Somuncu | Lügen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

Somuncu Lügen

Die Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-911551-01-4
Verlag: WortArt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

ISBN: 978-3-911551-01-4
Verlag: WortArt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Seit Menschengedenken wird gelogen - aus Neid, Habgier, Rache, Not, Liebe, Angst und Wut. Aber wie entsteht die Schwäche des Lügens in uns und wie nutzen wir sie für unsere Ziele? Serdar Somuncu deckt anhand vieler Beispiele schonungslos und offen auf, was hinter den Lügen steckt und was sie für uns und unsere Gesellschaft bedeuten, wobei die Wahrheit in jeder Lüge gar nicht allzu weit entfernt ist.

Serdar Somuncu ist Kabarettist, Autor, Musiker, Regisseur, Schauspieler und Politiker. Ein Mann mit vielen Facetten, der am 03. Juni 1968 in Istanbul das Licht der Welt erblickte. Somuncu studierte Musik, Schauspiel und Regie. Er inszenierte mehr als 100 Theaterstücke und stand für diverse Schauspielhäuser (darunter Bochum, Bremen, Münster, Oberhausen und Mailand) auf der Bühne. Seine Live Tourneen sind regelmäßig ausverkauft und er füllt inzwischen dabei die großen Hallen im deutschsprachigen Raum.

