Soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
E-Book, Deutsch, 318 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-92566-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Bernd Sommer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI).
Zielgruppe
Research
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Danksagung;5
2;Inhaltsverzeichnis;6
3;Abbildungs- und Tabellenverzeichnis;14
4;Abkürzungsverzeichnis;16
5;Einleitung;17
5.1;1 Einführung: Der Missing Link;17
5.2;2 Fragestellungen und Aufbau der Arbeit;20
5.3;3 Erste Begriffs- und Gegenstandsbestimmung;22
5.4;4 Datenbasis, Vorgehensweise und weitere Erkenntnisinteressen;24
5.5;5 Disclaimer: Was diese Arbeit nicht leisten soll oder kann;27
6;I Prekarisierung der Arbeits und Lebensverhältnisse in Deutschland seit 1990 – Dimensionen, Ausmaß, Auswirkungen;29
6.1;1 Einführung;29
6.2;2 Prekarisierung der Erwerbsarbeit im vereinten Deutschland;32
6.2.1;2.1 Prekaritätspotenziale atypischer Beschäftigung;32
6.2.1.1;2.1.1 Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung;34
6.2.1.2;2.1.2 Befristete Beschäftigung;37
6.2.1.3;2.1.3 Leih- und Zeitarbeit;38
6.2.1.4;2.1.4 Scheinselbstständigkeit und Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit;39
6.2.1.5;2.1.5 Unbezahlte Praktika;42
6.2.1.6;2.1.6 Positive Aspekte und weitere Spezifika atypischer Beschäftigung;43
6.2.2;2.2 Entwicklung von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit im vereinten Deutschland;45
6.2.2.1;2.2.1 Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt;46
6.2.2.2;2.2.2 Strukturmerkmale der Unterbeschäftigung;48
6.2.2.3;2.2.3 Weitere Trends und Entwicklungen auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt;49
6.2.3;2.3 Prekarisierungsprozesse innerhalb formal geschützter Beschäftigungsverhältnisse;51
6.2.3.1;2.3.1 Ausweitung des Niedriglohnsektors, abnehmende Bedeutung von Tarifverträgen und Lockerung des Kündigungsschutzes;51
6.2.3.2;2.3.2 Flexibilisierung der betrieblichen Organisation: Netzwerke in und zwischen Unternehmen;54
6.2.4;2.4 Zwischenfazit: Prekarisierung der Arbeitswelt;57
6.3;3 Umstrukturierung der sozialen Sicherungssysteme und Kürzungen von Sozialleistungen seit 1990;58
6.3.1;3.1 Das deutsche Sozialstaatsmodell: Prinzipien, Funktionsweise und ersteKrisen;58
6.3.2;3.2 Verschärfung der Krise und Reorganisation der sozialen Sicherungssysteme seit 1990;59
6.3.3;3.3 Zur Logik der Reorganisation der sozialen Sicherungssysteme;61
6.3.4;3.4 Zwischenfazit: Sozialstaatsreformen und Prekarisierung;62
6.4;4 Einkommens- und Armutsentwicklung im vereinten Deutschland;63
6.4.1;4.1 Einkommensentwicklung;63
6.4.2;4.2 Entwicklung relativer Einkommensarmut;64
6.4.3;4.3 Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld II-Bezieher sowie extreme Armut;65
6.4.4;4.4 Zwischenfazit: Prekäre Einkommenslagen;66
6.5;5 Zur Erfahrungsdimension sozialer Unsicherheit: Ausmaß und Entwicklung der Verunsicherung im vereinten Deutschland;67
6.5.1;5.1 Unsicherheitsempfinden und relative Prekarisierung;67
6.5.2;5.2 Ausmaß und Entwicklung der Verunsicherung im vereinten Deutschland;70
6.5.2.1;5.2.1 Die Ergebnisse der ALLBUS 1992 - 2006;70
6.5.2.2;5.2.2 Der „Angstindex“;75
6.5.2.3;5.2.3 Das GMF-Survey;75
