Setzwein | Das Buch der sieben Gerechten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Setzwein Das Buch der sieben Gerechten

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7099-7712-5
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-7099-7712-5
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



An einem Oktobertag des Jahres 1995 taucht in München ein seltsamer Fremder auf, der sich als "Erster Sekretär Sämtlicher Jahweischer Dienste" ausgibt. Mister Fulizer, wie er sich unter anderem nennt, soll die Stadt vor dem von allerhöchster Stelle angeordneten Strafgericht bewahren. Voraussetzung dafür: es lassen sich "sieben Gerechte" finden, die in dieser Stadt gelebt oder sich aufgehalten haben. Um diese schicksalhafte Frage zu klären, versichert sich Fulizer der Mitarbeit des verkrachten Schriftstellers Hermann Kreutner. Dieser kennt die Geschichte und die Geschichten der Stadt wie kaum ein anderer (jedenfalls behauptet er das).
War zum Beispiel Franz Kafka einer dieser "sieben Gerechten"? Er war im November 1916 auf Lesereise in München, traf dort durch Zufall Adolf Hitler im Cafè Heck am Hofgarten und hätte ihn beinahe auf ein anderes Gleis gebracht. Oder gehörte der jüdische Kommerzienrat Jakob Lehmann dazu? Er wurde im März 1933 von einem jungen Nazi auf offener Straße verhaftet und in dessen Wohnung verschleppt, wo sich dann Seltsames abspielte.

