Simenon | Die Pitards | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: Die großen Romane

Simenon Die Pitards

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: Die großen Romane

ISBN: 978-3-455-00444-1
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



ZEIT FÜR MICH –

ZEIT FÜR SIMENON

»Georges Simenon ist der wichtigste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.«

Gabriel García Márquez
Als Kapitän Lannec endlich seinen eigenen Frachter besitzt, ist das der Anfang vom Ende. Die nötige Bürgschaft hat er von den Pitards bekommen, der Familie seiner Frau Mathilde. Und so kann er Mathilde nicht verbieten, an der Jungfernfahrt der »Tonnere-de-Dieu«, der »Donnerwetter«, teilzunehmen. In der erdrückenden Enge des Schiffes wachsen Missgunst und Misstrauen – sowohl zwischen den Eheleuten als auch innerhalb der Besatzung. Ein Unheil kündender Brief und ein aufziehender Sturm verheißen ebenfalls nichts Gutes.
Bandnummer: 12
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Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
1
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9
10
11
Nachwort – Hilflose Helden
Fußnoten
Über Georges Simenon
Impressum


1
Unter der Rubrik »Schiffsmeldungen« stand im Journal de Rouen die folgende Notiz: »Ausgelaufen: Die Donnerwetter, unter Kapitän Lannec, in Richtung Hamburg, Ladung 500 Tonnen Verschiedenes …« Die Lotsenstation Rouen gab der Lotsenstation Villequier telefonisch durch: »In zwei Stunden kommt bei euch die Donnerwetter vorbei, beladen auf drei Meter fünfzig. Sagen Sie dem Boscot1, dass eben sein Cousin aus Paimpol eingetroffen ist und ihn herzlich grüßen lässt …« »Hallo! Die Picardie, die wir euch als flussaufwärts gemeldet hatten, ist in La Vacquerie vor Anker gegangen …« »Kühlt es sich bei euch ab?« »Ja, es wird ganz schön kalt! Gute Nacht …«   Zum dritten Mal führte Madame Lannec die Hand zum Mund und legte dann ein kleines grünliches Knäuel auf den Tellerrand, die Fäden von grünen Bohnen, die sie ausgekaut hatte. Monsieur Lannec tat so, als sähe er es nicht, und als hörte er nicht den Seufzer, der diese kleine Handlung begleitete, aber wenig später konnte er doch nicht anders als Mathias, seinem Bordingenieur, der während des ganzen Essens keinen Ton gesagt hatte, einen Blick zuzuwerfen. Sie saßen zu viert bei Tisch in der Offiziersmesse: Émile Lannec und seine Frau, Mathias und schließlich noch Paul, der Bordfunker mit dem Glasauge, der kaum gesprächiger war als sein Nachbar. Der Zweite Offizier, Moinard, hatte Wache auf der Kommandobrücke, und wegen des undurchdringlichen Regengrau hatte man den Kapitänleutnant zum Ausschauhalten auf der Back postiert. »Wir brauchen hellere Lampen«, hatte Mathilde geäußert, als das Rindsragout aufgetragen wurde. Tatsächlich war die Messe nicht sehr hell erleuchtet, und man konnte direkt in den gelblichen Glühfaden der Birnen blicken, ohne geblendet zu werden. Lannec hatte seinen Bordingenieur angeschaut. Der hatte sich am Kopf gekratzt. »Liegt dran, dass wir keine anderen Lampen an Bord haben!« »Denk dran, in Hamburg welche zu besorgen.« »Liegt dran, fürchte ich, dass die Leitungen zu schwach sind!« Madame Lannec hatte nichts weiter gesagt, aber sie hatte die Augen zusammengekniffen in dem Bemühen, sich einen genaueren Eindruck zu verschaffen. Machten sie sich über sie lustig? Nicht direkt. Aber etwas davon lag doch in der Luft. Die Stimmung ihres Mannes befremdete sie. Selten hatte sie ihn so entspannt gesehen, so gelöst, befreit von aller Erdenschwere. So hatte Lannec, als sie ein Glas mit Fingertappen gegen das Licht hielt, den Steward gerufen: »Campois!