6.5.3;5.3 Zwischenfazit: Verallgemeinerung der Verunsicherung;76
6.6;6 Prekarisierung und die Erosion sozialer Bindungen;77
6.6.1;6.1 Zum Ausmaß der Erosion des sozialen Kapitals im vereinten Deutschland;77
6.6.2;6.2 Flexible Arbeit – flexible Bindungen? Zu den Triebkräften der Erosion sozialer Beziehungen;79
6.6.3;6.3 Zwischenfazit: Verstärkung der Unsicherheit durch Erosion des sozialen Kapitals;87
6.7;7 Individuelle und psychosoziale Folgen der Prekarisierung;88
6.7.1;7.1 Arbeit, Anerkennung und Identität;89
6.7.1.1;7.1.1 Psychosoziale Folgen der Arbeitslosigkeit;93
6.7.1.2;7.1.2 Individuelle und psychosoziale Auswirkungen des Strukturwandels der Erwerbsarbeit I: Unsicherheit als Instrument der Disziplinierung, wachsende Konkurrenz am Arbeitsplatz und schwindende Solidarität;95
6.7.1.3;7.1.3 Individuelle und psychosoziale Auswirkungen des Strukturwandels der Erwerbsarbeit II: Planungsunsicherheit und Verlust der Autorschaft des eigenen Lebens;99
6.7.1.4;7.1.4 Individuelle und psychosoziale Auswirkungen des Strukturwandels der Erwerbsarbeit III: Versagung der Anerkennung durch Arbeit;102
6.7.2;7.2 Prekarisierung und Anerkennung über Konsum;105
6.7.3;7.3 Individuelle und psychosoziale Folgen der Sozialreformen;107
6.7.4;7.4 Weitere Aspekte psychosozialer Folgen der Prekarisierung;109
6.7.5;7.5 Zwischenfazit: Prekarisierung und Identitätsbildung;112
6.8;8 Fazit: Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Deutschland seit 1990;113
7;II Zusammenhänge von Prekarisierung und rechtsextremen Einstellungen – Ergebnisse der empirischen Forschung;117
7.1;1 Was sind rechtsextreme Einstellungen und wie werden sie gemessen?;117
7.2;2 Zum Verhältnis der Verbreitung fremdenfeindlicher sowie rechtsextremer Einstellungen und Prekarisierung: Untersuchungen auf Basis der ALLBUS-Daten 1994-2006;124
7.2.1;2.1 Vorbemerkungen;124
7.2.2;2.2 Zur Entwicklung fremdenfeindlicher Einstellungen in Deutschland 1994-2006;127
7.2.3;2.3 Dimensionen des latenten Rechtsextremismus im Vergleich: Ergebnisse der Untersuchungen von 1996 und 2006;131
7.2.4;2.4 Ergebnisse von Untersuchungen auf Basis der ALLBUS-Daten 1996;136
7.2.4.1;2.4.1 Bi- und trivariate Zusammenhänge;137
7.2.4.2;2.4.2 Ergebnisse multivariater Analysen;145
7.2.4.3;2.4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse, Probleme und Kritik;148
7.2.5;2.5 Auswertung des ALLBUS-Datensatzes 2006: Soziale Determinanten rechtsextremer Orientierungen;150
7.2.5.1;2.5.1 Beschreibung bivariater Zusammenhänge;150
7.2.5.2;2.5.2 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse;157
7.2.6;2.6 Fazit: Was lässt sich auf Basis der ALLBUS-Daten zum Verhältnis von Prekarisierung und rechtsextremen Einstellungen sagen?;158
7.3;3 Ausmaß, Entwicklung und Erklärungen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeitin Deutschland: Ausgewählte Untersuchungsergebnisse 2002-2008;160
7.3.1;3.1 Untersuchungsgegenstand, Stichprobe und Vorgehen;160
7.3.2;3.2 Zur Entwicklung menschenfeindlicher Einstellungen 2002-2008;162
7.3.3;3.3 Soziale Desintegration und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit;165
7.3.4;3.4 Soziale Prekarisierung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit;167
