Spranger Elementarschaden
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95669-010-5
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Reihe: Edition 211
ISBN: 978-3-95669-010-5
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Privatdetektiv Thorsten Kulik wird von einer Versicherung beauftragt, Blitzunfälle mit Personenschaden zu untersuchen. Er trifft auf merkwürdige Blitzopfer: Einen Einsiedler mit Alien-Kontakt. Eine durchgeknallte Rock-Band. Eine komplette Fußballmannschaft.
Währenddessen muss Thorstens Kompagnon Ralf das Tagesgeschäft aufrechterhalten: Ehebruch, Schwarzarbeit, Nachbarschaftskriege. Die Arbeit wird für die Detektive unangenehm, als ein Stalker anfängt, ein bösartiges Spiel mit ihnen zu treiben. Immer ist ihr Gegner einen Schritt voraus. Die beiden Ermittler leben zunehmend gefährlich. Als Thorsten Annika trifft, wird die Situation noch chaotischer. Nach einem Blitztreffer hat sie das Gedächtnis verloren: An guten Tagen kann Annika sich nicht an die Namen ihrer Kinder erinnern - an schlechten Tagen weiß sie nicht, dass sie Kinder hat. Thorsten interessiert sich ein bisschen zu sehr für Annika. Im besten Fall unprofessionell ... Elementarschaden vorprogrammiert.
Der neue Roman von Roland Spranger, ausgezeichnet für 'Kriegsgebiete' mit dem Friedrich-Glauser-Preis 2013 in der Sparte 'Bester Kriminalroman'.
Roland Spranger, Jahrgang 1963, arbeitet als Betreuer in Wohneinrichtungen für psychisch Kranke und geistig Behinderte. Daneben ist er als Theater-Autor erfolgreich, zuletzt mit 'Das Comeback des Jahres', das im März 2012 uraufgeführt wurde. Roland Spranger lebt und arbeitet in Hof. Mehr über den Autor auf seinem Facebook-Profil.
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AHA, dachte ich mir
Thorsten beobachtete Grubers Anwesen mit einem Fernglas, das nach den Angaben des Herstellers wegen seiner Vielseitigkeit keine Wünsche des anspruchsvollen Sport- und Naturfreunds offenließ. Er selbst hatte keine besonderen Anforderungen bezüglich der Vielseitigkeit eines Fernglases. Ihm genügte es, größer zu sehen, was weit weg war. Um beim Blick durch die Linse nicht seekrank zu werden, stützte Thorsten seine Ellbogen auf einem Felsen ab, auf dem Goethe sich schon einmal niedergelassen hatte. Angeblich hatte der Dichterfürst hier sogar eine Zeichnung angefertigt. Landschaft vermutlich. Goethe waren Fotoapparate unbekannt gewesen. Thorsten schoss eine Fotoserie von Gruber, während dieser minutenlang nackt mit ausgebreiteten Armen im Garten stand. Dann ging Thorsten einen gewundenen Pfad nach unten. Einer Befragung entgegen. Er selbst bevorzugte die Bezeichnung Interview. Vorsichtig öffnete Thorsten ein wackliges Gartentor, das sich mit einem widerwilligen Quietschen über den Eindringling beschwerte. Wie stille Wächter ragten mannshohe Disteln bis weit in den Fußweg zu Grubers Haus. Um dem stachelbewehrten Griff der Blätter zu entgehen, arbeitete sich Thorsten unter Verrenkungen den Pfad entlang. Der Wunsch nach einer Machete kam in ihm auf. Erschwert wurde die Expedition zur Haustür durch die vielen auf dem Pflaster verstreuten Fotos. Thorsten versuchte, auf keines der Bilder zu treten. Auf Zehenspitzen sprang er in einem Meer aus Fotopapier von einer kleinen Insel zur nächsten. Als Kind hatte er eine Zeit lang versucht, sich auf dem Pausenhof fortzubewegen, ohne die Fugen zwischen den Pflastersteinen zu