« So nannten sie den Steward, eine Abkürzung von Fécampois, der Junge aus Fécamp. »In Zukunft achtest du darauf, dass die Gläser blank gerieben sind, nicht wahr?« Aber er sagte das so sanft und mit feiner Ironie, dass die Zurechtweisung Züge eines Lobes annahm. Der Heizstrahler war glühend heiß. Von Zeit zu Zeit horchte der Bordingenieur nach dem Klopfen aus dem Maschinenraum, das die Verkleidungen zittern ließ. Lannec wiederum blickte auf, wenn er die Ketten des Rudergestänges rasseln hörte. »Wir kommen in die Biegung bei Heurteauville«, sagte er dann. Oder: »Jetzt kommen wir am Leuchtfeuer von Les Méheu vorbei …« Das konnte er nicht sehen. Die Vorhänge waren zugezogen vor den Bullaugen, an denen der Regen hinablief, und die Luft war dermaßen feucht, dass von den lackierten Wandverkleidungen das Kondenswasser wie Schweißtropfen rann. Der einäugige Funker und der Bordingenieur hatten sich mit Anknöpfkragen und Krawatte fein gemacht, für Madame Lannec, aber Monsieur hatte sich nicht dazu durchringen können. Unter der Matrosenbluse aus schwerem blauen Tuch trug er direkt das Hemd, das über dem runden Bauch eines guten Essers spannte. Die Ellbogen aufgestützt, beugte er sich über den Teller und löffelte seine Suppe. Es roch vertraut, nach Küchendüften, nach den Ausdünstungen des Maschinenraums und auch nach den vier Männern, deren Kabinen direkt auf die Offiziersmesse gingen. »In fünf Minuten bin ich wieder da«, verlautbarte Lannec, stand auf und griff sich im Vorbeigehen seine Öljacke. Sie kamen nach Villequier. Der Frachter hatte das Tempo verringert, damit der Lotse wechseln konnte. Trotz seines Südwesters triefte der Kapitän von Eiswasser, bevor er die Kommandobrücke erreicht hatte. Moinard, der Zweite Offizier, stand ungerührt im Halbdunkel neben dem Rudergänger. Der Lotse knöpfte seine Öljacke zu. »Einen Calvados?« Lannec kam auf die Kommandobrücke und schenkte zwei Gläser ein. »Wer übernimmt uns?« »Der dicke Pérault.« »Ist der immer noch nicht pensioniert?« Von der Seine, die sie flussabwärts fuhren, war nichts zu sehen. Hinter dem peitschenden Regen war nur noch mehr Regen, Nässe, und irgendwo in der Nässe, zwei oder drei Leuchtfeuer, trübe wie verweinte Augen. »Zum Wohl! Noch einen Absacker …« Ein Kahn kam aus dem Dunkel und dockte an. Der Lotse stieg die Leiter hinab, eine andere, hellere Gestalt schwang sich über die Reling und ging zur Kommandobrücke. »Kalt draußen?«, fragte Lannec den neuen Lotsen, der gerade ein Schiff aufs offene Meer begleitet hatte. »Es plätschert.« Lannec rang sich nicht dazu durch, wieder in die Messe zu gehen. Besser war es hier, hinter den beschlagenen Scheiben der Kommandobrücke, wo die Kompasslampe nur einen kleinen Orientierungsschein warf. Er mochte es, den ungerührten Mann am Ruder zu beobachten, Moinard, aufmerksam, die Stirn gegen die Scheibe gedrückt, und den Lotsen, der sich die Pfeife stopfte und murmelte: »Hart Backbord! Achte auf das Fischerboot, das da irgendwo sein müsste …« Lannec beugte sich zu Moinard und seufzte: »Weißt du, unten ist es nicht gerade toll!« Moinard sagte natürlich nichts. Nie sagte er etwas. Er blickte weiter geradeaus vor sich hin, aber das hieß nicht, dass er es nicht gehört hätte. »Hat jemand mein Feuerzeug gesehen?