Simenon | Die Schwarze von Panama | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Die großen Romane

Simenon Die Schwarze von Panama

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Die großen Romane

ISBN: 978-3-455-00446-5
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



ZEIT FÜR MICH – ZEIT FÜR SIMENON

»Georges Simenon ist der wichtigste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.«

Gabriel García Márquez
Joseph Dupuche und Germaine Dupuche reisen nach Panama, wo Joseph für eine französische Firma arbeiten soll. Voller Vorfreude auf das große Abenteuer schmieden sie Zukunftspläne. Umso brutaler ist der Einbruch der Realität. Die Firma ist pleite, und der nackte Kampf ums Überleben treibt das Ehepaar auseinander. Während Germaine mit allen Mitteln den gesellschaftlichen Abstieg zu verhindern sucht, fängt Joseph an zu trinken und zieht, zur Bestürzung der französischen Gemeinschaft, mit einer jungen Schwarzen auf die andere Seite des Kanals, ins Quartier nègre.
Bandnummer: 102
Simenon Die Schwarze von Panama jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Nachwort – Traurige Tropen
Über Georges Simenon
Impressum


1
»Da sind ja nur Neger zu sehen«, hatte Germaine geflüstert, während das Schiff in den Hafen einlief. Sie hatten hoch oben auf dem Promenadendeck gestanden und auf den allmählich näher rückenden Kai geblickt, wo zwei Kolonnen von schwarzen Dockarbeitern warteten. Ein wenig unsicher hatte ihr Mann geflüstert: »Ja, natürlich!« Wieso natürlich? Schließlich fuhren sie gerade in den Panamakanal ein, befanden sich also in Mittelamerika. Hätten sie nicht eher Indios sehen müssen? Das war jetzt zwei Stunden her, und es hatte noch weitere Gelegenheiten zum Staunen gegeben. Sie trugen beide weiße Leinenkleidung und einen Tropenhelm. Dupuche, der besser Englisch sprach als seine Frau, hatte sich mit einem Schwarzen geeinigt, der sich ihres Gepäcks angenommen und ihm einen Zettel mit einer Nummer ausgehändigt hatte. »Washington Hotel?«, hatte er gemurmelt. »Yes«, hatte Dupuche verblüfft geantwortet, denn dort wollte er tatsächlich absteigen. Diejenigen Passagiere der Ville-de-Verdun, deren Reiseziel Tahiti war, hatten es eilig, an Land zu gehen, denn die Zwischenlandung sollte nur drei Stunden dauern, dann würde das Schiff den Panamakanal passieren. Das Ehepaar Dupuche stand ihnen im Weg. »Bleiben Sie lange in Cristobal?« »Unser Schiff kommt in zwei Tagen …« »Viel Glück!« Alles mutete fremdländisch an, vor allem die Sonne, aber auch die Uniformen der Zollbeamten, der Verkehrspolizisten, der amerikanischen Soldaten, die den Hafen und die anliegenden Straßen bewachten. Neger stellten sich einem in den Weg, um einen in ihre Autos zu locken, doch Germaines Wahl fiel auf einen Einspänner mit einem weißen Verdeck, an dem Vorhangtroddeln baumelten. »Hast du auch deine Schlüssel nicht vergessen? Der Maître d’hôtel hat sich nicht zu seinem Trinkgeld geäußert? Schau mal, Madame Rocher …« Sie beugten sich aus dem Wagen, um sich von Madame Rocher zu verabschieden, die zu ihrem Mann auf die Hebriden reiste. Sie blickten neugierig umher, versuchten sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. »Zum Washington Hotel?