kennen, haben sie ihnen einfach Zahlen zugeordnet. Ein vierter Jude kommt dazu, hört sie Zahlen rufen und alle lachen herzlich. Der Neue denkt, das kann ich auch und nennt eine Zahl. Alle schweigen. „Warum lacht ihr denn nicht, war der nicht gut?“ – „Ja schon, man muss ihn aber auch erzählen können.“ Als ich 1985 meinen entfernten Verwandten Stephan Steinitz 132*3 in den USA (s. Kapitel 4.4.1.) besuchte – zum ersten Mal durfte ich als DDR-Bürgerin 1985 Verwandte im westlichen Ausland besuchen – studierten wir zusammen den von ihm verfassten Stammbaum der Familie und wir identifizierten alte Fotos. Nach dem Fall der Berliner Mauer war 1990 mein erstes Reiseziel Israel und die bis dahin meist unbekannten Mitglieder der Familie. Yoram, Sohn von Erich/ Ezra 512* Steinitz (s. Kapitel 4.2.10.), zeigte mir ein zwei Meter breites Stammbaum-Poster, das inzwischen auf drei Meter angewachsen ist. Nach weiteren Besuchen bei Verwandten – und nachdem ich die Vorzüge des Internets auch für mich entdeckt hatte – wurde der Kontakt immer lebendiger. Glücklicherweise bekamen von der internetversierten jüngeren Generation mein Sohn Jan in Berlin und meine Nichte Erika, Enkelin von Marianne Waly 424*, in Boston (USA) (s. Kapitel 4.5.1.) auch Lust auf die Erforschung der Familiengeschichte. Jan begann 1997 eine Internet-Suche und schrieb an 70 E-Mail-Adressen. Etwa 40 Steinitze antworteten, aber nicht alle waren mit uns verwandt. Es entstanden mehrere Projekte: Erika und Jan übertrugen alle Informationen in eine Datenbank. Jan richtete eine Familienwebsite4 ein. Ich sammle alles mir zugängliche Material in meinem Familienarchiv. Mein Sohn und ich kamen auf die Idee, ein Familientreffen zu veranstalten und wir schrieben einen Rundbrief an die uns bekannten Adressen. Das Treffen fand 1998 in einem Landhotel bei Berlin statt, mit Ausflügen in die Stadt und sogar mit einer Klezmer-Band, die bei mir zu Hause auf der Terrasse aufspielte. Mehr als vierzig Verwandte waren gekommen und viele erzählten Geschichten aus ihren Familien.5 Ein zweites Treffen fand im April 2000 in Jerusalem statt, vorbereitet vor allem von Benjamin/Banini (Sohn von Heinz Steinitz 432*) und seiner Frau Rivka. Und im Juni 2006 organisierten meine Söhne und ich ein weiteres Treffen in Berlin mit einem Ausflug nach Breslau, wo die meisten Familienmitglieder zu Beginn des 20. Jh. gelebt hatten. Und wieder erzählten wir uns Familiengeschichten.6 Der Enkel meines Bruders Klaus, Benjamin/Benni Steinitz, der sich bei der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus viel mit dem Judentum beschäftigt (s. Kapitel 4.1.2.1), bereitet ein weiteres Familientreffen im September 2016 mit vor. Kaum zu erklären, aber schon beim ersten Treffen hatten wir das Gefühl von Vertrautheit und Zusammengehörigkeit, einschließlich politischer Kontroversen. Und wir wurden inne, welch außergewöhnliches Glück es ist, nach der Shoah, der Massenvernichtung der Juden unter Hitler, noch eine so große Familie zu haben. Bei der Vorbereitung unseres ersten Familientreffens 1998 begann ich mit den ersten Notizen zur Geschichte unserer Familie. Es wurde ein Unternehmen, das ich für mich die unendliche Geschichte unserer Familie nenne. Die erste Auflage erschien 2008. Inzwischen habe ich weitere Familienmitglieder gefunden, so dass diese Neuauflage wesentlich umfänglicher geworden ist. Dabei beschränke ich mich in Teil I (bis auf eine Ausnahme im Kapitel 5.6.) auf die Nachkommen von Salomons Sohn Mosche Laib. Meistens reichen meine Informationen bis zur Generation meiner Eltern, die im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts Geborenen. Dort, wo ich Kontakt mit den Jüngeren habe, versuchte ich sie zu bewegen, etwas über ihr Leben aufzuschreiben. In den meisten Fällen ist es geglückt, aber manchmal bekam ich nur Berichte über Berufe oder einen kahlen Stammbaum. Um die Berichte nicht zu zersplittern, habe ich die jüngere Generation vor allem im Kapitel 4. „Die Vertreibung“ beschrieben. Während ich an der erweiterten Fassung schrieb, starben die ältesten Mitglieder unserer großen Familie, die Anfang des 20. Jahrhunderts Geborenen: Lore Baum, Witwe von Robert Steinitz 131* Ulla Steinitz 425* und ihr Mann Marco Tenenbaum Marianne Opel 632*, Witwe von Tom Haiselden Elisabeth Bruck, Witwe von Kurt Steinitz 311* Toni Sakur, Witwe von Gideon Steinitz 433* Ihnen möchte ich hier auch ein „Denk-mal“ setzen. Jetzt sind wir, die nach 1925 Geborenen, die älteste Generation. Meine weitere Suche nach neuen Verwandten und den Nachfahren weiterer Kinder von Salomon hat schon zu ersten Erfolgen geführt. Deshalb eröffne ich einen Teil II mit dem Titel „Sind wir verwandt?“. So könnte die Familiengeschichte wachsen und fortgeschrieben werden. Ich habe hiermit den Anfang gemacht und schreibe immer weiter in der Hoffnung, dass es eine Tradition wird. Wo ich Fotos von Verwandten habe, füge ich sie ein. Ich bin mir bewusst und es sollte immer berücksichtigt werden, dass alle Familienerinnerungen, auch meine eigenen, subjektiv sind und keinen Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit haben. Was ist typisch jüdisch an den Steinitzen? Ich weiß, woher die Legende vom Reichtum der Juden kommt: Sie bezahlen alles. (S. Lec: Unfrisierte Gedanken S. 40) Die Frage „Was ist typisch jüdisch?“ bewegt mich, wenn ich in dem anwachsenden Stapel schriftlicher Nachrichten der Familie aus verschiedenen Zeiten und verschiedenen Ländern blättere. Die Familie rückt mir immer näher. Manchmal sind mir nur magere Geburts- und Todesdaten bekannt, zwischen denen ich mir ein Schicksal vorzustellen versuche. „Typisch jüdisch“ will ich aus der Belastung der antisemitischen Bedeutung herausnehmen. Wir haben weder besonders krumme Nasen noch großen Reichtum. Typisch jüdisch ist für mich vielmehr, dass innerhalb weniger Generationen der soziale Kontext sich radikal veränderte – von der Diskriminierung und Isolation der Juden über eine mehr oder weniger geglückte Assimilation in die deutsche Gesellschaft bis hin zur Verfolgung und Ermordung. Wer das Konzentrationslager überlebte oder rechtzeitig emigrieren konnte, wurde in alle Welt zerstreut (griechisch Diaspora – „Zerstreuung“). Und wurde...


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