Simon / Weber | Vom Navigieren beim Driften | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: Systemische Therapie

Simon / Weber Vom Navigieren beim Driften

"Post aus der Werkstatt" der systemischen Therapie
6. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8497-8407-2
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

"Post aus der Werkstatt" der systemischen Therapie

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: Systemische Therapie

ISBN: 978-3-8497-8407-2
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



„Post aus der Werkstatt“ hieß eine legendäre Kolumne in der Zeitschrift „Familiendynamik“, in der Fritz B. Simon und Gunthard Weber zentrale Aspekte von Therapie und Beratung unter die Lupe und, wenn nötig, auch auf den Arm nahmen. Ihre humorvollen, geistreichen und provokativen „Interventionen ins Feld“ waren und sind von nachhaltiger Wirkung, sowohl für den Ruf der „Heidelberger Schule“ als auch für die tägliche Praxis vieler Therapeuten und Berater.

Dieser Band macht die Texte in überarbeiteter Form wieder zugänglich. Die originellen Kurzessays haben das Potenzial, den Praxisalltag zu verstören und kräftig zu beleben. Gleichzeitig vermitteln sie reichlich professionelle Gelassenheit. Ein Muss für alle Therapeuten und Berater!

Simon / Weber Vom Navigieren beim Driften jetzt bestellen!

