Sikora / Brodersen / Kintzinger | Der Adel in der Frühen Neuzeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 155 Seiten

Reihe: Geowissen kompakt - Studienliteratur

Sikora / Brodersen / Kintzinger Der Adel in der Frühen Neuzeit

E-Book, Deutsch, 155 Seiten

Reihe: Geowissen kompakt - Studienliteratur

ISBN: 978-3-534-71555-8
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bis heute wird die Phantasie des Publikums angeregt von den materiellen Überresten einer kleinen Minderheit innerhalb der Gesellschaft, die der Frühen Neuzeit ihren Stempel aufdrückte wie keine andere Gruppe: Der Adel. Landsitze, Burgen und Schlösser, Gemälde und Berichte vermitteln uns immer noch einen lebendigen Eindruck von den großen Höfen mit ihren prunkvollen Staatsakten, opulenten Festen und bisweilen verruchten Vergnügungen.
Wie stimmig ist dieses Bild? Es porträtiert wiederum nur einen Bruchteil dieser Minderheit, meint Michael Sikora, und zeigt auch nur Ausschnitte der Lebenswirklichkeit, die weit weniger verlockend aussah, als wir es uns vorstellen. Der Autor führt systematisch und verständlich in alle Aspekte des Adels ein. Er zeigt Grundlagen und Funktionen des Adels, Lebensraum, Lebensweise und Kultur der Nobilität und schildert die Machtverhältnisse. Wer die Funktionsweise der frühneuzeitlichen Gesellschaft verstehen will, kann sich dem Phänomen ›Adel
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a) Ein Stand der Extreme
Bevölkerungsanteil Die Adligen waren eine kleine Minderheit. Die Schätzungen schwanken, aber ihr Anteil an der Bevölkerung in Mitteleuropa dürfte nicht über zwei Prozent betragen haben und in weiten Teilen sogar eher weniger. Absolute Zahlen können nicht wirklich seriös ermittelt werden, aber die Zahl der Adligen im Reich könnte sich vielleicht zwischen 150 000 und 250 000 bewegt haben, wohl bei tendenzieller Zunahme im späten 17. und 18. Jahrhundert, bei einer Gesamtbevölkerung von 16 bis 21 Millionen Menschen. In England lag der relative Anteil der Adligen an der Bevölkerung wahrscheinlich etwas höher als in Mitteleuropa, aber nur an den Rändern des alten Europas, in Spanien und in Polen, gab es einige Regionen, in denen dieser Anteil signifikant abwich und bis in die zweistelligen Prozentzahlen hineinragte. Aber das hatte spezielle Gründe, die mit den Kämpfen gegen die Mauren und Slawen im Mittelalter zusammenhingen, und stellt den Befund im Ganzen nicht in Frage. Prägende Bedeutung Im Gegensatz zu diesen geringen Zahlen stand aber die überragende Bedeutung des Adels, der wie keine andere soziale Gruppe der Frühen Neuzeit ihren Stempel aufgedrückt hat. Das gilt für die Staatsaktionen, die mit den großen Monarchen in Verbindung gebracht werden und nach denen noch in vielen Geschichtsbüchern ganze Epochen benannt werden. Das gilt für die Prachtentfaltung der Adligen und besonders der großen Höfe, deren opulente Feste und raffinierten, bisweilen verruchten Vergnügungen bis heute die Phantasie des Publikums anregen. Das gilt für die materiellen Überreste, für die Landsitze, Burgen und Schlösser mit ihren Ausstattungen, deren Glanz die anderen Bauzeugnisse ihrer Zeit deutlich überstrahlt. Allenfalls einige Klöster und Stifte entfalteten eine vergleichbare Pracht, aber dann beherbergten sie meist selbst wieder adlige Kleriker. Wo Künstler als Maler, Bildhauer, Architekten, Komponisten und selbst Dichter und Wissenschaftler ihre höchsten Leistungen vollbrachten, standen meistens Fürsten oder reiche Adlige als Sammler, Mäzene, Auftrag- oder Arbeitgeber dahinter. Vielfalt Aber die Pracht dieser Adelswelten spiegelt wiederum nur einen Bruchteil der Realität wider. Auch unter den