E-Book, Deutsch, Band 7, 100 Seiten
Reihe: Irrlicht
Irrlicht Jubiläumsbox 7 - Mystikroman
E-Book, Deutsch, Band 7, 100 Seiten
Reihe: Irrlicht
ISBN: 978-3-7409-3245-9
Verlag: Blattwerk Handel GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Cecile erkannte nicht die Gefahr, in der sie sich befand. Sie hatte nur einen Wunsch, fort von diesem Mann. Doch da fühlte sie sich ins Boot gezerrt. Sie schrie auf. Die Wellen ließen das Boot wie ein Spielzeug gegen die Steinwände schlagen. Das ist das Ende, dachte Cecile. Tessa war unehelich geboren worden. Sie hatte ihren Vater weder gekannt, noch vermißt. Cecile Finley, ihre Mutter, war vor neunzehn Jahren verlobt gewesen. Diese Verlobung hatte nur kurze Zeit bestanden. Als sie merkte, daß sie ein Kind erwartete, hatte sie den Ort verlassen und war nach Edinburgh zurückgekehrt. Später hatte sie die Stelle bei Dr. Hutton aufgegeben und war nach London gegangen. Hier war sie unter dem Mädchennamen ihrer Mutter untergetaucht. Seither hatte sie nie wieder etwas von Dr. James Denniston, ihrem ehemaligen Verlobten, den sie heute noch liebte, gehört. Nie hatte sie körperliche Beziehungen zu ihm gehabt. Cecile war sich nicht bewußt, mit irgendeinem anderen Mann jemals intime Beziehungen gehabt zu haben. Damals hatte sie auf geheimnisvolle Weise Lord Darwin kennengelernt, von dem sie annahm, daß er Captain Wratt gewesen war. Die Sage, die damals am Kap Wratt kursierte, stammte aus dem fünfzehnten Jahrhundert und besagte, daß dieser Captain Wratt über Jahrhunderte hinweg gelebt hatte, weil er einmal einem großen Fisch das Leben schenkte und dafür ewiges Leben erhielt, solange er es wollte. Dieser Mann war in Ceciles Armen gestorben. Nach ihrer Meinung war es möglich, daß Tessa von ihm stammte, obwohl sie sich nicht erinnerte, je mit ihm näher zusammengewesen zu sein. Aber da gab es einige rätselhafte dunkle Punkte, die sie zweifeln ließen. Es blieb Cecile nichts weiter übrig, als Tessa zu gestehen, daß sie ihren Vater nicht kenne. Ihre Unruhe wuchs, je älter Tessa wurde, die jetzt achtzehn Jahre alt war. Würde sich ihre Tochter nicht eines Tages von ihr abwenden? Dazu kam, daß nichts im Aussehen des Mädchens auf den Vater schließen ließ. Sie war ganz das Ebenbild ihrer immer noch schönen Mutter. * An einem sanften Frühlingstag war Cecile gegen Abend zu Fuß heimgegangen. Überall begann es in der Natur zu grünen. Krokusse drängten aus noch blassem Rasen heraus. In den Gärten blühte der Ginster. Sie war den ganzen Nachmittag von einer inneren Unruhe befallen gewesen, die sich bis zum Abend noch nicht gelegt hatte. Zuerst glaubte sie an eine nahende Krankheit. Aber das war es nicht. Sie war nicht krank, und auch Tessa erfreute sich bester Gesundheit. Ihre Gedanken forschten nach einer möglichen Ursache für diesen sonderbaren Zustand – vergebens. Cecile hatte weder den Frühlingsduft verspürt noch war ihr bewußt geworden, daß sie schon eine ganze Weile unterwegs war. Daher war sie überrascht, als sie jetzt vor dem Haus angelangt war, in dem sie wohnte. Zögernd stieg sie die zwei Stockwerke hinauf. Schon, als sie ihre Wohnungstür aufschloß, sah die den Zettel, der unter dem Spiegel auf einer Ablage lag. »Tessa!