7.3.4.1;3.4.1 Das Gefühl der sozialen Bedrohung und der Anstieg feindseliger Mentalitäten in der „politischen Mitte“;167
7.3.4.2;3.4.2 Soziale Lage, Wahrnehmung der sozialen Krise und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit;168
7.3.4.3;3.4.3 Sozialräumliche Analysen: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in abwanderungsstarken und abwärtsdriftenden Regionen;173
7.3.5;3.5 Weitere diskutierte Faktoren zur Erklärung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit;175
7.3.5.1;3.5.1 Relative Deprivation;175
7.3.5.2;3.5.2 Orientierungslosigkeit (Anomia) und politische Machtlosigkeit;177
7.3.5.3;3.5.3 Nationalstolz und ökonomistische Einstellungen;179
7.3.5.4;3.5.4 Interkulturelle Kontakte und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit;180
7.3.6;3.6 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Prekarisierung in Deutschland: Zusammenfassung der Ergebnisse;181
7.4;4 Ergebnisse des Forschungsprojekts Socio-Economic Change, Individual Reactions and the Appeal of the Extreme Right (SIREN);183
7.4.1;4.1 Das SIREN-Projekt;183
7.4.2;4.2 Die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung in Deutschland;184
7.4.2.1;4.2.1 Stichprobe und Vorgehensweise;184
7.4.2.2;4.2.2 Politische Orientierungen und Verarbeitungsformen sozioökonomischer Veränderungen in verschiedenen Statusgruppen;186
7.4.2.3;4.2.3 Sozioökonomische Motive und Hintergründe rechtspopulistisch/-extremistisch orientierter Personen;191
7.4.2.4;4.2.4 Nicht-ökonomische Motive und alternative Übergänge zum Rechtspopulismus/-extremismus;196
7.4.2.5;4.2.5 Zusammenfassung der Ergebnisse der qualitativen Untersuchung;197
7.4.3;4.3 Die Ergebnisse der quantitativen Befragung für Deutschland;198
7.4.3.1;4.3.1 Zum Survey-Design;198
7.4.3.2;4.3.2 Dimensionen rechtsextremer/-populistischer Einstellungen und ihre sozialen Determinanten;199
7.4.3.3;4.3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der quantitativen Untersuchung;204
7.4.4;4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse des SIREN-Projektes;205
7.5;5 Ergebnisse der FIAB-Untersuchung Prekäre Beschäftigungsverhältnisse – Ursache von sozialer Desintegration und Rechtsextremismus?;206
7.5.1;5.1 Design und Methodik der FIAB-Studie;206
7.5.2;5.2 Zonen der Lohnarbeitsgesellschaft und Typen der arbeitsweltlichen (Des-) Integration;207
7.5.3;5.3 Subjektive Brücken zum Rechtspopulismus;209
7.5.4;5.4 Zusammenhänge von arbeitsweltlichen Prekarisierungserfahrungen und rechtspopulistischen Potenzialen;215
7.5.4.1;5.4.1 Flexibilisierungsdruck und Mangel an politischer Repräsentation;215
7.5.4.2;5.4.2 „Entweiblichung“ und „Zwangsfeminisierung“;216
7.5.4.3;5.4.3 Innerbetriebliche Spannungen und Antidiskriminierungsmaßnahmen;218
7.5.5;5.5 Ausgrenzende Integrationsvorstellungen als Verbindungsglied zwischen Arbeitserfahrungen und rechtspopulistischer Axiomatik;219
7.5.6;5.6 Zusammenfassung der FIAB-Ergebnisse;221
7.6;6 Prekarisierung und Ressentiments in der empirischen Forschung: Zusammenfassung und erste Diskussion der Ergebnisse;223
8;III Diskussion des Verhältnisses von Prekarisierung und rechtsextremen Orientierungen auf Basis der empirischen Daten und theoretischer Modelle;231
8.1;1 Einleitung;231
8.2;2 Reale Gruppenkonflikte und die „rationale Funktion“ von Ressentiments;232