Adligen konnte nur ein kleiner Teil das ganz große Gepränge verwirklichen. Denn den großen Herrschern, den Kaisern, Königen und Fürsten, stand am anderen Ende dieser Bandbreite eine sehr viel größere Zahl von Adligen gegenüber, die allenfalls eine großbäuerliche Lebensweise führten oder gar, als nachgeborene Söhne ohne eigenen Landbesitz, eine prekäre Existenz in abhängiger Position lebten, etwa als Armeeoffiziere in niederem Dienstrang und mit bescheidenen Einkünften. Zwischen den Extremen bewegte sich eine schillernde Vielfalt von Möglichkeiten, die sich nach Macht und ökonomischer Potenz, nach Rang und Titel vielfach unterschied und deren Vielfalt sich noch multipliziert, wenn man die Dimensionen von Raum und Zeit, also regionale Verschiedenheiten und chronologische Veränderungen mitberücksichtigt. Es ist von daher schon gar nicht selbstverständlich, von ,dem Adel‘ im Singular zu sprechen. In der englischsprachigen Forschung hat sich bereits mehrheitlich durchgesetzt, von ,nobilities‘ in der Mehrzahl zu sprechen, was in der deutschen Sprache so gar nicht nachvollzogen werden kann. Die Mehrzahl wird in der Regel aber ohnehin nur im europäischen Vergleich verwendet und soll die Unterschiede zwischen den Adelsgesellschaften der verschiedenen frühmodernen Staaten zum Ausdruck bringen. Das hat seine Berechtigung insofern, als sich unter dem Dach der entstehenden Staaten unterschiedliche Normensysteme, aber auch unterschiedliche soziale und ökonomische Strukturen entwickelten, die in vielfältiger Weise auf den Status und die Kultur des Adels einwirkten. Die Betonung der Unterschiede relativiert zugleich die oft vertretene Vorstellung, dass die Kultur und die kollektive Identität des Adels letztlich in grenzübergreifenden, gesamteuropäischen Gemeinsamkeiten verwurzelt gewesen wäre. Zweifellos hat es vielerlei Austausch, Reisen und Unternehmungen über Grenzen hinweg gegeben, und infolge dessen haben kulturelle Praktiken, die als vorbildlich empfunden wurden, Verbreitung und Nachahmung in ganz Europa gefunden. In mancher Hinsicht hatten Adlige verschiedener Länder mehr miteinander gemeinsam als mit den Bauern ihrer Heimatregion. Es ist von daher eine Frage der Perspektive und des Maßstabs, ob eher die Unterschiede oder eher die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund treten. Vielfalt entwickelte die Kultur des Adels allerdings nicht allein im Vergleich über die Grenzen hinweg, sondern viel mehr noch innerhalb der einzelnen Gesellschaften selbst. Und das gilt erst recht für das alte Reich mit seiner komplizierten Spannung zwischen der Einheit des Ganzen und der Vielfältigkeit weitgehend selbständiger Landesherrschaften. Die Unterschiedlichkeit des Adels folgte aber nicht nur aus regionalen Verschiedenheiten und nicht nur aus unterschiedlichem Rang oder unterschiedlichem Wohlstand, sondern war schon tief in der Geschichte verwurzelt. Denn im Laufe des Mittelalters hatten verschiedene Gruppen nach und nach Anschluss gewonnen an diejenigen, die schon immer adlig gewesen zu sein schienen, und entsprechend unterschiedlich waren daher die Ursprünge ihres Anspruchs auf Adligsein. Der Begriff ,Adel‘, beziehungsweise seine lateinischenVarianten aus dem Wortfeld der ,nobilitas‘, bezeichnete lange Zeit nur eine Eigenschaft und trat als Sammelbegriff nur im Plural auf, wenn also von ,Adligen‘ die Rede war. Es gibt Anzeichen dafür, wonach sich der Singular ,Adel‘ als Bezeichnung einer definierten sozialen Gruppe womöglich erst im 15. Jahrhundert etabliert hat. Erst im Zuge politischer und sozialer Veränderungen wuchs allem Anschein nach das Bedürfnis, dass sich Menschen, die aus unterschiedlichen