berühren. Ein paar seiner besonders fiesen Klassenkameraden hatten das schließlich mitbekommen und ihn zum bevorzugten Ziel ihrer Erniedrigungsanstrengungen auserkoren. In den folgenden Wochen hatte er sich während der Pausen in einer wenig benutzten Toilette neben dem Werkraum eingesperrt. Natürlich war das Versteck irgendwann aufgeflogen. Ab diesem Zeitpunkt mied er die Toilette, weil er gerade dort seinen Mitschülern schutzlos ausgeliefert war. Einmal machte er sich in die Hose und seine Mutter war daraufhin zu einem Gespräch von seiner Klassenlehrerin eingeladen worden. So ein Scheiß fällt einem immer ein, wenn man es nicht brauchen kann, dachte Thorsten. Man konnte den Scheiß aus der Kindheit nie brauchen. Die Bilder auf dem Gehweg zu Grubers Haus waren anscheinend achtlos hingeworfen worden, jedenfalls konnte Thorsten kein Muster erkennen. Landschaften, Aktfotos von Männern und Frauen, Sonnenuntergänge, exotische wie einheimische Flora und Fauna sowie Schnappschüsse, die offensichtlich vom Fernseher abfotografiert worden waren. Auf keinem der Fotos war Gruber zu sehen. Ein fragmentarisches Lebenspuzzle ohne den Hauptdarsteller. Seltsam für einen Typen, der gerne nackt im Garten steht. Auf dem Rückweg würde er die Bildmotive noch einmal genauer in Augenschein nehmen, nahm Thorsten sich vor. Vor der Eingangstür des alten Bauernhauses drehte er sich noch einmal um. Eine Berufskrankheit. Dann klingelte er. Gruber trug mittlerweile einen pinkfarbenen Trainingsanzug. Der Reißverschluss der Jacke war offen. Darunter lugte ein blaues Grateful-Dead-Shirt hervor. Gruber hatte seine wenigen verbliebenen grauen Haarsträhnen zu einem Pferdeschwanz gebunden. Vermutlich sollten die ruinösen Überreste einer irgendwann mal vorhandenen Frisur das Hippie-Image des Fünfundsechzigjährigen unterstreichen. »Thorsten Kulik. Die Versicherung schickt mich, um Ermittlungen in Ihrem Versicherungsfall durchzuführen«, sagte Thorsten ohne Umschweife. Mürrisch bat Gruber Thorsten herein. Als Erstes fielen Thorsten die Fressnäpfe mit Katzenfutter auf. Sofort musste er niesen. Außerdem stellte sich Juckreiz an den Unterarmen ein. In der Küche schenkte Gruber Kaffee ein und stellte eine Tasse mit Comic-Motiv vor Thorsten auf den Tisch. Sesamstraße. Das orange Gesicht Ernies auf knallgelbem Untergrund. Der Kaffee schmeckte nicht mal schlecht. »Warum sagen Sie mir überhaupt, dass die Versicherung Sie schickt?«, fragte Gruber. »Fair Play«, antwortete Thorsten. »Fair Play?« »Ja, ich bin dafür. Sie nicht?« »Ich finde, Detektive sollten verdeckte Ermittlungen durchführen.« »Wer sagt, dass ich das nicht gemacht habe?« Thorsten zog Fotos einer früheren Observation aus der Jackentasche und schob sie über den Küchentisch. Gruber legte die Abzüge wie eine Patience vor sich ab. Er kratzte sich am Kinn. Die weißen Bartstoppeln knisterten wie ein schlecht eingestellter Radiosender. »Beim Wäscheaufhängen sehe ich scheiße aus.« »Beim Wäscheaufhängen sieht jeder scheiße aus.« »Darf ich die Kamera sehen?« Thorsten legte die kleine silberfarbene Kamera vor Gruber auf den Holztisch. Der Alte nahm sie in beide Hände und musterte sie eingehend von allen Seiten. Enttäuscht legte er sie auf den Tisch zurück. »Sieht aus wie ein ganz normaler Fotoapparat.« »Es ist ein ganz normaler Fotoapparat. Was hatten Sie erwartet?« »Ein riesiges, sehr neugieriges Teleobjektiv. Ich hab auch eine Digitalkamera. Hier, sehen Sie.