Zielgruppe


Psychologen, Therapeuten, Ärzte, Berater

Weitere Infos & Material


Zwischen Allmacht, Ohnmacht und „macht nichts!“
Über die Verantwortung des Therapeuten Wahrscheinlich passiert es Ihnen auch gelegentlich, dass Sie Patienten mit nach Hause nehmen. Wir meinen nicht, dass diese Menschen dann das ganze Wochenende bei Ihnen auf dem Sofa sitzen oder Sie beim Abendessen in artige Konversation verwickeln (obwohl es das auch geben soll). Meist ist es umgekehrt: Wenn Sie Patienten mit nach Hause nehmen, so wirken Sie eher etwas abwesend und nicht ganz da. In Gedanken sind Sie z. B. in der Klinik, sitzen bei dem Patienten (der Patientin, der Familie, dem Paar) zu Hause auf dem Sofa oder am Abendbrottisch, begleiten ihn/sie kritisch beobachtend und machen sich um ihn/sie Sorgen. Folgende schwer wiegende Fragen lassen Sie nicht los: Wird alles gut gehen? Habe ich genug getan? Habe ich das Richtige getan? Was hätte ich tun sollen oder müssen? Was habe ich versäumt? Was hätte ich nicht tun dürfen? Die Antwort auf diese Fragen (und die hinter allem stehende Frage, ob Sie nicht doch vielleicht den falschen Beruf ergriffen haben) liefert der Patient (die Patientin, die Familie, das Paar) durch das, was er (sie, es) tut. Wie schaffen es Therapeuten und Patienten, sich in solche – zweifellos auch intensiven – Beziehungen zu verwickeln? Ist diese Form der Beziehung therapeutisch sinnvoll? Und wenn ja, für wen? Ist es ein Zeichen hohen Verantwortungsbewusstseins, wenn wir Patienten „mit nach Hause nehmen“, oder weist dies eher auf eine problematische Phase des therapeutischen Prozesses hin? Die Beantwortung dieser Fragen hat weitreichende Wirkungen auf das Wohlbefinden von Patienten und Therapeuten. Die verschiedenen Psychotherapieschulen beantworten sie unterschiedlich. Entsprechend variieren auch die Vorstellungen und Richtlinien hinsichtlich der Gestaltung der therapeutischen Beziehung und darüber, wie viel Verantwortung ein Therapeut übernehmen kann und soll. Der erste Hauptsatz der Verantwortungsdynamik
Etwas verkürzt lässt sich die Regel der Verteilung und Balancierung von Verantwortung in einem Interaktionssystem folgendermaßen beschreiben: „Das Maß der Verantwortung in einem Interaktionssystem bleibt konstant. Die Verantwortungsabgabe des einen ist die Verantwortungsübernahme des anderen. Wo nichts ist, kann auch nichts abgegeben werden.“ (Den „zweiten Hauptsatz der Verantwortungsdynamik“ erwähnen wir hier gar nicht. Er lautet: „Die Verantwortung in einem sozialen System erhält immer der Schnellste.“ Beispiel: Wer sich am schnellsten durch das dreckige Geschirr gestört fühlt, bekommt die Verantwortung für den Abwasch. Oder anders gesagt: Weil er sich einige Minuten früher als andere gestört gefühlt hat, macht er den Abwasch, und auf diese Weise wird er zum Experten für den Abwasch, zum Verantwortlichen für …, zum Funktions- und Rollenträger. So kommt es, dass in Paarbeziehungen, Wohngemeinschaften, Büros usw. immer dieselben Personen den Abwasch machen, den Müll runtertragen, das Klo putzen. Wer – weil er nicht langsam genug ist – eine gemeinsames Problem löst, löst es für alle, und wenn er nicht aufpasst, dann löst sie das immer … Wer es genießen kann, so wichtig für alle anderen zu sein, muss sich also beeilen; wer das nicht so richtig toll findet, sollte beim nächsten Mal, wenn sie den Impuls verspürt, den Abwasch zu machen, bis 1000 zählen … – oder auch bis 2000.) Wir wollen einige Aspekte von Verantwortung und Verantwortungsteilung in therapeutischen Beziehungen und anderen Beziehungskisten systemisch betrachten. „Kontrollverlust“ und Verantwortungskollusion
Es gibt (grob gesprochen und leicht vereinfacht) zwei Gruppen von Patienten/ Klienten (bzw. -systemen), mit denen Psychosozialarbeiter zu tun haben: 1. Diejenigen, von denen man sagt (gelegentlich sagen sie es auch selbst von sich), dass sie die Kontrolle über sich selbst (oder Teile davon) und ihr Verhalten verloren haben: Sie sind irgendwelchen „inneren Kräften“ hilflos ausgeliefert, sie verhalten sich abweichend und auffällig, sie sind „ungezogen“ und richten sich nicht nach dem ortsüblichen Denk- und Gefühlsknigge. Oft leiden sie selbst, fast immer leidet ihre unmittelbare Umwelt. Sie landen in der Regel in der Psychiatrie. Es sind die so genannten „Psychotiker“, „Alkoholiker“ und andere …-iker, welche ihre „Steuerungsfähigkeit“ verloren (aufgegeben, vergessen, irgendwo liegen gelassen etc.) haben. Sie gelten als nicht schuldfähig und als nicht verantwortlich für das, was sie tun. Sie tun eigentlich nicht, was sie tun: Sie sind „außer sich“ oder aber „übermannt“ (man beachte das Geschlecht!) von ihren Trieben, Impulsen, Affekten, Wahnen, Süchten oder Zwängen. 2. Diejenigen, von denen man sagt (häufig sagen sie es auch von sich selbst), dass sie die Kontrolle über ihre Umwelt (oder Teile davon) und ihr Verhalten verloren haben: Sie sind irgendwelchen „äußeren Kräften“ oder Umständen hilflos ausgeliefert, sie verhalten sich eher angepasst und unauffällig und richten sich nach dem Knigge (oft mehr, als er es erlaubt). Sie leiden meist mehr unter der Umwelt als die Umwelt unter ihnen. In der Regel landen sie bei Psychotherapeuten und in Psychosomatischen Kliniken. Es sind die „Neurotiker“, „Neurastheniker“, „Bsychosomatiker“ (nur selten die „Legastheniker“, obwohl sie zum Peischbiel eindeutig unter der entdifferenzierten Peziehung von B und P leiden1). Das Muster, das beide Gruppen verbindet, ist der Unterschied, der den Unterschied macht: Stets ist die Kontrolle verloren, die Verantwortung dahin; einmal drinnen, das andere Mal draußen.2 Von den Patienten der ersten Gruppe wird der Therapeut eingeladen, von außen die innere Kontrolle zu ersetzen. Dazu passen also besonders gut die Therapeuten, die sich gerne aktiverzieherisch verhalten. Dies geschieht meistens in einem geeigneten institutionellen Rahmen (z. B. geschlossenen Stationen, Cleaniken und Heimen) mit eindringlichen Mitteln (z. B. durch Injektionen) oder mit Mitteln, die das Eindringen verhindern sollen (z. B. Abstinenzgeboten). Der Therapeut übernimmt beispielsweise die Verantwortung dafür, dass ein „Maniker“ nicht das Familienerbe mit leichten Mädchen durchbringt oder eine „Alkoholikerin“ ihren Mann nicht über Gebühr verprügelt. Bei der zweiten Gruppe von Patienten gerät der Therapeut in Versuchung zu helfen, zu retten und zu bergen (was noch zu retten ist!). Er führt stützende Gespräche, versteht, leidet mit, versucht Defizite zu kompensieren, agiert als „Hilfs-Ich“.3 Hier sind also besonders die Therapeuten gefragt, die sich gerade dann hilfreich wähnen, wenn sie handeln. Fragt z. B. ein Mensch nach dem kürzesten Weg zum Bahnhof, ist das, was geschieht, mitbestimmt von der Einschätzung des Gefragten. Gerät der Fragende an einen tragfähigen Menschen, der zu dem Schluss kommt, dass der Frager (vielleicht gerade wegen seiner eigenen etwas verworrenen Wegbeschreibung) hilflos wirkt oder dass dessen Beine ihn nicht mehr zum Bahnhof tragen können, wird er ihn voraussichtlich stützend zum Bahnhof begleiten. In beiden Therapeut-Patienten-Konstellationen kolludieren die Prämissen über die Verantwortlichkeit bzw. Nichtverantwortlichkeit und die Handlungen der Beteiligten oft auf eine außergewöhnlich harmonische und oft dauerhafte Weise (gelegentlich kollidieren sie auch miteinander). „Instruktive Interaktion“ und systemische Bescheidenheit
Das Problem bei der Verantwortung ist, dass man sie nur für das gewährleisten kann, was man steuern kann. So kann man z. B. (im Allgemeinen) die Verantwortung dafür übernehmen, dass das Automobil, an dessen Steuer man sitzt, auf der falschen Fahrbahn der Autobahn fährt (wenn man ein gewissenhafter Geisterfahrer ist). Autos sind eben mechanische (triviale) Systeme, die lenkbar sind. Dies dürfte der Hintergrund dafür sein, dass sich so viele Menschen in ihre Autos verlieben.4 Lebende Systeme hingegen (wie manche Menschen z. B.) sind autonom, d. h., sie tun das, was sie – ihrem Weltbild und ihren Werten entsprechend – für sinnvoll halten. Das macht den Umgang mit ihnen so schwierig und kompliziert (zugegeben: gelegentlich auch interessant). Ein Vorteil lebender Systeme (Menschen, Katzen etc.) gegenüber nichtlebenden Systemen (z. B. Autos, Oberhemden, Unterhosen etc.) besteht unter anderem darin, dass solche autonomen Systeme in der Regel in der Lage sind, sich selbst zu waschen.5 „Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen, mir hat jemand in die Hose geschissen!“ Eine Vorstellung von Macht im Sinne einer gradlinigen Ursache-Wirkung-Beziehung (der eine verhält sich therapeutisch richtig, der andere ist geheilt) ist lebenden Systemen (Therapeuten und Patienten) nicht angemessen. Das Problem der meisten Therapeuten ist aber,...


Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon Weber Friends Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 34 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: Der Prozeß der Individuation (1984), Die Sprache der Familientherapie (1984, mit Helm Stierlin und Ulrich Clement), Lebende Systeme (1988), Unterschiede, die Unterschiede machen (1988), Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (1990), Radikale Marktwirtschaft (1992, mit CONECTA), Die andere Seite der Gesundheit (1995), Die Kunst, nicht zu lernen (1997), Zirkuläres Fragen (1999, mit Christel Rech-Simon), Tödliche Konflikte (2001), Die Familie des Familienunternehmens (2002), Gemeinsam sind wir blöd!? (2004), Mehr-Generationen-Familienunternehmen (2005, mit Rudi Wimmer und Torsten Groth), Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (2006), Einführung in die systemische Organisationstheorie (2007), Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie (2009), Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Systemische Aspekte des Fußballs (2009), Einführung in die Systemtheorie des Konflikts (2010), „Zhong De Ban“ oder: Wie die Psychotherapie nach China kam (2011, mit Margarete Haas-Wiesegart und Zhao Xudong), Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2012), Wenn rechts links ist und links rechts (2013), Einführung in die (System-)Theorie der Beratung (2014), Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2018), Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht! (2019), Der Streit ums Nadelöhr. Körper, Psyche, Soziales, Kultur. Wohin schauen systemische Berater? (2019, mit Jürgen Kriz), Lockdown: Das Anhalten der Welt (2020, mit Heiko Kleve und Steffen Roth), Formen (reloaded). Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2022).

Gunthard Weber, Dr. med., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Systemischer (Familien-)Therapeut und Berater; Geschäftsführender Gesellschafter von Simon, Weber and Friends, Systemische Organisationsberatung GmbH und des Carl-Auer Verlags. Gründer der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Lösungen (IAG), Mitbegründer der Systemischen Gesellschaft (SG) und des Helm-Stierlin-Instituts Heidelberg (HSI). Gründer des Wieslocher Instituts für systemische Lösungen (WISL). Internationale Lehrtätigkeit. Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen. Sein Bestseller „Zweierlei Glück“ wurde in 17 Sprachen übersetzt.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.