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E-Book, Deutsch, Band 6, 520 Seiten

Reihe: Studien zur Pragmatik

Soder Diskursmarker im schriftlichen Standard

Status, Formen und Funktionen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-381-10273-0
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Status, Formen und Funktionen

E-Book, Deutsch, Band 6, 520 Seiten

Reihe: Studien zur Pragmatik

ISBN: 978-3-381-10273-0
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieser Band behandelt einen der spannendsten Gegenstände im Bereich der linguistischen Pragmatik: die sogenannten Diskursmarker, die bisher nur als typisch mündliches Phänomen diskutiert werden und zu denen es nur wenig konkrete empirische Forschung gibt. In theoretischer Hinsicht geht es um eine Schärfung des Verständnisses dessen, was man unter Diskursmarker sinnvollerweise fassen kann. Nach einer integrativ gehaltenen Systematisierung der bisherigen Forschung wird ein begriffliches Modell entwickelt, das der empirischen Datenerhebung zugrundegelegt wird. Im Zentrum der empirischen Untersuchung steht die Erfassung des Formen- und Funktionenspektrums von Diskursmarkern im geschriebensprachlichen Standarddeutsch sowie die Aufdeckung medialitäts- und konzeptionalitätsübergreifender Eigenschaften, aber auch spezifisch schriftlicher Phänomene.

Dr. Lisa Soder lehrt und forscht am Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft der Universität Würzburg.
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Autoren/Hrsg.


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1Einleitung


Es ist keineswegs nur der einzelne Lehrsatz, dem wir uns beugen, sondern es ist vor allem bedeutsam, daß uns überhaupt der Glaube an die Notwendigkeit der Regelung eingeflößt wird, daß wir unser Verständnis und die Empfindung für die Freiheit des sprachlichen Lebens verlieren (Behaghel 1927: 18).

Sprache befindet sich in einem steten Wandel. Nichts ist in Stein gemeißelt. Eine ermüdende Binsenweisheit und dennoch eine Tatsache, die manch einem missfällt. Während man in der Sprachwissenschaft Wandelphänomenen entspannt und mit interessierter Aufmerksamkeit begegnet, stehen Laien diesen – sollten Wandelphänomene ihnen überhaupt bewusst sein – eher skeptisch gegenüber. Manche Sprechergruppen versuchen, sich Sprachwandel sogar bewusst zu widersetzen. Nicht selten werden damit apokalyptische Tendenzen assoziiert. Schnell ist die Rede von „Sprachverfall“, dem „Niedergang der deutschen Sprache“ oder der „Zerstörung der deutschen Sprache“. Öffentlichen Aufregungen begegnet man seitens der Sprachwissenschaft – zu Recht – mit Gelassenheit, doch zuweilen auch mit Unverständnis und Überheblichkeit. Das wiederum zu Unrecht. Schließlich hat sie lange genug die Kommunikation zu interessierten Laien vernachlässigt und sie sprachpflegerischen Hobbylinguisten und Kolumnisten überlassen. Und was ihre Grammatikschreibung angeht … nun ja: Sie scheint tatsächlich wie in Stein gemeißelt. Begriffe, Regeln, Kategoriensysteme und Bewertungen von sprachlichen Varianten werden seit Jahrzehnten reproduziert. Vor dem Hintergrund, dass die Bereiche der sogenannten Kerngrammatik – Phonologie, Morphologie und Syntax – als weitgehend etabliert gelten und sich systematische Veränderungen dort vergleichsweise langsam vollziehen, ist dagegen zunächst nichts einzuwenden. Auffällig ist nur, dass sich die Grammatikschreibung in ihrer schriftzentrierten Tradition und allgemeinen Tradiermanier fast ausschließlich nach Kommunikationsformen einer extremen Distanzschriftlichkeit richtet. So blieben und bleiben historisch stabile Muster der spontanen Sprechsprache oft unsichtbar (vgl. Sandig 1973), was nicht nur ihre Diskriminierung weiterhin fördert, sondern angesichts der blinden Flecken auch zu einer verfälschten Wahrnehmung im öffentlichen (und manchmal auch im wissenschaftlichen) Diskurs führen kann – etwa, was das Alter oder die Gründe für die Herausbildung einer bestimmten Konstruktion betrifft.

Ein solcher Diskriminierungskandidat ist das Phänomen, das in der Forschung als Diskursmarker bezeichnet wird. Im öffentlichen und/oder laienlinguistischen Diskurs erlangen (bisher) nur bestimmte Vertreter Prominenz, wie zum Beispiel die nebenordnende Konjunktion oder mit Hauptsatzstellung (). Solche Abweichungen von der bekannten und präskriptiven Norm werden von der Öffentlichkeit als Indikator für den Verlust des deutschen Nebensatzes gedeutet (vgl. Nübling et al.: 1). In den neunziger Jahren wurde deswegen sogar die Aktionsgemeinschaft ‚Rettet den Kausalsatz‘ ins Leben gerufen. Die mediale Aufregung um den vermeintlichen „Siegeszug des Hauptsatzes“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.11.2014) ist inzwischen abgeklungen. Doch im alltäglichen und schulischen Kontext werden derartige und verwandte syntaktische Muster immer noch als falsch beurteilt, verurteilt oder gar geahndet, um im nächsten Gespräch – ohne es zu bemerken – denselben ‚Fehler‘ zu begehen. Die germanistische Sprachwissenschaft vernachlässigte zunächst sprachgeschichtliche Aspekte und begann in den neunziger Jahren solche Konstruktionen als ein zeitgenössisches Phänomen des Mündlichen zu diskutieren. Inzwischen wissen wir, dass auch weitere Vertreter (, , , ) bereits für das 19. Jahrhundert oder gar frühere Jahrhunderte belegt sind (vgl. Freywald 2018, Imo 2010, 2016, 2017).

