E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-522-63021-4
Verlag: Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ungewöhnliche Liebesgeschichte. Ab 13 Jahren.
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(S. 5-6)
In der hinteren linken Tasche steckt der Brief. Er ist nicht besonders dick, doch es kommt mir so vor, als könnte ich ihn fühlen. Meine Hände zittern, als ich ihn herausziehe.
»Ich habe heute einen Brief bekommen.« Mike ist mit den Scheinwerfern beschäftigt, nestelt an einem Kabel rum und ruft nach Erik, dem Techniker. »Ich komme im Nachrückverfahren rein«, sage ich. »Sarah ... Aua, verdammt!« Er steckt seinen Finger in den Mund, lutscht darauf herum. Ich gehe näher, bleibe dicht vor ihm stehen. So dicht, dass ich ihn spüren kann, ohne ihn zu berühren. »Was?«, frage ich leise. Mike hält mir den Finger hin. »Stromschlag.« Ich nehme ihn in meine Hand, streichle mit meinen Fingern darüber. Seine Hände machen sich selbstständig, packen meine und halten sie fest. »Sarah.«
Seine Augen und meine Augen. Plötzlich liege ich in seinem Arm, höre sein Herz klopfen. Mike seufzt. Der Brief baumelt nutzlos hinter seinem Rücken. »Sarah?« Ich hebe mein Kinn und unsere Münder finden sich. Wir schwimmen davon. Irgendwann muss ich Luft holen. »Und was ist mit Erik?«, frage ich. Wieder seufzt er. »Unzuverlässig!« Ein Lächeln in seiner Stimme, als wäre das was Positives. Er schiebt mich ein wenig von sich weg. Das Papier knistert. »Was wolltest du vorhin sagen?« Ich weiß plötzlich nicht mehr, ob ich will. Ich knülle den Brief zusammen, ein kleiner weißer Ball. Sein Blick.
Die Haut um meinen Mund herum tut ein wenig weh von seinen Bartstoppeln. Ich reibe mit der freien Hand darüber. Er lächelt. Dann wird er plötzlich ernst. »Was ist denn los?« Ich schlucke. »Die Austauschorganisation. Violett und ich haben einen Platz im Nachrückverfahren bekommen. In Australien. Ich kann zwischen mehreren Highschools wählen, eine davon ist eine mit Schwerpunkt in künstlerischen Fächern.« Seine Füße in schwarzen Flipflops. Der Holzboden des Probenraums. Matten, nachlässig in eine Ecke gepfeffert. Das Kabel, das nutzlos vom Scheinwerfer herunterhängt. »Du kannst nicht gehen!«
Mikes vertraute Augen sind plötzlich schwarz. Schwarz und unendlich fern, sperren mich aus. Es rumpelt, die Tür geht auf und Erik kommt herein, hat eine McDonald’s-Tüte in der Hand. Plötzlich riecht es nach altem, ranzigen Fett. »Musst du immer dieses Zeug fressen?« Steinstimme. Erik sieht ihn mit großen Augen an, schiebt sich drei Pommes auf einmal in den Mund und wirft mir einen verständnislosen Blick zu. »Das Zeug repariert sich nicht von selbst«, fährt Mike ihn an.