« rief sie, aber sie erhielt keine Antwort. Sie ging verwundert hinüber in das Zimmer ihrer Tochter, das gegen deren sonstige Gewohnheit heute unaufgeräumt wirkte. Was mochte Tessa veranlaßt haben, so plötzlich die Wohnung zu verlassen? Cecile zog ihren Mantel aus und hängte ihn im Flur auf, dann griff sie nach dem Zettel. Liebe Mutti, Tomy hat mich abgeholt. Er will mich heute seinen Eltern vorstellen. Es kann also etwas später werden. Tessa. Die Nachricht war in aller Eile geschrieben worden. Cecile stand ganz still. »Tomy Beyerton also«, murmelte sie leise. Sie ging mit dem Zettel in der Hand ins Wohnzimmer und setzte sich. Sie fühlte, wie sich die Spannung noch verstärkte. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, bemühte sich um mehr Gelassenheit und atmete tief durch. Obwohl sie sich lange auf diesen Tag vorbereitet hatte, war er doch so plötzlich gekommen, daß sie keines folgerichtigen Gedankens fähig war. Es ging bereits auf einundzwanzig Uhr zu, als Cecile unten ein Auto vorfahren hörte. Sie stand hinter den Gardinen und spähte durch den Nebel, der die zwei Gestalten auf der Straße aufzulösen schien. Trotzdem erkannte sie, daß sich Tomy von Tessa mit einem Kuß verabschiedete. Zuerst hatte Cecile befürchtet, daß er mit hinaufkommen würde. Aber er fuhr ab, was sie mit einem erleichterten Seufzer feststellte. Kurz darauf schloß ihre Tochter die Korridortür auf. Cecile rührte sich nicht, sie war voller Spannung. Es erschien ihr unendlich lange, bis Tessa ins Zimmer kam. Sie knipste das Licht an und erschrak, als sie ihre Mutter sah. »Du bist hier?« fragte sie überrascht. »Warum machst du kein Licht?« Aber sie wartete gar nicht ab, was ihre Mutter sagen würde. Sie flog auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Ihre Augen strahlten vor Glück. »Mutti!« rief sie erregt. »Wir wollen uns in vier Wochen offiziell verloben. Seine Eltern sind ganz reizende Leute.« Cecile hatte sich langsam gefaßt. »So?« fragte sie einsilbig. Doch es fiel Tessa nicht auf, daß ihre Mutter recht schweigsam war. »Ich habe schreckliche Angst gehabt, aber es war wirklich nicht nötig. Ich glaube, sie mögen mich.« Cecile verzog etwas spöttisch ihre Lippen. »Du meinst, sie akzeptieren dich, Tessa?« Verwundert schaute Tessa jetzt auf. Über ihr Gesicht huschte ein enttäuschter Schatten. »Warum sagst du das? Wenn es nicht der Fall gewesen wäre, hätten sie mich wohl kaum eingeladen. Außerdem hätte ich es bestimmt gleich bemerkt.« Cecile lächelte etwas wehmütig. »Haben sie keine Fragen gestellt?« »Was ist los?« wollte Tessa wissen, die jetzt bemerkte, daß ihre Mutter ziemlich blaß aussah. »Bist du krank, Mutti?« fragte sie mitfühlend. Cecile schüttelte den Kopf. »Es ist deine Nachricht, sie kommt mir so plötzlich. Ihr kennt euch doch noch nicht so lange.« »Aber lange genug, um zu wissen, daß wir uns lieben. Die Eltern von Tomy haben sich auch nicht sehr lange gekannt, als sie sich verlobten. Sie haben es uns erzählt. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen.« »Gutes Zeichen«, wiederholte Cecile. »Haben sie Fragen gestellt, unsere Familie betreffend?« »Ja.« »Das dachte ich mir.« »Sie fragten nach meinem Vater.« »Und was hast du ihnen gesagt?