«, hatte der schwarze Kutscher gefragt. Als Erstes kamen sie durch eine schöne, von Palmen überschattete Allee, die von den prächtigen Gebäuden der Schifffahrtsgesellschaften flankiert wurde. »Die Post dürfen wir nicht vergessen …« Eine breite, sonnige Straße, die an den Bahngleisen entlangführte. Warenhäuser, Andenkenläden und an jeder Tür Levantiner, die den Touristen etwas verkaufen wollten. Endlich erblickten sie inmitten eines mit Kokospalmen bepflanzten Parks das Washington Hotel: eine Freitreppe, Kolonnaden, eine riesige kühle Lobby, weiß gekleidete Boys, ein Angestellter in Smokingjacke, an den Dupuche sich auf Englisch wandte. Ihr Gepäck war bereits eingetroffen, und zwei Minuten später machten sich die Eheleute in ihrem Zimmer zu schaffen, inspizierten das Bad, öffneten Fenster und Wandschränke. Dupuche wagte nicht, seiner Frau zu gestehen, dass die Suite zehn Dollar pro Tag kostete. Was machte das schon? Ein paar Dollar mehr oder weniger, darauf kam es doch gar nicht an. In der Hotelhalle hatten sie höhere amerikanische Offiziere wahrgenommen. Der Speisesaal war geräumig, und im Park schimmerte ein marmornes Schwimmbecken. »Heute Abend gehen wir zum Baden«, entschied Germaine. »Jetzt müssen wir rasch zur Bank …« Dupuche ließ sein Jackett im Hotel zurück, denn draußen war es dafür zu heiß. Der Boy machte Anstalten, einen Wagen herbeizuwinken. »Nein, wir gehen zu Fuß …« Sie wollten die Stadt besichtigen. Es war schon bald Mittag. Sie hatten wohl den falschen Weg eingeschlagen, denn schon nach ganz kurzer Zeit befanden sie sich in einer tristen, schmutzigen Gegend mit Holzhäusern. Auf den Gehsteigen wimmelte es von Schwarzen. Die Sonne stand senkrecht. Frauen dösten auf den Türschwellen vor sich hin. Germaine rümpfte die Nase über den Gestank und blickte verstört um sich. »Du solltest nach dem Weg fragen …« Nach einer Viertelstunde hatten sie sich zurechtgefunden, und sie erblickten die von Levantinern geführten Läden, in denen die Passagiere der Ville-de-Verdun um Nippes feilschten. »Frag nach dem Weg zur Bank, Jo.« »Ich glaube, das ist der Laden, wo weiße Anzüge besonders preiswert sein sollen …« »Erst die Bank!« »Pardon, Monsieur … Die New York Chase Bank, please?« »Zweiter Häuserblock links …« »Schau mal«, sagte Dupuche, während er seinen Blick über ein schattiges Café schweifen ließ, »hier haben sie sogar noch Pernod aus der Vorkriegszeit! Wenn wir die Bank hinter uns haben, gehen wir einen trinken …« Die Bank war nur eine kleine Zweigstelle mit einem einzigen Angestellten. Dupuche reichte ihm einen Kreditbrief über zwanzigtausend Franc. Der andere sah nicht einmal hin. »Wenden Sie sich an die Agentur in Panama!« Germaine, die kaum Englisch verstand, begann sich zu beunruhigen. »Wir sind hier nur eine Wechselstube. Um zwei Uhr fährt ein Zug, mit dem Sie in achtundvierzig Minuten in Panama sind.« »Komm, Germaine …« »Was hat er gesagt?« »Wir fahren nach Panama, am anderen Ende des Kanals. Aber es bleibt uns genug Zeit, um einen Pernod zu trinken und zu Mittag zu essen.«   Schläfrig saßen sie, alle beide von der Sonne getroffen, im mit Korbsesseln ausgestatteten Eisenbahnabteil. Die Mitreisenden lasen in der amerikanischen Zeitung. Die Männer trugen angeknöpfte Kragen und Krawatten, nur Dupuche hatte kein Jackett, er war auch der Einzige mit einem Tropenhelm auf dem Kopf. Zur Linken zog endloses graues Weideland vorbei, zur Rechten erhaschte man mitunter einen Blick auf den Panamakanal, auf dem die Schiffe langsam dahinglitten. »Mir waren die Karibik-Inseln lieber«, bemerkte Germaine. Sie hatten zwei Tage in Fort-de-France verbracht. Hier war alles zu zivilisiert. Es gab zu viele amerikanische Soldaten, zu viele Bungalows mit allen Schikanen, zu viele Autos auf den Straßen. »Hast du deine Brieftasche auch nicht vergessen?