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Kinderlügen Es gibt eine wunderbare Fernsehwerbung, in der kleine Kinder vor einem Überraschungsei aus Schokolade sitzen und von einer erwachsenen Person angewiesen werden, die Süßigkeit nicht anzurühren, solange niemand im Zimmer ist. Wenn sie es schaffen, durchzuhalten, wird ihnen ein zweites Ei versprochen. Daraufhin verlässt die erwachsene Person das Zimmer und die Zuschauer können beobachten, wie das Kind mit sich hadert und letztendlich entscheidet, ob es der Versuchung erliegt, die Schokolade zu essen, oder die Qual erträgt, auf die Anweisungen des Erwachsenen zu hören. In dieser Kopie des in den 60er Jahren durch den amerikanischen Wissenschaftler Walter Mischel erfundenen Marshmallow-Tests geht es vor allem um Selbstkontrolle. Jene Kinder, welche sich unter Kontrolle haben, scheinen gewappneter für das Leben, sagt man. Sie könnten später besser mit Kritik und Frustration umgehen, hätten ein besseres Selbstwertgefühl, führten stabilere Beziehungen und würden bessere Bildungsabschlüsse erreichen. Die Ergebnisse des Experiments, das in den 60er Jahren in einer Kita der Stanford-Universität in Kalifornien erstmals durchgeführt wurde, verhalfen dessen Erfinder Walter Mischel zu Weltruhm: Er wurde zu einem der bekanntesten Psychologen des 20. Jahrhunderts. Der Marshmallow-Test misst das Vermögen, auf eine Belohnung zu warten, wenn diese mit der Zeit größer wird. Etwas, das auf Deutsch sperrig Belohnungsaufschub genannt wird. Zugleich zeigt es aber eindrucksvoll neben berechtigter Kritik an der Nachweisbarkeit und Anwendbarkeit der Ergebnisse des Tests, dass Lügen zu den Strategien von Kindern gehört, die am häufigsten und wirksamsten eingesetzt werden, um einem Entscheidungsdilemma zu entgehen. In vielen kleinen Momenten des Experiments kann man die Entstehung der Lüge beobachten, die zunächst nur eine Ausrede ist, sich aber schon in dem Moment, in dem die Lust über die Vernunft zu siegen scheint, sichtbar wird. Die Kinder erkennen die Herausforderung und zugleich sehen sie sich einer schwerwiegenden Entscheidung ausgesetzt, für die sie allerdings schon längst die Richtung eingeschlagen haben. Denn Schokolade, das weiß jedes Kind, isst man gern, und dafür bestraft zu werden, dass man etwas gerne tut, ist eigentlich ungerecht und mindestens irrational. Es macht also keinen Sinn, auf das zu hören, was einem der Erwachsene sagt, es sei denn, man fürchtet die darauffolgende Strafe und das einsetzende schlechte Gewissen, sobald man den Bann gebrochen und die Schwelle zum Verbotenen überschritten hat. Was also passiert in unserem Gehirn, wenn wir in diesen Zwiespalt geraten, und wie lösen wir Erwachsene in ähnlichen Situationen die Nöte, in die wir geraten, wenn wir uns entscheiden müssen zwischen der Diskrepanz aus dem, was wir wollen, und dem, was wir dürfen? Um zu lügen, muss man also mindestens auch einen Anreiz oder eine Belohnung haben. Es gibt natürlich auch notorische Lügner, denen es einfach Spaß macht, die Mitmenschen an der Nase herumzuführen, oder Menschen, die es nicht anders können, weil sie es so gelernt und erfahren haben. Und alle Warnungen, von »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht« bis »Lügen haben kurze Beine«, bringen nichts gegen die Erfahrung, die man macht, wenn man einmal sein Ziel erreicht, ohne dass man dafür das Risiko eingehen muss, zu sich und seinen wahren Anliegen stehen zu müssen. Man kann sich durch die geschickte Verdrehung der Tatsachen ein ideales Szenario schaffen, in dem die Dinge so arrangiert sind, wie sie sein müssen, damit alles funktioniert. Und wenn man dafür seine Mitmenschen manipulieren muss, dass sie wie Möbelstücke als Teil einer inneren Welt ihre zugewiesenen Positionen haben, ist man nicht nur der Architekt seiner eigenen Realität, man gibt sich so auch die Möglichkeit der Veränderung und der Beeinflussung seiner Umgebung. Untersuchungen von Neurowissenschaftlern haben ergeben, dass wir Menschen im Schnitt 25-mal am Tag lügen.Lügen gehört zu unserem Alltag. Im Grunde genommen stehen wir mit jedem Satz, den wir von uns geben, vor der Wahl, ob wir damit etwas preisgeben oder geheim halten wollen. Es ist auch unser gutes Recht, Dinge zu verschweigen oder sie so umzuformulieren, dass sie nicht mehr den Tatsachen entsprechen. Die Lüge ist also eine bewusste Umkehr der Wahrheit. Aber was passiert im Kopf, wenn wir lügen? Welche Areale unseres Gehirns werden dabei aktiviert, und ist es eine außergewöhnliche Leistung, die nur wir Menschen vollbringen können, wenn wir lügen? Man kann sich also folgende Reaktionen des Kindes auf die Frage des Erwachsenen vorstellen: »Hast du von der Schokolade genascht?« »Nein.« Das wäre eine glatte Lüge. »Nein, aber ich musste das Ei öffnen, weil ich sonst nicht an die Überraschung gekommen wäre« ist eine Ausrede gepaart mit einer Lüge. »Ja, denn ich habe es nicht ausgehalten und war neugierig« wäre die nackte Wahrheit. Ein Erwachsener würde vielleicht noch folgende Antworten geben: »Ja, weil es auch nicht leicht ist, sich zurückzuhalten, vor allem wenn man Schokolade mag.