« Er ging zur Wache zurück, die mit einem schmalen Sofa und einem Tisch möbliert war, auf dem Landkarten ausgebreitet waren, machte Licht, fand sein Feuerzeug, nahm ein Blatt Karopapier in die Hand und hielt es in die Nähe der Lampe, dann rief er: »Moinard!« »Ja.« »Bist du hier gewesen?« »Nein.« »Hast du jemanden vorbeikommen sehen?« »Nein, niemanden.« Lannec knurrte, steckte das Blatt Papier ein und ging hinunter in die Messe. »Du solltest bald schlafen gehen,« sagte er zu seiner Frau, »ich muss meine Wache übernehmen.« Der Bordingenieur war vom Tisch aufgestanden und wieder zu seiner Maschine gegangen. Der Funker zögerte noch aufzustehen, aus Höflichkeit. Das Tischtuch hatte man gegen eine grüne Billarddecke getauscht, was die Messe in einen Salon verwandeln sollte. »Bekommen wir etwas vom Meer zu sehen?«, fragte Mathilde, als sie mit ihrem Mann allein war. »Kaum. Aber später im Ärmelkanal sehen wir etwas mehr davon.« »Es scheint dir Spaß zu machen.« »Mir? Kein bisschen.« »Gib zu, dass es dich nervt, mich dabeizuhaben.« »Aber nein …« Er verneinte es halbherzig, stieß die Tür zu einer Kabine auf und gab seiner Frau einen Kuss auf die Stirn. »Wenn du etwas brauchst, musst du nur klingeln.« »Kommt dann der Junge mit den schmutzigen Händen?« »Ich sag ihm, dass er sich die Hände waschen soll.« »Ich habe mich kaum essen getraut.« »Natürlich!« »Natürlich was?« »Natürlich nichts!« Oder natürlich alles! Es war eine lächerliche Idee, an Bord leben zu wollen. In zwei Ehejahren hatte Mathilde Zeit gehabt, sich an die Abwesenheiten ihres Mannes zu gewöhnen, denn er war pausenlos auf See. Aber jetzt! Jetzt hatte er ein eigenes Schiff! Er war nicht nur Kapitän, sondern zugleich auch Reeder, und sie hatte ihn gedrängt, mitfahren zu dürfen. »Gute Nacht.« »Gute Nacht.« Er war allein, strich sich über die unrasierten Wangen und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Er war verkatert. Gestern Abend hatten sie zu mehreren im Café de Paris in Rouen den neuen Frachter begossen, oder vielmehr den Besitzerwechsel des Frachters. Es war ein altes englisches Dampfschiff, das bereits sechzig Jahre auf See war, unter dem Namen Busiris. »Wie sollen wir es nennen?«, hatte sich Lannec gefragt, als er es gekauft hatte. Zum Donnerwetter! Ich will einen Namen dafür finden, der aus dem Einerlei heraussticht!« Zum Donnerwetter! Das war sein Lieblingsfluch. »Nenn es doch Donnerwetter!« Auch das war ein Abend, wo sie schon ganz schön einen in der Krone hatten, und Lannec schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was gilt die Wette!« »Wetten, dass du dich nicht traust!« »Wetten, dass ich mich traue!« Er hat sich getraut, den Tränen von Frau und Schwiegermutter zum Trotz. »Ich habe ja doch wohl ein Wörtchen mitzureden«, meinte Letztere aufmüpfig. Ja, leider! Hundertmal leider! Lannec und Moinard hatten sich zusammengetan, um das Schiff zu kaufen, aber sie hatten nicht genug Geld aufgebracht, um den ganzen Preis bar zu begleichen. Die Bank, die den Rest vorstreckte, hatte die Bürgschaft einer hinlänglich kreditwürdigen Person verlangt. Nun besaß Pitards Schwiegermutter, die schon verwitwet war, zwei große Mietshäuser in Caen und eine Villa in Riva-Bella. Ihre Bürgschaft hatte ihren Zweck erfüllt, und deshalb betrachtete auch sie sich als...


Simenon, Georges
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.


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