« In Panama ließen sie sich von einem spanischen Mestizen überreden, in seinem offenen Wagen mitzufahren. »New York Chase Bank!« Ihre Eindrücke begannen sich zu überlappen. Sie fuhren durch sehr belebte Straßen, in denen sich ein Laden an den anderen reihte, kamen durch eine ruhigere Wohngegend mit Holzhäusern, schließlich erreichten sie ein Viertel, wo es Straßenbahnen, Steingebäude, Autowerkstätten, Klavier- und Radiogeschäfte gab. Der Wagen hielt auf einem von schönen Bäumen überschatteten Platz vor einer Kirche im spanischen Stil, und der Chauffeur deutete auf die amerikanische Bank an der Straßenecke. Dupuche trat an einen Schalter, wurde an einen zweiten geschickt, schließlich folgte er einem Schwarzen in ein Büro, wo ihn der Direktor der Agentur empfing und seinen Kreditbrief entgegennahm.   »Die eine Hälfte möchte ich in Franc, die andere in Dollar ausbezahlt haben …« Dupuche zeigte seinen Pass vor, um seine Identität zu beglaubigen. Der Yankee blätterte in dem Kreditbrief, griff nach dem Telefonhörer, ließ einen Angestellten kommen. Beide vertieften sich schweigend in das Dokument, hielten es neben ein Überseetelegramm, das auf dem Schreibtisch lag. »Tut mir leid …«, sagte der Direktor schließlich, reichte Dupuche den Kreditbrief zurück. »Sie können mir das Geld heute nicht auszahlen?« »Ich kann Ihnen überhaupt nichts auszahlen. Die Société Anonyme des Mines de l’Équateur ist in Konkurs gegangen. Unsere Pariser Niederlassung hat mir telegraphiert, dass die Firma zahlungsunfähig ist …« »Sie müssen sich täuschen«, rief Dupuche aus. »Das ist völlig ausgeschlossen. Dieser Kreditbrief ist vor kaum einem Monat ausgestellt worden, und zwar von Monsieur Grenier persönlich, dem Verwaltungsratspräsidenten. Ich bin der leitende Ingenieur der S.A.M.É, und ich bin auf dem Weg dorthin, um die Oberaufsicht über die Arbeiten zu übernehmen …« »Tut mir leid …« »So hören Sie doch! … Sie müssen nach Paris telegraphieren … Bestimmt liegt da ein Missverständnis vor …« Er war in Schweiß gebadet, seine Knie drohten nachzugeben. Germaine fragte: »Sagt er, dass er nicht zahlen will?« Dupuche bedeutete ihr zu schweigen. »Verstehen Sie doch … Die Gesellschaft hat mir zehntausend Franc für die Reisekosten bis hierher ausgehändigt. Übermorgen schiffe ich mich auf der Santa-Clara von der Grace Line nach Guayaquil ein… Ich benötige die zwanzigtausend Franc, sonst …« »Am sorry …« »Tut mir leid«, wiederholte der Amerikaner und öffnete die Bürotür. »Noch einen Augenblick, bitte! Wenn ich gleich eine Depesche nach Paris aufgebe, wann könnte ich ein Antworttelegramm erwarten?« »In zwei Tagen.« Da standen sie auch schon wieder auf dem Gehsteig, und ihr Chauffeur bugsierte sie gleich in den Wagen. »Stadtrundfahrt?« Dupuche wurde von Schwindel gepackt. »Was gedenkst du zu tun?«, fragte Germaine mit gerunzelten Brauen. »Unseren Botschafter oder Gesandten aufsuchen. Es gibt doch bestimmt einen französischen Gesandten in Panama …« »Ja, Monsieur«, ließ sich der Mestize vernehmen, der zugehört hatte. Er hielt auf einem menschenleeren Platz, vor einem anmutigen, blumengeschmückten Bauwerk. Germaine blieb im...


Simenon, Georges
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.