8.3;3 Zur selbstwertstabilisierenden Funktion von Ressentiments;235
8.3.1;3.1 Aufwertung durch Abwertung;235
8.3.2;3.2 Selbstwertstabilisierung durch Teilhabe am Gruppencharisma;235
8.3.3;3.3 Nationalismus und Rassismus als Formen der kollektiven Selbstliebe unter selbstwertbedrohenden Bedingungen;237
8.3.4;3.4 Der Strukturwandel der Arbeit im flexiblen Kapitalismus als „Nährboden“ für Ressentiments?;239
8.3.4.1;3.4.1 Die Schwächung der Erwerbsarbeit als Quelle positiver Selbstwertbeziehungen;239
8.3.4.2;3.4.2 Individuell-biographische Kontrollverluste und Ressentiments;240
8.3.5;3.5 Ressentiments als Reaktion auf empfundene Benachteiligung;242
8.3.6;3.6 Wirtschaftlicher Abstieg als narzisstische Kränkung;243
8.4;4 Zur Orientierungs- und Erklärungsfunktion von Ressentiments;245
8.4.1;4.1 Zur generellen Orientierungsfunktion von Stereotypen und Vorurteilen;245
8.4.2;4.2 Ressentiments als phantasiegesättigte Erlebens- und Orientierungsmuster unter selbstwertbedrohenden Bedingungen;245
8.4.3;4.3 Schuld- und Verantwortungszuschreibung durch Ressentiments;248
8.4.4;4.4 Scapegoating und das Ressentiment als „konformistische Rebellion“;249
8.5;5 Exkurs zum Judenhass: Antisemitismus als prototypisches Ressentiment der Moderne63;251
8.5.1;5.1 Orientierungs- und Sündenbockfunktion antisemitischer Ideologeme in der kapitalistischen Moderne;251
8.5.2;5.2 Schuldabwehrantisemitismus und Prekarisierung;254
8.6;6 Rechtsextremismus als Reaktionsform auf sozialen Wandel, Globalisierung und Gefühle sozialer Atomisierung;256
8.6.1;6.1 Rechtsextremismus als moderne Reaktionsform gegen die Moderne;256
8.6.2;6.2 Zur identitätsverunsichernden Wirkung von Globalisierungsprozessen;259
8.6.3;6.3 Vereinsamungs- und Vereinzelungserfahrungen als Nährboden von Ressentiments;261
8.7;7 „Dominanzkultur“ und „rassistisches Wissen“;263
8.7.1;7.1 Zu den Defiziten von Defizitansätzen: Pathologisierung des Rechtsextremismus;263
8.7.2;7.2 Zur kulturellen Hegemonie des „rassistischen Wissens“;265
8.7.3;7.3 Zur Dominanz der „Dominanzkultur“;268
8.7.4;7.4 Zur Bedeutung von Milieutraditionen;269
8.8;8 Zum Verhältnis von Macht, Traditionen und Ressentiments in Deutschland;271
8.8.1;8.1 Gesellschaftliche Machtverteilung und „rassistisches Wissen“ in Deutschland;271
8.8.2;8.2 Funktionen des Rassismus in der Moderne;276
8.8.3;8.3 Zur völkischen Tradition in Deutschland;278
8.8.4;8.4 Kultureller Rassismus und Islamophobie;280
8.9;9 Zusammenfassung der Überlegungen zum Verhältnis von Prekarisierung und Ressentiments auf theoretischer Ebene;281
9;Schlussbetrachtung;285
9.1;1 Zusammenfassung der Ergebnisse;285
9.2;2 Entwurf eines Modells des Zusammenhangs von sozialer Prekarisierung und rechtsextremen Einstellungen;290
9.3;3 Ausblick: Wie lässt sich der Entstehung und Verbreitung rechtsextremer Einstellungen entgegenwirken?;295
10;Literaturverzeichnis;298
Prekarisierung der Arbeitsund Lebensverhältnisse in Deutschland seit 1990 –Dimensionen, Ausmaß, Auswirkungen.- Zusammenhänge von Prekarisierung und rechtsextremen Einstellungen –Ergebnisse der empirischen Forschung.- Diskussion des Verhältnisses von Prekarisierung und rechtsextremen Orientierungen auf Basis der empirischen Daten und theoretischer Modelle.