« Das Leuchten in Tessas Augen war nicht mehr so intensiv, und auch ihre Hochstimmung ebbte langsam ab. Sie glaubte zu fühlen, daß ihre Mutter mit ihrer Wahl nicht einverstanden war. Sie warf den Kopf zurück. »Ich habe ihnen gesagt, daß Vater tot sei, und daß ich ihn gar nicht gekannt habe.« »Und?Wie haben sie reagiert?« Tessa stemmte die Arme in die Seite. »Du fragst aber merkwürdig.« »Ich frage nicht ohne Grund, Tessa. Sicher wollen diese Leute einen Stammbaum von dir haben.« Tessa lachte übermütig auf. »Ich bin doch kein Hund, Mutti, der einen Stammbaum nachweisen muß, damit man weiß, daß er auch reinrassig ist.« Cecile, die sonst auf jeden Scherz ihrer Tochter eingegangen war, blieb heute ernst. Ein leichtes Beben ihrer Lippen verriet, daß sie innerlich sehr erregt war. Unwillig sagte Tessa: »Morgen kommt Tomy, um deine Einwilligung zu erbitten. Du bist doch mit ihm einverstanden, Mutti?« Cecile wandte sich ab, um ihrer Tochter nicht in die Augen sehen zu müssen. »Er ist ein sehr netter junger Mann«, flüsterte sie. »Ich mag ihn, er ist offen und ehrlich, und er wird in seinem Beruf bestimmt eine Menge erreichen. Bist du aber auch ganz sicher, daß er der Richtige für dich ist?« »Natürlich ist er der Richtige, Mutti!« rief Tessa unwillig. »Und sein Vater? Ich meine, was macht er eigentlich?« »Soviel ich weiß, ist er im Parlament und seit einigen Monaten in den Adelsstand erhoben worden. Sie haben ein ganz tolles Haus. Ich habe mich zuerst richtig gefürchtet hinzugehen, aber Tomy ist nicht von meiner Seite gewichen, das hat mir sehr geholfen.« Cecile hatte sich mit einem Ruck umgedreht. Jetzt starrte sie ihre Tochter aus großen Augen an. Lord Beyerton würde keine Schwiegertochter akzeptieren, deren Vater unbekannt war. Ein heißes Mitgefühl mit ihrer Tochter machte ihr das Atmen schwer. »Morgen, sagst du, wird Tomy Beyerton kommen?« »Ja, Mutti. Ich kann es gar nicht erwarten.« Cecile taumelte zurück, ihre Knie waren so zittrig, daß sie sich setzen mußte. Das war es also, deswegen war sie den ganzen Nachmittag voller Unruhe gewesen. Als ob sie es geahnt hätte. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Stimme ihrer Tochter. »Tomy sagt, das Haus habe seine Mutter mit in die Ehe gebracht. Sie ist eine wirkliche Lady, überaus vornehm in der Wahl ihrer Worte, dabei aber liebenswürdig und warmherzig.« »Soso«, murmelte Cecile, stand auf und ging hinüber in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. »Das Abendessen ist gleich fertig, Tessa, du könntest mir helfen, damit es schneller geht. Ich bin müde und möchte mich früh schlafen legen.« »Für mich brauchst du nichts zu machen, Mutti. Ich habe bei den Beyertons gegessen. Ganz toll, mit Butler und so.« »Dann solltest du schlafen gehen, damit du morgen ausgeruht ins Büro kommst.« »Hast du schlafen können, als Vater um deine Hand angehalten hat?« Tessa bekam keine Antwort, aber sie sah auch nicht, wie Cecile zusammenzuckte. »Übrigens wollen dich Tomys Eltern kennenlernen. Mach dich auf eine Überraschung gefaßt. Ich hoffe, daß du dich mit Lady Beyerton gut unterhalten wirst.« »Sofern wir einen gemeinsamen Gesprächsstoff finden, Tessa. Wir leben beide in so verschiedenen Welten, daß sie eine arbeitende Frau kaum als gleichberechtigt ansehen...