E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Krimis bei Null Papier
Serner Der elfte Finger
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-568-4
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erotische Kriminalgeschichten
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Krimis bei Null Papier
ISBN: 978-3-96281-568-4
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fiese, erotische und böse Geschichten von Huren, Dieben - den großen und den kleinen - und Mördern, Halunken und sonstigen Halsabschneidern. Walter Serner ist der »Maupassant der Kriminalistik« [Theodor Lessing] Null Papier Verlag
Walter (Seligmann) Serner (1898-1942) gilt als einer der wichtigsten literarischer Vertreter des Dadaismus. In den 1920er pendelte der bekennende Pazifist und Verlegersohn zwischen Italien, Paris, Genf und Zürich und schrieb Geschichten und Romane. Nach seiner Abkehr vom Dadaismus wandte er sich der Kriminalliteratur zu. Seine Werke wurden wegen der offensiven Sprache und der detailtreueren Schilderung der Gangster-Milieus geschätzt aber gerieten auch schnell auf die Zensurlisten im Dritten Reich. Der zum Katholizismus konvertierte Jude wurde 1942 auf der Verschleppung in das Konzentrationslager Theresienstadt von den Nazis ermordet. Ihm zu Ehren wurde der Berliner Walter-Serner-Preis gestiftet.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ein Meisterstück
Madame Guercelles war eine jener Kokotten, die hübsch genug sind, um nicht die Straße machen zu müssen, und klug genug, um es verhindern zu können, für eine Kokotte gehalten zu werden. Da ihr zudem eine kleine Revenue, welche die Familie ihres toten Mannes ihr ausgesetzt hatte, die Möglichkeit bot, wenn es einmal nicht mehr anders ginge, als Kleinbürgerin zu leben, verfügte sie trotz ihrer großen Jugend über eine ganz außerordentliche Sicherheit. Es war daher nicht verwunderlich, dass auch de Parno, ein Hoteldieb größten Stils, als er ihr in der Hall des Hotels Beau Rivage in Genf begegnete, nach eingehender Prüfung ihres dezenten Schmucks und ihrer restlichen Haltung, sie für eine vornehme Witwe hielt, die darauf aus ist, einen zweiten Gatten zu finden. Nach dieser Feststellung wäre sie für ihn erledigt gewesen, wenn er nicht eines Abends, gelegentlich einer zufälligen Begegnung im Korridor der zweiten Etage, eine Nervosität an ihr wahrgenommen hätte, welche seinem erfahrenen Auge verdächtig erschien. Schnell huschte er in die Toilette, wartete, bis die Tür von Madame Guercelles Zimmer sich geschlossen hatte, und bezog hierauf seinen Beobachtungsposten, den er bereits seit Tagen innehatte, um die Gewohnheiten der Gräfin Banffy, auf deren höchst wertvollen Schmuck er es abgesehen hatte, zu studieren. Nach etwa einer Viertelstunde verließ Madame Guercelles, einen braunen Regenmantel um die Schultern, ihr Zimmer, lief auf den Fußspitzen in schnellstem Tempo den Korridor entlang und verschwand geräuschlos hinter einer Tür, die augenscheinlich nur angelehnt war. De Parno, der nicht ohne Interesse konstatiert hatte, dass Madame Guercelles Zimmer neben dem der Gräfin lag, merkte sich die Nummer der Tür, welche Madame Guercelles soeben aufgenommen hatte, und begab sich, überaus vergnügt, noch in die Hall, wo er sich unauffällig dem Portier näherte, um ihn in ein Gespräch zu ziehen. Alsbald wusste er, dass Madame Guercelles in dem Appartement des Konsuls a. D. Steffens aus Hamburg sich befand, eines eleganten alten Herrn, der ihm bereits des öfteren im Speisesaal aufgefallen war. Diese Nacht schlief de Parno besonders vorzüglich, wie stets, wenn er eine sichere und überdies amüsante Sache vor sich hatte. Am nächsten Nachmittag ließ er Madame Guercelles im Lesezimmer über seinen Stock stolpern und sprang ihr