Shteyngart | Landpartie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Shteyngart Landpartie

Roman. Der große neue Roman des gefeierten Autors

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-641-28988-1
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das populärste Buch des großen amerikanischen Erzählers: Ein Haus auf dem Land, acht Freunde, vier Romanzen und sechs Monate in Isolation
Es ist März 2020, und eine uns wohlvertraute Katastrophe zieht am Horizont auf. In einem idyllischen Landhaus außerhalb von New York versammelt der russischstämmige Schriftsteller Sasha Senderovsky eine illustre Gruppe alter Freunde und loser Bekanntschaften, um die Pandemie bei gutem Essen und anregenden Gesprächen auszusitzen. Über die nächsten Monate wachsen neue Freund- und Liebschaften, während sich längst vergessen geglaubte Kränkungen mit frischer Kraft manifestieren. Doch mit der Ankunft eines mythenumwobenen Hollywoodstars gerät das mühsam konstruierte Gleichgewicht dieser Wahlfamilie gefährlich ins Wanken ...Eine ungemein zeitgenössische Geschichte, erzählt mit der Haltung eines großen Romanciers: Shteyngart dokumentiert die singuläre Gefühls- und Erlebniswelt des Jahres 2020 und verpackt sie in einen süffig-intelligenten Roman, der Erinnerungen an Boccaccios »Dekameron« und die großen Klassiker der russischen Literatur durchscheinen lässt - versetzt ins Amerika der Gegenwart.»Gary Shteyngarts Romane sind amerikanisches Kulturgut. Er hat schon immer mit Humor und Herz geschrieben, aber nie so sehr wie hier. Wenn Sie dieses Buch in der Öffentlichkeit lesen, seien Sie bloß vorsichtig: Es kann sein, dass sie laut loslachen müssen - oder dass Ihnen die Tränen kommen.« Jonathan Safran Foer

Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, geboren und kam im Alter von sieben Jahren in die USA. Er legte 2002 mit »Handbuch für den russischen Debütanten« seinen Erstling vor, ein New-York-Times-Bestseller, der u.a. mit dem National Jewish Book Award for Fiction geehrt wurde. Es folgten die vielfach ausgezeichneten Erfolgsromane »Absurdistan« und »Super Sad True Love Story« sowie zuletzt sein autobiografisches Buch »Kleiner Versager«. »Willkommen in Lake Success« ist der vierte Roman des New Yorker Kultautors, er wurde mehrfach zu einem der besten Bücher des Jahres 2018 gekürt und wird von HBO als Serie mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle verfilmt.
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2 Karen Cho zwang ihren Mietwagen in die vielen Senken und blinden Kurven der vertrauten Landstraße, in ihrem Fahrverhalten nur unwesentlich gezügelter als Senderovsky. Sie hatte einen Satellitensender eingeschaltet, der Songs aus ihrer Jugend plärrte, und sie versuchte, das Ganze so ernst zu nehmen, wie Ed es immer tat, der noch beim dämlichsten Song sein Karaoke-Bestes gab. Und dies war kein dämlicher Song. Christine, the strawberry girl. Christine, banana split lady. Das Fahren hatte ihr gefehlt, seit sie von der Westküste wieder hierhergezogen war, aber im Gegensatz zu Senderovsky konnte sie den Wonneschauer, den es ihr vermittelte, nie genauer bestimmen, das Gefühl, gerade dann ein kleines bisschen amerikanischer zu sein, wenn sie einen viele Tonnen schweren Koloss mit überhöhter Geschwindigkeit eine Straße entlangsteuerte, eine Familienpackung saugfähige Wischtücher in einen Kombi stopfte, das hypnotische Metronom eines Blinkers einschaltete. Das Fahren passte zu ihrem neuen Machtgefühl, das sie, wenn sie ehrlich mit sich war, immer noch nicht völlig verstand. »Wie fühlt es sich an?«, hatte Senderovsky sie nach dem Verkauf ihrer sogenannten Firma ständig gefragt, im Grunde einer bloßen Idee: eine Softwareentwicklerin (eine Freundin und ehemalige Bandkollegin) und zwei Urheberrechtsanwälte auf Pauschalhonorarbasis. Sie sagte ihm, sie könne jetzt gegen einen weißen Mann im teuren Hoodie auskeilen, in der sicheren Gewissheit, dass sie ihr Geld trotzdem behalten würde, wenn sie damit fertig war, ihn anzubrüllen. Now she’s in purple, now she’s the turtle. Disintegrating. Karen stieg auf die Bremse. »Brr«, sagte sie. Seit der Scheidung hatte sie angefangen, mit sich selbst zu reden. Ein perfekt gerundeter grüner Hügel beschwor einen Dinosaurierrücken herauf. Der Rücken war mit wolligen kleinen Bauschen bedeckt. Jetzt fiel ihr ein, dass ein Teil von Sashas Besitz an eine Schaffarm grenzte, und so fuhr sie rechts ran und stieg aus dem summenden, piependen Wagen. Die Schafe hatten sich in Reihen aufgestellt, als praktizierten sie das Abstandhalten, das man ihren Besitzern verordnet hatte. Sie waren erst kürzlich geschoren worden und erinnerten in ihrer Haltung an schlaksige Teenager. Einige hatten das Maul voller Gras, doch die meisten beobachteten irgendetwas auf der anderen Seite des Zauns, der die Farm von Senderovskys Grund trennte. Karen hätte am liebsten ihr Handy gezückt und ein Foto gemacht, aber sie hielt sich zurück. Kürzlich hatte sie sich geschworen, in ebenden sozialen Medien, die sie reich gemacht hatten, keine Fotos mehr hochzuladen, sondern Augenblicke zu genießen, anstatt sie einzuschließen. An Haufen von frisch gemähtem Gras entlang ging sie auf den Zaun zu. Auf der anderen Seite der Straße, neben einem imposanten neuen Haus, erspähte sie Pferde, die Pullover trugen. Pferde in Pullovern, was für ein Leben. Es schien fast unmöglich, dass die Besitzer der kaputten Häuser, die sie unterwegs gesehen hatte – »Bruchbuden-Yankees«, wie Ed sie einmal auf seine typische Art genannt hatte – , die gleiche gehaltvolle Landluft atmen konnten wie Sasha und einige seiner Nachbarn. Sie wunderte sich, dass die Atmosphäre des Landes nicht schon längst von einem Algorithmus erfasst und gemäß Inhalt eingeteilt worden war. Einige ihrer Verbündeten im Valley arbeiteten wahrscheinlich schon daran. Sie stahl sich einen gewaltigen Atemzug knospende Forsythie, dann noch einen, ein plötzlich dankbares Kind der Großstadt. Bald war Ostern, aber ihre Mutter war trotzdem tot. Ein Hütehund trabte an der Umzäunung auf und ab und kläffte sich wegen irgendetwas die Lunge aus dem Leib, die Schafe reihten sich hinter ihm auf und bedachten die Aufregung mit Gleichmut, von der Anwesenheit ihres Anführers beruhigt. Karen konnte eine einsame, winzige Gestalt ausmachen, die sich in der einbrechenden Dämmerung auf der Senderovsky-Seite des Zauns bewegte, und begann wie in Trance darauf zuzugehen. Warum war sie hierhergekommen? Offiziell, um ihre Freunde zu besuchen, die sie seit ihrem geschäftlichen Triumph, wie sie fand, vernachlässigt hatte. Obwohl es ihr bei ihrem letzten Gespräch mit Vinod schwergefallen war, ihre Traurigkeit zurückzuhalten. Und ihren Zorn. Auch nachdem ihn der Krebs einen Teil seiner Lunge gekostet hatte, arbeitete er weiter in der schmierigen Küche seines Onkels. Es war, als wollte er ihr unter die Nase reiben, wie sein Leben sich entwickelt hatte. Sie war nahe dran, ihm tatsächlich Geld oder eine Pro-forma-Beschäftigung anzubieten – mit anderen Worten, ihm das Herz zu brechen. Tja, besser sein Herz als das, was von seiner Lunge noch übrig war. Sein Herz hatte sich im Lauf der Jahre als ziemlich unverwüstlich erwiesen, trotz allem, was Karen damit angestellt hatte. Also noch mal, weshalb war sie hierhergekommen? Die Version, die sie sich selbst erzählte, die inoffizielle, lautete, dass sie den Schauspieler