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VORSPIEL IN PRAG »Ein Gott, der auf die Erde käme, dürfte gar nichts andres tun, als Unrecht.« FRIEDRICH NIETZSCHE   1.
Das Notwendige mit dem Angenehmen zu verbinden, diesen unausgesprochenen Hintergedanken hegten die meisten Mitglieder der Jahweischen Kongregation, als sie sich darauf einigten, die nächste der vierteljährlich einzuberufenden Sitzungen in Prag abzuhalten. Auch wollte man dem alten Herrn eine Freude machen, denn in Prag würde er sich ganz jenen nostalgischen Stimmungen und leicht weinerlichen Reminiszenzen hingeben können, zu denen er in letzter Zeit des öfteren, von den Tagesaktualitäten und anstehenden Entscheidungen mehr und mehr überfordert, Zuflucht nahm. Kloster Strahov, die Sankt-Veits-Kathedrale, Peter und Paul, all die Zeugen jener guten alten Zeit, als seine Aktien noch besser standen, wie würden sie ihm gefallen! Allein schon die Namen der zu seinen Ehren erbauten Hallen in dieser Stadt, die zu inspizieren er jedoch noch nie die Gelegenheit gefunden hatte, würden ihn in eine aufgeräumtere Stimmung versetzen: »Kirche der siegreichen Muttergottes«… klang das nicht wie ein Schlachtruf aus glücklicheren Kreuzfahrerzeiten! In einem Rückgebäude des Waldsteinpalais am Valdštejnské námestí, einen Stock über den bescheidenen Büroräumen des tschechischen PEN-Clubs, würde man ohne größere Probleme, soviel hatte der Planungsstab schon eruiert, einen Tagungsraum zur Verfügung gestellt bekommen. Der Alte war von der Idee geradezu entzückt: »In Prag, da waren wir ja noch nie«, hatte er in Ulan-Ude, dem vorherigen Tagungsort, ausgerufen, als man, wie immer, unter dem Tagesordnungspunkt »Allfälliges« am Ende der Konferenz festlegte, wo die nächste Zusammenkunft stattfinden solle. »Bloß kein Ulan-Ude mehr«, war sein zorniger Einwurf, »wer ist nur auf dieses gottverlassene Ulan-Ude gekommen. Imbecils! Das ist ja noch schlimmer als letztes Jahr im Kongo! Allein dieser Gestank hier. Man sollte es ausradieren, dieses Ulan-Ude. Kann man hier nicht etwas in die Luft gehen lassen, Fulizer, irgendeine Fabrik, ein Kraftwerk?« Der Koordinator sämtlicher Jahweischen Dienste zuckte zusammen, schließlich war es seine Idee gewesen, den schwerfälligen Konferenztroß an den Baikalsee zu scheuchen. Er wußte, er würde diese Scharte wieder auswetzen müssen. Da fiel ihm als rettende Idee Prag ein. Es hob die von einigen Konferenzteilnehmern an dieser heiklen Stelle regelmäßig angezettelte Diskussion darüber an, ob ein solcher Tagungstourismus nicht höchst entbehrlich, ja angesichts der dramatischen Weltlage gar verwerflich sei, doch der Chef fegte Argumente gegen die turnusmäßigen Konsultationen, die man möglichst gleichmäßig über alle Kontinente verteilte, mit der Bemerkung hinweg: »Eine Jahweische Kongregation, meine Herren, hat überall zu sein und nirgends. Heute Kapstadt, morgen Wladiwostok. Früher hieß es einmal, Sie scheinen das vergessen zu haben: Der Geist des Herrn weht überall. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, meine Herren! Uns nimmt ja sowieso schon niemand mehr ernst. Und jetzt wollen Sie sich völlig von der Bildfläche verabschieden, oder wie? Wir müssen in die Offensive gehen. Das Gebot der Stunde heißt: Omnipräsenz demonstrieren.« Als der alte Herr dann Anfang Oktober mit seinem Mitarbeiterstab in Prag eintraf, hatten die für das Besuchsprotokoll Verantwortlichen den alten Nepper- und Schleppertrick vorbereitet, mit dem man jeden Neuling einfängt, um ihm Staunen und Begeisterung restlos abzuknöpfen. Man muß ihn zur Talstation der Kabinenbahn bringen, die hinauf zur Volkssternwarte und Sankt-Laurenz-Kirche führt. Während der Auffahrt sollte man darauf achten, daß der Pragneuling jetzt, da es noch zu früh wäre, nicht der Versuchung erliegt, sich umzuwenden und den Blick auf die am rechten Moldauufer gelegene Altstadt zu richten, man schaue nur immer den bewaldeten Hügel hinauf, auf den die Kabinenbahn von einem am Boden über Kurbeln laufenden Stahlseil hinaufgezogen wird. An der oberen Station angekommen, wird man den Fußweg durch Streuobstwiesen wählen und durch mit Äpfeln und Birnen behängte Zweige hindurch den Hradschin auftauchen sehen. Am Kloster Strahov sind es nur noch wenige Schritte bis zu einer Art Terrasse. Tritt man auf die hinaus, liegt mit einem Mal ganz Prag vor einem ausgebreitet da: die Karlsbrücke mit ihren spitz zulaufenden Pfeilern im Vordergrund, dahinter, blattgoldbeschlagen vom Abendlicht, Teynkirche und Pulverturm. Auch bei dem alten Herrn verfehlte diese Ent- und Verführungstaktik ihre Wirkung nicht. Minutenlang stand er wort- und regungslos vor diesem Panorama, das nur für ihn aufgebaut schien, und zum ersten Mal beschlichen ihn so etwas wie leise Wehmut, düstere Ahnung. Ihm wurde plötzlich klar, was da eigentlich geopfert würde, falls der von der Jahweischen Kongregation auf den letzten Krisensitzungen beschlossene Aktionsplan