« Gruber holte einen winzigen Fotoapparat aus seiner Hosentasche. »Schön flach. Trage ich immer bei mir.« »Ich weiß. Ihr Hobby ist nicht zu übersehen, wenn man Sie besucht.« »Haben Sie was dagegen, wenn ich ein Foto von Ihnen mache?« »Eigentlich schon.« Das Blitzlicht blendete Thorsten. Unweigerlich schloss er die Augen, obwohl er lieber keine Reaktion gezeigt hätte. Der Alte hielt die Kamera mit ausgestreckten Armen und begutachtete die Aufnahme kritisch auf dem Display. »Digital sehen Sie noch blasser aus als in echt.« »Es gibt Persönlichkeitsrechte«, antwortete Thorsten. »Sie müssen es ja am besten wissen, Herr Kulik.« Lachend betätigte der Alte noch einmal den Auslöser. »Ich habe keine Angst vor Fotos«, sagte Gruber. »Man kann sich nicht davor schützen. Fotos sind allgegenwärtig, vor allem die schlechten. Seit man keine Filme mehr belichtet, sondern jeden Scheiß digital auf Datenträgern speichern kann, knipsen alle wie blöd in der Gegend herum. Wie ein aufgeschreckter Schwarm Fotoidioten.« Gruber startete eine Fotoserie. Obwohl ihn das Blitzlichtgewitter blendete, sah sich Thorsten möglichst ungerührt in der Küche um, während der Alte ein Foto nach dem anderen von ihm machte. Das Haus war aufgeräumter, als es der Garten vermuten ließ. »Ich habe Ihre Nachbarn befragt«, sagte Thorsten beiläufig. »Das können keine besonders ausufernden Ermittlungen gewesen sein. Ich hab ja nur drei Nachbarn.« »Ja, Sie wohnen ziemlich abgelegen.« »Nicht abgelegen genug. Dieses Land hat eine zu hohe Bevölkerungsdichte. Was sagen meine lieben Nachbarn denn so?« »Alle das Gleiche. Dass Sie verrückt sind.« Der Alte lachte. »Wenn alle das Gleiche sagen, stimmt’s wahrscheinlich.« Gruber trank einen Schluck Kaffee. Als er mit der Unterlippe die Tasse berührte, musste er wieder lachen. Ungebremst prustete Gruber in die Tasse. Blubbernd gab der Kaffee Antwort. Ein Kaffeerinnsal suchte sich einen Weg durch die schneeweißen Bartstoppeln am Kinn und tropfte auf sein blaues Grateful-Dead-Shirt. Thorsten trank ebenfalls von seinem Kaffee. »Nach dem ersten Unfall waren Sie noch in der Lage, in Ihrem Beruf zu arbeiten«, sagte Thorsten ruhig. »Tatsächlich? An einen Beruf kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern.« »Sie waren Direktor einer Sparkasse.« »Erstaunlich. In der Zwischenzeit habe ich bereits am Ausgang des Einkaufszentrums vergessen, ob ich Wechselgeld bekommen habe.« »An das Einkaufszentrum erinnern Sie sich aber?« »Ja, ich werde immer am Ausgang angehalten.« »Nach meinen Recherchen sind Sie in den letzten zwei Jahren siebzehn Mal beim Ladendiebstahl erwischt worden.« »Echt? Da haben Sie’s. Mein Gedächtnis ist so schlecht, dass ich mich jedes Mal gleich bescheuert anstelle. Immerhin kann ich jetzt meine eigenen Ostereier verstecken.« »Das tun Sie tatsächlich. Ihre Nachbarn haben Sie beobachtet.« »Denen scheint wirklich nichts zu entgehen.« »Es fällt eben auf, wenn ein nackter Mann am Weihnachtsabend bunte Eier in den Schnee legt. Wofür brauchen Sie das überdimensionale Xylofon im Garten?« »Na, wofür wohl? Ich halte damit Kontakt zu den Außerirdischen.« »Und antworten die Außerirdischen?« »Ja. Aber ich vergesse ihre Botschaften sofort wieder. Meine Gehirnzellen sind ziemlich porös. Wollen Sie noch Kaffee?« »Nur, wenn noch welcher übrig ist. Einen neuen brauchen Sie nicht aufsetzen.« »Ich bin zwar bescheuert, aber...