« Das ist eine Rechtfertigung und zugleich ein Eingeständnis der Schuld. »Ja, aber es war auch nicht die Rede davon, dass ich es nicht darf, wenn ich kein zweites Ei will« ist eine rhetorische Finte, die das Argument des Betrugs auflöst. Es ist also vor allem eine Denkleistung, zu lügen und diese in einen Kontext zu stellen, in dem sie ihre Wirkung entfalten kann. Das Kind will mit der Lüge vor allem Strafe vermeiden, dafür, dass es seiner Neugier und seiner Lust auf die Schokolade folgt. Der Erwachsene hingegen will mit seiner als Argumentation getarnten Lüge vor allem sich und sein Verhalten relativieren und in einen zu rechtfertigenden Kontext stellen, der ihn hilflos und ausgeliefert erscheinen lässt. Das Gehirn muss also mehrere Areale aktivieren, um die Wahrheit auszublenden. Und je weiter entwickelt das Gehirn ist, desto mehr Möglichkeiten hat es, zu entscheiden, in welcher Konstellation und Intensität es den Weg der Lüge einschlägt, um damit sein Gegenüber zu täuschen, zu beschwichtigen oder schlicht abzuwehren. Jemand, der lügt, muss sich nicht nur eine neue Geschichte ausdenken, er muss auch die Wahrheit unterdrücken. Und nicht nur die Wahrheit der anderen gilt es zu verdrängen, sondern auch seine eigene. Am besten, indem man an seine eigene Lüge glaubt und sie innerlich zur Wahrheit erklärt. Diese Form der Selbstlüge scheint besonders ausgereift zu sein, da sie nicht nur die Wahrheit als Gegenstück zur Lüge erkennt, sondern sie vielmehr zu einem Teil einer neuen Wahrheit werden lässt, in der die Lüge ihr ebenbürtig ist. Die Verklärung der Realität kann also neben der egoistischen Absicht, sich daraus einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, auch durchaus etwas Soziales haben. So gibt es zahlreiche Gründe, warum wir lügen, beispielsweise auch, um unsere Umwelt nicht zu beleidigen oder die Realität positiv zu verfälschen. Eine Zwecklüge kann den Vorteil haben, dass sie den anderen zwar auf einen Irrweg leitet, ihm aber gleichzeitig ein Bild einer Ordnung vermittelt, die der Lügende für ihn inszeniert. Und dafür bedarf es einer beträchtlichen Anstrengung, die das Gehirn in unterschiedlichen Arealen vollzieht. Während zum Beispiel die Wahrnehmung und Einordnung der einfachen Realität über die Sinne in den Rezeptoren des Großhirns übertragen und dort verarbeitet werden, bleibt die Interpretation der zunächst subjektiven Wahrheit in den Arealen der äußeren Hirnrinde, die auch für die Bewertung und Einordnung der Eindrücke zuständig ist. Für die perfekte Lüge muss also der Transport von der einen Hirnhälfte zur anderen vonstattengehen, ohne dass es dabei einen Datenstau oder gar eine Störung der Gedankenströme gibt. Beim Lügen muss man schnell sein und umdenken können. Oder einfacher gesagt, um die Wahrheit zu verändern und sie zu einer neuen Wahrheit zu machen, muss man sich nicht nur in sich, sondern auch in andere hineinversetzen können. Die Wahrheit muss dabei aktiv unterdrückt werden. Lügen ist Aufwand für das Gehirn. Sie sind ein hochkomplexes Gebilde, das sich zusammensetzt aus Eindrücken, deren Verarbeitung, der Beurteilung des eigenen Handelns und der Abwägung der Reaktion, die schließlich darin mündet, dass man eine Entscheidung trifft, den Weg zu gehen, der abweicht von der rationalen Norm, des Üblichen. Und so ist es auch nicht einfach, Lügen zu entlarven, denn der Komplexität, der veränderten Realität kann man nur eine ebenso komplexe Struktur der Aufdeckung entgegensetzen, die innerhalb des bestehenden Systems zu dessen Auflösung sorgen kann. Lügen zu entlarven ist daher genauso komplex wie das Lügen an sich. Selbst der Lügendetektor hat damit Schwierigkeiten. Hirnscanner stellen zwar Veränderung der elektrischen Spannung fest, wenn Menschen lügen, dennoch kann man nicht sicher erkennen, wann Menschen lügen. Vor allem kann man nichts darüber sagen, warum sie lügen. Im Grunde genommen kann man sich diesen im wahrsten Sinne des Wortes »Prozess« des Denkens und Lügens auch wie ein inneres Gerichtsverfahren des Gehirns in Verhandlung mit Eindrücken und Emotionen vorstellen, bei dem das angeklagte Ich die Wahl hat, die Wahrheit zu sagen, und dafür in Kauf nehmen muss, bestraft zu werden, oder so geschickt zu lügen, dass es den Richter von seiner Unschuld überzeugen kann und der Strafe entgeht. Wir alle haben unsere inneren Richter und wir sind auch Angeklagte und Anwälte unserer selbst. Und wenn wir uns schuldig machen, dann stehen wir ihnen Rede und Antwort. Wir suchen uns aber auch fremde Anwälte für unser Verhalten und stehen nicht selten auch vor fremden Staatsanwälten, die uns für unser Verhalten anklagen. Dabei geht es auch darum, ob wir den Mut haben, uns zu...



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