E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-522-62031-4
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ihre Eltern halten Anni für verrückt, weil sie behauptet, eine Stimme zu hören. Aus einer anderen Welt? Sie weiß, dass sie nicht verrückt ist. Doch warum hat nur sie Kontakt zu Nina? Ist Nina wirklich nur eine imaginäre Freundin?
Noel und Anni treffen in der Praxis der undurchsichtigen Psychologin Dr. Stikk aufeinander. Eigentlich soll sie ihnen helfen. Doch sie sind ihr völlig ausgeliefert. Denn Dr. Stikk verfolgt ihre eigenen Ziele. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Thriller ab 13 Jahren.
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Nenn es, wie du willst (S. 10-11)
»Was ist denn los?« Noel versuchte so zu tun, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Eine Technik, die er perfektioniert hatte. Aber diesmal klappte es nicht. »Gib dir keine Mühe. Ich habe schon zwanzig Minuten hinter der Tür gestanden.« Seine Mutter blickte ihn mit einer Mischung aus Spott und Verzweiflung an.
Noel wusste, dass es keinen Sinn mehr hatte zu lügen. Sie hatte einfach zu viel gehört. Zwanzig Minuten waren fast sein ganzes Gespräch mit Leon. Wie konnte er nur so leichtsinnig sein? Warum hatte er sie nicht ins Haus kommen hören? Einen Moment lang schwiegen sie und dieses Schweigen war durch und durch peinlich. Dann hörte Noel ein Auto in die Auffahrt einbiegen und die Beifahrertür klappen. Der Wagen fuhr wieder ab und seine Mutter sah ihn drohend an.
»Bis ich das mit deinem Vater besprochen habe, bleibst du hier, verstanden?!« Sie ging die Treppe herunter. Noel bekam auch bei sich oben jedes Wort von dem Streit mit, den seine Eltern unten in der Küche hatten. Sie schrien sich so laut an, dass man es in der ganzen Mühle hören konnte. Der Altbau war ohnehin ziemlich hellhörig. Noel hoffte sehr, dass sie wenigstens das Fenster geschlossen hatten. Der nächste Nachbar wohnte zwar mindestens fünfzig Meter weiter, aber die Hauptstraße führte nah an ihrem Küchenfenster vorbei.
Er wollte seinen »Fall« ja nicht zur Diskussion im Dorf freigeben. Noels Eltern warfen sich Sachen wie »Mein Sohn ist nicht verrückt« und »Er hat ein Problem« und »Na und, wir haben alle Probleme« an den Kopf. Sie sprachen von »Phase« und »Pubertät« und »Das wird schon wieder« (Papa), »Du machst die Augen zu« und »Nicht in diesem Alter« und »Nenn es, wie du willst, er braucht Hilfe« (Mama). Es ging eine Weile um seinen Geburtstag – Noel wurde nächsten Montag 14 –, aber nicht etwa um die Geschenke oder so. Nein, sein Alter schien nur Anlass zu großer Sorge zu sein.
Er war nämlich zu alt für sein Verhalten (Mama), obwohl man in seinem Alter manchmal verrückte Dinge machte, um mit dem Leben klarzukommen (Papa). Warum hatte er nicht aufgepasst? Seit Jahren war alles gut gegangen! Seine Eltern hatten nie etwas mitbekommen. Er hatte immer rechtzeitig reagiert, bevor sie irgendwie in etwas hätten reinplatzen können. Und falls sie ihn doch mal schräg angeschaut hatten, als ob sie vielleicht Verdacht geschöpft hätten (eigentlich nur Mama), dann war ihm immer etwas eingefallen wie »Ich habe gerade mit Stefan telefoniert, wegen der Hausaufgaben«, und der Verdacht war verflogen. Jetzt hörte er seine Mutter schreien: »Diese ganzen Telefonate mit Stefan oder Nils oder wie sie alle heißen. Haben die ihn jemals zu Hause besucht? Wer besucht ihn denn überhaupt? Ich habe schon immer gedacht, da stimmt was nicht.