III Diskussion des Verhältnisses von Prekarisierung und rechtsextremen Orientierungen auf Basis der empirischen Daten und theoretischer Modelle (S. 231-232)
1 Einleitung
Die Feststellung, dass zwischen der prekären Lage eines Menschen und der Herausbildung rechtsextremer Orientierungen kein mechanischer Zusammenhang besteht, ist banal. Auch die verschiedenen Autoren der hier berücksichtigten Untersuchungen versäumen es nicht, zu betonen, dass gleiche oder ähnliche soziale Lagen von verschiedenen Individuen unterschiedlich verarbeitet werden.
Zugleich hat die Auswertung der verschiedenen Studien aber auch gezeigt, dass gesellschaftliche Teilentwicklungen, die unter dem Begriff der Prekarisierung zusammengefasst werden, bei den von diesen Entwicklungen betroffenen Personen sehr wohl eine Art „Problemrohstoff“ (Dörre/Kraemer/ Speidel 2004b: 99) entstehen lassen können, der in Form von ressentimentgeladenen und ausgrenzenden Identitätskonstruktionen be- und verarbeitet wird.
Wenn aber derartige Haltungen, die hier auch als rechtsextreme Orientierungen bezeichnet werden, eine mögliche Reaktionsform auf das Gefühl der sozialen Verunsicherung darstellen, so bleibt klärungsbedürftig, worin die besondere Attraktivität gerade dieser „Verarbeitungsstrategien“ für bestimmte Personen liegt, schließlich sind die Identitätsangebote moderner Gesellschaften vielfältig.
In der Rassismus- und Rechtsextremismusforschung wird davon ausgegangen, dass die konkreten Inhalte der Ressentiments weitgehend unabhängig von den jeweiligen Personengruppen sind, welche die Opfer der Abwertung darstellen. In dem hier ausgewerteten Interviewmaterial zeigte sich dies u. a. an den Projektionen einer systematischen Bevorzugung von Zuwanderern gegenüber Einheimischen. Die besondere Ausgeprägtheit von Fremdenfeindlichkeit und „Überfremdungsängsten“ in Regionen mit vergleichsweise geringem Zuwanderungsanteil kann als ein weiterer Beleg für diesen Sachverhalt gelten.
Mit der Erkenntnis, dass die Gründe für die Ablehnung bei den Vorurteilsbeladenen selbst (und nicht im Verhalten oder in den Eigenschaften der abgewerteten Minderheit) liegen, rückt die Frage nach dem Nutzen oder der Funktion der Ressentiments für den Ressentimenterfüllten in den Mittelpunkt. Bereits in seiner klassischen Studie zur autoritären Persönlichkeit stellte Theodor W. Adorno die Frage „Antisemitismus – wozu?“, suchte also zu ergründen, welchen Zwecken antijüdische Ressentiments im Leben eines Individuums dienen können (vgl. Adorno 1995: 122ff.). Und auch in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung kommt der Frage, welche psychologische Funktion Vorurteile erfüllen, seit jeher eine zentrale Rolle zu (vgl. Allport 1979 sowie Nelson 2002: 46).
Ausgehend von diesen Überlegungen soll hier der Frage nachgegangen werden, welche Funktion oder welchen Nutzen Ressentiments für Personen haben können, die sich im Status der sozialen Verunsicherung befinden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass rechtsextreme Ideologeme den Verunsicherten aus verschiedenen Motiven attraktiv erscheinen können, bzw. dass Menschen, die ihre soziale Position als bedroht erfahren, aus unterschiedlichen Gründen psychosoziale Kompensation und Zuflucht in Vorstellungen einer radikalen menschlichen Ungleichwertigkeit suchen.