sehen wollte. Zwar bekam sie in ihrem neuen Leben eine Menge berühmter Leute zu sehen, aber sie hatte ihn seit Ende der Neunziger geliebt, seit seinem ersten Film, in dem er nackt mit diesem dämlichen Hut auf dem Kopf getanzt hatte, augenblicklich der Liebling ihrer Generation. Die Vorstellung, dass der Schauspieler in den bemühten Charme von Sashas Bungalowkolonie einbezogen werden sollte, hatte sie veranlasst, einen Wagen zu mieten und die stillgelegte City zu verlassen. Sogar während der Herfahrt auf dem leeren Highway durch eine malerische Landschaft hatte sie sich dabei ertappt, dass sie eine Hand an die Innenseite ihres Oberschenkels legte, ihr Atem unerwartet warm, ihre Oberlippe nach Frühling duftend. Es gab also den offiziellen und einen inoffiziellen Grund für ihren Besuch. Aber der ehemalige außerordentliche Professor und jetzige Küchenhelfer Vinod würde fragen, welches der richtige Grund war. Jetzt wurde die herantänzelnde Gestalt deutlich. Es war ein Junge, und er schien … ja, was? Inzwischen sah sie immer schlechter, vor allem im Dunkeln. Sie war ein Jahr älter als Sasha und Vinod, was bedeutete, dass ihr Fünfzigster keine Frage von Jahren, sondern von Monaten war. Aber nein, jetzt erkannte sie ganz deutlich, der Junge tänzelte, hüpfte, klatschte in die Hände, stieß nach Art eines Martial-Art-Kämpfers die Fäuste in die Luft und sang dazu mit lieblicher Mädchenstimme, während der Hund seine unbeachtet bleibenden Warnungen kläffte und seine Schützlinge andächtig zusahen, zu verblüfft, um zu blöken. Als Karen den Liedtext hörte, lachte sie lauthals, ganz so wie damals, als ihr mittlerweile Ex-Mann Leon ihr die Scheidungspapiere hatte zustellen lassen oder als ihr Anwalt ihr ein erstes Kaufangebot für ihre Firma vorlegte. Ihre Kindheit war fast ohne Überraschungen verstrichen, ein endlos schwingendes Pendel aus elterlichen Kränkungen und Populärkultur, aus unten angebrüllt werden und sich oben selbst trösten. (Immerhin, wäre sie von ihren Eltern belehrt worden, hatte es – anders als bei ihren armen Verwandten in ihren beengten Wohnungen in Elmhurst – eine Treppe gegeben.) Was der Junge sang, waren unverkennbar Worte in ihrer Muttersprache, gefolgt von dem englischen Refrain: I’m so sick of this fake-ah love, fake-ah love, fake-ah love. Es handelte sich um einen Boygroup-Pophit von vor vielleicht zwei Sommern. Sie erinnerte sich, ihn im Lotte World beim Einkaufen für ihre Verwandten, diese Versager, auf Wiederholungsschleife gehört zu haben, damals, als sie nach Seoul geflogen war, um sich von der Presse eine Woche lang als hochgeschätztes Musterexemplar ihres Volkes beweihräuchern zu lassen, als Tochter von Daehan Minguk, die es geschafft hatte. Der protokoreanische Junge trug eine hübsche weiße Weste mit V-Ausschnitt, hellbraune Hosen und, wie es aussah, eine Erwachsenenkrawatte, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichte. Eine durchgeknallte koreanische Schuluniform. Karen war überrascht und war es zugleich nicht. Alles, was im Dunstkreis von Senderovsky passierte, war immer ein bisschen seltsam. »Hi!«, rief Karen dem Jungen zu. Es kam keine Antwort. Sprach er kein Englisch (außer »fake-ah love«)? »Annyonghaseo!«, rief Karen. Das Kind blickte auf, winkte, dann hüpfte und sang es weiter. Der Hütehund, der nun zwei Feinde wahrnahm – einer davon größer als er selbst – , fing zu knurren an, seine Nackenhaare stellten sich auf, und die Schafe begannen zur Erwiderung zu blöken, obwohl einige trotz ihres Schreckens weiterhin Gras mampften. Und dann erkannte Karen etwas an dem Jungen, das Oval des Gesichts, die lang gestreckten, aber stämmigen Beine, die breite Nase, genau das Kind, das vor mehreren Jahren auf der überdachten Veranda auf Senderovskys Schoß gesessen hatte, während er – auf grenzwertig rassistische Weise – zu erklären versuchte, dass seine Tochter sämtliche Markenzeichen der Gegend um Harbin an der chinesisch-russischen Grenze trage, von wo sie adoptiert worden war. »Natasha?«, sagte Karen. Das Kind tanzte weiter. Der Hütehund und seine Schützlinge führten inzwischen einen wütenden Dialog sowohl mit ihren vermeintlichen Feinden als auch untereinander, ein verunsicherter Liberaler, der einen standhaften zur Rede stellt. »Natasha!« »Ich nenne mich jetzt Nat«, sagte das Mädchen zwischen zwei Verszeilen, streckte die Brust vor und schwenkte keusch die Hüften, ihre Bewegungen zu geübt, um echt zu sein. Unvermittelt erinnerte sich Karen an die Erkennungsmelodie einer Fernsehshow mit dem unwahrscheinlichen Titel Happy Days und daran, wie viel es ihr vor fast einem halben Jahrhundert bedeutet hatte, in ihrem Zimmer dazu zu tanzen, den Bauch...


Shteyngart, Gary
Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, geboren und kam im Alter von sieben Jahren in die USA. Er legte 2002 mit »Handbuch für den russischen Debütanten« seinen Erstling vor, ein New-York-Times-Bestseller, der u.a. mit dem National Jewish Book Award for Fiction geehrt wurde. Es folgten die vielfach ausgezeichneten Erfolgsromane »Absurdistan« und »Super Sad True Love Story« sowie zuletzt sein autobiografisches Buch »Kleiner Versager«. »Willkommen in Lake Success« ist der vierte Roman des New Yorker Kultautors, er wurde mehrfach zu einem der besten Bücher des Jahres 2018 gekürt und wird von HBO als Serie mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle verfilmt.

Stingl, Nikolaus
Nikolaus Stingl, 1952 geboren, übersetzte u.a. William H. Gass, Ben Lerner, Thomas Pynchon, Colson Whitehead und Emma Cline und wurde mit mehreren wichtigen Übersetzerpreisen ausgezeichnet.


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