absichtlich so ungeschickt bei, dass sie zu Fall kam. Während er ihr half, sich aufzurichten, stammelte er eine Entschuldigung über die andere, bemühte sich mit Erfolg, zu erröten und überhaupt alle Merkmale schwerster innerer Verwirrung darzubieten, und ergriff das Händchen, welches ihm Madame Guercelles liebenswürdig lächelnd zum Dank entgegenstreckte, mit zitternder Beglücktheit. Noch am selben Abend kamen sie, während man den Kaffee in der Hall nahm, ins Gespräch. De Parno gelang es mit größter Leichtigkeit, jugendlichste Verliebtheit zu heucheln, und nicht viel schwieriger war es ihm, seiner rasch und im richtigen Augenblick vorgebrachten Biografie Glauben zu sichern. Madame Guercelles, welcher der schlanke dunkle männliche Italiener über alles gefiel, betrachtete deshalb zum ersten Mal seit dem Tode ihres Gatten einen Mann nicht lediglich mit dem Kalkül der Kokotte, sondern mit jenem halbversponnenen Blick, hinter dem der Traumgeliebte der Backfischjahre seine Auferstehung feiert. Gleichwohl war sie zu klug, um dieser plötzlichen süßen Aufwallung zu erliegen. Sie schützte Müdigkeit vor und zog sich, nicht ohne eine Einladung zum Tee für den folgenden Tag anzunehmen, bestrickend lächelnd zurück. De Parno folgte ihr vorsichtig und sah wiederum, wie sie den Korridor entlanglief und im Zimmer des alten Konsul verschwand. Im Nu war er an der Tür ihres Zimmers, zog sie hinter sich zu und öffnete mit seinem Aluminium-Taschenbesteck die verschlossene innere Tür. Nachdem er, das elektrische Licht kurz an- und abdrehend, zu seinem größten Bedauern gesehen hatte, dass nach dem Zimmer der Gräfin keine Tür führte, trat er zur Rekognoszierung1 auf den Balkon, den er nach kurzer Zeit sehr zufriedengestellt verließ. Dann drehte er das Licht wieder an und setzte sich mitten ins Zimmer in ein Fauteuil.2 Daselbst erblickte ihn, nach drei Stunden zurückkehrend, Madame Guercelles, wie er, mit allen Zeichen heftigster Erregung, ein Paar ihrer Seidenstrümpfe leidenschaftlich küsste. Nachdem er sich vergewissert hatte, den gewünschten Eindruck hervorgebracht zu haben, sprang er entsetzt auf und warf sich, demütig um Verzeihung bettelnd, Madame Guercelles zu Füßen. »Wie lange sind Sie schon hier?« hauchte sie, deren Eitelkeit mit ihrer Besorgnis kämpfte. De Parno verkniff ein Lächeln. »Vielleicht fünf Minuten.« Eine gewisse schmerzhafte Spannung auf Madame Guercelles puppenhaftem Gesicht ließ langsam nach. Sie trat, bereits wieder im Besitz ihrer vollen Sicherheit, von de Parno weg und setzte sich würdevoll auf einen Stuhl. »Stehen Sie auf!« befahl sie herrisch und fügte wie gequält hinzu: »O Gott, wie konnten Sie nur! … Aber welches Glück, dass ich noch nicht zu Bett war! … Unbegreiflich, dass ich vergessen konnte, die Tür abzusperren.« »Ich weiß selbst nicht, was da über mich gekommen ist«, stöhnte de Parno. »Aber es war stärker als ich. Ich musste hinauf … in Ihre Nähe … Ich hielt es nicht länger aus … Bitte, glauben Sie nicht, dass ich eine schlechte Absicht hatte, Tiennette.« »Tiennette?« In Madame Guercelles Augen dunkelte es drohend. »Verzeihen Sie bitte … Ich habe diesen Namen in Gedanken so oft geflüstert, dass …« »Wie, und Sie wussten auch meine Zimmer-Nummer?« »Ich habe Sie doch schon vom ersten Augenblick an … Ich folge Ihnen ja bereits seit Tagen …« De Parno spielte mit seinen Fingern wie ein ertappter Gymnasiast. Auf Madame Guercelles Nase sprang eine kurze Angst auf: ›Wenn er doch etwas beobachtet hätte?‹ Aber ein schneller Blick auf seine spielenden Finger beruhigte sie. »Gehen Sie jetzt!« De Parno ging. Langsam. Stockend. Ungelenk. An der Tür wandte er sich noch einmal um, die Lippen schmerzlich verzogen, in den Augen einen hündisch zärtlichen und zugleich wehmutsvollen Blick. Das...