mit dem Arbeitstitel »Die Heimsuchung Mitteleuropas« tatsächlich in die Wirklichkeit umgesetzt würde. Die Mitarbeiter und Berater des Chefs bemerkten, wie sich dessen Gesicht verdüsterte, ohne daß sie ahnten, warum. Um ihn bei Laune zu halten und ihn für die anstehende Sitzung, auf der gravierende Entscheidungen würden fallen müssen, positiv zu stimmen, absolvierte man mit ihm in den Vormittagsstunden ein gerafftes Sightseeing-Programm. Am Altstädter Ring wollte er angesichts des monumentalen Jan-Hus-Denkmals wissen, wer diese ausgemergelte Gestalt sei – man hatte es ihm schon vor 400 Jahren erklärt, aber sein Kurzzeitgedächtnis ließ in letzter Zeit merklich nach. Außerdem mochte er Nörgler und Besserwisser wie diesen Jan Hus nicht sonderlich, die ständig an dem herumzumäkeln hatten, was schließlich gemäß seinen Direktiven von wenn auch manchmal unfähigen Statthaltern ausgeführt wurde. Besser gefiel ihm da schon die Geschichte, die ihm seine Berater auf der Karlsbrücke erzählten. »Braver Mann, dieser Wenzel«, bemerkte er sichtlich bewegt. Übrigens war wie immer Abschirmung und Geheimhaltung dieser Mission des alten Herrn vom Jahweischen Sicherheitsstab aufs beste vorbereitet worden, selbst auf der Karlsbrücke im dichtesten Gedränge, wo sich der Chef besonders für die drolligen Franz-Kafka- und Rabbi-Löw-Marionetten der fliegenden Händler interessierte, schöpfte niemand den geringsten Verdacht, wer sich da unter die Menschenmassen gemischt hatte. Ja einer der spendier-launisch gestimmten Touristen warf ihm sogar einen 200-Kronen-Schein in den Hut, den der Alte, der ungewohnt warmen Oktobersonne wegen, abgenommen hatte und, zu Mißverständnissen einladend, vor der Brust hielt. Die runden, schwarzen Gläser seiner Sonnenbrille taten ein übriges dazu, den falschen Eindruck überhaupt erst aufkommen zu lassen. Nach Hradschin und Sankt-Nikolaus-Kirche führte man den alten Herrn zum Mittagessen. Am Maltézské námestí saß man im Freien, der Chef zeigte sogar, seit langem einmal wieder, einen gesegneten Appetit. Von hier aus war es auch nicht mehr weit bis zum Ort der Konferenz am Valdštejnské námestí. Den Nachgeschmack der unvergleichlichen Palatschinken mit den süßen Sahnehäubchen noch auf der Zunge, eröffnete er die Sitzung und kam, ohne viel Umschweife, zu der Frage, die den Krisenstab diesmal zu beschäftigen hatte. »Wer ist als nächstes dran? Etwa die in Grosny?« »Schon erledigt, Chef. Dort sieht es aus wie in Dresden fünfundvierzig.« Der Alte brummte mürrisch. In letzter Zeit kam es immer öfter vor, daß er sich solche Blößen gab. Was sollten die untergeordneten Abteilungsleiter der Jahweischen Dienste von ihm denken? Daß er schon nicht mehr wußte, was man vor einem Vierteljahr auf der letzten Konferenz besprochen und ausgemacht hatte? Unwirsch fuhr er fort: »Na gut! Und Sarajewo? Was ist mit Sarajewo? Sind die schon dran gewesen«, er massierte mit Daumen und Zeigefinger seine Geheimratsecken, »hatten wir nicht beschlossen: Als nächstes knöpfen wir uns Sarajewo vor?« »Wir sind dran, Chef! Nicht mehr lange und wir haben es soweit wie seinerzeit Coventry.« »Vukovar ist schon erledigt. Nicht mehr wiederzuerkennen«, mischte sich der diensteifrige Ducee ein. Damit hatte er wohl recht, nur vergaß er, daß innerhalb der Jahweischen Kongregation längst kein Mensch mehr von Vukovar redete. Daß Ducee der Neuling in der Runde war, erkannte man neben einem solchen Lapsus schon daran, daß er seine Unsicherheit hinter einer Wehrmauer aus Aktenordnern zu verschanzen versuchte. »Und? Zeigt das irgendeine Wirkung? Ich meine, sind wenigstens die halb zerstörten Kirchen wieder voll? Sie waren es doch«, zum Glück für Ducee lenkte der Alte seine Attacke nun auf Fulizer um, der sein kariertes Sakko ausgezogen und demonstrativ die Ärmel seines weißen Nylonhemdes nach oben gekrempelt hatte, »der diesen famosen Plan ausgeheckt hat. Ein paar mittlere Katastrophen, und die Leute laufen uns scharenweise in die Arme zurück. Das war doch Ihre...


Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München, lebt in Waldmünchen an der bayerisch-böhmischen Grenze. Verschiedene Auszeichnungen, u.a. Bayerischer Staatsförderungspreis für Literatur (1998), Poetik-Professur der Universität Bamberg (2004) und Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2010). Verfasser zahlreicher Bücher, darunter Lyrikbände, Romane (zuletzt die im bayerisch-böhmisch-österreichischen Grenzland spielende Trilogie "Die grüne Jungfer", Haymon 2003, "Ein seltsames Land", 2007, und "Der neue Ton", 2012) sowie sechs Theaterstücke, zuletzt "3165 - Monolog eines Henkers" (2007). 2010 erschien das Diarium "Das blaue Tagwerk". Außerdem seit 25 Jahren regelmäßig Hörfunk-Features für den Bayerischen Rundfunk.
Bei Haymon: "Das Buch der sieben Gerechten". Roman (1999), "Nicht kalt genug". Roman (2000); "Die Grüne Jungfer". Roman (2003).



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