Wurzeln als adlig bezeichnet worden waren, als eine einzige Gruppe begriffen, ihre gemeinsamen Ansprüche behaupteten und sich vor allem gegen Nichtadlige abgrenzten. Ständische Gesellschaft Über alle Unterschiede hinweg konstituierten die Adligen mithin einen gemeinsamen Stand. In diesem Sinne ist in der Frühen Neuzeit häufig und unkompliziert die Rede von ,dem Adel‘. Der Begriff ,Stand‘, der ebenfalls dem damaligen Sprachgebrauch entspricht, fasste Menschen nach bestimmten Merkmalen, vornehmlich Rang und Rechten, zu einzelnen Gruppen zusammen und bildete damit das spezifische Muster ab, nach dem die vormodernen Gesellschaften in Europa strukturiert waren, weshalb üblicherweise auch von der ständischen Gesellschaft gesprochen wird. Der Begriff fand allerdings in ganz unterschiedlichen Schemata Verwendung und stellte meist nur eine ganz grobe Einteilung fest. Oft wurde sie mit der Art und Weise des Lebensunterhalts verbunden. Die vielzitierte Drei-Stände-Lehre, mit dem Adel als Wehrstand, der Geistlichkeit als Lehrstand und den Bauern als Nährstand, ist nur die allergröbste Fassung eines solchen Gesellschaftsmodells, dessen Wurzeln wiederum bis weit ins Mittelalter zurückreichen. Durch die ganze Frühe Neuzeit ziehen sich aber noch Stimmen, die mehr oder weniger differenzierte Varianten eines solchen Modells vertreten und verteidigen, weil sie darin die Erfüllung der die Gesellschaft tragenden Aufgaben und die Verheißung einer dauerhaft stabilen Harmonie sahen. Das Netz ständisch-rechtlicher Unterscheidungen war jedoch in Wirklichkeit viel komplexer. Es war ja auch nur punktuell kodifiziert und vereinheitlicht. Die sozialen Großgruppen, Städter, Bauern und auch Adlige waren in sich vielfach differenziert. Die Verhältnisse unterschieden sich zudem von Region zu Region. Schließlich zogen sich andere Unterscheidungen quer durch die verschiedenen Gruppen, auch den Adel, vor allem die nach dem Geschlecht, insofern Frauen in der Regel nur mindere Rechte im Vergleich zu Männern wahrnehmen konnten. Der Vergleich mit der Gegenwart macht die Eigenheiten der ständischen Gesellschaft und ihre Relevanz für den Adel noch deutlicher. Im Gegensatz zur Moderne war die Größe von Vermögen und Einkommen weniger ausschlaggebend. Natürlich entsprach dem höheren Rang in der Gesellschaft meist auch ein höherer Wohlstand, zumal der höhere Rang meist mit besseren Einkommenschancen verbunden war. Gerade für den Adel war Wohlstand wichtig, um eine standesgemäße Lebensführung verwirklichen zu können. Aber ein armer Landedelmann verlor deshalb noch nicht gleich seinen Stand, weil er...


Sikora, Michael
Michael Sikora lehrt neuere Geschichte am Lehrstuhl von Prof. Stollberg-Rilinger in Münster und ist ausgewiesener Fachmann für den Adel und das Militärwesen in der Frühen Neuzeit.

Puschner, Uwe
Uwe Puschner ist außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.

Brodersen, Kai
Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur Antike bei der wbg und u. a. Herausgeber der Reihe »Geschichte kompakt – Antike«.

Kintzinger, Martin
Martin Kintzinger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

Michael Sikora lehrt neuere Geschichte am Lehrstuhl von Prof. Stollberg-Rilinger in Münster und ist ausgewiesener Fachmann für den Adel und das Militärwesen in der Frühen Neuzeit.Kai Brodersen ist seit 2008 Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und von 2008 bis 2014 deren Präsident.Martin Kintzinger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.Uwe Puschner ist außerplanmäßiger Profesor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.


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