Neben gehören zu den berühmten Ausdrücken, die unter dem Stichwort ‚Herausbildung zum Diskursmarker‘ diskutiert werden, die Adverbien und , die Nebensatzeinleiter und , die Frageformeln und oder der Matrixsatz . In ihrer Funktion als Diskursmarker zeigen die Ausdrücke und ihr Verwendungskontext bestimmte Eigenschaften, die sie von der ‚kern‘-grammatischen Klasse ihrer morphologischen Dubletten unterscheiden lässt. Für eine erste Veranschaulichung sei ein vielzitiertes Beispiel von angeführt:

Als Subjunktion:

Sie isst, obwohl sie keinen Hunger hat.

Als Diskursmarker:

A:

brauchst du noch en KISSEN?

B:

hm. ne. das reicht (0.5) obWOHL (.) das isch DOCH unbequem. (zit.n. Günthner 1999a: 414)

als Diskursmarker verliert seine konzessivtypische Funktion und übernimmt eine diskursive Korrekturfunktion. Formal erscheint es prosodisch und syntaktisch desintegriert und leitet nun einen Hauptsatz ein, der sich nicht mehr nur auf einen vorausgehenden Teilsatz bezieht, sondern auf den vorangehenden Redebeitrag.

Auffällig ist, dass die Frage nach der Herausbildung, dem Status und der Gebrauchsnorm von sogenannten Diskursmarkern auch nach drei Jahrzehnten für geschriebene und für gesprochene Sprache in der Forschung von unterschiedlicher Brisanz ist. Während die Frage in der Schriftsprachenforschung geradezu ignoriert wurde, hat sich das Erkenntnisinteresse im Wesentlichen auf die gesprochene Sprache konzentriert. Zugegebenermaßen ist das nicht verwunderlich. Die Frage der Einheitenbildung gilt für die geschriebene Distanzsprache mit dem Verweis auf die Grammatikschreibung als weitgehend beantwortet. Die dominante grammatische Einheit ‚Satz‘ samt seiner Teileinheiten ist schließlich umfassend in den zahlreichen (Satz-)Grammatiken beschrieben. Ausdrücke, die – wie Diskursmarker – außerhalb des Satzrahmens stehen, fallen logischerweise aus der Betrachtung heraus. So ist bisher noch unklar, ob es sich bei solchen Phänomenen nur um vage gesprächsorganisierende Einheiten handelt oder sie gar als schematische textstrukturierende Konstruktionen zu begreifen sind, die einen Platz in der (Text-)Grammatikschreibung verdienen. Die vorliegende Arbeit will eine Brücke zwischen der gesprächsorientierten Diskursmarkerforschung und der Schriftlinguistik schlagen.

1.1Gegenstand und Ziel


Das sprachliche Phänomen, das man im deutschsprachigen Raum bevorzugt als Diskursmarker bezeichnet, wird bisher nur als typisch (oder sogar explizit) mündliches Phänomen diskutiert. Die wenigen Untersuchungen, die sich mit medial schriftlichen Diskursmarkern beschäftigen, basieren auf Texten sog. konzeptioneller Mündlichkeit bzw. auf schriftlichen Texten interaktionaler Kommunikation. Forschungen, basierend auf normgrammatischen Texten einer Distanzsprache, sind rar oder nehmen eine dezidiert textlinguistische Perspektive ein, ohne einen Bogen zur Diskursmarkerforschung zu spannen. An diesem Forschungsdesiderat setzt meine Arbeit an. Erstmals werden Diskursmarker aus einer rein schriftsprachlichen Perspektive beleuchtet und primär in Texten des schriftlichen Standards korpusgestützt aus einer synchron-gegenwartssprachlichen Perspektive untersucht. Eine nicht unproblematische Voraussetzung ist die Tatsache, dass selbst in der interaktional ausgerichteten Diskursmarkerforschung immer noch kein Konsens über die Terminologie, den Status sowie das Formen- und Funktionenspektrum herrscht. Ohne feste Anhaltspunkte zur Identifizierung von Diskursmarkern und zu deren Abgrenzbarkeit zu ähnlichen Kategorien wird die (empirische) Suche nach dem Phänomen sowie dessen Analyse nicht nur erschwert, sondern es fehlt auch die theoretische Basis, die einen Vergleich und die Untersuchung in schriftlichen Kommunikationsgattungen erst möglich macht. Zudem zeigt bereits eine erste Sichtung der Forschungsarbeiten, dass die Schnittstellen zu benachbarten Kategorien je nach angesetzter Definition manchmal beträchtlich erscheinen. Ein erster Schritt dieser Arbeit besteht daher in der Auseinandersetzung und Evaluation der bisherigen Forschungsergebnisse zu gesprochensprachlichen Diskursmarkern, um die erste – allgemeine – Forschungsfrage zu beantworten:

F1

Warum und unter welchen Umständen ist die Annahme einer eigenen Kategorie gerechtfertigt?

Auf der Basis der kritischen Auseinandersetzung und Neusortierung der bisherigen Thesen- und Forschungslage wird ein differenzierter Kriterienkatalog zur Definition und Identifizierung erarbeitet. Um die Erforschung des Phänomens in verschiedensten Kommunikationsformen zu ermöglichen und die Anwendung des Katalogs für andere Teildisziplinen (z.B. Text- und Diskurslinguistik) fruchtbar zu machen, wird er medialitätsübergreifend und theorieunabhängig konzipiert. Der Katalog bildet die theoretische Basis für empirische Untersuchungen, die der Beantwortung weiterer...



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